Kategorie-Archiv: Literatur

Neuerscheinungen zur Brüderbewegung 2019

Auch am Ende dieses Jahres möchte ich wieder die in den letzten zwölf Monaten erschienenen Veröffentlichungen zur Brüderbewegung übersichtlich zusammenstellen und kurz kommentieren bzw. einordnen. (In die Bibliografie von 2018 habe ich inzwischen noch mehrere Nachträge aufgenommen; siehe die Bücher von Cargill & Brown, Costen, Dickson & Marinello, Herriot und Mutton sowie den Aufsatz von Dennison.)


BÜCHER


Fred[erick] Stanley Arnot: Missionary Travels in Central Africa. Newtownards, Nordirland (Crimond House Publications) 2019. 172 Seiten.

Neuausgabe des zuerst 1914 bei Echoes of Service erschienenen autobiografischen Missionsberichts von Frederick Stanley Arnot (1858–1914).


cargillbrown3Bert Cargill / James Brown: Traditions to Treasure. “Hold fast that which is good” (1 Thess 5.21). Christian Heritage Series 3. Kilmarnock (Ritchie) 2019. 242 Seiten.

Der dritte Band der „Christian Heritage Series“, die auf Artikel im Believer’s Magazine zurückgeht, ist zum großen Teil der Brüderbewegung gewidmet. Enthalten sind u.a. Kapitel über John Nelson Darby (S. 25–33), John Gifford Bellett (S. 34–39), Lord Congleton (S. 40–45), Robert Cleaver Chapman (S. 46–51), George Vicesimus Wigram (S. 52–57), Benjamin Wills Newton (S. 58–63), Charles Henry Mackintosh (S. 64–69), William Kelly (S. 70–75), Samuel Prideaux Tregelles (S. 76–81), Andrew Miller und Edmund Hamer Broadbent (S. 82–87), Edward Denny (S. 118–124), James George Deck (S. 125–129), Joseph Denham Smith (S. 130–133), Albert Midlane (S. 139–143), Joseph Medlicott Scriven (S. 144–149), Mary Peters (S. 156–160), Thomas Newberry (S. 190–195), William Edwy Vine (S. 196–201), George Cutting und Alexander Marshall (S. 202–207), Georg Müller (S. 213–222).


Ann Cleeves: The Long Call. London (Macmillan) 2019. 382 Seiten.

Kriminalroman um einen Detective Inspector, der unter den „Barum Brethren“ in Devon aufgewachsen ist und durch seine Ermittlungen in diese Kreise zurückgeführt wird. Die „Barum Brethren“ zeigen einige Ähnlichkeiten mit den Raven-Taylor-Symington-Hales-Brüdern (z.B. Kontaktabbruch mit Aussteigern, Konsum von Whisky), weichen in vielem aber auch davon ab (z.B. Essen mit Ungläubigen, Fernsehen, Kremation). Das Buch wurde 2021 als Vierteiler verfilmt.


[John Nelson Darby / George Vicesimus Wigram:] Letters of J. N. Darby. Supplement. Correspondence with G. V. Wigram. Vol. 1: 1838–1855. Chessington (Bible and Gospel Trust) 2019. viii, 446 Seiten. — Vol. 2: 1856–1878. Ebd. 511 Seiten.

Der im Christian Brethren Archive in Manchester lagernde Bestand von ca. 800 Briefen zwischen Darby und Wigram wird hier in sorgfältiger Edition zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im Gegensatz zu allen früheren Briefausgaben Darbys erfolgt die Wiedergabe unzensiert und unredigiert, sodass völlig neue Einblicke in Persönlichkeit und Privatleben möglich werden. Die zahlreich erwähnten Orte und Personen sind durch differenzierte Register erschlossen.


despinsGilles Despins: La Bible Darby et son histoire. Sa rédaction, ses objectifs et ses principes. Trois-Rivières, QC (Éditions Impact) 2019. 210 Seiten.

Auch wenn der Autor es offenbar nirgendwo erwähnt, handelt es sich hier um eine gekürzte französische Ausgabe seiner 2015 am South African Theological Seminary eingereichten Dissertation A Critical Assessment of J. N. Darby’s Translation Work. Thema der Arbeit sind die drei mit Darbys Namen verbundenen Bibelübersetzungen (deutsch [Elberfelder], französisch und englisch), deren Entstehungsgeschichte (Kapitel 2), Ziele (Kapitel 3), Prinzipien (Kapitel 4) und Grundtext (Kapitel 5) im Einzelnen untersucht werden.

Da der Autor sich praktisch durchweg auf bereits veröffentlichtes Material stützt, kommt er zu keinen revolutionär neuen Erkenntnissen. Als Primärliteratur zieht er vor allem Darbys Briefe und die Vorworte zu seinen Bibelübersetzungen heran; bei der Sekundärliteratur verlässt er sich zu sehr auf veraltete (z.B. Ischebeck, Ehlert) oder populäre (z.B. Field) Darstellungen. Literatur in deutscher Sprache war ihm offenbar unzugänglich, was sich besonders in den Abschnitten zur Elberfelder Bibel als eklatanter Mangel bemerkbar macht; allein Martin Arhelgers knappe Online-Veröffentlichung zur Geschichte der Elberfelder Bibel ist schon wesentlich zuverlässiger und informativer als alles, was Despins (auf der Grundlage von Ehlert und anderen) über dieses Thema zu sagen weiß. Widersprüchliche Aussagen verschiedener Autoren stellt er teilweise einfach nebeneinander, ohne den Versuch einer Lösung oder Klärung zu unternehmen. So heißt es auf S. 37 (unter Berufung auf Ehlert), der Initiator der Elberfelder Bibel sei ein „F. W. Brockhaus“ gewesen (die Fußnote vermerkt: „Einziger bekannter Hinweis auf diesen F. W. Brockhaus“!), während im nächsten Satz (unter Bezugnahme auf Field) richtig „Carl Brockhaus“ genannt wird (Fußnote: „Manchmal ‚Karl‘ geschrieben“!). Bereits eine einfache Google-Suche hätte dem Autor deutlich machen können, dass es sich hier um ein und dieselbe Person handelt, nämlich Carl Friedrich Wilhelm Brockhaus (1822–1899). In einer weiteren Fußnote ist von „einem gewissen Dr. Alfred Rochat“ die Rede (S. 38, Anm. 74), als ob über diesen Mann außer dem Namen nichts bekannt wäre – wo es doch sogar einen (deutschen) Wikipedia-Artikel über ihn gibt.

Die Kapitel 3–5 über Darbys Übersetzungsziele und -prinzipien sowie den verwendeten Grundtext sind insgesamt von besserer Qualität, auch wenn mir der sprachliche Duktus manchmal seltsam naiv vorkommen will. Das akademische Niveau der in den letzten Jahren aus dem Brethren Archivists and Historians Network hervorgegangenen Arbeiten erreicht diese Dissertation jedenfalls nicht.


Stewart Ennis: Blessed Assurance. Glasgow (Vagabond Voices) 2019. 321 Seiten.

Teilweise autobiografischer Roman über Kindheit und Jugend eines Jungen, der in Schottland unter den – satirisch überzeichneten – Offenen Brüdern aufwächst.


Tim Grass: Ernest and May Trenchard. Evangelical Mission in Franco’s Spain. Studies in Brethren History, Subsidia. Glasgow (Brethren Archivists and Historians Network) 2019. xx, 195 Seiten. — Spanische Ausgabe: Ernesto y Gertrudis Trenchard. La enseñanza que permanece. Aus dem Englischen von Alison Barrett. Madrid (Centro Evangélico de Formación Bíblica) 2019. 288 Seiten.

Biografie eines englischen Missionarsehepaars der Offenen Brüder, das jahrzehntelang in Spanien arbeitete.


James M[acintosh] Houston: Memoirs of a Joyous Exile and a Worldly Christian. Eugene, OR (Cascade Books) 2019. xiv, 140 Seiten.

Autobiografie eines Mitbegründers des Regent College (Vancouver), der von Haus aus den Glanton-Brüdern und später den Offenen Brüdern angehörte.


kurianAlexander Kurian: Faith and Practices of the Brethren. What they are and Why they matter. Ohne Ort (Selbstverlag/Amazon) 2019. 219 Seiten.

Überlegungen eines indisch-amerikanischen Offenen Bruders zu den besonderen Merkmalen von Brüdergemeinden. Für den Autor sind folgende 17 Kennzeichen zentral (S. 39–41):

1. nichtdenominationeller und nichtsektiererischer Charakter (kein besonderer Name)
2. Christus als Mittelpunkt („versammelt zum Namen Jesu“)
3. Autorität der Schrift („Sola Scriptura“)
4. Priestertum aller Gläubigen
5. Beachtung der „vier Säulen“ aus Apg 2,42
6. wöchentliches Brotbrechen
7. offene und spontane Anbetung
8. Gemeinschaft statt Mitgliedschaft
9. Leitung durch mehrere Älteste
10. Selbständigkeit und Unabhängigkeit der örtlichen Gemeinde
11. Glaubensprinzip (kein bezahlter Dienst)
12. antiochenisches Missionsmodell (örtliche Gemeinde sendet Missionare aus)
13. Schweigen und Kopfbedeckung der Frauen
14. keine Wundergaben in der heutigen Zeit
15. freiwillige Spenden (keine Verpflichtung zum Zehnten)
16. Betonung der Jüngerschaft und eines aufopferungsvollen Lebens
17. Naherwartung des Herrn Jesus

Das (typografisch leider sehr laienhaft gestaltete) Buch ist über Amazon erhältlich.


Fares Marzone: The Reformation and the Brethren Movement in Italy. Foreword by T[homas] J. Marinello. Lockerbie (OPAL Trust) 2019. xii, 210 Seiten.

Wie der Titel nahelegt, bietet das Buch einen Abriss der Geschichte der Reformation (S. 11–102) und der (Offenen) Brüderbewegung (S. 103–198) in Italien. Zugrunde liegen zwei italienischsprachige Bücher des Autors (La Riforma Protestante, 2017; Fratelli d’Italia e non solo, 2011), aus denen jeweils mehrere Kapitel übersetzt wurden (nach meinem Eindruck nicht immer idiomatisch).


douthwaiteSheila McClure: Letters from Chefoo. Constance Douthwaite’s Life in China 1887–1896. Southampton (Little Knoll Press) 2019. vi, 316 Seiten.

Constance Harriet Douthwaite geb. Groves (1867–1896) war eine Tochter von Edward Kennaway Groves (1836–1917) und somit eine Enkelin von Anthony Norris Groves (1795–1853). Als 19-Jährige reiste sie, empfohlen von der Bethesda-Gemeinde in Bristol, mit der China-Inland-Mission nach Chefoo in China aus. 1890 heiratete sie dort den 19 Jahre älteren, verwitweten Missionsarzt Arthur William Douthwaite (1848–1899). Bereits sechs Jahre später verstarb sie jedoch, vier Wochen nach der Geburt ihres vierten Kindes. Während ihrer Zeit in China schrieb sie über 200 Briefe an ihre Familie in Bristol, die hier, herausgegeben von ihrer Urenkelin, erstmals im Druck erscheinen.


Bruce McLennan: Pioneering in ‘The Beloved Strip’, 1881–1931. Assembly Missionary labour in Angola, Belgian Congo and Northern Rhodesia. Kilmarnock (Ritchie) 2019. 307 Seiten.

Die als „The Beloved Strip“ bezeichnete afrikanische Region war ein bevorzugtes Missionsgebiet der britischen Offenen Brüder (Frederick Stanley Arnot, Dan Crawford u.a.). Das Buch stellt die ersten 50 Jahre dieser Arbeit erstmals zusammenhängend dar.


bmww2019Ken und Jeanette Newton (Hrsg.): The Brethren Movement Worldwide. Key Information 2019. 5th edition. Lockerbie (OPAL Trust) 2019. xxviii, 346 Seiten.

Die 3. Auflage dieses Buches (2011) habe ich bereits früher hier vorgestellt. In der aktualisierten Neuausgabe sind 117 Länder enthalten; neu hinzugekommen sind Finnland, Schweden, Kroatien, Griechenland, Nigeria, Puerto Rico, die Dominikanische Republik, Haiti, Ecuador, Surinam, Libanon, Iran, Bhutan, Korea, Indonesien und Tuvalu. Gestrichen wurden die Republik Kongo, Mauritius und Neukaledonien, da die Herausgeber aus diesen Ländern seit mehreren Auflagen keine aktuellen Informationen mehr erhalten haben.

Der Abschnitt über Deutschland (S. 121–128) wurde grundlegend überarbeitet (vermutlich von Lothar Jung; S. 128) und listet nun minutiös alle Zeitschriften, Arbeitskreise und Werke der Freien Brüder und der AGB-Gemeinden auf. Die in der vorigen Auflage noch genannten „blockfreien“ Verlage und Zeitschriften (CLV, Daniel, Rigatio, Zeit & Schrift) fielen dabei leider gänzlich unter den Tisch. Bei den statistischen Angaben wurden nur die der Freien Brüder aktualisiert (wobei die Zahl der Gemeinden auffallenderweise stark nach unten korrigiert werden musste: von 265 auf 190!), während die übrigen Daten auf dem Stand von 2015 geblieben sind (was den Eindruck erhärtet, dass ein Freier Bruder für die Überarbeitung verantwortlich war).

Das Buch ist auch online lesbar, kann im Gegensatz zu früheren Auflagen aber nicht mehr als PDF heruntergeladen werden.


Henry Pickering (Hrsg.): Chief Men among the Brethren. Newtownards, Nordirland (Crimond House Publications) 2019. 352 Seiten.

Nachdruck der klassischen Sammlung von „Brüder“-Biografien, neu gesetzt und alphabetisch geordnet. Dass es sich um ein ca. 100 Jahre altes Werk handelt (1. Auflage 1918; 2., erweiterte Auflage 1931), wird seltsamerweise nirgendwo erwähnt. Die Qualität der faksimilierten Bilder lässt teilweise zu wünschen übrig.


Thomas Riedel: Entstehung und Entwicklung der „Elberfelder Bibel“ (Neues Testament) von der Erstübersetzung bis heute: Eine Untersuchung des Übersetzungsansatzes und eine kritische Würdigung. M.Th. Thesis, University of South Africa 2019. 195 Seiten.

Diese hochinteressante Arbeit ist zwar (bisher) nicht als Buch erschienen, aber online im Volltext verfügbar. Sie stellt zunächst „Ziele und Übersetzungsansatz“ der Elberfelder Bibel dar (S. 15–47) und untersucht anschließend „die praktische Umsetzung dieses Ansatzes anhand von drei ausgewählten Kapiteln des Neuen Testamentes“, nämlich Lk 1–2, Röm 6 und 2Petr 3 (S. 48–134). „Eine Einordnung in die aktuelle Übersetzungsdiskussion und Vorschläge für die Weiterentwicklung dieser Übersetzung runden die Arbeit ab“ (S. 135–165).


Valerie Elliot Shepard: Devotedly, The Personal Letters and Love Story of Jim and Elisabeth Elliot. Nashville, TN (B & H) 2019. 285 Seiten.

Auf der Grundlage von bisher teilweise unveröffentlichten Briefen und Tagebüchern wird hier die Liebesgeschichte zwischen dem Missionar Jim Elliot (1927–1956), der aus einer Offenen Brüdergemeinde stammte, und seiner späteren Frau Elisabeth Howard (1926–2015) nachgezeichnet. Die Autorin ist die 1955 geborene Tochter der beiden.


David A[ndrew] Smith: The Model Church. Its Essence, Expression, and Goal. Karrinyup, Australien (Snowgoose Media) 2019. xi, 196 Seiten.

Eine theoriegesättigte ekklesiologische Abhandlung, die mit zwei „Fallstudien“ schließt: einer historischen über die Brüderbewegung im 19. Jahrhundert (S. 107–161) und einer aktuellen über den „progressiven“ Flügel der Offenen Brüder in Australien („Christian Community Churches of Australia“; S. 163–184).


spinksJohn D. Spinks: Cult Escape. My Journey to Freedom. Ohne Ort (Selbstverlag/Amazon) 2019. 195 Seiten.

Der Boom der Raven-Taylor-Aussteigerliteratur setzt sich fort: Nach Ngaire Thomas (2004, ²2005), Em Amosa (2007), David Tchappat (2009), Lindsey Rosa (2010), James Bell (2014), Peter Wycherley Harrison (2014), Joy Nason (2015), John L. Fear (2016) und Rebecca Stott (2017) ist dies nun schon mindestens der zehnte Vertreter dieses Genres innerhalb von 15 Jahren. Spinks verließ die Raven-Taylor-Brüder 1988 im Alter von 22 Jahren; der größere Teil seines Buches handelt allerdings von der Zeit danach und versucht Lesern in ähnlichen Situationen Hilfestellung zu geben. Wie den meisten selbst verlegten Büchern mangelt es auch diesem an der straffenden, glättenden und ordnenden Hand eines Lektors. Parallel zum Buch hat der Autor eine Website mit Beratungsangebot eingerichtet.


Mark R. Stevenson: Die Brüder und die Lehren der Gnade. Wie stand die Brüderbewegung des 19. Jahrhunderts zur calvinistischen Heilslehre? Aus dem Englischen von Alois Wagner. Bielefeld (CLV) 2019. 476 Seiten.

Die amerikanische Originalausgabe dieser Dissertation, The Doctrines of Grace in an Unexpected Place (2017), habe ich vor zwei Jahren kurz vorgestellt; eine ausführlichere Besprechung der deutschen Übersetzung erschien bereits in Zeit & Schrift 6/2019 und auf der Hauptseite von bruederbewegung.de, sodass ich hier auf weitere Erläuterungen verzichten kann. Das Buch steht auf der Website des Verlags auch zum kostenlosen Download zur Verfügung.


Rebecca Stott: Erlöst. Mein Weg aus der Sekte. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. München (btb) 2019. 383 Seiten.

Obwohl die Raven-Taylor-Brüder in der deutschen Öffentlichkeit praktisch keine Rolle spielen, hielt die Verlagsgruppe Random House es offenbar für erfolgversprechend, Rebecca Stotts Aussteigerbiografie In the Days of Rain (2017) auch hierzulande auf den Markt zu bringen. Im Klappentext wird die Glaubensgemeinschaft denn auch gar nicht beim Namen genannt, sondern es ist nur von einer „ultra-konservativen“ bzw. „fundamentalistischen christlichen Sekte“ die Rede. Die Übersetzung macht auf den ersten Blick einen guten Eindruck; die von Stott verwendete Bezeichnung (Exclusive) Brethren wurde unübersetzt gelassen, was sicher keine schlechte Idee war.

Von den deutschen Feuilletons scheint das Buch (das jetzt knapp zwei Monate auf dem Markt ist) bisher noch nicht beachtet worden zu sein; auch bei Amazon findet sich derzeit noch keine einzige Kundenrezension. Auf einige Stärken und Schwächen hatte ich bei meiner Vorstellung der englischen Originalausgabe vor zwei Jahren hingewiesen.


tillMichael Till: Crusader with Compassion. Dr Walter Hadwen, Gloucester GP, 1854–1932. Gloucester (Hobnob Press) 2019. 192 Seiten.

Der Arzt Walter Hadwen ist einer der wenigen „Brüder“, die außerhalb der Brüderbewegung bekannter sind als innerhalb: Er war zu Lebzeiten einer der führenden Tierversuchs- und Impfgegner Großbritanniens. Die Biografie interessiert sich daher auch mehr für sein medizinisches Wirken als für seine Glaubensüberzeugungen. Hadwen trat als junger Erwachsener wahrscheinlich den Geschlossenen Brüdern bei und wechselte nach den Trennungen der 1880er Jahre (Stuart?) zu den Offenen Brüdern.


Terence-Pablo Wickham Ferrier: Renovarse o morir. Pasado, presente y futuro de las Asambleas de Hermanos. Barcelona (wobebo/Bibliasfera) 2019. 174 Seiten.

Überlegungen eines englischstämmigen Missionars zur Situation der Offenen Brüdergemeinden in Spanien. Die Haltung des Autors ist konservativer, als es der Titel vermuten ließe („Erneuern oder Sterben: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Brüdergemeinden“).


David Woodbridge: Missionary Primitivism and Chinese Modernity. The Brethren in Twentieth-Century China. Studies in Christian Mission 54. Leiden/Boston (Brill) 2019. xi, 173 Seiten.

Buchausgabe der Dissertation des Autors von 2012 (die auch online zugänglich ist). Behandelt werden vor allem die missionarischen Aktivitäten von Echoes of Service (Kapitel 1, 3, 4, 5) und die Little-Flock-Bewegung von Watchman Nee (Kapitel 2).


Richard Yarrall: From Poverty Bay to Riches Untold. Auckland, Neuseeland (Castle Publishing) 2019. 434 Seiten.

Autobiografie eines neuseeländischen Missionars der Offenen Brüder, der in Kolumbien und Los Angeles arbeitete.


AUFSÄTZE


bhr2018Ausgabe 15 (2019) der Brethren Historical Review enthält (neben etlichen Rezensionen) die folgenden Beiträge:

Bill Anderson: „Andersons and Chrystalls: Scottish Pioneers in Aotearoa/New Zealand (S. 1–11)
P[aul] David Wilkin: „Education at Chitokoloki, 1914–1924: The Vision of George Suckling (S. 12–39)
William E. Buntain: „The Exclusive Brethren, Watchman Nee, and the Local Churches in China (S. 40–72)
Jonathan Side: „Some Reflections on the Life and Scientific Work of Robert Rendall (1898–1967) (S. 73–82)
Michael Schneider: „New Writing on Brethren History (S. 83–88)
Timothy Stunt: „Philip Murray Jourdan McNair (1924–2018) (S. 142–145)
S[amuel] J[ames] McBride / N[eil] Dickson: „David Willoughby Gooding (1925–2019) (S. 146–149)
Neil Dickson: „Richard Stephen Saunders (1930–2018) (S. 150–153)

Besonders hervorheben möchte ich hier den Nachruf auf Philip McNair. Der aus dem Exklusiven Brüdertum stammende, um 1960 in die Church of England übergetretene Experte für italienische Literatur verfasste u.a. eine Biografie John Nelson Darbys von offenbar herausragender Qualität, deren Veröffentlichung er jedoch aus Bescheidenheit und Perfektionismus zeitlebens verweigerte. Von den wenigen, die sie bisher zu Gesicht bekamen, wurde sie in den höchsten Tönen gelobt; Max Weremchuk etwa schrieb 2004 auf My Brethren, sie sei wie die Mona Lisa im Vergleich mit dem Gekritzel eines dreijährigen Kindes und habe ihm selbst jeden Mut genommen, mit der Überarbeitung seines eigenen Darby-Buches fortzufahren. Marion Field konnte sie für ihre Darby-Biografie von 2008 immerhin nutzen und mehrmals daraus zitieren. Dem Vernehmen nach besteht die Chance, dass das nachgelassene Typoskript nun in ein Archiv überführt und der Forschung zugänglich gemacht werden kann.

Philip McNair veröffentlichte übrigens 1986 einen Artikel über die Brüderbewegung in der Zeitschrift Christian History und gab 2008 im Selbstverlag Briefe seines Vaters aus dem Ersten Weltkrieg heraus (A Pacifist At War: Military Memoirs of a Conscientious Objector in Palestine, 1917–1918).


Offene Türen 111 (2019), Heft 4 brachte einige kurze Beiträge aus dem Arbeitskreis „Geschichte der Brüderbewegung“ zum 100-jährigen Jubiläum des Umzugs der Bibelschule von Berlin nach Wiedenest:

Gerd Goldmann: „100 Jahre Bibelschule in Wiedenest. Historisches vom Arbeitskreis ‚Geschichte der Brüderbewegung‘“ (S. 18)
Hartmut Wahl: „Bibelschule Wiedenest: Weltweite Wirkungen (S. 18f.)
Erich Sauer: „Von Berlin nach Wiedenest – der Weg der Allianz-Bibelschule (S. 19)
Hartmut Wahl: „Johannes Warns – Lehrer freier Gemeinden (S. 20)
Horst Afflerbach: „Erich Sauer und die Bibelschule (S. 21)
Hartwig Schnurr: „Ernst Schrupp (S. 22)


Gisa Bauer / Paul Metzger: „Brüderbewegung (auch: Brüdergemeinden, Brüderversammlungen, Christliche Versammlungen, Freier Brüderkreis, Darbysten, Plymouth-Brüder)“. In: dies.: Grundwissen Konfessionskunde. UTB 5254. Tübingen (Narr Francke Attempto) 2019. S. 238–241.

Ein grundsätzlich brauchbarer Überblick, auch wenn (oder gerade weil) vieles offenkundig aus der Wikipedia übernommen wurde (ohne Quellennachweis). Unscharf dargestellt sind die Trennungsgründe von 1848; falsch ist die Behauptung, dass Raven sich 1890 von der Brüderbewegung getrennt hätte und die Mehrheit in Nordamerika ihm gefolgt wäre. Bei der Auflistung der verschiedenen Brüdergruppen in Deutschland bleiben die „blockfreien“ Gemeinden unberücksichtigt.


John Bennett: „Major-General Sir Charles H. Scott, KCB, RA 1848–1919“. In: Precious Seed 74 (2019), Heft 1, S. 15.

Kurzes Lebensbild zum 100. Todestag des Offenen Bruders Charles Henry Scott am 6. Oktober 2019 (auch online).


Kate Brooks: „In this Age of Wonders: Exploring the Myth of George Muller“. In: Question. Essays & Art from the Humanities 4 (2019), S. 58–65, 115–118.

Annäherung an Georg Müller aus säkular-atheistischer Perspektive (auch online). Die Autorin ist die Urenkelin eines von Müller aufgenommenen Waisenjungen.


Bert Cargill: „Joseph Medlicott Scriven (1819–1886)“. In: Precious Seed 74 (2019), Heft 3, S. 28f.

Scriven war der Dichter des Liedes What a Friend We Have in Jesus (Welch ein Freund ist unser Jesus). Geboren in Irland, wo er während seines Studiums auch mit den „Brüdern“ in Verbindung kam, wanderte er später nach Kanada aus und arbeitete dort als Lehrer, Holzfäller, Farmarbeiter und Evangelist. Gleich zwei Verlobungen scheiterten durch den tragischen Tod der Verlobten (1843 und 1860). Gegen Ende seines Lebens litt Scriven an Depressionen; ob sein Tod in einem Mühlenteich ein Unfall oder Selbstmord war, blieb ungeklärt.

Der Gedenkartikel erschien zum 200. Geburtstag am 10. September 2019 und ist auch online zugänglich; als Name des Autors wird hier allerdings „Mitchell Cargill“ angegeben, und das beigegebene Bild zeigt nicht Scriven, sondern den Komponisten von What a Friend We Have in Jesus, Charles Crozat Converse (1832–1918).


María Eugenia Cornou: „Formative Worship ‘at the End of the World’: The Worship Practices of Methodists, Baptists and Plymouth Brethren in the Emergence of Protestantism in Argentina, 1867–1930“. In: Studies in World Christianity 25 (2019), S. 166–186.

Von diesem Artikel war mir nur ein Abstract zugänglich, aber der Titel scheint deutlich zu benennen, worum es geht.


Bernard Ineichen: „Losing the rapture: escaping from fundamentalist Christian belief“. In: Mental Health, Religion & Culture 22 (2019), S. 661–673.

Vergleich der Lebensläufe von vier Aussteigern aus „fundamentalistischen“ Gruppen. Zwei davon haben mit der Brüderbewegung zu tun: Edmund Gosse (1849–1928), Sohn des Naturforschers Philip Henry Gosse, verbrachte seine ersten Lebensjahre unter den Offenen Brüdern (von denen sich die Familie allerdings bereits 1857 löste, was im Artikel – wie auch sonst häufig – ignoriert wird); Rebecca Stott (* 1964) stammt aus einer Familie der Raven-Brüder, die sich nach Aberdeen 1970 von James Taylor junior trennte.


Keith Keyser: „Homecall: David Gooding (September 16, 1925 – August 30, 2019)“. In: Cornerstone 3 (2019), Heft 6, S. 14.

Nachruf auf den bekannten Alttestamentler, der den Offenen Brüdern angehörte und viel mit John Lennox zusammenarbeitete (auch online verfügbar). Von seinen zahlreichen Publikationen wurden etliche auch ins Deutsche übersetzt (zuletzt Das Evangelium nach Lukas und In der Schule des Meisters).


Daniel J. King: „Filled with a Hallowed Presence: Abundant Events in the Lives of George Müller and Amanda Berry Smith“. In: Fides et Historia 51 (2019), S. 143–152.

In Auseinandersetzung mit dem Buch History and Presence von Robert A. Orsi untersucht der Autor die Spiritualität von Georg Müller und Amanda Berry Smith, einer amerikanischen Evangelistin der Heiligungsbewegung.


Andreas Liese: „Die evangelischen Freikirchen in der Zeit des Nationalsozialismus“. In: Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft. Freikirchliche Perspektiven auf das Verhältnis von Kirche und Staat. Beiträge einer internationalen Tagung des Berliner Instituts für vergleichende Staat-Kirche-Forschung in Kooperation mit der Theologischen Hochschule Elstal, Berlin, 6. und 7. Dezember 2017. Hrsg. von Martin Rothkegel und Reinhard Assmann. Schriftenreihe des Berliner Instituts für vergleichende Staat-Kirche-Forschung 30. Berlin (Gesellschaft zur Förderung vergleichender Staat-Kirche-Forschung) 2019. S. 255–286.

Der Aufsatz beschreibt die „überwiegend unkritische Haltung deutscher Freikirchler gegenüber dem Nationalsozialismus“ (Vorwort der Herausgeber, S. 17) und geht dabei auch auf die Brüderbewegung ein.


Andreas Liese: „‚Zum Fluch für die Nationen gesetzt‘? Die Geschlossenen Brüder und ihr Verhältnis zum jüdischen Volk“. In: Freikirchenforschung 28 (2019), S. 189–213.

Der Autor untersucht ausführlich die 1934/35 geführte briefliche Diskussion zwischen Wilhelm Stücher, Fritz von Kietzell, Franz Kaupp und David Kogut, auf die er 2018 bereits in seinem Lebensbild Koguts hingewiesen hatte, und ordnet sie in die Israeltheologie der Geschlossenen Brüder ein, wobei er Äußerungen von 1840 (John Nelson Darby) bis 2017 (Ernst-August Bremicker) heranzieht.


Alastair Noble: „Plymouth Brethren“. In: ders.: Born in a Golden Age. Reflections on Faith, Family and Fallacies. Kilmarnock (Ritchie) 2019. S. 40–69.

Porträt der Brüderbewegung (Geschichte, Merkmale, Herausforderungen) von einem der derzeit führenden Offenen Brüder Schottlands.


Alexander Rockstroh: „Frömmigkeitsformen in der Brüderbewegung“. In: Die Gemeinde [74] (2019), Heft 3, S. 8f.

Der neue Geschäftsführer der AGB, der ursprünglich aus der Landeskirche stammt, beschreibt in diesem Beitrag, „welche Ausdrucksformen der Frömmigkeit er innerhalb der Brüderbewegung besonders schätzt“ (auch online).


Gerrid Setzer: „Johannes Meyer. Er schonte sein Leben nicht. 05.04.1814 – 01.09.1847“. In: Treue und Hingabe. Hrsg. von Alexander Schneider und Gerrid Setzer. Hückeswagen (CSV) 2019. S. 106–117.

Der gebürtige Schweizer Johannes Meyer wurde bei der Basler Mission und bei der Londoner Church Missionary Society zum Missionar ausgebildet, trennte sich aber 1839 von Letzterer und schloss sich den „Brüdern“ an. 1840 heiratete er und reiste nach Britisch-Guayana aus, wo Leonard Strong (1797–1874) bereits seit einigen Jahren wirkte. Nach siebenjähriger aufopferungsvoller Missionstätigkeit starb er 1847 an einem Fieber.

Das in erzählender Form geschriebene, in erster Linie wohl an junge Leser gerichtete Lebensbild ist wahrscheinlich die erste Veröffentlichung über Meyer aus der deutschen Brüderbewegung seit Emil Dönges’ Artikel von 1906 („Johannes Meyer, das Lebensbild eines treuen Mannes aus dem vorigen Jahrhundert“, Botschafter des Friedens 16 [1906], S. 35–44, 47–51; auch als Separatdruck erschienen).


Für Hinweise auf weitere, von mir übersehene Neuerscheinungen bin ich dankbar!

150. Geburtstag von Christian Schatz

schatz
Christian Schatz (1869–1947)

Von den meisten Pionieren der deutschen Offenen Brüder liegen bislang keine umfangreicheren Lebensbilder vor; auch Christian Schatz bildet da keine Ausnahme. Anlässlich seines heutigen 150. Geburtstages möchte ich hier wenigstens drei kurze Skizzen veröffentlichen, die sonst noch nicht online zugänglich sind.

Ich beginne mit einem Blatt aus einer als Typoskript überlieferten Chronik der Familien Brackelsberg/Braselmann aus Ennepetal-Milspe:1

In Urach im schönen Württemberg ist Christian Schatz am 6. Oktober 1869 geboren. Er heiratete Anna Osthoff, die ihm aber keine Kinder schenkte.

Christian war Lehrer an einer Mittelschule, trat aber mit etwa 22 Jahren aus der Kirche aus, um einer von Darby gegründeten freikirchlichen Gemeinschaft angehören zu können. Deshalb musste er auch seinen Beruf aufgeben, und so kam er nach Wuppertal-Barmen zu einem Orgelbauer. Später war er Hauslehrer bei Julius und Daniel Brackelsberg und Carl Osthoff, dessen Tochter er ehelichte. Nachdem er zwei Jahre als Soldat in Metz gedient hatte, heiratete er 1893.2

Später war Christian Hausverwalter der Familie Menzel in Düsseldorf, dann Kaufmann in einer Giesserei in Altenvoerde. Nach dem Konkurs dieser Fabrik wurde er Metallwarenvertreter in Bad Homburg.

Christian Schatz war ein sehr ernster Christ, dabei auch in der biblischen Auslegung sehr bewandert. Das zeigt auch, dass er Mitbegründer der „Offenen Brüder“ geworden ist. Nebenbei schriftstellerte er auch.

Am 1. Januar 1947 hauchte Schatz sein vielbewegtes Leben aus. Er starb an Altersschwäche aufgrund der schlechten Ernährungslage in damaliger Zeit. Sein Sterbeort ist Bad Homburg.

Interessant ist hier u.a. die Information, dass Schatz erst mit ca. 22 Jahren zu den „Brüdern“ kam, also etwa 1891/92. Um diese Zeit fanden auf dem europäischen Kontinent gerade die Auseinandersetzungen über die Lehren F. E. Ravens statt. Möglicherweise gehörte Schatz also nie den „Elberfelder Brüdern“ an, sondern trat gleich den Raven-Brüdern bei, deren Zeitschrift Worte der Gnade und Wahrheit er von 1897 bis 1900 in Altenvoerde herausgab (nachdem sich der erste Herausgeber, Max Springer, den Offenen Brüdern zugewandt hatte).

saalburg1927
Ausflug auf die Saalburg anlässlich der Bad Homburger Osterkonferenz 1927; Christian Schatz in der hinteren Reihe rechts

Die zweite Skizze stammt aus der Festschrift zum 60-jährigen Bestehen der Offenen Brüdergemeinde Bad Homburg, die in Schatz’ Todesjahr 1947 erschien. Auf deren Seite 12 heißt es zunächst knapp:

Vom Jahre 1917 an nahm Bruder Schatz, der inzwischen nach Homburg übergesiedelt war, regen Anteil an dem Dienst in der Gemeinde.3

Sechs Seiten weiter wird ausführlicher berichtet:

Am 1. 1. 47 ging Bruder Schatz im Alter von 77 Jahren nach längerer Krankheit heim. Drei Tage vor seinem Tode sang ihm der Gemischte Chor einige Lieder zur Ermunterung, die ihn auch sichtlich erfreuten. Ein arbeitsreiches Leben fand damit seinen Abschluß. Bruder Schatz war durch seine umfassende Schriftkenntnis und seine eiserne Energie über den Rahmen der örtlichen Gemeinde hinaus bekannt und bemühte sich unablässig für das Werk des Herrn, besonders auch für die Brüder in der Mission. Obwohl er selbst kinderlos war, so hatte er doch stets ein warmes Empfinden für die Jugend.

Bei der Vereinigung der verschiedenen Gemeindegruppen war er mithelfend tätig und freute sich, als diese Bemühungen zum Erfolg führten.

Bruder Schatz mußte im November 1945 seine Tätigkeit als Gemeindeleiter krankheitshalber aufgeben. Bruder Friedrich Adolf Zeuner wurde in einer Gemeindeversammlung als Nachfolger gewählt und dient seitdem unserer Gemeinde als Gemeindeleiter in vorbildlicher Treue. Bruder Friedrich Kleemann steht ihm als Stellvertreter zur Seite.4

Mit der „Vereinigung der verschiedenen Gemeindegruppen“ ist natürlich der Beitritt der Offenen Brüder zum BfC (1937) und der Zusammenschluss des BfC mit den Baptisten (1941/42) gemeint. Dass Schatz sich über den letzteren durchaus nicht ganz ungeteilt „freute“, verrät die Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Bad Homburger Gemeinde (1987):

Der gebürtige Württemberger war Lehrer, mußte jedoch diesen Beruf aufgeben, weil er sich der „Christlichen Versammlung“ angeschlossen hatte. Als Privatlehrer in Wuppertal hielt er Kontakt zu den Versammlungen am Ort. 1917 zog er nach Bad Homburg und arbeitete als Industriekaufmann. In die Arbeit der Gemeinde brachte er seine reichen Gaben ein und wurde zu einem der führenden Männer unter den „Offenen Brüdern“ in Deutschland. Zusammen mit Joh. Warns von der Bibelschule in Wiedenest gab er die Zeitschrift „Saat und Ernte“ im Verlag Zeuner heraus. Er war ab 1937 ein überzeugter Förderer des Zusammenschlusses mit den sogenannten „Elberfeldern“, der darbystischen Gruppe unter den Versammlungen. Den Zusammenschluß mit dem Bund der Baptistengemeinden in Deutschland im Jahre 1942 vollzog er zunächst zögernd, dann – um der Einheit der Gemeinde willen – bewußt mit.5

Von Christian Schatz’ Veröffentlichungen hat bruederbewegung.de bisher vier zugänglich gemacht:


200. Geburtstag von Wilhelm Brockhaus

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Wilhelm Brockhaus (1819–1888)

Heute vor 200 Jahren wurde Peter Friedrich Wilhelm Brockhaus, einer der bekanntesten deutschen „Brüder“ der ersten Generation, in Himmelmert bei Plettenberg geboren. Anstelle eines vollständigen Lebensbildes verweise ich hier auf den Wikipedia-Artikel, den ich 2007 über ihn verfasst und heute noch einmal ergänzt habe.

Der Schriftsteller

Anders als bei seinem jüngeren Bruder Carl, mit dem gemeinsam er Ende 1852 den Evangelischen Brüderverein verließ, spielte sich ein großer Teil von Wilhelm Brockhaus’ Wirken auch danach noch außerhalb der Brüderbewegung ab. Er blieb nämlich bis zu seinem Lebensende Schriftleiter des Kinderboten, der Zeitschrift des Elberfelder Erziehungsvereins, und veröffentlichte außerdem in dessen Reihe Saat und Ernte mindestens 15 historische Romane „für die reifere Jugend und ihre Freunde“. Einer davon, Der Burgvogt oder: Feurige Kohlen. Eine Erzählung aus den Zeiten des deutschen Bauernkrieges (ca. 18701), ist als Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek auch online zugänglich.

Die Bände beginnen in der Regel mit einer ausführlichen historischen Einleitung, die beachtliche Kenntnisse verrät und oft durchaus hohe Ansprüche an die jugendlichen Leser stellt. Über Brockhaus’ Arbeitsweise schreibt der FeG-Historiker Gustav Ischebeck (1863–1937):

Dieser Bruder war, so berichtete man uns, auf seinen vielen Reisen meist in seinem schriftstellerischen Geiste so Aug’ und Ohr, daß er anderes ganz vergaß. Wo er auch las, sah, hörte, erzählte oder sich erzählen ließ, war er gebannt und sammelte er. Dabei soll er vielerorten von seinen Reisestücken dies und das so völlig vergessen haben, daß man erst im Familienkreise hernach das Fehlen merkte. Gott segnete seinen Sammelfleiß, der mit einer schönen schriftstellerischen Gabe vereint war. Er hat mit seinem Pfunde treu gedienet!2

Der Elberfelder Erziehungsverein warb mit folgenden Worten für seinen Autor:

Es dürfte für die Jugend kaum etwas Schöneres, Fesselnderes und Gediegeneres geben, wie [sic] diese positiv christlichen Erzählungen, die auch für Jugend-, Jünglings-Vereins- und Volksbibliotheken sehr begehrt sind.3

Aus heutiger Sicht wirkt Brockhaus’ Erzählstil oft etwas pathetisch, wenn nicht prätentiös; ein Romananfang wie etwa der von Der Vater Tim (1862) würde heute wohl nur noch wenige Leser zum Weiterlesen anregen (schon gar keine Jugendlichen):

Wenn man von La Rochelle in Frankreich, der Küste des Ozeans entlang, weiter nach Süden wandert, so genießt das Auge auf beiden Seiten den wunderlieblichsten Anblick. Unter betäubendem Getöse und mit stürmisch wildem Drängen wälzen sich die Schaumwellen der nahen Brandung gegen das felsige Gestade, als ob sie es zu zersprengen und sich einen Durchgang zu brechen gedächten; und während das Auge vergeblich in der ungewissen Ferne einen Rahmen grünender Hügel sucht, der die unruhig wogende Wassermasse zu einem bestimmten Ganzen umschließe, gewahrt man nur hie und da ein schwankendes Fahrzeug, das, einem riesigen Seevogel gleich, der Tiefe zu entsteigen und sich in den Fluten zu schaukeln scheint.4

Der Komponist

Stärker gegenwärtig ist Wilhelm Brockhaus noch als Komponist, denn mindestens 12, möglicherweise sogar 22 Melodien der Kleinen Sammlung Geistlicher Lieder stammen von ihm. Gesichert erscheint seine Urheberschaft an folgenden Kompositionen:5

  • 12 (O Herr, mein Hirt) = 68 (Weit vorgerückt)
  • 16 (Es kennt der Herr die Seinen) = 28 (O Jesu, treuer Hirte)
  • 25 (O Gott, an Deiner Gnade) = 51 (Herr, lenke unsre Herzen) = 63 (Du brachst des Todes Bande)
  • 43 (Nichts, o Jesu, finde ich hienieden)
  • 66 (Du bist, o Herr, gegangen) = 86 (O Vater, reich gesegnet)
  • 76 (Ich walle in der Fremde)
  • 78 (Auf dem Lamm ruht meine Seele) = 122 (Gott, Dich würdig zu verehren)
  • 96 (Still’, o Jesu, das Verlangen) = 123 (Nur bei Jesu möcht’ ich weilen)
  • 97 (Du, o Herr, bist unser Leben) = 113 (Lieblich ist’s, bei Dir zu wohnen)
  • 102 (Dank, Anbetung sei geweihet) = 118 (Süßer Trost! der Herr wird kommen)
  • 103 (Alles sei Dir übergeben) = 114 (Guter Hirte! welch Erbarmen)
  • 110 (Bilde unsre Herzen)

Bei nachstehenden Melodien, die ihm traditionell ebenfalls zugeschrieben werden, setzt die aktuelle Ausgabe der Kleinen Sammlung Geistlicher Lieder ein Fragezeichen hinter seinen Namen:

  • 6 (Du, Herr, hast unsre Schuld gesühnt)
  • 13 (Wo ist ein Vater, Gott, wie Du)
  • 19 (Jesu Du, Jesu Du!)
  • 44 (Ich sehne mich nach Dir)
  • 49 (Durch eine Wüst’ ich reise)
  • 53 (O lasset uns lobsingen ) = 77 (Herr Jesu Christ, mein Leben)
  • 82 (Jesu, Quelle unsrer Freuden)
  • 85 (Dein Erlösungswerk auf Erden)
  • 89 (Wer findet Worte, Dir zu danken) = 99 (Was sichtbar, zeitlich ist auf Erden) = 117 (Von Deiner Gnade will ich singen)
  • 108 (Freudig ziehen, voll Verlangen) = 116 (Nicht mehr lange – sel’ge Worte)

Zu fünf Liedern verfasste Wilhelm Brockhaus den Text:

Drei, wenn nicht vier Lieder können also – von möglichen herausgeberischen Eingriffen seines Bruders Carl abgesehen – vollständig als Schöpfungen Wilhelm Brockhaus’ gelten: die Nummern 113, 114, 118 und ggf. 99.


„Offene Türen“ 1909–13 online

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Erste Ausgabe der „Offenen Türen“

Die Zeitschrift Offene Türen, die heute die Oberzeile „Das Wiedenester Magazin“ trägt, erschien zum ersten Mal im April 1909 als Doppelheft („No. 1 u. 2“) mit dem Untertitel Mitteilungen aus dem Werke des Herrn in Ungarn, Rumänien und den Balkanländern. Herausgeber war Christian Schatz (1869–1947) in Verbindung mit Edmund Hamer Broadbent (1861–1945), Albert von der Kammer (1860–1951) und Johannes Warns (1874–1937). Parallel erschien das Blatt Central-Asien: Mitteilungen aus Turkestan, Chiwa, Buchara, herausgegeben von Johannes Warns. Schon nach jeweils einer Ausgabe wurden die beiden Zeitschriften zusammengelegt, und zwar unter dem Titel Offene Türen: Mitteilungen aus dem Werk des Herrn. Als Herausgeber firmierte weiterhin Christian Schatz mit seinen drei Mitarbeitern, die Nummerierung begann mit „Heft 2“. Bereits im nächsten Heft schieden Broadbent und von der Kammer als Mitherausgeber aus, und Warns und Schatz wurden gleichberechtigte Hauptherausgeber. Ab Heft 4/1912 gab Warns die Zeitschrift allein heraus.

Die Missionare, die mit den Offenen Türen in Verbindung standen, wirkten zunächst oft auch in mennonitischen Kreisen. Daher haben die Betreiber der Website Chortitza: Mennonitische Geschichte und Ahnenforschung die ersten fünf Jahrgänge der Zeitschrift dankenswerterweise digitalisiert und ins Netz gestellt. Leider ist die Liste der einzelnen Hefte sehr unübersichtlich, da nicht chronologisch geordnet; hier ein systematischer Überblick mit Direktlinks zu den PDF-Dateien (jeweils 3–8 MB Umfang):

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Einzige Ausgabe von „Central-Asien“

Central-Asien

Offene Türen 1909

Offene Türen 1910

Offene Türen 1911

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Erstes von Warns allein herausgegebenes Heft

Offene Türen 1912

Offene Türen 1913

200. Geburtstag von William Collingwood

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William Collingwood (1819–1903)

Besuchern der Website bruederbewegung.de ist der Name William Collingwood bestens bekannt: Seine Broschüre The Brethren: A Historical Sketch (1899), eine wichtige Darlegung des „offenen“ Standpunkts, gehört bereits seit dem ersten Tag zu unserem Download-Angebot (im „Brethren Archive“ gibt es inzwischen auch ein Faksimile des Originals).1 Größere Werke scheint Collingwood nicht publiziert zu haben (das CBA nennt nur noch das Büchlein Man’s Future, in God’s Word [1871] und zwei Separatdrucke von Zeitschriftenaufsätzen); sein Schwerpunkt lag auf einem anderen – und für „Brüder“-Kreise eher ungewöhnlichen – Gebiet: Er war Künstler, vor allem Aquarellmaler. Als solcher genießt er auch in säkularen Kreisen noch eine gewisse Bekanntheit; so ist ihm und drei weiteren Künstlern aus seiner Verwandtschaft die Website Collingwood Art gewidmet, auf der sich u.a. ein Lebensbild und auch einige Gemälde von ihm befinden.

Leben

Anstelle einer eigenen biografischen Skizze zitiere ich hier den von Roy Coad verfassten Artikel aus dem Blackwell Dictionary of Evangelical Biography:

Collingwood, William (b. Greenwich, London, 23 April 1819; d. Bristol, England, 25 June 1903). Watercolourist and Brethren leader. Grandson of Samuel2, printer to Oxford University. Collingwood was educated privately and at the Cathedral School, Oxford. He specialized in ‘baronial interiors’ and in landscape (especially mountain scenery, his chief love). In 1839 he settled in Liverpool, where he became a member of the academy, and was elected to the Royal Society of Painters in Watercolours in 1855. In 1844 he started a Brethren congregation, later building them a hall, and leading them for forty years. A close friend of George Müller, he moved to Bristol in 1890, becoming a member of the Bristol Academy. He was a friend of John Ruskin, his son being Ruskin’s private secretary and biographer; his grandson was R. G. Collingwood, the Oxford philosopher and archaeologist.3

Einige weitere Einzelheiten aus Collingwoods Leben überliefert das anonyme Kapitel über ihn in Henry Pickerings Chief Men among the Brethren. Erwähnenswert ist, dass er mit einer deutschsprachigen Schweizerin verheiratet war, nämlich mit Marie Elisabeth Imhoff (* 11. Juni 1826; † 16. Mai 18734), der Tochter eines Notars aus Arbon am Bodensee (Thurgau). Sie hatten die drei Kinder William Gershom (1854–1932), Sophia Ruth (1856–1937) und David (1858–1899).5

Nachruf

Collingwoods Tod im Jahr 1903 fand in den Zeitungen erstaunlich wenig Beachtung. Ich gebe hier einen (leider schwer lesbaren) Nachruf aus der Yorkshire Post wieder:

1903-07-03 The Yorkshire Post 8 Obituary (Collingwood)
The Yorkshire Post, 3. Juli 1903, S. 8

200. Geburtstag von John Leche Kraushaar

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John Leche Kraushaar (1819–1899)

Der heutige Jubilar wird meines Wissens in keiner Geschichte der Brüderbewegung erwähnt, aber in Julius Anton von Posecks Christus oder Park-Street? (1882). Er gehörte wie Poseck zu den Gegnern der „Haus(halts)taufe“ und gab offenbar eine Zeitschrift mit dem Titel The Occasional heraus, in der er geharnischte Kritik an dieser Taufpraxis übte. Poseck zitiert bzw. übersetzt daraus mehrere Seiten; hier einige Kostproben:

Sogar solche, die Christum offen verwerfen, sollen getauft werden, wenn sie zu dem Haushalt gehören, und sich (der Taufe) unterwerfen wollen; ja sogar „Trunkenbolde“, da ja der H. Geist innerhalb des Kreises der Getauften wohnt und wirksam ist, und alle die außerhalb sind, sich im Gebiete des Teufels befinden! […]

Ich kann nicht umhin, an die schreckliche Verantwortlichkeit derjenigen zu denken, die ihre unbekehrten Dienstboten durch ein äußerliches Bekenntniß zu „Christen“ machen, da ich sehe, wie der H. Geist die Verherrlichung Gottes mit diesem Namen verknüpft hat. […]

Jedes äußere Bekenntniß muß entweder ächt oder unächt sein. Wenn es ächt ist, so giebt es keine Schwierigkeit. Wenn es unächt ist, so muß eins von beiden der Grund davon sein. Entweder ist der Bekenner betrogen worden, oder er ist ein Betrüger oder Heuchler. O, wer zählt die Namen der so Betrogenen, sterbend und zur Hölle gehend! Wer sollte bei dem Gedanken an sie nicht blutige Thränen weinen! Da man sie gelehrt hat, daß sie durch die Taufe zu Christen gemacht worden sind und sich in der Kirche Gottes befinden, so glauben sie leicht, was sie gern für wahr halten möchten, um ihr Gewissen zu beruhigen. Was verstehen solche von den durch Menschen gemachten Unterscheidungen zwischen „dem Haus“ und „dem Leib?“

Solch ein armes Mädchen war in einer Bibelstunde zugegen gewesen, wo man diese Verfertigung von Christen mittelst der Taufe gelehrt hatte. Und als eine betagte, um des Mädchens Seelenheil sehr bekümmerte Schwester mit ihr über diesen Gegenstand sprach, sagte das Mädchen zu ihr: „Ich bin ebenso gut eine Christin wie Sie. Herr … hat uns dies in der Bibelstunde gesagt. Jeder der gechristet (getauft) ist, ist ein Christ. Daher brauchen Sie sich um mich nicht zu kümmern.“

Ach! diese armen Seelen glauben was man ihnen sagt, und besänftigen ihr wundes Gewissen mit dieser schmeichelnden Salbe. Und so fahren sie dahin in die Ewigkeit mit dieser Lüge in ihrer rechten Hand!1

Hat sich die Brüdergeschichtsschreibung bisher kaum mit Kraushaar beschäftigt, so liegen immerhin doch einige familiengeschichtliche Erkenntnisse über ihn vor, darunter ein von seiner Enkelin Grace Ermyntrude Clist (1886–1974) verfasstes Lebensbild, ein übersichtliches Kurzporträt und eine Geschichte seiner Familie. Demnach wurde Kraushaar am 4. Februar 1819 – heute vor 200 Jahren – im Londoner Vorort Stepney als Enkel eines deutschen Einwanderers geboren, studierte Griechisch und Latein, wurde zunächst Lehrer, dann Mitarbeiter der Londoner Stadtmission und schloss sich 1858 den „Brüdern“ an. In den folgenden Jahrzehnten zog er mit seiner Familie viel um, wirkte als Reiseprediger, schrieb einige Bücher (online verfügbar ist The Tabernacle in the Wilderness, 18732) und gab die oben genannte, offenbar verschollene Zeitschrift heraus. In den Auseinandersetzungen um Ryde und Ramsgate stellte er sich 1881 vermutlich auf die Seite Kellys. Am 4. April 1899, genau zwei Monate nach seinem 80. Geburtstag, starb er in West Buckland (Somerset).


Neuerscheinungen zur Brüderbewegung 2018

Auch am Ende dieses Jahres möchte ich wieder die in den letzten zwölf Monaten erschienenen Veröffentlichungen zur Brüderbewegung übersichtlich zusammenstellen und kurz kommentieren bzw. einordnen. (In die Bibliografie von 2017 habe ich übrigens inzwischen etliche Nachträge aufgenommen; siehe die Bücher von Aharonian, Azimioara, Burness, Kearney und Revie sowie die Aufsätze von Cone/Fazio, Hempelmann/Swarat, Beugen, Grass, Kirkpatrick, Kramer, Liese und Ponzer.)


BÜCHER


akenson2Donald Harman Akenson: Exporting the Rapture. John Nelson Darby and the Victorian Conquest of North-American Evangelicalism. New York (Oxford University Press) 2018. xiv, 505 Seiten.

Nach seinem fulminanten Buch Discovering the End of Time (2016), in dem der amerikanische Profanhistoriker und Irlandspezialist Donald Akenson die Anfänge des „apokalyptischen Millennialismus“ im Irland des frühen 19. Jahrhunderts nachzeichnete, legt er nun den zweiten Teil einer geplanten Trilogie vor, in dessen Mittelpunkt die Ausbreitung dieser Idee in Großbritannien steht (noch nicht so sehr in Amerika, wie der Untertitel suggeriert – dies wird vermutlich erst Thema des dritten Teils sein).

In beiden Bänden nimmt die Biografie John Nelson Darbys breiten Raum ein, wobei der Autor immer wieder auch Seitenpfade einschlägt, die mit dem übergeordneten Thema eigentlich wenig zu tun haben, aber doch äußerst spannend zu lesen sind – zumal Akenson sich nie mit dem aus der Brüdergeschichtsschreibung bereits Bekannten zufriedengibt, sondern vieles kritisch hinterfragt und manches Neue zutage fördert. So widmet er im ersten Band mehrere Seiten der Beziehung Darbys zu Lady Powerscourt, im zweiten Band ein ganzes Kapitel der Bagdad-Mission von Groves und seinen Freunden (an der Darby gar nicht beteiligt war) und wiederum mehrere Seiten und einen Anhang dem vor einigen Jahren wiederentdeckten Pamphlet A Statement of Facts (1857), in dem Darby eine unangemessene Beziehung zu einer Fünfzehnjährigen unterstellt wird. Selbstverständlich kommen aber auch alle wichtigen Ereignisse der Brüdergeschichte (bis ca. 1870) ausführlich zur Sprache, darunter Darbys Tätigkeit in der Schweiz (1837–44), die Trennungen in Plymouth und Bethesda (1845/48) und die Kontroverse über Darbys Sufferings of Christ (1866).

Akenson schreibt nicht aus christlicher, sondern aus rein säkularer Perspektive. Wer ein erbauliches Buch sucht, das die „Lehre der Brüder“ bestätigt und verteidigt, wird hier also nicht fündig werden; wer dagegen an der vorurteilsfreien Suche nach historischer Wahrheit interessiert ist, wird dieses Werk mit Gewinn lesen. Dazu trägt auch der brillante Stil des Autors bei, den der Verlag schon beim ersten Band mit Recht als „zugleich gelehrt, unterhaltsam und humorvoll“ (at once erudite, conversational, and humorous) charakterisierte.

Crawford Gribben führte im November ein 34-minütiges Interview mit dem Autor, das auf der Website New Books Network nachgehört werden kann.


Bert Cargill / James Brown: Trailblazers and Triumphs of the Gospel. “Making Disciples of all Nations”. Brief accounts of some of those who pioneered with the Gospel in several countries and of some great revivals in recent times. Christian Heritage Series 2. Kilmarnock (Ritchie) 2018. 233 Seiten.

Der Band enthält Lebensbilder und Episoden aus der Missionsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, die zuerst 2013–16 als Artikelserie im Believer’s Magazine erschienen. Von Relevanz für die Brüderbewegung sind vor allem die Kapitel über Anthony Norris Groves (S. 37–44), Friedrich Wilhelm Baedeker (S. 80–87), Leonard Strong (S. 117–120), Stuart Edmund McNair (S. 122–124), William Williams (S. 125–127) und die „Operation Auca“ (S. 128–136).


Van Costen (Hrsg.): The Last Days of James Butler Stoney (1895–1897). Chesapeake, VA (Hold Fast What Thou Hast) 2018. 294 Seiten.

Im einleitenden Teil (S. 17–61) sind Erinnerungen von Stoneys Tochter Anna Maria Elizabeth abgedruckt („‘From Glory to Glory’ (2 Corinthians 3:18). The Closing Days of James B. Stoney (1895–1897). A Record kept by His Daughter“), im Hauptteil (S. 63–288) fünfzig „Meditations and Papers“, die Stoney in den letzten fünfzehn Monaten seines Lebens schrieb oder diktierte. Den Abschluss bilden ein kurzer Bericht über Stoneys Beerdigung und zwei Briefauszüge von Coates und Raven (S. 289–294).


btbNeil Dickson / T[homas] J. Marinello (Hrsg.): Bible and Theology in the Brethren. Studies in Brethren History. Glasgow (Brethren Archivists and Historians Network) 2018. xiv, 277 Seiten.

Der fünfte Band der Reihe Studies in Brethren History versammelt die Vorträge der BAHN-Konferenzen von 2013 und 2015:

James M. Houston: „Bible Reading Through the History of the Church (S. 5–14)
Neil Dickson: „Worn Symbols: Women’s Hair and Head Coverings in Brethren History“ (S. 17–38)
Dirk Jongkind: „Samuel Prideaux Tregelles: A Nineteenth-Century Evangelical Apology for New Testament Textual Criticism (S. 39–50)
Beth Dickson: „In the World and of It Too: Bible or Culture? The Role of Women in Brethren Assemblies, 1880–1940 (S. 51–67)
Roger N. Holden: „‘You have to go by Scripture’: Taylorite Exclusive Brethren, the Bible, and the Holy Spirit (S. 69–86)
Kovina Mutenda: „The Brethren and the Bible in Central Africa (S. 87–94)
Alan Millard: „Brethren and Biblical Scholarship in Britain in the Twentieth Century (S. 95–105)
Tórður Jóansson: „Victor Danielsen (1894–1961): Teacher – Translator – Evangelist (S. 107–113)
Ian Randall: „Wilfred James Wiseman (1891–1970): The Bible Society and the Brethren (S. 115–131)
Tim Grass: „F. F. Bruce and the Bible (S. 133–144)
T. J. Marinello: „Use of the Bible among the New Brethren in Flanders (S. 145–154)
Mark R. Stevenson: „The Brethren and Systematic Theology: Outspoken Objectors; Unconscious Practitioners (S. 157–169)
Neil Summerton: „The Theology of George Müller (S. 171–202)
Anne-Louise Critchlow: „William Kelly and his Mystic Spirituality (S. 203–211)
Neil Dickson: „A Darbyite Mystic: Frances Bevan (1827–1909) (S. 213–247)
Roger N. Holden: „‘I do not know that there is such a term in Scripture as eternal sonship’: James Taylor and the Question of the Eternal Son (S. 249–277)


Peter Herriot: The Open Brethren. A Christian Sect in the Modern World. Cham (Palgrave Macmillan) 2018. xi, 194 Seiten.

Untersuchungen eines emeritierten Psychologieprofessors über den konservativen Flügel der britischen Offenen Brüder (“Tight Open Brethren”), den er für ein „archetypisches Beispiel des Fundamentalismus“ hält. Der Autor stammt ursprünglich selbst aus der Brüderbewegung, ist heute aber „liberaler Methodist“.


introvigneMassimo Introvigne: The Plymouth Brethren. New York (Oxford University Press) 2018. x, 141 Seiten.

Introvigne ist ein italienischer Religionssoziologe, der sich seit Jahren für „diskriminierte“ religiöse Minderheiten jedweder Couleur einsetzt, so auch für die Raven-Taylor-Symington-Hales-Brüder. Bereits 2007 legte er gemeinsam mit dem ehemaligen Offenen Bruder Domenico Maselli (1933–2016) das Buch I Fratelli. Una critica protestante alla modernità („Die Brüder. Eine protestantische Kritik der Moderne“) vor, auf dem der nun erschienene Band in weiten Teilen basiert. Die erste Hälfte ist der Geschichte der Brüderbewegung bis 1848 gewidmet, die zweite Hälfte den verschiedenen Gruppierungen der Geschlossenen Brüder mit Schwerpunkt auf den Raven-Taylor-Symington-Hales-Brüdern (die sich seit 2012 offiziell „Plymouth Brethren Christian Church“ [PBCC] nennen).

Introvignes Ansatz ist primär soziologisch, nicht theologisch; in letzterer Hinsicht lässt sein Buch manches zu wünschen übrig, wie Timothy Stunt und Neil Dickson in ihrer Rezension in BHR 2018 (s.u.) an mehreren Beispielen gezeigt haben. Auch historisch enthält das Werk etliche Fehler, auf die der Autor teilweise schon nach Erscheinen der italienischen Erstfassung 2007 aufmerksam gemacht wurde. Als deutscher Leser stolpert man z.B. über folgende Darstellung (S. 74):

Others went even further in their condemnation of Raven and separated from the Brethren III, accusing them of maintaining elements of the Raven system. They included Rudolf Brockhaus, the son of the most influential German leader of the Brethren, Carl Brockhaus. Some 600 members of his ‘Alte Elberfelder’ Brethren still exist in Germany, and their conferences attract several thousand sympathisers.

Hier wird also behauptet, Rudolf Brockhaus und andere hätten sich von den Brethren III getrennt (Introvigne benutzt das veraltete, willkürliche Nummerierungssystem des United States Census Bureau, das die Lowe-Continental-Brüder als Brethren III führte), und von dieser Gruppe gebe es heute noch 600 Mitglieder in Deutschland. Wie der Autor auf diese völlig aus der Luft gegriffenen Aussagen kommt, bleibt unerfindlich.

Wenn Introvigne in Fußnoten auf Quellen hinweist, sind die Angaben nicht immer zuverlässig (manche Erscheinungsorte sind falsch oder erfunden – Internetquellen werden wie Druckwerke zitiert, z.B. eine auf bruederbewegung.de wiederveröffentlichte Broschüre von Alfred Wellershaus mit dem Erscheinungsort Gütersloh!). Wiederholt wird auch pauschal auf ganze Bücher (ohne Seitenangabe) verwiesen, die die im Text aufgestellten Behauptungen gar nicht enthalten. Stunt nennt Introvignes “approach to scholarship” deshalb “astonishingly capricious” und das Buch “a sloppy and imprecise piece of work”.

Noch schwerer wiegt vielleicht die Kritik an der distanzlosen Darstellung der Raven-Taylor-Symington-Hales-Brüder, deren Binnensicht der Autor völlig übernimmt und die er gegen alle Vorwürfe verteidigt (z.B. in Sachen Absonderung von „ungläubigen“ Familienangehörigen, Gemeinnützigkeit, Prozessfreudigkeit). Von Seiten der „PBCC“ wird das Buch daher in Zukunft ohne weiteres für PR-Zwecke eingesetzt werden können (so wie früher die Arbeiten des Soziologen Bryan R. Wilson). Dass einer der renommiertesten Wissenschaftsverlage der Welt ein solches Werk in sein Programm aufgenommen hat, erscheint kaum nachvollziehbar.

Eine etwas wohlwollendere, die Mängel aber ebenfalls benennende Rezension von Crawford Gribben findet sich auf der Website Reading Religion.


ironsidebwHenry Allen [recte Allan] Ironside: Die Brüderbewegung – ein historischer Abriss. Aus dem Englischen von Günther Schwalb und Alois Wagner. Bielefeld (CLV) 2018. 352 Seiten.

Über 75 Jahre nach Erscheinen der amerikanischen Originalausgabe (1942) wurde nun eine deutsche Übersetzung von Ironsides Historical Sketch of the Brethren Movement vorgelegt. Den neuesten Forschungsstand wird man daher nicht erwarten dürfen, wohl aber eine knappe, gut lesbare, relativ unparteiische (aber auch nicht standpunktlose) Darstellung der ersten hundert Jahre der Brüderbewegung mit Schwerpunkt auf dem englischen Sprachraum.

Gegenüber der Originalausgabe wurden über 500 Fußnoten mit historischen, biografischen, bibliografischen und sonstigen Hintergrundinformationen hinzugefügt (was zusammen mit dem großzügigen Zeilenabstand dazu führte, dass die deutsche Ausgabe um 60 % umfangreicher ist als die englische). Die meisten dieser Fußnoten sind hilfreich, manche aber auch etwas redundant, da mehrmals in identischer Form wiederholt (so z.B. die Publikationsliste Belletts zweimal in den Fußnoten 31–34 und 484, die Biografie Robert T. Grants dreimal in den Fußnoten 221, 251 und 362 oder die Publikationsliste Walter Scotts viermal in den Fußnoten 285, 403, 414 und 441). Einige längere Fußnoten wurden leider ohne Quellenangabe aus anderen Werken abgeschrieben (so die Fußnote 49 über Darbys Bibliothek aus Max S. Weremchuks John Nelson Darby und die Anfänge einer Bewegung, S. 63, oder die Fußnoten 324–325 über Frederick E. Raven aus Wikipedia).

Das Buch steht beim Verlag zum kostenlosen Download zur Verfügung, aber der Kauf der gedruckten Version lohnt sich allein schon wegen des bibliophil gestalteten Umschlags (Klappenbroschur; innen Porträts, Zitate und ein Manuskriptfaksimile). Eine Rezension von Gerrit Alberts (der auch das Vorwort zum Buch schrieb) erschien in fest und treu 1/2018, S. 22f. Lesenswert ist auch die Rezension von Hanniel Strebel auf amazon.de.


Edwin O. P. Mutton: History of the “Little Flock Hymn Book” and its Authors. Editing and Layout by W. S. Chellberg. Wheaton, IL (Bibles, etc.) 2018. 88 Seiten.

Kompaktes Nachschlagewerk zum Liederbuch Hymns and Spiritual Songs for the Little Flock in der von James Taylor jun. besorgten Ausgabe von 1962. (Der Autor gehört allerdings einer der 1970 von Taylor abgefallenen Brüdergruppen an.)


Carl-Erik Sahlberg: George Müller – ett liv i bön och tro. Värnamo, Schweden (Semnos Förlag) 2018. 92 Seiten.

Übersetzung des Untertitels: Ein Leben in Gebet und Glauben.


schnurrwarnsJohannes Warns: Gemeinde nach dem Neuen Testament. Schriften zur Gemeindefrage mit acht unveröffentlichten Manuskripten. Hrsg. von Hartwig Schnurr. edition Forum Wiedenest. Muldenhammer (Jota) 2018. 348 Seiten.

Im ersten Teil dieses Sammelbandes sind acht bisher unveröffentlichte Aufsätze abgedruckt, in denen sich Johannes Warns (1874–1937), der erste Leiter der Bibelschule Wiedenest, kritisch mit der Ekklesiologie der Geschlossenen Brüder auseinandersetzt: „Darbys Lehre über das große Haus und den Verfall der Kirche“ (S. 10–47), „Versammelt im Namen Jesu“ (S. 48–66), „Gemeinde oder Versammlung?“ (S. 67–77), „Aufnahme und Gemeinschaft“ (S. 78–90), „Gaben und Dienste“ (S. 91–112), „Die Gemeindezucht“ (S. 113–137), „Der Tisch des Herrn“ (S. 138–168) und „Die sogenannte Haushaltstaufe“ (S. 169–174). Im zweiten Teil folgen die bereits zu Warns’ Lebzeiten gedruckten Schriften „Georg Müller und John Nelson Darby“ (S. 176–224; ergänzt durch einen Briefwechsel zwischen Rolf Brockhaus und Johannes Warns, S. 225–231), „Die Kindertaufe“ (S. 232–251), „Gedanken über eine schriftgemäße Abendmahlsfeier“ (S. 252–291), „Kennt das Neue Testament die Bedienung einer örtlichen Gemeinde durch einen einzelnen Prediger?“ (S. 292–312) und „Grenzen der Schriftauslegung“ (S. 313–340). Abgerundet wird der Band durch einen Nachruf auf Johannes Warns von Erich Sauer (S. 342–348).

Eine erste Rezension (von Matthias Schmidt) erschien im Wiedenester Magazin Offene Türen.


AUFSÄTZE


Heft 13 (2017) der Brethren Historical Review erschien erst Ende Januar 2018 und wird daher auch erst in dieser Bibliografie berücksichtigt. Es enthält (neben etlichen Rezensionen) die folgenden Beiträge:

Roger N. Holden: „Are We Worshipping at the Right Shrine? Fitzwilliam Square, Dublin (S. 1–5)
Timothy C. F. Stunt: „An Early Forgotten Letter by J. N. D. (S. 6–8)
David Brady: „David Walther (1794–1871) and His Family: With a Catalogue of Walther’s Known Publications (S. 9–58)
Timothy C. F. Stunt: „John William Peters (1791–1861): Some Clarifications (S. 59–74)
Christina Evangelina Lawrence: „Carter’s Kitchen: ‘Extraordinary tea drinkings for the starving poor.’ (S. 75–94)
Roger Shuff: „Romantic Affinities: A Brethren-tinted Perspective on the Spiritual Journey of John Ruskin (S. 95–107)
Alastair J. Durie: „A Morningside Brethren Meeting. The Old Schoolhouse (S. 108–132)
Michael Ward Thompson: „George Ward Ainsworth (1882–1938): Brethren Evangelist (S. 133–141)
Ian Wallace: „Peter Brandon (1925–2015) (S. 158–164)
Graham Rand: „John Samuel Andrews (1926–2016) (S. 164–167)
Ulrich Brockhaus: „Gerhard Jordy (1929–2017) (S. 167–169)
Carl E. Armerding: „Ian S. Rennie (1929–2015) (S. 170–174)
Tórður Jóansson: „Zacharias Zachariassen (1935–2017) (S. 175–180)
Neil Dickson: „Alastair J. Durie (1946–2017) (S. 180f.)

Von Interesse sind besonders die Artikel von Holden (über den Ort des ersten Brotbrechens in Dublin: nach seinen Recherchen das Haus Fitzwilliam Square 45), Brady (über den Autor und Verleger David Walther, von dem bereits 1850 in Düsseldorf die von Poseck übersetzte Schrift Die Persönlichkeit des Trösters erschien) und Brockhaus (Nachruf auf Gerhard Jordy, in kürzerer Form auch in AGB aktuell 7/2017, S. 2 veröffentlicht).


bhr2018Heft 14 (2018) der Brethren Historical Review folgte dann im „richtigen“ Jahr. Enthalten sind (wieder abgesehen von den Rezensionen) nachstehende Aufsätze:

Timothy C. F. Stunt: „Robert Nelson (1798–1895): Administrator, Judge, and Plymouth Brother (S. 1–15)
Vijaya Raju Bandela: „The Brethren Movement in Andhra (S. 16–46)
Timothy C. F. Stunt: „A Note Concerning Hannah Kilham Burlingham (1842–1901) (S. 47–54)
Sylvain Aharonian: „The Open Brethren Movement in France (S. 55–77)
Rose Dowsett: „Brethren Listed in the CIM Register, 1865–1948 (S. 78–88)
Dániel Kovács: „The Hungarian Brethren Movement: History, Nature, and Outlook (S. 89–119)
Crawford Gribben: „The Church of God in Belfast: Needed Truth, the Vernalites, and the Howard Street Christians, 1890–1924 (S. 120–148)
Timothy C. F. Stunt / Neil Dickson: „The Plymouth Brethren: A Review Article (S. 149–156)
Michael Schneider: „New Writing on Brethren History (S. 157–164)
Ruth Collins: „Stephen Somerset Short (1920–2018) (S. 193–200)

Der Beitrag von Aharonian ist eine Zusammenfassung seines in der vorigen Bibliografie verzeichneten Buches von 2017, der Beitrag von Kovács eine Zusammenfassung seiner Wiedenester Abschlussarbeit von 2014, der Beitrag von Stunt und Dickson eine Rezension des oben genannten Buches von Introvigne.


christianhistory128Ausgabe 128 der amerikanischen Zeitschrift Christian History (erschienen im November 2018) war ganz dem Thema „Living on a prayer: George Müller, the Brethren, and faith missions“ gewidmet. Die einzelnen Artikel:

Roger Steer: „Delighted in God. The prayer-full, faith-full life of George Müller (S. 6–12)
George Müller: „Nothing but the blood of Jesus (S. 13)
Philip Thomas: „A substantial work. How God led Müller to provide homes for children (S. 14–17)
Dan Graves: „Even the wind obeyed. George Müller’s testimony of 50,000 answered prayers (S. 18–20)
George Müller: „‘Ready to do the Lord’s will’. How to ascertain the will of God, according to Müller (S. 21)
The Christian History Timeline: From orphans to martyrs. The influence of Müller, his friends, his movement was long-lasting (S. 22f.)
Tim Grass: „Müller and friends. The development of the Brethren (S. 24–28)
Robert Bernard Dann: „The ‘simple standard of God’s word’: Anthony Norris Groves (S. 29)
Lisa Nichols Hickman: „‘Thus far the Lord has helped us’. How Hudson Taylor learned to live by faith (S. 30–33)
Roger Robins: „Caught up to meet Jesus in the clouds. John Nelson Darby’s view of the last things (S. 34–36)
Jennifer Boardman: „For the love of God’s Word. A legacy of Brethren influence (S. 37–40)
[Jennifer Woodruff Tait / Phil Thomas:] „A Christian organization with integrity (S. 41)
Recommended resources (S. 42f.).

Das Heft kann kostenlos online gelesen und auch heruntergeladen werden.


Howard Barnes: „Sir Robert Anderson (1841–1918)“. In: Precious Seed 73 (2018), Heft 1, S. 22f.

Lebensbild des bekannten Autors, der in leitender Stellung bei Scotland Yard tätig war und zeitweise den Offenen Brüdern nahestand. Erschienen aus Anlass des 100. Todestages am 15. November 2018 (auch online).


John Bennett: „Robert Eugene Sparks 1844–1918“. In: Precious Seed 73 (2018), Heft 3, S. 28.

Der laut Artikel selbst im englischen Sprachraum heute kaum noch bekannte Sparks war von 1894 bis 1918 Mitherausgeber der Missionszeitschrift Echoes of Service. Das Lebensbild erschien zum 100. Todestag am 18. Oktober 2018 (auch online).


John Dennison: „The Seam of Light: The Bible, the Gospel Hall, the Poet“. In: Journal of New Zealand Literature 36 (2018), Heft 2, S. 160–169.

Autobiografische Notizen eines neuseeländischen Dichters (* 1978), der unter den Offenen Brüdern aufwuchs.


Neil Dickson: „‘Sweet feast of love divine’“. In: Partnership Perspectives 63 (Summer 2018), S. 47–51.

Kurzer Artikel über Abendmahlsverständnis und -praxis der „Brüder“ (auch online). Der Titel ist der Beginn eines Liedes von Sir Edward Denny, das ins Liederbuch der britischen Offenen Brüder Eingang fand (aber offenbar nicht in das der Geschlossenen).


Neil Dickson: „Brethren and their Buildings“. In: The Chapels Society Journal 3 (2018), S. 24–40.

Über Versammlungshäuser der britischen „Brüder“ (offen wie geschlossen) in Vergangenheit und Gegenwart.


Andi Fett: „Steinsturz vom Dom“. In: ders.: Steseloffe. 9 Vorlesegeschichten für junge Leute. Limm & Nies 6. Bielefeld (CLV) 2018. S. 5–13.

Julius Anton von Posecks Bekehrung und die Entstehung seines Liedes „Auf dem Lamm ruht meine Seele“ für Kinder nacherzählt.


Liselotte Frisk / Sanja Nilsson: „Raising and Schooling Children in the Plymouth Brethren Christian Church: The Swedish Perspective“. In: Liselotte Frisk / Sanja Nilsson / Peter Åkerbäck: Children in Minority Religions. Growing up in Controversial Religious Groups. Sheffield/Bristol (Equinox) 2018. S. 333–361.

Wie in mehreren anderen Ländern haben die Raven-Taylor-Symington-Hales-Brüder auch in Schweden eine Privatschule gegründet, die zurzeit von ca. 50 Kindern besucht wird. Der Aufsatz untersucht Erziehung und Schulbildung dieser Kinder, insbesondere mit Blick auf das Prinzip der „Absonderung“.


Crawford Gribben: „Continuities and disjunctions in evangelical thinking about the last things“. In: Partnership Perspectives 62 (Spring 2018), S. 46–52.

Über die calvinistischen Hintergründe des Dispensationalismus (auch online). Die frühen „Brüder“ waren laut Gribben die „young, restless Calvinists“ des 19. Jahrhunderts.


Franklin S. Jabini: „Plymouth Brethren“. In: Encyclopedia of Christianity in the Global South. Hrsg. von Mark A. Lamport. Lanham, MD (Rowman & Littlefield) 2018. Bd. 2, S. 641f.

Lexikonartikel über die Brüderbewegung mit Schwerpunkt auf dem Globalen Süden.


Andreas Liese: „Deportiert nach Theresienstadt. Zum 75. Todestag von David Kogut“. In: Zeit & Schrift 21 (2018), Heft 6, S. 26–29.

Erstes Lebensbild des im KZ Theresienstadt umgekommenen Judenchristen David Kogut (1877–1943), der den Geschlossenen Brüdern angehörte (auch online).


Gabriele Naujoks: „‚Das Leben ist für mich Christus‘. Zum 175. Geburtstag von Alexander Hume Rule“. In: Zeit & Schrift 21 (2018), Heft 2, S. 28–35.

Lebensbild eines schottisch-amerikanischen Evangelisten und Lehrers der Lowe-Brüder (1843–1906). Bereits im Mai 2018 hier im Blog vorgestellt (auch online).


John Piper: „Georg Müller. Eine Strategie, Gott zu zeigen – Glauben in Einfalt, Gottes Wort, Genüge in Gott“. In: ders.: Vereint im Vertrauen. Die Frucht siegreichen Glaubens im Leben von Charles Spurgeon, Georg Müller und Hudson Taylor. Aus dem Englischen von Alois Wagner. Bielefeld (CLV) 2018. S. 103–138.

Lebensbild Georg Müllers mit Schwerpunkt auf seinem Calvinismus (wie bei diesem Autor zu erwarten). Die Bethesda Chapel in Bristol wird als „eine Art unabhängige, calvinistisch geprägte Gemeinde“ bezeichnet, „die ein zukünftiges Tausendjähriges Reich auf Erden erwartete, das Mahl des Herrn wöchentlich feierte und auch Menschen ohne Glaubenstaufe als Gemeindeglieder aufnahm“ (S. 103f.), ohne dass die Zugehörigkeit zur Brüderbewegung auch nur erwähnt würde. Das Buch steht zum kostenlosen Download zur Verfügung.


Dave Porsche: „Brüdergemeinden – wo geht es hin?“ In: Perspektive 17 [recte 18] (2018), Heft 3, S. 44f.

Der Autor befürchtet, dass Brüdergemeinden aussterben werden, und zeigt sechs Symptome dafür auf (wenig Nachwuchs in Leitungsverantwortung und vollzeitlichem Dienst, wenig Innovationsbereitschaft, wenig neue Lieder, kaum neue Gemeinden, Zufriedenheit mit dem Status quo).


Martin von der Mühlen: „Eine kritisch-konstruktive Ergänzung zum Artikel ‚Brüdergemeinden – wo geht es hin?‘ von Dave Porsche in der ‚Perspektive‘ 3/18“. In: Perspektive 17 [recte 18] (2018), Heft 5, S. 26f.

Der Verfasser kritisiert die Ausführungen Porsches als einseitig und verallgemeinernd und ruft dazu auf, alle Generationen (und nicht nur die junge) im Blick zu behalten.


Bogdan Emanuel Răduţ: „Reflecţii privind impactul celui de-al Doilea Război Mondial asupra Asociaţiei Religioase ‚Creştinii după Evanghelie‘“. In: Arhivele Olteniei NS 32 (2018), S. 125–134.

Über die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf die Brüdergemeinden in Rumänien (auch online).


Barbara Schieb / Jutta Hercher: „Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘ im Juni 1938“. In: 1938. Warum wir heute genau hinschauen müssen. Hrsg. von Barbara Schieb und Jutta Hercher. Mit einem Vorwort von Klaus von Dohnanyi. München (Elisabeth Sandmann) 2018. S. 146f.

Kurzes Porträt des Judenchristen Kurt Seelig (1887–1954), der der „Christlichen Versammlung“ angehörte und im Juni 1938 zwei Wochen im KZ Buchenwald inhaftiert war.


Ian F. Shaw: „‘This Way of Living’: George Müller and the Ashley Down Orphanage“. In: Foundations: An International Journal of Evangelical Theology 75 (November 2018), S. 73–92.

Über Georg Müllers Waisenhausarbeit in Bristol (auch online).


Mark R. Stevenson: „The Brethren and Systematic Theology: Outspoken Objectors; Unconscious Practitioners“. In: Reflections from the Emmaus Road. Essays in Honor of John H. Fish III, David A. Glock, and David J. MacLeod. Hrsg. von Franklin S. Jabini, Raju D. Kunjummen und Mark R. Stevenson. Dubuque, IA (Emmaus Bible College) 2018. S. 112–131.

Über das zwiespältige Verhältnis der „Brüder“ zur Systematischen Theologie.


Timothy C. F. Stunt: „The Formation of a Seceder. John Nelson Darby at Trinity College, 1815–1819“. In: A Flight of Parsons. The Divinity Diaspora of Trinity College Dublin. Hrsg. von Thomas P. Power. Eugene, OR (Pickwick) 2018. S. 41–59.

Überlegungen zur Frage, welchen Einfluss das Studium am Trinity College (Dublin) auf Darbys geistige und geistliche Entwicklung hatte.


Helga Völkening: „Christliche Gemeinde Potsdam-Babelsberg (Brüdergemeinde)“. In: Glaube in Potsdam. Band I: Religiöse, spirituelle und weltanschauliche Gemeinschaften. Beschreibungen und Analysen. Hrsg. von Johann Hafner, Helga Völkening und Irene Becci. Baden-Baden (Ergon) 2018. S. 436–450.

Porträt der 1993 gegründeten „blockfreien“ Brüdergemeinde in Potsdam-Babelsberg mit folgenden Schwerpunkten: 1. Entstehung und Entwicklung; 2. Gebäude und Lage; 3. Gottesdienst, Ritual, Zusammenkunft; 4. Gemeinschaftsleben und Gruppen; 5. Mitgliedschaft; 6. Außenbeziehungen. Die Darstellung beruht auf Interviews mit der Gemeindeleitung und wurde von dieser gegengelesen. Der Einleitungsteil über die Brüderbewegung insgesamt enthält allerdings etliche Fehler (z.B. Darby habe an der ersten Versammlung in Dublin teilgenommen, 1842 seien die ersten „exklusiven“ Versammlungen in Württemberg und im Rheinland gegründet worden, das Verbot 1937 sei wegen der Organisationslosigkeit erfolgt, die größten deutschen Brüdergemeinden befänden sich in Bad Endbach und Düsseldorf!).


Hartmut Wahl: „Vergesst eure Lehrer nicht! War Karl von Rohr-Levetzow am Widerstand gegen Hitler beteiligt?“ In: Perspektive 17 [recte 18] (2018), Heft 5, S. 31f.

Erste Erkenntnisse über den Offenen Bruder Karl von Rohr-Levetzow (1878–1945), der bis 1939 BfC-Reisebruder war und im April 1945 unter ungeklärten Umständen von der SS ermordet wurde – möglicherweise wegen seiner Kontakte zum Widerstand (Henning von Tresckow war sein Neffe).


François Walter: „Les débuts de la chocolaterie Favarger à Versoix: éthique darbyste, exotisme et suissitude (1875–1940)“. In: Laurent Tissot, une passion loin des sentiers battus. Hrsg. von Francesco Garufo und Jean-Daniel Morerod. Neuchâtel (Éditions Alphil – Presses universitaires suisses) 2018. S. 103–127.

Über die Anfänge der Schweizer Schokoladenfabrik Favarger (ab 1875 in Versoix bei Genf), die von einer „darbystischen Ethik“ geprägt gewesen seien. Jacques Samuel Favarger (1857–1909), der Enkel des Firmengründers Jacques Foulquier, war ab 1884 mit Carl Brockhaus’ Tochter Emma (1860–1948) verheiratet. Der Aufsatz erschien in einer Festschrift für den Schweizer Historiker Laurent Tissot (* 1953).


Joseph Webster: „The Exclusive Brethren ‘Doctrine of Separation’. An Anthropology of Theology“. In: Theologically Engaged Anthropology. Hrsg. von J. Derrick Lemons. Oxford (Oxford University Press) 2018. S. 315–335.

Über Absonderungslehre und -praxis der Raven-Taylor-Symington-Hales-Brüder. Zu Beginn berichtet der Autor ausführlich über seine Schwierigkeiten, an einem ihrer Gottesdienste teilnehmen zu dürfen.


Für Hinweise auf weitere, von mir übersehene Neuerscheinungen bin ich dankbar!

„Echoes of Service“ als Quelle für die Geschichte der deutschen Offenen Brüder

Ende April dieses Jahres stellte das Christian Brethren Archive die ersten 47 Jahrgänge von Echoes of Service, der wichtigsten Missionszeitschrift der englischen Offenen Brüder, ins Netz. Ich maß dieser Nachricht für mich zunächst keine große Bedeutung bei, da die Missionsgeschichte der Offenen Brüder mir bereits gut erforscht zu sein schien und auch nicht zu meinen zentralen Interessengebieten gehört. Aus Neugier schaute ich dann aber doch in einige Bände hinein – und stellte fest, dass von Anfang an fast jedes Jahr auch Berichte aus dem deutschsprachigen Raum abgedruckt wurden.

Entdeckungen

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Titelseite des ersten Jahrgangs (1872)

Erstaunlicherweise standen dabei insbesondere in den ersten Jahren (die Zeitschrift erschien ab 1872) Personen im Vordergrund, die in der bisherigen deutschsprachigen Geschichtsschreibung der Offenen Brüder praktisch unbekannt sind: Weder Karl Andreas noch Julius Rohrbach noch Carl Geier noch Gustavus Adolphus Eoll (um nur einige Beispiele zu nennen) kommen im hier einschlägigen Band 2 von Gerhard Jordys Brüderbewegung in Deutschland,1 in der Dissertation von Ulrich Bister2 oder in der älteren Darstellung von Walther Schwammkrug3 vor. Der einzige bekannte Name aus den frühen Jahren – neben den evangelistischen „Weltreisenden“ Georg Müller und Friedrich Wilhelm Baedeker – ist Jean Emil Leonhardt in Bad Homburg, aber auch hier hält Echoes of Service eine Überraschung bereit, die von der bisherigen Geschichtsschreibung abweicht und offenbar auch in Bad Homburg in Vergessenheit geraten ist: Als Gründungsjahr der dortigen Offenen Brüdergemeinde galt bislang immer 1887, weshalb auch 1947 das 60-jährige,4 1987 das 100-jährige5 und 2012 das 125-jährige Gemeindejubiläum gefeiert wurde; die Berichte Leonhardts in Echoes of Service belegen aber, dass das erste Brotbrechen in Bad Homburg bereits am 25. Juli 1886 stattfand6 – alle Jubiläen wurden also ein Jahr zu spät begangen!

Es handelt sich bei Echoes of Service demnach um eine erstklassige zeitgenössische Quelle über die Anfänge der deutschen Offenen Brüder, die trotz ihrer prinzipiellen Zugänglichkeit von der hiesigen Forschung bislang anscheinend völlig unbeachtet geblieben ist.7 Ich habe mir die Mühe gemacht, alle den deutschsprachigen Raum betreffenden Berichte aus den 47 Bänden der Jahre 1872–1918 zu extrahieren; seit heute stehen sie auf bruederbewegung.de als 187-seitige PDF-Datei zum Download zur Verfügung.

Die Zeitschrift

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Titelseite des ersten Heftes mit neuem Namen (1885)

Einige Hintergrundinformationen zur Zeitschrift mögen hier noch am Platze sein. Gegründet 1872 als The Missionary Echo, trug sie von 1885 bis 1969 den Namen Echoes of Service, unter dem sie heute noch am bekanntesten ist (ab 1970 lautete der Titel schlicht Echoes, seit 2018 Echoes International mission magazine). Herausgeber in den ersten Jahrzehnten waren Henry Groves (1872–1891), John Lindsay Maclean (1872–1906), William Henry Bennet (1891–1920), Robert Eugene Sparks (1894–1918), William Edwy Vine (1911–1949) und William Rhodes Lewis (1917–1963).8

Die Redaktion (die ab 1873 ihren Sitz in Bath hatte) fungierte von Anfang an auch als Sammel- und Weiterleitungsstelle für Spenden, sodass sich Echoes of Service im Laufe der Zeit zu einer Art Missionsgesellschaft entwickelte; 1886 stand man bereits mit ca. 100, 1909 mit ca. 600 Missionaren weltweit in Kontakt.9 Einen systematischen Überblick über die unterstützten Missionare bot das Jahresregister der Zeitschrift, das bereits ab dem 2. Jahrgang (1873) nicht mehr alphabetisch, sondern nach Kontinenten und Ländern geordnet war; ab 1883 wurden zusätzlich die Adressen der Missionare und (wenn bekannt) das Jahr des Beginns ihrer Tätigkeit angegeben.

Bis 1890 erschien die Zeitschrift monatlich, von 1891 bis 1917 zweimal monatlich und im letzten Kriegsjahr 1918 wieder monatlich. Die vom Christian Brethren Archive digitalisierten 47 Jahrgänge umfassen insgesamt genau 888 Hefte, von denen etwas über ein Drittel (306 Hefte) Berichte aus dem deutschsprachigen Raum enthalten.


Neuerscheinungen zur Brüderbewegung 2017

Es mag von Nutzen sein, am Ende des Jahres einmal die in den letzten zwölf Monaten erschienenen Veröffentlichungen zur Brüderbewegung übersichtlich zusammenzustellen und kurz zu kommentieren bzw. einzuordnen.


BÜCHER


Jill Aebi-Mytton: A Narrative Exploration of the Lived Experience of Being Born, Raised in, and Leaving a Cultic Group: The Case of the Exclusive Brethren. DPsych Thesis, London (Middlesex University / Metanoia Institute) 2017. 2 Bände. 221 + ? Seiten.

Psychologische Dissertation mit sechs Fallstudien über ehemalige Raven-Taylor-Brüder. Der Hauptband ist online verfügbar, der Anhangsband nicht.


Sylvain Aharonian: Les frères larges en France métropolitaine. Socio-histoire d’un mouvement évangélique de 1850 à 2010. Préface de Jean-Paul Willaime. Paris (Les éditions du cerf) 2017. 641 Seiten.

Ausführliche Sozialgeschichte der französischen Offenen Brüder. Die zugrunde liegende Dissertation ist auch online verfügbar.


Horia Azimioara: Mit beiden Flügeln fliegen. Das Leben von Teodor Popescu. Hückeswagen (CSV) 2017. 172 Seiten.

Teodor Popescu (1887–1963) gründete gemeinsam mit Dumitru Cornilescu (1891–1975) Anfang der 1920er Jahre in Rumänien eine Gemeindebewegung, die etwa zehn Jahre später mit den internationalen Kelly-Lowe-Continental-Brüdern in Gemeinschaft kam. Die hier vorliegende erbauliche Biografie erschien zuerst 2003 in englischer Sprache beim Gute-Botschaft-Verlag, Eschenburg.


Ian Burness: From Glasgow to Garenganze. Frederick Stanley Arnot and Nineteenth-Century African Mission. Studies in Brethren History. Lockerbie, UK (OPAL Trust) 2017. xvii, 339 Seiten.

Eine umfassende und gründliche Biografie des bekannten Afrikamissionars (1858–1914), die zum Standardwerk werden dürfte.


A[rthur] A. Fishburn: Resilience Tried and Tested. o.O. o.V. [Amazon CreateSpace] 2017. 474 Seiten. — Ders.: BCNW. Brethren Separating to God. o.O. o.V. [Amazon CreateSpace] 2017. 140 Seiten.

Beim erstgenannten Buch soll es sich um einen im Milieu der (Raven-Taylor?-)„Brüder“ angesiedelten Roman nach wahren Begebenheiten handeln, beim zweiten Buch um Hintergrundinformationen dazu.


Joan Kearney: Shaped to Fit. How God shaped a young woman for an unexpected calling to Brazil and back. Exeter (Onward & Upwards) 2017. 276 Seiten.

Autobiografie einer Wycliff-Missionarin (geb. 1936), die bis 1961 den Raven-Taylor-Brüdern angehört hatte.


Harvey G. Rees-Thomas: 100 Years on the Street. A Story of God’s Grace through Tory Street Hall, Elizabeth Street Chapel and The Street City Church. Wellington, NZ (HIS Services Limited) 2017. 547 Seiten.

Monumentale, aufwändig gestaltete Festschrift einer Offenen Brüdergemeinde in Neuseeland.


Robert Revie: India to Ethiopia. A 50 Year Journey. Kilmarnock, UK (Ritchie) 2017. 144 Seiten.

Autobiografie eines schottischen Missionars der Offenen Brüder.


stevensonMark R. Stevenson: The Doctrines of Grace in an Unexpected Place. Calvinistic Soteriology in Nineteenth-Century Brethren Thought. Foreword by Tim Grass. Eugene, OR (Pickwick) 2017. xvi, 304 Seiten.

Diese sorgfältig erarbeitete (und bibliophil gesetzte) Dissertation belegt, wie nahe die frühen „Brüder“ dem Calvinismus standen – näher, als sie selbst wahrscheinlich zugegeben hätten (und als vielen heutigen Lesern lieb ist, ich selbst inbegriffen). Nach zwei Kapiteln über die historische Entwicklung der calvinistischen Soteriologie seit dem 17. Jahrhundert untersucht Stevenson die ersten drei der „Fünf Punkte des Calvinismus“ und setzt sie zu den Schriften der „Brüder“ in Beziehung (jeweils nach Autoren geordnet). Es folgen ein hochinteressantes Kapitel über rettenden Glauben, Buße und Heilsgewissheit sowie eine zusammenfassende Bewertung.

Kritisch hätte ich anzumerken, dass der Autor seinem Thema nicht ganz neutral gegenübersteht: Er ist selbst calvinistischer „Bruder“ und hat daher ein offensichtliches Interesse daran, die Soteriologie der „Brüder“ als Variante des Calvinismus darzustellen; Lehren, die die „Brüder“ ablehnten (z.B. die doppelte Prädestination), erklärt er kurzerhand für weniger zentral oder für „hypercalvinistisch“. Bemerkenswert fand ich den Hinweis, dass die in der „Brüdertheologie“ übliche Unterscheidung zwischen Sühnung (propitiation) und Stellvertretung (substitution), „vorgeschattet“ in den beiden Böcken am großen Versöhnungstag (3Mo 16), eine originäre Erkenntnis Darbys war, die sich vor ihm nirgendwo in der Literatur findet (S. 180, Anm. 86).

Eine vorläufige Zusammenfassung der Arbeit erschien bereits 2010 in der Brethren Historical Review.


stottRebecca Stott: In the Days of Rain. London (4th Estate) 2017. 394 Seiten.

Das Genre der „Raven-Taylor-Aussteigerliteratur“ hat seit der Jahrtausendwende einen wahren Boom erlebt: Nach Ngaire Thomas (2004, ²2005), Em Amosa (2007), David Tchappat (2009), Lindsey Rosa (2010), James Bell (2014), Peter Wycherley Harrison (2014), Joy Nason (2015) und John L. Fear (2016) ist Rebecca Stott nun schon mindestens die neunte Vertreterin dieser Gattung in weniger als 15 Jahren. Aus zwei Gründen ragt ihr Buch allerdings aus der Reihe heraus: Es ist nach Meinung der meisten Rezensenten ungewöhnlich gut geschrieben (Rebecca Stott ist Literaturwissenschaftlerin und Romanautorin; ihre beiden historischen Thriller Ghostwalk und The Coral Thief liegen auch in deutscher Sprache vor), und es bietet Innenansichten aus einer „führenden Familie“: Rebeccas Großvater Robert Stott (1902–1976) war einer der Wortführer in der Aberdeen-Trennung von 1970 und verfasste gemeinsam mit seinem Sohn Roger – Rebeccas Vater (1938–2007) – die bekannte Schrift If We Walk in the Light. Die bisher ungedruckten Lebenserinnerungen von Roger Stott (der sich leider bald nach der Trennung ganz vom christlichen Glauben abwandte) sind im vorliegenden Buch mit verarbeitet – anders wäre es auch kaum zu schreiben gewesen, denn die Autorin selbst war zur Zeit der Trennung erst sechs Jahre alt. Kritiker wie der Religionssoziologe und „Sektenversteher“ Massimo Introvigne werfen dem Buch dennoch etliche historische und theologische Fehler vor. Laut der englischen Wikipedia ist auch eine deutsche Übersetzung in Vorbereitung.


Wilfried Weist / Reinhard Assmann: Dass das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde. Die Schrifttumsarbeit im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR. Baptismus-Dokumentation 7. Wustermark/Norderstedt (Oncken-Archiv des BEFG / BoD) 2017. 298 Seiten.

Der sehr interessante und sorgfältig recherchierte Band enthält auch einige Hinweise auf die Brüdergemeinden.


AUFSÄTZE


Christopher Cone / James I. Fazio (Hrsg.): Forged from Reformation. How Dispensational Thought Advances the Reformed Legacy. El Cajon, CA (Southern California Seminary Press) 2017. xiv, 582 Seiten.

In diesem zum 500. Reformationsjubiläum erschienenen Sammelband amerikanischer Dispensationalisten sind zwei Aufsätze über Darby enthalten:

James I. Fazio: „John Nelson Darby: The Unknown and Well Known Nineteenth Century Irish Reformer (S. 81–108)
Cory M. Marsh: „Luther Meets Darby: The Reformation Legacy of Ecclesiastical Independence (S. 109–144)


elthg2aHeinzpeter Hempelmann / Uwe Swarat (Hrsg.): ELThG². Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. Neuausgabe. Band 1. Holzgerlingen (SCM R. Brockhaus) 2017. LVIII, 1954 Spalten.

1992–94 in drei Bänden erstmals veröffentlicht, erscheint dieses verdienstvolle Lexikon nun in einer weitgehend neu geschriebenen, stark erweiterten 2. Auflage. Band 1 umfasst die Buchstaben A bis E; die geplanten drei weiteren Bände werden dem Vernehmen nach erst in zweijährlichen Abständen folgen. Aus dem Themenbereich Brüderbewegung sind in Band 1 nachstehende Artikel enthalten:

Kl(aus) vom Orde: „Baedeker, Friedrich Wilhelm (1823–1906) (Sp. 598f.)
G(erd) Goldmann: „Blücher, Toni von (1836–1906) (Sp. 954f.)
W(olfgang) Heinrichs: „Brockhaus, Carl Friedrich Wilhelm (1822–1899) (Sp. 1046–1048)
ders.: „Brüderverein, Evangelischer (Elberfelder) (Sp. 1058–1062)
B(erthold) Schwarz: „Darby, John Nelson (1800–1882) (Sp. 1326–1329)
R(oland) Deines: „Deichmann, Heinz-Horst (1926–2014) (Sp. 1340–1342)
Chr(istoph) Raedel: „Dispensationalismus (Sp. 1490–1493)

Einen Artikel „Brüderbewegung“ gibt es seltsamerweise nicht; stattdessen wird – wie in der 1. Auflage – auf das Stichwort „Versammlung, Christliche“ (und damit auf den wohl nicht vor 2023 zu erwartenden Band 4!) verwiesen. Die gesamte Brüderbewegung unter dieser nur noch von Geschlossenen und konservativen Freien Brüdern verwendeten Bezeichnung abzuhandeln erscheint kaum angemessen.


Bruce A. Baker: „The Early Life and Influence of John Nelson Darby“. In: Journal of Ministry & Theology 21 (2017), Heft 2, S. 110–126.

Einführung in Darbys erste Lebensjahrzehnte und Charakterzüge. Hauptquellen sind Turner (1926/44) und Weremchuk (1992); die neuere BAHN-Literatur wird vollständig ignoriert. Baker hält sogar an dem bereits von Weremchuk widerlegten Irrtum fest, Darbys Mutter sei früh verstorben (auch online).


Howard Barnes: „Walter Wolston“. In: Precious Seed 72 (2017), Heft 3, S. 20f.

Lebensbild des bekannten Evangelisten und Autors, erschienen zum 100. Todestag am 11. März 2017 (auch online).


John Bennett: „John R. Caldwell“. In: Precious Seed 72 (2017), Heft 1, S. 24f.

Lebensbild des langjährigen Herausgebers der Zeitschrift The Witness, erschienen zum 100. Todestag am 14. Januar 2017 (auch online).


Peter van Beugen: „John Nelson Darby“. In: Focus op de Bijbel [9] (2017), Heft 35, S. 34–41.

Lebensbild Darbys in einer niederländischen Zeitschrift der „blockfreien“ Brüdergemeinden (auch online).


Arnd Bretschneider: „Kein Preis zu hoch!? Ein junger Mann stellt sich dem Anspruch von Jesus Christus“. In: Perspektive16 [recte 17] (2017), Heft 5, S. 21–23.

Über den Missionar und Märtyrer Jim Elliot (1927–1956), dessen Zugehörigkeit zu den Offenen Brüdern im Artikel allerdings nicht erwähnt wird.


Peter Ferry: „Assemblies in Thailand. From Islands to Hill Tribes“. In: Precious Seed 72 (2017), Heft 3, S. 28f.

Über die Offenen Brüdergemeinden in Thailand (auch online).


Ken Follett: „Wie ich meinen Glauben verlor“. In: Rheinische Post 228 (30. September / 1. Oktober 2017), Magazin, S. C1–C2.

Autobiografischer Essay des unter den „Needed-Truth-Brüdern“ aufgewachsenen Bestsellerautors, zuerst auf Englisch erschienen in Granta. The Magazine of New Writing 137 (2016), S. 53–61. (Die deutsche Übersetzung ist online verfügbar, vom englischen Original gibt es auf YouTube eine Lesung des Autors mit Interview.)


Erich Geldbach: „Geschichtsschau und Gemeindeideal bei John Nelson Darby und in der Brüderbewegung“. In: Freikirchenforschung 26 (2017), S. 167–175.

Vortrag auf der Herbsttagung 2016 des Vereins für Freikirchenforschung zum Thema „Reformatio oder Restitutio? Vorstellungen von Erneuerung der Kirche in der Geschichte der Freikirchen“. Die Ausführungen sind im Wesentlichen sachlich korrekt und mit Zitaten belegt, aber der bei Geldbach obligate Seitenhieb gegen die Romanreihe Left Behind (für die Darby nicht verantwortlich ist und die er niemals gebilligt hätte) darf selbstverständlich nicht fehlen.


Tim Grass: „Restorationists and New Movements“. In: The Oxford History of Protestant Dissenting Traditions. Volume III: The Nineteenth Century. Hrsg. von Timothy Larsen und Michael Ledger-Lomas. Oxford (Oxford University Press) 2017. S. 150–174.

Die Seiten 156–160 dieses Überblicksartikels sind der Brüderbewegung gewidmet. (Der eigentlich £ 95 teure Band kann merkwürdigerweise hier vollständig als PDF heruntergeladen werden.)


Óli Jacobsen: „Jógvan F. Kjølbro (1887–1967): Ein Geschäftsmann in der Brüdergemeinde der Färöer“. In: Tjaldur. Mitteilungsblatt des Deutsch-Färöischen Freundeskreises 57/58 (Juni 2017), S. 77–85.

Biografischer Artikel, zuerst auf Englisch erschienen in Brethren Historical Review 12 (2016), S. 34–48.


David C. Kirkpatrick: „‘Freedom from Fundamentalism’: Christian Brethrenism and the Rise of Latin American Protestant Evangelical Social Christianity“. In: The Journal of World Christianity 7 (2017), S. 211–233.

Laut diesem Artikel führte die Übergabe der Leitungsverantwortung von europäischen „Brüder“-Missionaren an Einheimische in Lateinamerika zu größerem sozialem Engagement und zu einer Abkehr vom Fundamentalismus.


Gerard Kramer: „William Kelly (1821–1906)“. In: Focus op de Bijbel [9] (2017), Heft 36, S. 18–23.

Lebensbild Kellys in einer niederländischen Zeitschrift der „blockfreien“ Brüdergemeinden (auch online).


Andreas Liese: „‚Wir konnten immer das Evangelium verkünden‘. Baptisten und Brüdergemeinden im ‚Dritten Reich‘“. In: Kirchliche Zeitgeschichte 30 (2017), S. 93–133.

Der Beitrag untersucht die Entwicklung von Baptisten- und Brüdergemeinden im NS-Staat bis hin zum Zusammenschluss im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden.


Armin Lindenfelser: „Elizabeth Paget (1783–1863). Die ‚Mutter der Brüderbewegung‘“. In: Zeit & Schrift 20 (2017), Heft 4, S. 31–35.

Lebensbild der „geistlichen Mutter“ von Anthony Norris Groves, Georg Müller und Robert Cleaver Chapman (auch online verfügbar).


Peter Lineham: „Learning from History: An Exclusive Brethren Story“. In: History Making a Difference: New Approaches from Aotearoa. Hrsg. von Katie Pickles, Lyndon Fraser, Marguerite Hill, Sarah Murray und Greg Ryan. Newcastle upon Tyne (Cambridge Scholars Publishing) 2017. S. 73–91.

Der erste Teil des Aufsatzes handelt vom Geschichtsverständnis der Brüderbewegung allgemein (einschließlich der Offenen Brüder), im zweiten Teil analysiert der Autor Material aus dem Geschichtsunterricht der Raven-Taylor-Hales-Privatschulen, das ihm von einem Aussteiger zugespielt wurde.


Berlin M[artin] Nottage: „Heroes of the Faith: Brothers Beloved“. In: Cornerstone 1 (2017), Heft 1, S. 12–14.

Über die drei von den Bahamas stammenden, aber hauptsächlich unter Schwarzen in den USA wirkenden Evangelisten Whitfield Nottage (1883–1986), Talbot Burton Nottage (1885–1972) und Berlin Martin Nottage (1889–1966) (auch online). Die Zeitschrift Cornerstone wurde dieses Jahr neu gegründet.


Sarah Ponzer: „‘Disease, Wild Beasts, and Wilder Men’: The Plymouth Brethren Medical Mission to Ikelenge, Northern Rhodesia“. In: Conspectus Borealis 2 (2017), Issue 1, Article 4. 25 Seiten.

Studentische Hausarbeit über ein sehr spezielles Missionsthema, erschienen in der Zeitschrift der Northern Michigan University in Marquette (auch online).


Bogdan Emanuel Răduţ: „Origini europene ale Bisericii Creştine după Evanghelie din România“. In: Arhivele Olteniei NS 31 (2017), S. 205–213.

Über britische, schweizerische und deutsche Einflüsse auf die Entstehung der Brüdergemeinden in Rumänien (auch online).


Richard E. Strout: „Ninety Years and Counting: The History of Assemblies in Quebec“. In: Cornerstone 1 (2017), Heft 2, S. 16f.

Zusammenfassung des vom selben Autor verfassten Buches Ebb and Flow. A History of Christian Brethren Churches in French Canada 1926–2010, Port Colborne, ON (Gospel Folio Press) 2016 (der Artikel ist auch online verfügbar).


Todne Thomas: „Rebuking the Ethnic Frame: Afro Caribbean and African American Evangelicals and Spiritual Kinship“. In: New Directions in Spiritual Kinship. Sacred Ties across the Abrahamic Religions. Hrsg. von Todne Thomas, Asiya Malik und Rose E. Wellman. Contemporary Anthropology of Religion. Cham, Schweiz (Palgrave Macmillan) 2017. S. 219–244.

Kulturanthropologische Studie über zwei afroamerikanische Gemeinden der Offenen Brüder in Atlanta (Georgia).


Für Hinweise auf weitere, von mir übersehene Neuerscheinungen bin ich dankbar!

Anfänge in Herefordshire – und zwei (fast) vergessene Offene Brüder

brewer_edihAls ich 2001 über Percy Francis Hall zu recherchieren begann, schickte mir David Brady vom Christian Brethren Archive (CBA) in Manchester u.a. einen Artikel mit dem Titel „Early Days in Herefordshire“ zu, den auch das CBA nur in Kopie besaß. Er war dem Archiv zusammen mit anderen historischen Dokumenten der Brüdergemeinde Hereford übergeben worden und trug die handschriftliche Notiz:

Obtained from Rev. Morgan,1 Hereford Cathedral – source unknown – Printed 1893. Author: “C. B.”2

Da die Seitenzählung mit 84 begann, musste es sich um einen Auszug aus einem Sammelband o.Ä. handeln; im Katalog des CBA erhielt der Artikel daher den Vermerk: “Apparently extracted from a larger work.”

Der Autor ließ sich immerhin identifizieren, denn unter den Archivalien aus Hereford befand sich auch eine handschriftliche Version des Aufsatzes, betitelt „The Lord’s Work amongst Early Brethren in Herefordshire“ und einem gewissen Charles Brewer aus Leominster zugeschrieben.3 Entdeckt hatte beide Dokumente Harold H. Rowdon, als er für seine Dissertation recherchierte;4 von der Manuskriptfassung machte er in seinem Kapitel über Hereford reichen Gebrauch, nannte sie aber etwas kryptisch nur „Brewer’s MS“, ohne den genauen Titel und den Fundort anzugeben,5 was noch Jahrzehnte später immer wieder zu Anfragen an das CBA führte.6

Die Quelle

Welchem “larger work” die Druckversion entnommen war, blieb jedoch weiterhin unklar; Tim Grass bibliografierte sie 2006 in seinem magnum opus als “n. pl.: n. p., 1893”,7 und ich selbst schrieb in meinem 2013 erschienenen Aufsatz über Percy Francis Hall nur von einem “extract from an unidentified larger work”.8 Erst 2014/15 gelang es durch eine gemeinsame Anstrengung mehrerer Mitglieder des Brethren Archivists and Historians Network (BAHN), die Quelle ausfindig zu machen. Samuel McBride erinnerte sich, in einem Buch des Offenen Bruders Joseph Henry Burridge einen “well written account full of interesting and obscure information” über die Anfänge in Hereford gelesen zu haben;9 nachdem er seine Bibliothek konsultiert hatte, konnte er das Buch als The Christian Outlook: A Compendium of Papers on Various Aspects of Christian Life and Doctrine, Glasgow (Pickering & Inglis) o.J. identifizieren.10 Auf den Seiten 84–95 war tatsächlich der Artikel „Early Days in Herefordshire“ von „C. B.“ abgedruckt – ein Befund, den Timothy Stunt unabhängig davon bestätigte.11

burridge_tco_titleEin halbes Jahr später hatte ich Gelegenheit, den Band The Christian Outlook bei einem australischen Antiquariat zu erwerben. Wie sich herausstellte, handelt es sich nicht eigentlich um ein Buch, sondern um zwei Jahrgänge einer Zeitschrift, die Burridge 1896 unter dem Titel Church Principles and Christian Practice begonnen und 1899 in The Christian Outlook umbenannt, aber bereits Ende 1899 (also nach nur vier Jahren) wieder eingestellt hatte. In dem undatierten Sammelband The Christian Outlook, der nach außen hin wie ein gewöhnliches Buch erscheint, sind – getrennt paginiert – der dritte Jahrgang von Church Principles and Christian Practice (1898) und der vierte, The Christian Outlook genannte Jahrgang (1899) enthalten. Das Inhaltsverzeichnis (auf der Rückseite des Titelblatts) erfasst eigenartigerweise nur Letzteren; der Artikel „Early Days in Herefordshire“ findet sich jedoch im ersten Teil, und zwar im zweiten Heft, erschien also ursprünglich im zweiten Quartal 1898 in Church Principles and Christian Practice.

Vorangestellt ist dem Artikel eine Einleitung des Herausgebers mit dem Titel „Early Days among Brethren“, in der es u.a. heißt:

The narrative referred to was written in 1893, but the wisdom of publishing it being questioned by some, it has been kept back. But the fact that the account of God’s ways with His people, and His mighty power and grace among them, as well as that of their failure, is often given in the scripture for the benefit of, and even to bring home the sin of, a succeeding generation, and that in some instances they are expressly told to tell to their children the works of God among themselves, influences us to publish it now, especially as it is in character with the object of this Magazine.12

Damit wäre auch die Jahreszahl 1893 erklärt, mit der die Kopie im CBA versehen ist: Es handelt sich nicht um das Erscheinungsjahr der Druckversion, sondern um das Entstehungsjahr des Manuskripts. Eine Neuedition der Druckfassung habe ich vor einigen Tagen auf bruederbewegung.de zugänglich gemacht.13

Der Autor

Wer war nun Charles Brewer? Das Buch Turning the World Upside Down, eine Missionsgeschichte der Offenen Brüder, weiß ein wenig über ihn zu berichten:

Born in 1826, as a boy of eight or nine years old he had heard his father read an account of the mission in Baghdad, its trials and tragedies. The effect never left him. Until he died in 1915 he used all his energies in the Lord’s work at home and abroad. In 1884 he moved with his wife to Leominster and lived in the very suitably named Perseverance Road. To stir up missionary interest, he addressed meetings in various parts of the country, published books, pamphlets, tracts, magazine articles, maps, prayer cards, postcards and collecting boxes.14

Einige weitere biografische Einzelheiten lassen sich per Internetrecherche ermitteln. Geboren wurde Charles Brewer in Worthing (Sussex)15 als Sohn des Lehrers Samuel Kilbinton Brewer (17821849), der anscheinend bereits Freikirchler war,16 und dessen Frau Sarah geb. Shackle (ca. 1789–1871). Charles’ beruflicher Werdegang war offenbar abwechslungsreich: Im Census 1841 erscheint er als “Bookseller”, 1851 als “Head Assistant Bookseller”, 1861 als “Sewing Machine Maker”, 1871 als “Agent”, 1881 als “Grocer Manager Tea Trade”, 1891 und 1901 als “Living on (his) own Means” und 1911 als “Retired Bookseller”. Als Wohnsitz ist 1841 Lambeth St. Mary, 1851 bis 1881 Liverpool und 1891 bis 1911 Leominster registriert.

1851 heiratete Brewer in Plymouth die etwa fünf Jahre ältere Rebecca Horlford (geb. in Devonport); 1853 wurde ihre Tochter Lucy geboren (die 1885 den späteren Needed-Truth-Mitbegründer Charles Mann Luxmoore heiratete17), 1855 ihr Sohn Charles Samuel. Nachdem Rebecca 1902 im Alter von 81 Jahren verstorben war, ging der ebenfalls schon recht betagte Charles Brewer 1904 eine zweite Ehe mit der aus Leominster stammenden, ca. 27 Jahre jüngeren Laura Marion Rogers ein. Am 11. April 1915 starb Brewer, wahrscheinlich in Leominster:

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Quelle: National Probate Calendar

Seine zweite Frau überlebte ihn um gut 22 Jahre:

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Quelle: National Probate Calendar

Was die “books, pamphlets, tracts” angeht, die Brewer laut Turning the World Upside Down veröffentlicht haben soll, so besitzt das CBA nur einige wenige dünne Broschüren; am umfangreichsten ist noch das 32-seitige Heft My Book of Remembrance of Some Service & Work Done in Other Lands in the Name of the Lord, Leominster ²1909.18

Der Herausgeber

Noch weniger als über Brewer scheint bisher über Joseph Henry Burridge bekannt gewesen zu sein, den Herausgeber von Church Principles and Christian Practice bzw. The Christian Outlook. Roy Coad erwähnt ihn überhaupt nicht,19 Tim Grass nur einmal in Verbindung mit den Wiedervereinigungsgesprächen zwischen Offenen und Geschlossenen Brüdern Anfang des 20. Jahrhunderts.20 Der Katalog des CBA verzeichnet immerhin eine namhafte Anzahl seiner Veröffentlichungen (darunter einige recht anspruchsvoll klingende Titel, z.B. God’s Prophetic Plan: A Comprehensive View of God’s Dealings with Man from Creation to the New Heavens and New Earth, 300 Seiten, oder Near Eastern Politics and the Bible: Science, Creation, and Revelation in the Light of Near Eastern Politics, 152 Seiten), und das Believer’s Magazine veröffentlichte im Juni 1941 einen kurzen Nachruf.21 Hieraus und aus verschiedenen Online-Datenbanken lässt sich in etwa folgendes Lebensbild rekonstruieren:

Joseph Henry Burridge wurde am 20. Januar22 1856 im Londoner Vorort Peckham23 in einfache Verhältnisse hineingeboren: Sein Vater George Burridge (18281907) war zunächst Landarbeiter24 und später Ziegelbrenner,25 und auch die beiden ältesten Söhne George und Joseph Henry mussten früh hart arbeiten – im Census von 1871 sind sie als “Bricklayers”, d.h. Maurer registriert. Joseph Henry scheint diesem Beruf aber körperlich nicht gewachsen gewesen zu sein, denn 1881 wird der erst 25-Jährige als “Invalid” geführt. In der Zwischenzeit hatte sein Leben freilich schon eine andere Wendung genommen: 1872 war er zum Glauben gekommen und hatte sich den „Brüdern“ angeschlossen, und bereits vier Jahre später – also im Alter von 20 Jahren – war er in den vollzeitlichen Dienst getreten.26 Im Census 1891 ließ er sich denn auch als “Evangelist” eintragen, 1901 als “Mission Preacher”.27 Sein Schwerpunkt war allerdings nicht nur missionarisch: Wie aus Zeitungsanzeigen und -berichten hervorgeht, hielt er oft auch apologetische Vorträge (z.B. 1888 auf Guernsey über die Gottheit Christi, 1890 in Portsmouth über den Katholizismus, 1929 in Preston über die Inspiration der Bibel) oder gab in längeren Vortragsreihen umfassende Überblicke über Heilsgeschichte und Prophetie (z.B. 1894 in Ilfracombe, 1897 in Bath, 1903 in Tunbridge Wells)28 – alles Themen, die auf ein intensives autodidaktisches Studium schließen lassen.

1894, im Alter von 38 Jahren, heiratete Burridge im Bezirk Barton Regis (Gloucestershire) die etwa sieben Jahre jüngere, aus Wells (Somerset) gebürtige Fanny White. Sie bekamen fünf Kinder: Ernest Leslie (18961948), Doris Eva K. (18981901), Irene Winifred (19001965), Margaret Mary (19011994) und Arthur Patrick (19041992). Das Ehepaar ließ sich zunächst in Bristol nieder (bis zu seiner Heirat hatte Burridge offenbar in der Region London gelebt); von etwa 1898 bis 1901 finden wir sie in Ross-on-Wye (Herefordshire) oder Umgebung (Linton, Walford) – was wohl den Kontakt mit Charles Brewer und das Interesse an den Anfängen in Herefordshire erklärt –, von etwa 1904 bis 1911 wieder in Bristol, ab 1912 in Weston-super-Mare und spätestens ab den 1920er Jahren in Birmingham, wo Fanny am 15. Februar 1937 im Alter von 74 Jahren starb.29 Joseph Henry wirkte weitere vier Jahre in großer geistiger und körperlicher Frische;30 sein Tod am 6. Mai 1941 war auf einen tragischen Verkehrsunfall zurückzuführen.31

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Quelle: National Probate Calendar

(Dass der Wert seines Nachlasses hier mit “Nil” angegeben wird, verwundert etwas; 1901 war die Familie immerhin noch so vermögend gewesen, dass sie vier Hausangestellte beschäftigen konnte.)

burridge_cpacp_1898_2In vielen seiner Veröffentlichungen befasste sich Burridge mit Gemeindefragen. Er galt als Offener Bruder der „alten Schule“ und wandte sich seit den 1890er Jahren gegen die Verengungstendenzen, die in der Needed-Truth-Gruppe mündeten, aber auch außerhalb davon weiterwirkten.32 Tatsächlich verstand sich gerade seine Zeitschrift Church Principles and Christian Practice als „Zeugnis“ gegen diesen „Irrtum“.33 In seiner wahrscheinlich letzten Schrift Church Theories among Brethren, um die Jahreswende 1940/41 entstanden, meinte er sogar bei Henry Pickering und William Edwy Vine Züge dieser Lehre entdecken zu können.34 Darüber hinaus geißelte er den sektiererischen Geist, den er auch unter den Offenen Brüdern wahrnahm:

In our ecclesiastical and party strife, our respective sects (and all Church parties – or party Churches – are sects) look upon each other as enemies, and cultivate the greatest of bitter feelings toward each other. […] And those sects who boast that “we have left the sects” (and there are many such) are the most culpable, in this respect of unchristian feeling. For they have some idea of the true centre of gathering, and (some of them) the unity of the whole Church, on the absolute side. And yet their rules, regulations and customs are deadly set against the practical manifestation of the same. They have no respect – not to say love or interest – for believers, or even the work of God, outside our [sic!] own boundary lines.35

burridge_edabMit der Veröffentlichung von Charles Brewers „Early Days in Herefordshire“ in Church Principles and Christian Practice über 40 Jahre zuvor hatte er ebenfalls eine erzieherische Absicht verfolgt:

Let us seek to emulate the simplicity and devotedness of the early brethren to whom God revealed so much that is matter of common knowledge to us. Let us also seek to avoid the evils which so soon marred the testimony to the truth thus revealed, and judge the cause of it in ourselves. To this end we shall be glad to receive any true and unbiased accounts of the work of God in recovering to His people truth that had been long lost to the Church, yet clearly taught in His Word, and its immediate effect upon those who received it. But prejudiced accounts which have as their object the vindication of one party of brethren as against another, will not be in harmony with our object.36

Weitere historische Berichte dieser Art erschienen trotz Burridges Aufforderung leider nicht. Die Auflage der Zeitschrift Church Principles and Christian Practice dürfte ohnehin nicht besonders hoch gewesen sein – heute ist sie so selten, dass eine Google-Suche nur einen einzigen Treffer liefert, und zwar diesen Blog! Auch das CBA besitzt nur den Sammelband The Christian Outlook, also wohl nicht die ersten beiden Jahrgänge der Zeitschrift. Vielleicht kann der vorliegende Blogeintrag ein wenig zur Wiederentdeckung dieser beiden nahezu vergessenen Offenen Brüder der zweiten und dritten Generation, Charles Brewer (1826–1915) und Joseph Henry Burridge (1856–1941), beitragen.