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200. Geburtstag von Wilhelm Alberts

Zum heutigen 200. Geburtstag von Wilhelm Alberts wiederhole ich hier (minimal modifiziert) einen Beitrag, den ich 2015 zu seinem 150. Todestag geschrieben habe.


„Alberts, Schwarz, Bröcker, Weber, Eberstadt, Effey“ – diese Namensliste ist in nahezu jeder ausführlicheren Darstellung der deutschen Brüdergeschichte zu finden.1 Es handelt sich um die sechs Brüder, die am 11. Dezember 1852 zusammen mit Carl Brockhaus aus dem Evangelischen Brüderverein austraten bzw. austreten mussten, weil sie sich die Ansichten John Nelson Darbys zu eigen gemacht hatten. Über die meisten von ihnen wissen wir kaum mehr als die Namen; nur Wilhelm Alberts ist uns dank der Nachforschungen des letzten Brüdervereinsvorsitzenden Hans Horn etwas besser bekannt.2

Bildquelle: http://www.wiehl.de/bilder/drinhausenbig.jpg
Wiehl um 1850

Wilhelm Alberts wurde am 5. April 1823 in Dörnen bei Wiehl (heute ein Stadtteil im Südwesten Wiehls) geboren und erlernte das Handwerk des Klempners oder Blechschlägers. Durch den Nümbrechter Pfarrer Ernst Hermann Thümmel (1815–1887) kam er zum Glauben und erhielt bald Gelegenheit, in „erweckten“ Versammlungen das Wort zu ergreifen. 1850 trat er in den neu gegründeten Evangelischen Brüderverein ein und wurde für ein Tagesgehalt von 20 Silbergroschen hauptamtlicher „Lehrbruder“. Max Goebel, ein landeskirchlicher Kritiker des Brüdervereins, berichtete 1854, dass Alberts

zuerst in den Gemeinden Lennep und Lüttringhausen, und später in verschiedenen Gemeinden der Aggersynode sehr stark besuchte aber auch heftig angefeindete Versammlungen hielt. Während seines anfänglichen Wirkens in der Synode Lennep machte er auf die dortigen Pfarrer theilweise den Eindruck eines bescheidenen, wohlmeinenden, gläubigen Mannes […]. Alberts verbreitete seit 1852 bedenkliche Lehren von der Unverlierbarkeit des Gnadenstandes, der absoluten Prädestination und seiner Sündlosigkeit, so daß nun selbst die frömmeren und entschiedeneren Pfarrer der Aggersynode sein Treiben je länger je mehr mißbilligten. So hat er Pfingsten 1852 zu Nallingen in der Gemeinde Marienberghausen das heilige Abendmahl unter Gesang, Schriftlesung und abwechselnden knieenden Gebeten mehrer [sic] Brüder mit 12–14 (später gar mit 40) Personen beiderlei Geschlechts durch gegenseitige Austheilung von ungesegnetem Weißbrod und Wein (aus einer Tasse) gefeiert, was er selber aber nur ein Liebesmahl oder eine testamentliche Handlung nannte. Diese Feier wurde monatlich gehalten. Alberts selber war schon 1852 Wiedertäufer geworden, indem er sich mit einigen Anverwandten – wahrscheinlich von Lindermann3 – wiedertaufen ließ; und sammelte in seiner Heimath aus Verwandten und Freunden eine Gemeinde von zwanzig Personen, die 1853 ihren Austritt aus der evangelischen Kirche förmlich notariell erklärten.4

Vorausgegangen war dieser Gemeindegründung die „darbystische Krise“5 im Brüderverein. Horn schreibt:

Aus den fragmentarischen Berichten hinsichtlich des Inhaltes seiner [Alberts’] Predigt kann man die Spuren einer immer stärkeren Hinwendung zu den speziellen Lehren der sogenannten Brüderbewegung erkennen, die durch den Engländer John Nelson Darby einen mächtigen Auftrieb in Europa erfuhr. […] Es ist keine Frage, daß im Brüderverein Alberts neben Carl Brockhaus der entschiedenste Verteidiger der Lehren der Brüderbewegung war.6

Da der Brüderverein keine „separatistischen Bestrebungen“ duldete, wurden Alberts und seine Freunde am 11. Dezember 1852 zum Austritt gedrängt. Für Alberts hatte das durchaus existenzielle Konsequenzen: Er musste sich wieder einen Brotberuf suchen und begann als „Ackerer“ in der Landwirtschaft zu arbeiten. Seine Predigttätigkeit setzte er jedoch fort – nun freilich unter noch größeren Anfeindungen. Im Siegerland beispielsweise wurde er 1853 einmal verhaftet, und die zum „Liebesmahl“ Versammelten wurden von der Polizei auseinandergetrieben.

Die von Alberts an seinem Wohnort Großfischbach gegründete Gemeinde, die auch Carl Brockhaus auf seinen Reisen wiederholt besuchte, wurde „Brüderverein der Gläubigen“ oder „Freie Brüdergemeinde“ (!) genannt. Horn kommentiert:

Ganz entsprechend dem ihnen eigenen Gemeindeverständnis vermeidet man jede Bezeichnung, die als eine neue Freikirche verstanden werden könnte. Wie ernsthaft das Bestreben war, sich auf den Bahnen der Urgemeinde zu bewegen, erkennt man an dem interessanten Vorschlag, der bei einer Versammlung in der Gemeinde Marienberghausen unterbreitet, aber dann doch nicht verwirklicht wurde, nämlich die Gütergemeinschaft unter den Gläubigen einzuführen. […] Die Versammlungen selbst verliefen nach Auskunft des Bürgermeisters Möller „still und friedlich“, ihren Teilnehmern stellte er in „moralischer und sittlicher Beziehung“ ein sehr gutes Zeugnis aus.7

Wilhelm Alberts wurde nur 42 Jahre alt. Der „rastlose Wanderprediger“8 starb am 14. November 1865 in Rumeln im Kreis Moers (heute ein Stadtteil von Duisburg). Seine Nachwirkung fasst Horn wie folgt zusammen:

Die zahlreichen Kleinkreise der Brüderbewegung, die unmittelbar oder mittelbar von ihm gegründet wurden, haben ihn überlebt, aber im Laufe der Jahrzehnte seinen Namen auf Grund ihrer gewollten Interessenlosigkeit an der Geschichte verblassen lassen oder sogar vergessen. Wie viele es gewesen sind, läßt sich nicht mehr feststellen. Aber wir dürfen aus den vorhandenen Quellen schließen, daß die ältesten Zellen der Brüderbewegung im Oberbergischen, im Siegerland, und auch in angrenzenden Gebieten zu einem großen Teil auf diesen Vorkämpfer reiner geistgewirkter Christengemeinden zurückgehen.9

Die 20-seitige Arbeit von Horn ist auf bruederbewegung.de digital zugänglich.


200. Geburtstag von Carl Brockhaus

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Carl Brockhaus (1822–1899)

Bei allen Reformationen und Erweckungen hat Gott Männer gegeben, die durch seine Kraft Herrliches vollbracht und Großes gewirkt haben. Und wenn später die Kirchengeschichte des jetzigen Jahrhunderts geschrieben werden wird, dann wird gewiß auch der Name Karl Brockhaus genannt werden als der des Mannes, der die herrliche Bewegung für die Wahrheit der Absonderung der Kinder Gottes und ihrer Aufnahme dem Herrn entgegen in die Luft in Deutschland anregte.1

Diese bemerkenswerten Sätze sagte Hermanus Cornelis Voorhoeve im Mai 1899 auf der Beerdigung von Carl Brockhaus. Bemerkenswert sind sie zum einen wegen des Freimuts, dem Verstorbenen einen derartigen Ausnahmerang zuzuerkennen (die „Brüder“-typische Beteuerung „wir sind nicht hierher gekommen, um Menschen zu loben“2 durfte allerdings trotzdem nicht fehlen), zum anderen aber auch wegen der selbstverständlichen Annahme, dass in Zukunft noch einmal eine Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts geschrieben werden würde – ein eigenartiger Kontrast zur unmittelbaren Nah­erwartung der Wiederkunft Jesu, die auch Voorhoeve am Schluss seiner Ansprache deutlich zum Ausdruck brachte:

Bald kommt der Herr Jesus, um alle die Seinigen aufzunehmen in das herrliche Haus des Vaters, wo er eine Stätte für uns bereitet hat. […] Noch wenige Augenblicke, und die Pilgerreise ist beendet und wir genießen ewige Ruhe und ewige Freude bei Jesu.3

123 Jahre später können wir jedenfalls sagen, dass Carl Brockhaus tatsächlich einen Platz in der Kirchengeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts gefunden hat, wenn auch vor allem in der freikirchlichen und „Brüder“-internen. Er gilt unbestritten als Gründervater der deutschen Brüderbewegung, denn erst seit seiner Reisetätigkeit ab 1853 kann von einer „Bewegung“ im eigentlichen Sinne gesprochen werden – die älteren Gemeindegründungen in Stuttgart und Tübingen blieben lokal begrenzt, und der Arbeit von Julius Anton von Poseck und William Henry Darby im Rheinland fehlten zu größerem Erfolg vielleicht die Volkstümlichkeit und die Kontakte, die Carl Brockhaus vom Evangelischen Brüderverein mitbrachte.

Lebensbilder

Über Carl Brockhaus’ Leben ist bereits so viel geschrieben worden, dass ich hier auf eine eigene Skizze verzichten kann. Leider ist die maßstabsetzende, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Monografie von Rolf-Edgar Gerlach seit vielen Jahren vergriffen; online liegen immerhin Darstellungen folgender Autoren vor (chronologisch sortiert):

Den frühen Arbeiten von Eylenstein und Meister kommt teilweise der Wert von Primärquellen zu, da sie Auszüge aus den im Zweiten Weltkrieg verlorengegangenen Briefen von Carl Brockhaus zitieren (Eylenstein spricht von allein 195 Briefen an seine Frau aus den Jahren 1852 bis 18954). Es existiert ferner ein brauchbarer, wenn auch knapper Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia.

Neue Erkenntnisse

Der FeG-Kirchenhistoriker August Jung räumte um die Jahrtausendwende mit der bis dahin in der Literatur vorherrschenden Ansicht auf, es sei Heinrich Thorens gewesen, der Carl Brockhaus mit den Erkenntnissen John Nelson Darbys bekannt gemacht habe. Nach Jung kommt dieses Verdienst vielmehr Julius Anton von Poseck zu,5 und tatsächlich scheint ein erst später wiederentdecktes Zeugnis Darbys diese Version zu bestätigen. Darby berichtete am 24. November 1853 anlässlich eines „Tea Meetings“ in London:

Unser Bruder Von Poseck kam an einen oder zwei aus diesem Brüderverein heran, die umherzogen, Bibeln verkauften und sie anderen vorlasen. Durch sie verbreitete er unter ihnen verschiedene Traktate, die er aus dem Englischen übersetzt hatte, wie z.B. „Die Hoffnungen der Kirche“ usw., und einige aus dem Brüderverein nahmen die Wahrheit aus diesen Traktaten auf und gaben sie an andere weiter.6

Laut Walther Hermes stand allerdings auch Heinrich Thorens (der nichts mit dem Brüderverein zu tun hatte) in Kontakt mit den von William Henry Darby und Julius Anton von Po­seck in Düsseldorf und Hilden gegründeten Versammlungen und wurde von W. H. Darby auch mindestens einmal in Elberfeld besucht.7 Die für Jung so essentielle Frage „Thorens oder Poseck?“ muss also gar nicht als rigoroses Entweder-Oder betrachtet werden, wie Jung vorauszusetzen scheint, sondern es können durchaus auch beide Brüder an Carl Brockhaus’ Hinwendung zu Darbys Lehren beteiligt gewesen sein.

Dass Poseck bereits vor Brockhaus auch im Wuppertal aktiv war und z.B. 1852 in Gemarke (ca. 5 km nordöstlich von Elberfeld) Versammlungen mit Abendmahl abhielt, ist durch einen zeitgenössischen kirchlichen Bericht belegt.8 Aus dem 2019 erstmals veröffentlichten Briefwechsel zwischen Darby und Wigram geht jedoch hervor, dass sogar in Elberfeld bereits 1852 eine Versammlung der „Brüder“ bestanden haben muss. Wigram schrieb nämlich am 4. Dezember 1852 an Darby:

Von Poseck lässt Sie herzlichst grüßen. Er hat drei Tage Gefängnis bekommen und hatte dadurch Zeit, mit sieben Gefangenen zu sprechen. Er sagt, dass in Eberfeldt jetzt 50 [Personen] das Brot brechen.9

Einen Ort namens „Eberfeldt“ gibt es in Deutschland nicht10– man kann wohl davon ausgehen, dass hier ein Schreib- oder Lesefehler vorliegt und Elberfeld gemeint ist.11 Bedenkt man die Kontakte zwischen Thorens und den „Düsseldorfern“, ist die Existenz dieser Versammlung – vielleicht in Thorens’ Wohnung? – im Grunde auch gar nicht verwunderlich; die Größe von 50 Personen (Abendmahlsteilnehmern!) erscheint allerdings beachtlich.

Der Briefwechsel zwischen Darby und Wigram ermöglicht auch sonst noch einige Erweiterungen und Korrekturen unseres bisherigen Kenntnisstandes. Darbys erste Erwähnung von Carl Brockhaus im März 1854 macht z.B. deutlich, dass die übersteigerten Heiligkeits- und Sündlosigkeitslehren, die den „Brüdern“ in zeitgenössischen Berichten oft vorgeworfen wurden, auch im Kreis um Brockhaus durchaus verbreitet waren:

Ich hatte vor, Ihnen insbesondere deshalb zu schreiben, weil die deutschen Brüder, Müller,12 Brockhaus usw., sich sehr wünschen, Sie zu sehen, falls Sie auf Ihrer Rückreise13 durch Deutschland kommen. Es sind liebe Menschen, die, wie Sie wissen, in der Gefahr standen, das Fleisch in der Praxis nicht anzuerkennen – nicht in der Lehre, sondern weil sie ausschließlich auf Christus schauten; aber ich hoffe, sie sind völlig davon befreit. […] Müller und Brockhaus wohnen in der Deweerthstraße, Elberfeld.14

Ein halbes Jahr später, während seines Besuchs in Elberfeld zur Übersetzung des Neuen Testaments, kam Darby nochmals auf dieses Thema zu sprechen:

In einer Person – und vielleicht in einer zweiten, aber ich war nicht ganz sicher, ob ich ihn verstand – fand ich noch Reste des Irrtums, der sie bedrohte; der Erste war sehr gesprächsbereit und der Zweite ein lieber Mensch, aber ich denke, die Wurzel des Irrtums ist zerstört, und ich habe Brockhaus für den Botschafter einen Artikel über Römer 7 diktiert;15 die Gefahr ist durch [Gottes] Barmherzigkeit gebannt.16

Im selben Brief berichtete Darby über die begonnene Übersetzungsarbeit:

Ich diktiere Brockhaus jetzt eine Übersetzung des Neuen Testaments; Brockhaus sorgt für das deutsche Idiom, und ich hoffe, [auch noch] Posecks Hilfe zu bekommen.17

Zur Entstehung der Elberfelder Bibel finden sich in der Briefausgabe noch viele weitere bisher unbekannte Informationen, die im Rahmen dieses Carl Brockhaus gewidmeten Beitrags aber nicht alle ausgewertet werden können. Relevant ist noch folgendes Lob im Zusammenhang mit der Übersetzung des Alten Testaments 1869/70:

Brockhaus verfügt über ein gutes Deutsch und Voorhoeve über einen sehr klaren Kopf und das Gedächtnis, alle Punkte zu bemerken, die übersehen werden könnten, während ich mich im Hebräischen vergraben habe […].18

Wigram erwähnte 1863 eine Geldspende aus England an die Geschwister um Brockhaus:

[…] da ich von Carl Brockhaus gehört habe, dass in seiner Umgebung die Unseren in großer Not sind, erschien es besser, £ 1519 an ihn zu senden (es war die zweite Summe für ihn, denn Ralph Evans’20 Notgroschen, den er an Mrs Wheeler oder sonst jemand geschickt hatte, war auf £ 17 angewachsen und vorher [an Brockhaus] gegangen), wo die Not gegenwärtig am stärksten drückt, als sie im Stich zu lassen […]21

Abschließend noch eine tragische Kuriosität, die sich Anfang 1861 in Ründeroth zutrug und sogar von einer österreichischen Zeitung gemeldet wurde:

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Kremser Wochenblatt, 23. Februar 1861, S. 3

1. Todestag von August Jung

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August Jung

Heute vor einem Jahr verstarb der FeG-Pastor August Jung, dessen kirchengeschichtliche Forschungen auch für die Frühgeschichte der deutschen Brüderbewegung etliche neue Erkenntnisse brachten. Im Folgenden der Nachruf, den ich für die diesjährige Ausgabe der Brethren Historical Review geschrieben habe.


Obituary: August Jung (1927–2020)

Some of the most significant contributions to German Brethren historiography have been made by pastors of a ‘rival’ church movement: the Freie evangelische Gemeinden (‘Free Evangelical Churches’, FeG). Carl Brockhaus (1822–1899), the founding father of the German Brethren, and Hermann Heinrich Grafe (1818–1869), the founding father of the FeG, had both been leading members of an evangelistic association called Evangelischer Brüderverein before their new-found ecclesiastical convictions drove them in different directions. Interest in these common origins began earlier in the FeG than in the Brethren movement, so that pioneering studies on FeG history such as the article series Blätter aus vergangenen Tagen (‘Leaves from bygone days’, 1918/19) by Gustav Ischebeck (1863–1937) or the biography Hermann Heinrich Grafe und seine Zeit (‘Hermann Heinrich Grafe and his time’, 1933) by Walther Hermes (1877–1935) produced valuable insights into the beginnings of the German Brethren movement as well. Ischebeck even wrote a (critical) monograph on John Nelson Darby in 1929, which was translated into French in 1937.1 The most recent representative of this line of FeG pastors with a special interest in Brethren history was August Jung, who died in Iserlohn on 22 December 2020 at the age of 93.

Born in the village of Manderbach near Dillenburg on 8 November 1927, August Jung grew up in a family belonging to the Evangelische Gemeinschaft, a pietist group within the Protestant state church, but also maintaining good contacts with the local Brethren assembly (organised as Bund freikirchlicher Christen from 1937) and with preachers of the FeG.2 After war service and captivity (1939–45), Jung decided to become an FeG pastor himself. From 1947 to 1951 he attended their preachers’ seminary at Ewersbach; after that he served for 40 years as a pastor in various FeG congregations (1951–55 Frankfurt am Main, 1955–62 Hamm and environs, 1962–72 Wuppertal-Barmen, 1972–84 Iserlohn-Letmathe, 1984–90 Duisburg-Wanheimerort). On his retirement he moved to Iserlohn again. He had four children with his wife Heidi, née Weber, whom he had married in 1952.

Jung’s interest in church history began in the 1960s. As pastor of the oldest FeG (Wuppertal-Barmen, founded in 1854), he set up a church archive which was soon able to acquire key documents of FeG history, including Hermann Heinrich Grafe’s diaries and the founding minutes of the FeG federation of 1874. In 1983, Jung was one of the initiators of the FeG’s Historical Study Group, which launched the scholarly book series Geschichte und Theologie der Freien evangelischen Gemeinden (‘History and Theology of the FeG’) in 1988.

More intensive historical research had to wait until Jung’s retirement, however. Between 1968 and 1987 he had mainly written short articles for the FeG magazine Der Gärtner, but from 1995 to 2007 five eminent books appeared from his pen. Three of them deal with topics from FeG history and were published in the above-mentioned series,3 the other two are of considerable interest to Brethren historians as well.

Als die Väter noch Freunde waren (‘When the fathers were still friends’, 1999)4 is a ground-breaking study on the beginnings of free-church activities in the Bergisches Land, the region around Wuppertal, Remscheid, Solingen, Düsseldorf and Mülheim/Ruhr. The relevance of the book is more than regional, however: It was precisely this area that saw the emergence of no less than four different German free churches in the 1850s. In addition to the Brethren assemblies (Düsseldorf and environs, 1851) and the FeG (Elberfeld-Barmen, 1854), a Baptist congregation unaffiliated with the ‘official’ Baptists in Hamburg (Ehrener Mühle near Solingen, 1851) and even an early Sabbatarian congregation (Flachsberg near Solingen, 1856) were founded here. As far as the Brethren movement is concerned, Jung was able to correct several errors of his predecessors Ischebeck and Hermes; among other things, he postulated that it was not Heinrich Thorens (1817–1864) who acquainted Carl Brockhaus with Darby’s teachings, as had been assumed until then, but Julius Anton von Poseck (1816–1896). The most conclusive evidence for this hypothesis was only discovered after the book had been published,5 but this makes Jung’s historical instinct appear all the more remarkable.

The person of Julius Anton von Poseck fascinated Jung so much that he produced an entire monograph on him in 2002.6 Jung’s claim that German Brethren had deliberately suppressed the memory of Poseck because he had opposed Darby in the Ryde-Ramsgate controversy was perhaps somewhat exaggerated, and his joy of discovery sometimes led him to speculations, but his archival research brought to light much that was new, especially about the first half of Poseck’s life (his family background, his school and student days). Jung’s hypothesis that it took years for the ‘Düsseldorf’ assemblies founded by Poseck and the ‘Elberfeld’ assemblies founded by Brockhaus to establish full fellowship with each other seemed to rest on somewhat shaky foundations when the book appeared, but received unexpected support in 2019 with the publication of the correspondence between Darby and Wigram.7 An English-language summary of Jung’s Poseck research was presented at the first International Brethren History Conference in Gloucester in 2003 and printed in the 2006 volume The Growth of the Brethren Movement.8

A third important work by Jung on Brethren history is a paper he wrote in 2003 on the occasion of the 150th anniversary of the Brethren assembly at his birthplace of Manderbach.9 In this paper, he shed new light on the prehistory of the Brethren movement not only in Manderbach, but in the entire Dillenburg area. The first Brethren leaders in Dillenburg (Philipp Richter, Carl Richter and Philipp Thielmann) had been Baptists for a while, which might be the reason – according to Jung – why Brethren in this region are still popularly called ‘Baptists’, whereas ‘real’ Baptists have not been able to regain a foothold there down to the present day.

August Jung was sympathetic to the Brethren movement – at least to its ‘Open’ wing, which many of his relatives were and are part of. Like his predecessors Ischebeck and Hermes, he had more serious reservations about ‘Exclusivism’ or ‘Darbyism’. In an interview he gave in 2006, he complained about Darby’s ‘unfortunate doctrine of ruin and separation’:

It has wreaked more havoc than any other doctrine in modern church history: dogmatism, grief, sorrow, distress, hatred, anger, strife and factionalism. Talks cannot heal here. Healing can only come from the repentance of those who have inflicted wounds and still keep them open. But repentance cannot be demanded; it must be given by God.10

In 2008, Jung was awarded the first ‘Neviandt Prize’11 for his contribution to FeG historiography. In his laudatory speech, Professor Wolfgang E. Heinrichs from the University of Wuppertal praised him for ‘reading the sources very profoundly and discerningly, doing extremely precise research, refusing to simply copy what is already there, as so many do, but questioning it critically and checking the traditions against the sources’.12 Thanks to Jung’s research, said FeG press spokesman Arndt Schnepper, the history of the FeG had to be rewritten in some points13 – an assessment that can be applied to (German) Brethren history as well.

‘When you look back over all your research activity,’ Jung was asked in the interview quoted above, ‘what are the most important lessons that can be learned from it for today?’ Jung’s answer was carefully considered:

If it were really possible and each generation did not have to make its own mistakes: resolve doctrinal questions early enough, strip theologically disguised power games of their magic, examine doctrinal nuances for possible consequences, assign co-workers to strong personalities to integrate them in a brotherly way, don’t make secondary issues a reason for separation, don’t automatically take democratic decisions for directives of the Holy Spirit, and practise small steps towards each other.

Jung’s great wish was that his nostalgic book title ‘When the fathers were still friends’ would be practically transformed into the ‘even more important motto: That the grandchildren become friends again’.14


200. Geburtstag von Wilhelm Brockhaus

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Wilhelm Brockhaus (1819–1888)

Heute vor 200 Jahren wurde Peter Friedrich Wilhelm Brockhaus, einer der bekanntesten deutschen „Brüder“ der ersten Generation, in Himmelmert bei Plettenberg geboren. Anstelle eines vollständigen Lebensbildes verweise ich hier auf den Wikipedia-Artikel, den ich 2007 über ihn verfasst und heute noch einmal ergänzt habe.

Der Schriftsteller

Anders als bei seinem jüngeren Bruder Carl, mit dem gemeinsam er Ende 1852 den Evangelischen Brüderverein verließ, spielte sich ein großer Teil von Wilhelm Brockhaus’ Wirken auch danach noch außerhalb der Brüderbewegung ab. Er blieb nämlich bis zu seinem Lebensende Schriftleiter des Kinderboten, der Zeitschrift des Elberfelder Erziehungsvereins, und veröffentlichte außerdem in dessen Reihe Saat und Ernte mindestens 15 historische Romane „für die reifere Jugend und ihre Freunde“. Einer davon, Der Burgvogt oder: Feurige Kohlen. Eine Erzählung aus den Zeiten des deutschen Bauernkrieges (ca. 18701), ist als Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek auch online zugänglich.

Die Bände beginnen in der Regel mit einer ausführlichen historischen Einleitung, die beachtliche Kenntnisse verrät und oft durchaus hohe Ansprüche an die jugendlichen Leser stellt. Über Brockhaus’ Arbeitsweise schreibt der FeG-Historiker Gustav Ischebeck (1863–1937):

Dieser Bruder war, so berichtete man uns, auf seinen vielen Reisen meist in seinem schriftstellerischen Geiste so Aug’ und Ohr, daß er anderes ganz vergaß. Wo er auch las, sah, hörte, erzählte oder sich erzählen ließ, war er gebannt und sammelte er. Dabei soll er vielerorten von seinen Reisestücken dies und das so völlig vergessen haben, daß man erst im Familienkreise hernach das Fehlen merkte. Gott segnete seinen Sammelfleiß, der mit einer schönen schriftstellerischen Gabe vereint war. Er hat mit seinem Pfunde treu gedienet!2

Der Elberfelder Erziehungsverein warb mit folgenden Worten für seinen Autor:

Es dürfte für die Jugend kaum etwas Schöneres, Fesselnderes und Gediegeneres geben, wie [sic] diese positiv christlichen Erzählungen, die auch für Jugend-, Jünglings-Vereins- und Volksbibliotheken sehr begehrt sind.3

Aus heutiger Sicht wirkt Brockhaus’ Erzählstil oft etwas pathetisch, wenn nicht prätentiös; ein Romananfang wie etwa der von Der Vater Tim (1862) würde heute wohl nur noch wenige Leser zum Weiterlesen anregen (schon gar keine Jugendlichen):

Wenn man von La Rochelle in Frankreich, der Küste des Ozeans entlang, weiter nach Süden wandert, so genießt das Auge auf beiden Seiten den wunderlieblichsten Anblick. Unter betäubendem Getöse und mit stürmisch wildem Drängen wälzen sich die Schaumwellen der nahen Brandung gegen das felsige Gestade, als ob sie es zu zersprengen und sich einen Durchgang zu brechen gedächten; und während das Auge vergeblich in der ungewissen Ferne einen Rahmen grünender Hügel sucht, der die unruhig wogende Wassermasse zu einem bestimmten Ganzen umschließe, gewahrt man nur hie und da ein schwankendes Fahrzeug, das, einem riesigen Seevogel gleich, der Tiefe zu entsteigen und sich in den Fluten zu schaukeln scheint.4

Der Komponist

Stärker gegenwärtig ist Wilhelm Brockhaus noch als Komponist, denn mindestens 12, möglicherweise sogar 22 Melodien der Kleinen Sammlung Geistlicher Lieder stammen von ihm. Gesichert erscheint seine Urheberschaft an folgenden Kompositionen:5

  • 12 (O Herr, mein Hirt) = 68 (Weit vorgerückt)
  • 16 (Es kennt der Herr die Seinen) = 28 (O Jesu, treuer Hirte)
  • 25 (O Gott, an Deiner Gnade) = 51 (Herr, lenke unsre Herzen) = 63 (Du brachst des Todes Bande)
  • 43 (Nichts, o Jesu, finde ich hienieden)
  • 66 (Du bist, o Herr, gegangen) = 86 (O Vater, reich gesegnet)
  • 76 (Ich walle in der Fremde)
  • 78 (Auf dem Lamm ruht meine Seele) = 122 (Gott, Dich würdig zu verehren)
  • 96 (Still’, o Jesu, das Verlangen) = 123 (Nur bei Jesu möcht’ ich weilen)
  • 97 (Du, o Herr, bist unser Leben) = 113 (Lieblich ist’s, bei Dir zu wohnen)
  • 102 (Dank, Anbetung sei geweihet) = 118 (Süßer Trost! der Herr wird kommen)
  • 103 (Alles sei Dir übergeben) = 114 (Guter Hirte! welch Erbarmen)
  • 110 (Bilde unsre Herzen)

Bei nachstehenden Melodien, die ihm traditionell ebenfalls zugeschrieben werden, setzt die aktuelle Ausgabe der Kleinen Sammlung Geistlicher Lieder ein Fragezeichen hinter seinen Namen:

  • 6 (Du, Herr, hast unsre Schuld gesühnt)
  • 13 (Wo ist ein Vater, Gott, wie Du)
  • 19 (Jesu Du, Jesu Du!)
  • 44 (Ich sehne mich nach Dir)
  • 49 (Durch eine Wüst’ ich reise)
  • 53 (O lasset uns lobsingen ) = 77 (Herr Jesu Christ, mein Leben)
  • 82 (Jesu, Quelle unsrer Freuden)
  • 85 (Dein Erlösungswerk auf Erden)
  • 89 (Wer findet Worte, Dir zu danken) = 99 (Was sichtbar, zeitlich ist auf Erden) = 117 (Von Deiner Gnade will ich singen)
  • 108 (Freudig ziehen, voll Verlangen) = 116 (Nicht mehr lange – sel’ge Worte)

Zu fünf Liedern verfasste Wilhelm Brockhaus den Text:

Drei, wenn nicht vier Lieder können also – von möglichen herausgeberischen Eingriffen seines Bruders Carl abgesehen – vollständig als Schöpfungen Wilhelm Brockhaus’ gelten: die Nummern 113, 114, 118 und ggf. 99.


Neuerscheinungen zur Brüderbewegung 2017

Es mag von Nutzen sein, am Ende des Jahres einmal die in den letzten zwölf Monaten erschienenen Veröffentlichungen zur Brüderbewegung übersichtlich zusammenzustellen und kurz zu kommentieren bzw. einzuordnen.


BÜCHER


Jill Aebi-Mytton: A Narrative Exploration of the Lived Experience of Being Born, Raised in, and Leaving a Cultic Group: The Case of the Exclusive Brethren. DPsych Thesis, London (Middlesex University / Metanoia Institute) 2017. 2 Bände. 221 + ? Seiten.

Psychologische Dissertation mit sechs Fallstudien über ehemalige Raven-Taylor-Brüder. Der Hauptband ist online verfügbar, der Anhangsband nicht.


Sylvain Aharonian: Les frères larges en France métropolitaine. Socio-histoire d’un mouvement évangélique de 1850 à 2010. Préface de Jean-Paul Willaime. Paris (Les éditions du cerf) 2017. 641 Seiten.

Ausführliche Sozialgeschichte der französischen Offenen Brüder. Die zugrunde liegende Dissertation ist auch online verfügbar.


Horia Azimioara: Mit beiden Flügeln fliegen. Das Leben von Teodor Popescu. Hückeswagen (CSV) 2017. 172 Seiten.

Teodor Popescu (1887–1963) gründete gemeinsam mit Dumitru Cornilescu (1891–1975) Anfang der 1920er Jahre in Rumänien eine Gemeindebewegung, die etwa zehn Jahre später mit den internationalen Kelly-Lowe-Continental-Brüdern in Gemeinschaft kam. Die hier vorliegende erbauliche Biografie erschien zuerst 2003 in englischer Sprache beim Gute-Botschaft-Verlag, Eschenburg.


Ian Burness: From Glasgow to Garenganze. Frederick Stanley Arnot and Nineteenth-Century African Mission. Studies in Brethren History. Lockerbie, UK (OPAL Trust) 2017. xvii, 339 Seiten.

Eine umfassende und gründliche Biografie des bekannten Afrikamissionars (1858–1914), die zum Standardwerk werden dürfte.


A[rthur] A. Fishburn: Resilience Tried and Tested. o.O. o.V. [Amazon CreateSpace] 2017. 474 Seiten. — Ders.: BCNW. Brethren Separating to God. o.O. o.V. [Amazon CreateSpace] 2017. 140 Seiten.

Beim erstgenannten Buch soll es sich um einen im Milieu der (Raven-Taylor?-)„Brüder“ angesiedelten Roman nach wahren Begebenheiten handeln, beim zweiten Buch um Hintergrundinformationen dazu.


Joan Kearney: Shaped to Fit. How God shaped a young woman for an unexpected calling to Brazil and back. Exeter (Onward & Upwards) 2017. 276 Seiten.

Autobiografie einer Wycliff-Missionarin (geb. 1936), die bis 1961 den Raven-Taylor-Brüdern angehört hatte.


Harvey G. Rees-Thomas: 100 Years on the Street. A Story of God’s Grace through Tory Street Hall, Elizabeth Street Chapel and The Street City Church. Wellington, NZ (HIS Services Limited) 2017. 547 Seiten.

Monumentale, aufwändig gestaltete Festschrift einer Offenen Brüdergemeinde in Neuseeland.


Robert Revie: India to Ethiopia. A 50 Year Journey. Kilmarnock, UK (Ritchie) 2017. 144 Seiten.

Autobiografie eines schottischen Missionars der Offenen Brüder.


stevensonMark R. Stevenson: The Doctrines of Grace in an Unexpected Place. Calvinistic Soteriology in Nineteenth-Century Brethren Thought. Foreword by Tim Grass. Eugene, OR (Pickwick) 2017. xvi, 304 Seiten.

Diese sorgfältig erarbeitete (und bibliophil gesetzte) Dissertation belegt, wie nahe die frühen „Brüder“ dem Calvinismus standen – näher, als sie selbst wahrscheinlich zugegeben hätten (und als vielen heutigen Lesern lieb ist, ich selbst inbegriffen). Nach zwei Kapiteln über die historische Entwicklung der calvinistischen Soteriologie seit dem 17. Jahrhundert untersucht Stevenson die ersten drei der „Fünf Punkte des Calvinismus“ und setzt sie zu den Schriften der „Brüder“ in Beziehung (jeweils nach Autoren geordnet). Es folgen ein hochinteressantes Kapitel über rettenden Glauben, Buße und Heilsgewissheit sowie eine zusammenfassende Bewertung.

Kritisch hätte ich anzumerken, dass der Autor seinem Thema nicht ganz neutral gegenübersteht: Er ist selbst calvinistischer „Bruder“ und hat daher ein offensichtliches Interesse daran, die Soteriologie der „Brüder“ als Variante des Calvinismus darzustellen; Lehren, die die „Brüder“ ablehnten (z.B. die doppelte Prädestination), erklärt er kurzerhand für weniger zentral oder für „hypercalvinistisch“. Bemerkenswert fand ich den Hinweis, dass die in der „Brüdertheologie“ übliche Unterscheidung zwischen Sühnung (propitiation) und Stellvertretung (substitution), „vorgeschattet“ in den beiden Böcken am großen Versöhnungstag (3Mo 16), eine originäre Erkenntnis Darbys war, die sich vor ihm nirgendwo in der Literatur findet (S. 180, Anm. 86).

Eine vorläufige Zusammenfassung der Arbeit erschien bereits 2010 in der Brethren Historical Review.


stottRebecca Stott: In the Days of Rain. London (4th Estate) 2017. 394 Seiten.

Das Genre der „Raven-Taylor-Aussteigerliteratur“ hat seit der Jahrtausendwende einen wahren Boom erlebt: Nach Ngaire Thomas (2004, ²2005), Em Amosa (2007), David Tchappat (2009), Lindsey Rosa (2010), James Bell (2014), Peter Wycherley Harrison (2014), Joy Nason (2015) und John L. Fear (2016) ist Rebecca Stott nun schon mindestens die neunte Vertreterin dieser Gattung in weniger als 15 Jahren. Aus zwei Gründen ragt ihr Buch allerdings aus der Reihe heraus: Es ist nach Meinung der meisten Rezensenten ungewöhnlich gut geschrieben (Rebecca Stott ist Literaturwissenschaftlerin und Romanautorin; ihre beiden historischen Thriller Ghostwalk und The Coral Thief liegen auch in deutscher Sprache vor), und es bietet Innenansichten aus einer „führenden Familie“: Rebeccas Großvater Robert Stott (1902–1976) war einer der Wortführer in der Aberdeen-Trennung von 1970 und verfasste gemeinsam mit seinem Sohn Roger – Rebeccas Vater (1938–2007) – die bekannte Schrift If We Walk in the Light. Die bisher ungedruckten Lebenserinnerungen von Roger Stott (der sich leider bald nach der Trennung ganz vom christlichen Glauben abwandte) sind im vorliegenden Buch mit verarbeitet – anders wäre es auch kaum zu schreiben gewesen, denn die Autorin selbst war zur Zeit der Trennung erst sechs Jahre alt. Kritiker wie der Religionssoziologe und „Sektenversteher“ Massimo Introvigne werfen dem Buch dennoch etliche historische und theologische Fehler vor. Laut der englischen Wikipedia ist auch eine deutsche Übersetzung in Vorbereitung.


Wilfried Weist / Reinhard Assmann: Dass das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde. Die Schrifttumsarbeit im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR. Baptismus-Dokumentation 7. Wustermark/Norderstedt (Oncken-Archiv des BEFG / BoD) 2017. 298 Seiten.

Der sehr interessante und sorgfältig recherchierte Band enthält auch einige Hinweise auf die Brüdergemeinden.


AUFSÄTZE


Christopher Cone / James I. Fazio (Hrsg.): Forged from Reformation. How Dispensational Thought Advances the Reformed Legacy. El Cajon, CA (Southern California Seminary Press) 2017. xiv, 582 Seiten.

In diesem zum 500. Reformationsjubiläum erschienenen Sammelband amerikanischer Dispensationalisten sind zwei Aufsätze über Darby enthalten:

James I. Fazio: „John Nelson Darby: The Unknown and Well Known Nineteenth Century Irish Reformer (S. 81–108)
Cory M. Marsh: „Luther Meets Darby: The Reformation Legacy of Ecclesiastical Independence (S. 109–144)


elthg2aHeinzpeter Hempelmann / Uwe Swarat (Hrsg.): ELThG². Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. Neuausgabe. Band 1. Holzgerlingen (SCM R. Brockhaus) 2017. LVIII, 1954 Spalten.

1992–94 in drei Bänden erstmals veröffentlicht, erscheint dieses verdienstvolle Lexikon nun in einer weitgehend neu geschriebenen, stark erweiterten 2. Auflage. Band 1 umfasst die Buchstaben A bis E; die geplanten drei weiteren Bände werden dem Vernehmen nach erst in zweijährlichen Abständen folgen. Aus dem Themenbereich Brüderbewegung sind in Band 1 nachstehende Artikel enthalten:

Kl(aus) vom Orde: „Baedeker, Friedrich Wilhelm (1823–1906) (Sp. 598f.)
G(erd) Goldmann: „Blücher, Toni von (1836–1906) (Sp. 954f.)
W(olfgang) Heinrichs: „Brockhaus, Carl Friedrich Wilhelm (1822–1899) (Sp. 1046–1048)
ders.: „Brüderverein, Evangelischer (Elberfelder) (Sp. 1058–1062)
B(erthold) Schwarz: „Darby, John Nelson (1800–1882) (Sp. 1326–1329)
R(oland) Deines: „Deichmann, Heinz-Horst (1926–2014) (Sp. 1340–1342)
Chr(istoph) Raedel: „Dispensationalismus (Sp. 1490–1493)

Einen Artikel „Brüderbewegung“ gibt es seltsamerweise nicht; stattdessen wird – wie in der 1. Auflage – auf das Stichwort „Versammlung, Christliche“ (und damit auf den wohl nicht vor 2023 zu erwartenden Band 4!) verwiesen. Die gesamte Brüderbewegung unter dieser nur noch von Geschlossenen und konservativen Freien Brüdern verwendeten Bezeichnung abzuhandeln erscheint kaum angemessen.


Bruce A. Baker: „The Early Life and Influence of John Nelson Darby“. In: Journal of Ministry & Theology 21 (2017), Heft 2, S. 110–126.

Einführung in Darbys erste Lebensjahrzehnte und Charakterzüge. Hauptquellen sind Turner (1926/44) und Weremchuk (1992); die neuere BAHN-Literatur wird vollständig ignoriert. Baker hält sogar an dem bereits von Weremchuk widerlegten Irrtum fest, Darbys Mutter sei früh verstorben (auch online).


Howard Barnes: „Walter Wolston“. In: Precious Seed 72 (2017), Heft 3, S. 20f.

Lebensbild des bekannten Evangelisten und Autors, erschienen zum 100. Todestag am 11. März 2017 (auch online).


John Bennett: „John R. Caldwell“. In: Precious Seed 72 (2017), Heft 1, S. 24f.

Lebensbild des langjährigen Herausgebers der Zeitschrift The Witness, erschienen zum 100. Todestag am 14. Januar 2017 (auch online).


Peter van Beugen: „John Nelson Darby“. In: Focus op de Bijbel [9] (2017), Heft 35, S. 34–41.

Lebensbild Darbys in einer niederländischen Zeitschrift der „blockfreien“ Brüdergemeinden (auch online).


Arnd Bretschneider: „Kein Preis zu hoch!? Ein junger Mann stellt sich dem Anspruch von Jesus Christus“. In: Perspektive16 [recte 17] (2017), Heft 5, S. 21–23.

Über den Missionar und Märtyrer Jim Elliot (1927–1956), dessen Zugehörigkeit zu den Offenen Brüdern im Artikel allerdings nicht erwähnt wird.


Peter Ferry: „Assemblies in Thailand. From Islands to Hill Tribes“. In: Precious Seed 72 (2017), Heft 3, S. 28f.

Über die Offenen Brüdergemeinden in Thailand (auch online).


Ken Follett: „Wie ich meinen Glauben verlor“. In: Rheinische Post 228 (30. September / 1. Oktober 2017), Magazin, S. C1–C2.

Autobiografischer Essay des unter den „Needed-Truth-Brüdern“ aufgewachsenen Bestsellerautors, zuerst auf Englisch erschienen in Granta. The Magazine of New Writing 137 (2016), S. 53–61. (Die deutsche Übersetzung ist online verfügbar, vom englischen Original gibt es auf YouTube eine Lesung des Autors mit Interview.)


Erich Geldbach: „Geschichtsschau und Gemeindeideal bei John Nelson Darby und in der Brüderbewegung“. In: Freikirchenforschung 26 (2017), S. 167–175.

Vortrag auf der Herbsttagung 2016 des Vereins für Freikirchenforschung zum Thema „Reformatio oder Restitutio? Vorstellungen von Erneuerung der Kirche in der Geschichte der Freikirchen“. Die Ausführungen sind im Wesentlichen sachlich korrekt und mit Zitaten belegt, aber der bei Geldbach obligate Seitenhieb gegen die Romanreihe Left Behind (für die Darby nicht verantwortlich ist und die er niemals gebilligt hätte) darf selbstverständlich nicht fehlen.


Tim Grass: „Restorationists and New Movements“. In: The Oxford History of Protestant Dissenting Traditions. Volume III: The Nineteenth Century. Hrsg. von Timothy Larsen und Michael Ledger-Lomas. Oxford (Oxford University Press) 2017. S. 150–174.

Die Seiten 156–160 dieses Überblicksartikels sind der Brüderbewegung gewidmet. (Der eigentlich £ 95 teure Band kann merkwürdigerweise hier vollständig als PDF heruntergeladen werden.)


Óli Jacobsen: „Jógvan F. Kjølbro (1887–1967): Ein Geschäftsmann in der Brüdergemeinde der Färöer“. In: Tjaldur. Mitteilungsblatt des Deutsch-Färöischen Freundeskreises 57/58 (Juni 2017), S. 77–85.

Biografischer Artikel, zuerst auf Englisch erschienen in Brethren Historical Review 12 (2016), S. 34–48.


David C. Kirkpatrick: „‘Freedom from Fundamentalism’: Christian Brethrenism and the Rise of Latin American Protestant Evangelical Social Christianity“. In: The Journal of World Christianity 7 (2017), S. 211–233.

Laut diesem Artikel führte die Übergabe der Leitungsverantwortung von europäischen „Brüder“-Missionaren an Einheimische in Lateinamerika zu größerem sozialem Engagement und zu einer Abkehr vom Fundamentalismus.


Gerard Kramer: „William Kelly (1821–1906)“. In: Focus op de Bijbel [9] (2017), Heft 36, S. 18–23.

Lebensbild Kellys in einer niederländischen Zeitschrift der „blockfreien“ Brüdergemeinden (auch online).


Andreas Liese: „‚Wir konnten immer das Evangelium verkünden‘. Baptisten und Brüdergemeinden im ‚Dritten Reich‘“. In: Kirchliche Zeitgeschichte 30 (2017), S. 93–133.

Der Beitrag untersucht die Entwicklung von Baptisten- und Brüdergemeinden im NS-Staat bis hin zum Zusammenschluss im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden.


Armin Lindenfelser: „Elizabeth Paget (1783–1863). Die ‚Mutter der Brüderbewegung‘“. In: Zeit & Schrift 20 (2017), Heft 4, S. 31–35.

Lebensbild der „geistlichen Mutter“ von Anthony Norris Groves, Georg Müller und Robert Cleaver Chapman (auch online verfügbar).


Peter Lineham: „Learning from History: An Exclusive Brethren Story“. In: History Making a Difference: New Approaches from Aotearoa. Hrsg. von Katie Pickles, Lyndon Fraser, Marguerite Hill, Sarah Murray und Greg Ryan. Newcastle upon Tyne (Cambridge Scholars Publishing) 2017. S. 73–91.

Der erste Teil des Aufsatzes handelt vom Geschichtsverständnis der Brüderbewegung allgemein (einschließlich der Offenen Brüder), im zweiten Teil analysiert der Autor Material aus dem Geschichtsunterricht der Raven-Taylor-Hales-Privatschulen, das ihm von einem Aussteiger zugespielt wurde.


Berlin M[artin] Nottage: „Heroes of the Faith: Brothers Beloved“. In: Cornerstone 1 (2017), Heft 1, S. 12–14.

Über die drei von den Bahamas stammenden, aber hauptsächlich unter Schwarzen in den USA wirkenden Evangelisten Whitfield Nottage (1883–1986), Talbot Burton Nottage (1885–1972) und Berlin Martin Nottage (1889–1966) (auch online). Die Zeitschrift Cornerstone wurde dieses Jahr neu gegründet.


Sarah Ponzer: „‘Disease, Wild Beasts, and Wilder Men’: The Plymouth Brethren Medical Mission to Ikelenge, Northern Rhodesia“. In: Conspectus Borealis 2 (2017), Issue 1, Article 4. 25 Seiten.

Studentische Hausarbeit über ein sehr spezielles Missionsthema, erschienen in der Zeitschrift der Northern Michigan University in Marquette (auch online).


Bogdan Emanuel Răduţ: „Origini europene ale Bisericii Creştine după Evanghelie din România“. In: Arhivele Olteniei NS 31 (2017), S. 205–213.

Über britische, schweizerische und deutsche Einflüsse auf die Entstehung der Brüdergemeinden in Rumänien (auch online).


Richard E. Strout: „Ninety Years and Counting: The History of Assemblies in Quebec“. In: Cornerstone 1 (2017), Heft 2, S. 16f.

Zusammenfassung des vom selben Autor verfassten Buches Ebb and Flow. A History of Christian Brethren Churches in French Canada 1926–2010, Port Colborne, ON (Gospel Folio Press) 2016 (der Artikel ist auch online verfügbar).


Todne Thomas: „Rebuking the Ethnic Frame: Afro Caribbean and African American Evangelicals and Spiritual Kinship“. In: New Directions in Spiritual Kinship. Sacred Ties across the Abrahamic Religions. Hrsg. von Todne Thomas, Asiya Malik und Rose E. Wellman. Contemporary Anthropology of Religion. Cham, Schweiz (Palgrave Macmillan) 2017. S. 219–244.

Kulturanthropologische Studie über zwei afroamerikanische Gemeinden der Offenen Brüder in Atlanta (Georgia).


Für Hinweise auf weitere, von mir übersehene Neuerscheinungen bin ich dankbar!

200. Geburtstag von Heinrich Thorens

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Heinrich Thorens (1817–1864)

Heinrich Thorens war einer der Männer, die einen bedeutenden Beitrag zum Entstehen der Brüderversammlungen in Deutschland gegeben haben, ohne dabei jedoch persönlich besonders hervorzutreten.

So schrieb Paul Krumme 1990 in der Zeitschrift Die Wegweisung.1 Heinrich Thorens’ Geburtstag jährt sich heute zum 200. Mal;2 aus diesem Anlass soll Krummes kurzer Artikel, der meines Wissens die einzige in sich abgeschlossene Veröffentlichung über Thorens geblieben ist, hier vollständig wiedergegeben werden.

Er wurde 1817 als Sohn eines Gastwirts im Kanton Neuchâtel (französische Schweiz)3 geboren, lernte aber schon früh, auf der höheren Stadtschule in Biel, auch die deutsche Sprache.

Um das Jahr 1830 kamen während einer Erweckungsbewegung in der Westschweiz viele Menschen zum Glauben. Zu denen, die das Heil in dem Herrn Jesus fanden, gehörte auch Heinrich Thorens.

Durch John Nelson Darby, der Anfang der vierziger Jahre in der Schweiz weilte und wirkte, wurde Thorens mit der biblischen Lehre über Heilsgewißheit, Bedeutung der Versammlung/Gemeinde des Herrn, Nachfolge usw. bekannt. Als Folge davon trat er aus der Staatskirche aus.

Thorens wurde Musterzeichner. Um sich in diesem Beruf weiterzubilden, begab er sich um 1841/42 nach Lyon, dem Zentrum der französischen Seidenindustrie. Zu dieser Zeit hielt sich auch der etwa gleichaltrige Hermann Heinrich Grafe dort auf. Die beiden jungen Männer lernten sich kennen und schlossen Freundschaft. Thorens ging zu der kleinen Brüderversammmlung in Lyon, während sich Grafe der dortigen Freien Gemeinde anschloß.

Grafe hatte in Wuppertal-Barmen zusammen mit seinem Schwager eine Textilfirma, Grafe und Neviandt. Er stellte 1846 Heinrich Thorens als Musterzeichner ein. Mit ihm hatte er für seinen Betrieb einen fähigen und fleißigen Mitarbeiter bekommen, aber weit höhere Bedeutung sollte Thorens’ Übersiedlung nach Westdeutschland auf geistlichem Gebiet haben.

Da der junge Schweizer schon durch das Gedankengut der „Brüder“ geprägt war, besuchte er die gerade im Entstehen begriffenen Brüderversammlungen in Düsseldorf und Hilden. Bald hatte er enge Verbindung mit Julius Anton von Poseck und William H. Darby (einem Bruder John Nelson Darby’s) und lernte auch die „Lehrbrüder“ (zu denen auch Carl Brockhaus zählte) des „Evangelischen Brüdervereins“ kennen, der im Juli 1850 gegründet worden war. Bei regelmäßigen Zusammenkünften in den Wohnungen Grafe’s und C. Brockhaus’ konnte Thorens die ihm klargewordenen Grundsätze des Wortes Gottes weitergeben. Wie sehr er dadurch auch Carl Brockhaus beeinflußte, geht aus einem Schriftstück hervor, das dessen ältester Sohn Ernst verfaßte und in dem es heißt, daß „besonders Bruder Thorens“ dazu beitrug, daß das Verständnis seines Vaters über die Wahrheit, das Wesen der Versammlung Christi, ihre Einheit durch den Geist Gottes, ihre Verbindung mit dem Haupt droben und ihre himmlische Stellung wuchs.4

Aufgrund seiner Gesinnung und von Demut geprägten Haltung war Heinrich Thorens allgemein geschätzt. Er nutzte jede freie Zeit, um das Evangelium von dem Herrn Jesus zu verkündigen.

Er war es gewohnt, einen bedeutenden Teil seines Einkommens für mildtätige Zwecke und für die Arbeit im Werk des Herrn zur Verfügung zu stellen. Infolge dessen stand nach seinem frühen Tod im Jahre 18645 seine Familie fast mittellos da. Jedoch kamen sowohl die Firma Grafe und Neviandt als auch die Elberfelder Brüderversammlung für ihre Bedürfnisse auf.

In Heinrich Thorens sehen wir ein deutliches Beispiel dafür, wie wunderbar die Wege des Herrn verlaufen. Ein junger Mann wird in seiner Heimat – der Schweiz – mit biblischem Gedankengut vertraut, das Brüdern in England neu geschenkt worden war. In Frankreich lernt er einen Deutschen kennen, der ihn als Mitarbeiter in seine Firma nach Westdeutschland holt, und in diesem Raum kann er sein Schriftverständnis weitergeben und dadurch wesentliche Anstöße geben zu einer „Glaubensbewegung“, die sich bald über weite Teile Deutschlands erstrecken sollte. Gott plant im voraus jeden Schritt der Gläubigen und fügt alles so zusammen, daß es zum Bau und zur Auferbauung des wunderbaren Organismus des „Leibes des Christus“ beiträgt!

Einige weitere Einzelheiten aus Thorens’ Leben erfahren wir aus der Grafe-Biografie von Walther Hermes (die zweifellos auch Krummes Hauptquelle war):

Als einst ein Heimarbeiter eine fehlerhafte Webarbeit ablieferte und damit auffiel, schob dieser die Schuld auf den Musterzeichner, den er nicht zugegen glaubte. Thorens stand auf, sich zu rechtfertigen, unterdrückte aber plötzlich seine Rede und ging wortlos an sein Pult zurück. Als ihm in jenen unruhigen Zeiten auf der Ronsdorfer Landstraße einmal ein Wegelagerer Uhr und Geld abforderte, gab er dieses sogleich her, wies dann aber den Räuber ernst und liebevoll auf die Folgen seiner Tat hin, worauf ihm dieser, der wohl erst ein Anfänger in diesem bösen Handwerk war, beschämt beides zurückgab. Seine ganze freie Zeit widmete er dem Werk des Herrn, für den er in den Kreisen der Weber mit Wort und Schrift zu werben suchte, wobei er manche Arme und Kranke besuchte, deren es damals in den Auswirkungen der Cholerazeit viele gab.6

Am Rande sei noch erwähnt, dass die bekannte Schweizer Firma Thorens, die zuerst Musikdosen und andere Musikapparate, im 20. Jahrhundert aber vor allem hochwertige Plattenspieler herstellte, 1883 von Heinrich Thorens’ in Elberfeld geborenem Sohn Hermann (1856–1943) gegründet wurde.

150. Todestag von Wilhelm Alberts

„Alberts, Schwarz, Bröcker, Weber, Eberstadt, Effey“ – diese Namensliste ist in nahezu jeder ausführlicheren Darstellung der deutschen Brüdergeschichte zu finden.1 Es handelt sich um die sechs Brüder, die am 11. Dezember 1852 zusammen mit Carl Brockhaus aus dem Evangelischen Brüderverein austraten bzw. austreten mussten, weil sie sich die Ansichten John Nelson Darbys zu eigen gemacht hatten. Über die meisten von ihnen wissen wir kaum mehr als die Namen; nur Wilhelm Alberts ist uns dank der Nachforschungen des letzten Brüdervereinsvorsitzenden Hans Horn etwas besser bekannt.2

Bildquelle: http://www.wiehl.de/bilder/drinhausenbig.jpg
Wiehl um 1850

Wilhelm Alberts wurde am 5. April 1823 in Dörnen bei Wiehl (heute ein Stadtteil im Südwesten Wiehls) geboren und erlernte das Handwerk des Klempners oder Blechschlägers. Durch den Nümbrechter Pfarrer Ernst Hermann Thümmel (1815–1887) kam er zum Glauben und erhielt bald Gelegenheit, in „erweckten“ Versammlungen das Wort zu ergreifen. 1850 trat er in den neu gegründeten Evangelischen Brüderverein ein und wurde für ein Tagesgehalt von 20 Silbergroschen hauptamtlicher „Lehrbruder“. Max Goebel, ein landeskirchlicher Kritiker des Brüdervereins, berichtete 1854, dass Alberts

zuerst in den Gemeinden Lennep und Lüttringhausen, und später in verschiedenen Gemeinden der Aggersynode sehr stark besuchte aber auch heftig angefeindete Versammlungen hielt. Während seines anfänglichen Wirkens in der Synode Lennep machte er auf die dortigen Pfarrer theilweise den Eindruck eines bescheidenen, wohlmeinenden, gläubigen Mannes […]. Alberts verbreitete seit 1852 bedenkliche Lehren von der Unverlierbarkeit des Gnadenstandes, der absoluten Prädestination und seiner Sündlosigkeit, so daß nun selbst die frömmeren und entschiedeneren Pfarrer der Aggersynode sein Treiben je länger je mehr mißbilligten. So hat er Pfingsten 1852 zu Nallingen in der Gemeinde Marienberghausen das heilige Abendmahl unter Gesang, Schriftlesung und abwechselnden knieenden Gebeten mehrer Brüder mit 12–14 (später gar mit 40) Personen beiderlei Geschlechts durch gegenseitige Austheilung von ungesegnetem Weißbrod und Wein (aus einer Tasse) gefeiert, was er selber aber nur ein Liebesmahl oder eine testamentliche Handlung nannte. Diese Feier wurde monatlich gehalten. Alberts selber war schon 1852 Wiedertäufer geworden, indem er sich mit einigen Anverwandten – wahrscheinlich von Lindermann3 – wiedertaufen ließ; und sammelte in seiner Heimath aus Verwandten und Freunden eine Gemeinde von zwanzig Personen, die 1853 ihren Austritt aus der evangelischen Kirche förmlich notariell erklärten.4

Vorausgegangen war dieser Gemeindegründung die „darbystische Krise“5 im Brüderverein. Horn schreibt:

Aus den fragmentarischen Berichten hinsichtlich des Inhaltes seiner [Alberts’] Predigt kann man die Spuren einer immer stärkeren Hinwendung zu den speziellen Lehren der sogenannten Brüderbewegung erkennen, die durch den Engländer John Nelson Darby einen mächtigen Auftrieb in Europa erfuhr. […] Es ist keine Frage, daß im Brüderverein Alberts neben Carl Brockhaus der entschiedenste Verteidiger der Lehren der Brüderbewegung war.6

Da der Brüderverein keine „separatistischen Bestrebungen“ duldete, wurden Alberts und seine Freunde am 11. Dezember 1852 zum Austritt gedrängt. Für Alberts hatte das durchaus existenzielle Konsequenzen: Er musste sich wieder einen Brotberuf suchen und begann als „Ackerer“ in der Landwirtschaft zu arbeiten. Seine Predigttätigkeit setzte er jedoch fort – nun freilich unter noch größeren Anfeindungen. Im Siegerland beispielsweise wurde er 1853 einmal verhaftet, und die zum „Liebesmahl“ Versammelten wurden von der Polizei auseinandergetrieben.

Die von Alberts an seinem Wohnort Großfischbach gegründete Gemeinde, die auch Carl Brockhaus auf seinen Reisen wiederholt besuchte, wurde „Brüderverein der Gläubigen“ oder „Freie Brüdergemeinde“ (!) genannt. Horn kommentiert:

Ganz entsprechend dem ihnen eigenen Gemeindeverständnis vermeidet man jede Bezeichnung, die als eine neue Freikirche verstanden werden könnte. Wie ernsthaft das Bestreben war, sich auf den Bahnen der Urgemeinde zu bewegen, erkennt man an dem interessanten Vorschlag, der bei einer Versammlung in der Gemeinde Marienberghausen unterbreitet, aber dann doch nicht verwirklicht wurde, nämlich die Gütergemeinschaft unter den Gläubigen einzuführen. […] Die Versammlungen selbst verliefen nach Auskunft des Bürgermeisters Möller „still und friedlich“, ihren Teilnehmern stellte er in „moralischer und sittlicher Beziehung“ ein sehr gutes Zeugnis aus.7

Wilhelm Alberts wurde nur 42 Jahre alt. Der „rastlose Wanderprediger“8 starb heute vor 150 Jahren in Rumeln im Kreis Moers (heute ein Stadtteil von Duisburg). Seine Nachwirkung fasst Horn wie folgt zusammen:

Die zahlreichen Kleinkreise der Brüderbewegung, die unmittelbar oder mittelbar von ihm gegründet wurden, haben ihn überlebt, aber im Laufe der Jahrzehnte seinen Namen auf Grund ihrer gewollten Interessenlosigkeit an der Geschichte verblassen lassen oder sogar vergessen. Wie viele es gewesen sind, läßt sich nicht mehr feststellen. Aber wir dürfen aus den vorhandenen Quellen schließen, daß die ältesten Zellen der Brüderbewegung im Oberbergischen, im Siegerland, und auch in angrenzenden Gebieten zu einem großen Teil auf diesen Vorkämpfer reiner geistgewirkter Christengemeinden zurückgehen.9

Die 20-seitige Arbeit von Horn ist auf bruederbewegung.de digital zugänglich.