Eine einzigartige Fundgrube für historisch Interessierte ist das British Newspaper Archive, in dem zurzeit 261 britische Zeitungen aus dem 18. bis 20. Jahrhundert mit zusammen über 8,5 Millionen Seiten digital zugänglich sind (allerdings kostenpflichtig). Ich habe dort in den letzten Wochen viele interessante (teilweise auch kuriose) Funde zur Brüdergeschichte gemacht, von denen ich hier einige mitteilen möchte. Ich beginne mit dem Leben Julius Anton von Posecks, der bekanntlich ab 1857 in England wohnte.
1. Ehefrau
August Jung schreibt in seiner Poseck-Biografie,1 der plausibelste Grund für Posecks Übersiedlung nach England sei „eine überaus liebliche Erscheinung“ gewesen: „Christiane Wilson, die seine Frau werden sollte“.2 Ihr Alter bei der Heirat 1857 gibt er mit 50 an; dass sie zwei Jahre später noch ein Kind zur Welt bringen konnte, sei daher „fast ein biologisches Wunder“ gewesen.3 Woher Jung den Namen und die Altersangabe hat, verrät er nicht; laut der Heiratsanzeige im Reading Mercury vom 18. Juli 1857 lautete ihr Nachname Davies und nicht Wilson:
Der Name Christiana Davies wird auch durch den England and Wales Marriage Registration Index 1837–1920 bestätigt. Die Bezeichnung „Mrs.“ im Reading Mercury deutet allerdings darauf hin, dass sie schon einmal verheiratet (und jetzt wahrscheinlich verwitwet) war. Vielleicht war Wilson ihr Mädchenname?
Noch seltsamer ist Jungs Altersangabe von 50 Jahren. Nach den bei FamilySearch zugänglichen genealogischen Datenbanken war Posecks Frau ganze 14 Jahre jünger: Erst bei der Volkszählung 1871 wird ihr Alter mit 50 angegeben, bei der Volkszählung 1881 folglich mit 60 und bei ihrem Tod 1896 mit 75 (ich sage „folglich“, aber nicht immer stimmen die verschiedenen Datenbanken so exakt überein!). Ihr Geburtsjahr dürfte demnach 1821 gewesen sein; damit war sie vier bis fünf Jahre jünger als ihr Mann und bei der Geburt ihres Kindes 1859 nicht 52, sondern 38 Jahre alt.
Ihr Tod wird im Londoner Standard vom 24. April 1896 gemeldet (ebenfalls mit der Altersangabe 75):
2. Beruf
„Bis heute konnte nicht geklärt werden, welchen Beruf v. Poseck in London ausgeübt hat“, schreibt August Jung. „Noch kann man wählen zwischen Professor der Philosophie bzw. Philologie, Sprachlehrer oder Missionsprediger. Oder vermochte er etwa alles gleichzeitig zu sein? Bedenkt man, dass er in der Grenzstadt Saarbrücken zweisprachig aufgewachsen war, dass er als Gymnasiast Latein, Griechisch und Hebräisch gelernt, vielleicht sogar gelehrt hatte, dass er ein gutes Schulenglisch sprach und es in jahrelangem Umgang mit den ‚Brethren‘ entscheidend verbessert hatte, dann spricht alles für Sprachlehrer. Promoviert und habilitiert hat er sich zu keiner Zeit.“4
Dem Zeitungsbefund nach zu urteilen war Poseck tatsächlich „alles gleichzeitig“ (bis auf Philosophieprofessor). Das Wort „Sprachlehrer“ trifft seinen Brotberuf wohl am besten, aber er nannte sich auch „Professor“ – damals anscheinend keine geschützte Bezeichnung für einen Hochschullehrer, sondern verwendbar von jedem “who makes a profession of any art or science”, wenn nicht gar “a grandiose title by professional teachers and exponents of various popular arts and sciences, as dancing, juggling, phrenology, etc.”5
Zuerst scheint Poseck noch mit einer Privatschule (der „Brüder“?) in Verbindung gestanden zu haben, wie die folgende Anzeige aus dem Reading Mercury vom 11. April 1857 (also drei Monate vor seiner Heirat) nahelegt:
Über die Schule informiert das zeitgenössische Buch Our Schools and Colleges wie folgt:
Die obige Zeitungsanzeige deutet allerdings darauf hin, dass Poseck von Anfang an auch Privatunterricht erteilte, und darauf scheint er sich später beschränkt zu haben. Bereits im August 1857 nennt er in der Zeitung nur noch seine Privatadresse:
Die vollmundige Angabe “of the University of Berlin” mutet im Zusammenhang mit “professor of the GERMAN and FRENCH languages” etwas seltsam an; schließlich hatte Poseck in Berlin nicht etwa Deutsch und Französisch studiert, sondern vor allem Jura (1838–41).
1870 zog Poseck nach Southsea und bot auch dort per Zeitungsannonce seine Dienste an; sein Repertoire hatte er inzwischen auf Italienisch und klassische Sprachen ausgedehnt:
Vier Monate später genügte folgende Kurzanzeige:
1872 zog Poseck innerhalb Southseas nochmals um:
Sein Lehrangebot erweiterte sich stetig; 1876 bot er z.B. an, Schüler auf “Cambridge and Oxford Examinations” (vermutlich Zulassungsprüfungen der dortigen Universitäten) vorzubereiten, wenig später sogar auf “Naval and Military Examinations”:
1877 nannte er sich “German Master at the Royal Naval Academy, Anglesey College, etc.”, was wieder auf eine Verbindung mit schulischen Institutionen hinzudeuten scheint:
Eastman’s Royal Naval Academy war eine Privatschule in Southsea; ein Anglesey College konnte ich nicht ermitteln:
Die letzte Annonce Posecks, die ich gefunden habe, stammt aus dem Jahr 1878:
Ob er danach seine Privatlehrertätigkeit zugunsten einer Festanstellung aufgab, ob er keine Anzeigen mehr nötig hatte oder ob er – mit knapp 62 Jahren für damalige Verhältnisse sicherlich noch recht früh – in den Ruhestand ging, bleibt offen.
3. Vorträge
Auch Posecks Predigttätigkeit wird in den Zeitungen immer wieder erwähnt. Zum ersten Mal 1859 in der Bury and Norwich Post:
Posecks Themen waren recht vielfältig. 1862 predigte er z.B. in Leamington Spa über die Wiederkunft Christi:
1870 ging es in Ryde auf der Insel Wight um ein „höchst praktisches“ Thema:
Vergleichsweise ausführlich und sehr wohlwollend berichtete der Wrexham Advertiser über eine Vortragsreihe in Denbigh (Wales) im Juli 1871:
Gelegentlich wurde auch durch Anzeigen zu Vorträgen eingeladen, so z.B. 1860 im Birmingham Journal zu einer Evangelisation für deutsche Immigranten:
Auf Deutsch predigte Poseck 1862 auch in Leamington Spa:
Abschließend noch zwei Einladungen zu Vorträgen für Gläubige, vermutlich in den jeweiligen „Versammlungslokalen“:
4. Tod
Poseck starb nur zweieinhalb Monate nach seiner Frau. Auch seine Todesnachricht erschien im Londoner Standard; mir liegen davon zwei Schnipsel vor, leider beide schlecht lesbar:
Hier mein Versuch einer Textrekonstruktion:
VON POSECH.—July 6, at 2, Algernon-road, Lewisham, Julius Anton E. W. Von Posech, in his 80th year. Funeral on Thursday, 3.45, at Lewisham Cemetery.
Anmerkungen:
- August Jung: Julius Anton von Poseck. Ein Gründervater der Brüderbewegung. Wuppertal 2002.
- Ebd., S. 115.
- Ebd., S. 116.
- Ebd., S. 123.
- A New English Dictionary on Historical Principles, Bd. 7, Oxford 1909, S. 1429.