John Nelson Darby über den Gott des Islam

Für die meisten „konservativen“ oder „bibeltreuen“ Christen steht heute völlig außer Frage, dass der Gott des Islam ein anderer ist als der Gott der Christen. Die Argumentation läuft in der Regel auf folgenden einfachen Syllogismus hinaus:

Prämisse 1: Der Gott der Muslime hat keinen Sohn.
Prämisse 2: Der Gott der Christen hat einen Sohn.
Schlussfolgerung: Der Gott der Muslime ist ein anderer als der Gott der Christen.

Dieser Schluss ist allerdings nur dann zwingend, wenn Prämisse 1 eine wahre Aussage ist – und zwar nicht nur eine wahre Aussage über den Glauben der Muslime, sondern über ihren Gott. Aber kann man das mit Gewissheit sagen? Kann es nicht sein, dass die Muslime sich irren, d.h. dass ihr Gott einen Sohn hat, sie es aber nicht wissen (und daher bestreiten)?

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John Nelson Darby

Die Väter der Brüderbewegung im 19. Jahrhundert scheinen über diesen Punkt viel weniger „fundamentalistisch“ gedacht zu haben. Wenn man sich z.B. einmal John Nelson Darbys verstreute Äußerungen über den Islam ansieht, gewinnt man durchaus den Eindruck, dass er den Gott der Christen und den Gott der Muslime für identisch hielt (auch wenn er das Gottesbild der Muslime natürlich ablehnte). So schreibt er etwa in Familiar Conversations on Romanism (CW 22:21):

The Mahometans count by many millions – I do not know how many, but I dare say some sixty millions. They own God, and Christ to be a prophet and judge of quick and dead, but not as Son of God.

“They own God”, d.h. sie erkennen Gott an; das hätte Darby sicher nicht so formuliert, wenn er der Meinung gewesen wäre, dass der Gott des Islam ein völlig anderer wäre als der Gott der Christen.

In The Irrationalism of Infidelity schreibt Darby (CW 6:16):

Mohammedanism has borrowed much from revelation; but it has met the lusts of men as on God’s part, who, as He is there represented, will and does satisfy them: Christianity does so not even in thought.

Der Islam hat also vieles von der (biblischen) Offenbarung übernommen, nur hat er sich sein eigenes, die „Lüste der Menschen“ befriedigendes Gottesbild zurechtgelegt. Die Formulierung “as He is there represented” (man beachte die Großschreibung von “He”!) weist m.E. eindeutig darauf hin, dass die Muslime nach Darby denselben Gott anbeten wie wir, aber eine falsche Vorstellung (representation) von ihm haben.

Weiter hinten in derselben Schrift heißt es (CW 6:161):

They [the Arabs] believe, I suppose, that God made the sun, and yet this is true, though they have Mohammedan superstitions connected with it. So of many facts of Jewish history connected with Abraham, Ishmael, Esau, the passage of Israel through the desert. As in the case of all nations who derive their origin from those who were at the sources of truth, you see proofs of the existence of that truth mixed up with superstitious traditions.

Auch hier macht Darby überhaupt keinen Versuch, den Gott des Islam von unserem Gott zu unterscheiden. Die Araber, so sagt er, glaubten zu Recht, dass Gott die Sonne erschaffen habe, fügten aber allerlei abergläubische muslimische Vorstellungen hinzu. Da sie von denen abstammten, die „an den Quellen der Wahrheit waren“, sehe man im Islam immer noch „Beweise für die Existenz jener Wahrheit“, allerdings mit abergläubischen Traditionen vermischt.

Schließlich noch ein Zitat aus Review of Leckey’s Rationalism (NC 2:264):

I understand compassion on ignorance, but surely if I have rejected the true God, and worship Venus, or accept Mahomet as a prophet, there is some moral depravity.

Hier nennt Darby zwei Beispiele für falsche Religionen: den Venuskult und den Islam. Es wäre ein Leichtes gewesen zu schreiben: „wenn ich den wahren Gott verworfen habe und Allah verehre“, aber so charakterisiert Darby den Islam eben nicht, sondern er sagt: „[wenn ich] Venus verehre oder Mohammed als Propheten anerkenne“. Das Wesen des Islam bestand für ihn also offenbar nicht darin, einen anderen Gott zu verehren (wie es der Venuskult tat), sondern Mohammed als Propheten anzuerkennen.

Des Öfteren stellt Darby den Islam übrigens mit dem Katholizismus auf eine Stufe, z.B.:

Take Popery, Mohammedanism, all manner of heretics: these are tares which have been sown where the good seed had been. (CW 11:281)
Taking in Christendom as a whole, what do we see? Mohammedanism has overrun the eastern part and Popery the western. (CW 34:114)

Dies könnte darauf hindeuten, dass er zu der traditionsreichen Auffassung tendierte, der Islam sei eine „christliche Häresie“. All das bedarf aber noch weiterer Erforschung.

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