200. Geburtstag von Wilhelm Alberts

Zum heutigen 200. Geburtstag von Wilhelm Alberts wiederhole ich hier (minimal modifiziert) einen Beitrag, den ich 2015 zu seinem 150. Todestag geschrieben habe.


„Alberts, Schwarz, Bröcker, Weber, Eberstadt, Effey“ – diese Namensliste ist in nahezu jeder ausführlicheren Darstellung der deutschen Brüdergeschichte zu finden.1 Es handelt sich um die sechs Brüder, die am 11. Dezember 1852 zusammen mit Carl Brockhaus aus dem Evangelischen Brüderverein austraten bzw. austreten mussten, weil sie sich die Ansichten John Nelson Darbys zu eigen gemacht hatten. Über die meisten von ihnen wissen wir kaum mehr als die Namen; nur Wilhelm Alberts ist uns dank der Nachforschungen des letzten Brüdervereinsvorsitzenden Hans Horn etwas besser bekannt.2

Bildquelle: http://www.wiehl.de/bilder/drinhausenbig.jpg
Wiehl um 1850

Wilhelm Alberts wurde am 5. April 1823 in Dörnen bei Wiehl (heute ein Stadtteil im Südwesten Wiehls) geboren und erlernte das Handwerk des Klempners oder Blechschlägers. Durch den Nümbrechter Pfarrer Ernst Hermann Thümmel (1815–1887) kam er zum Glauben und erhielt bald Gelegenheit, in „erweckten“ Versammlungen das Wort zu ergreifen. 1850 trat er in den neu gegründeten Evangelischen Brüderverein ein und wurde für ein Tagesgehalt von 20 Silbergroschen hauptamtlicher „Lehrbruder“. Max Goebel, ein landeskirchlicher Kritiker des Brüdervereins, berichtete 1854, dass Alberts

zuerst in den Gemeinden Lennep und Lüttringhausen, und später in verschiedenen Gemeinden der Aggersynode sehr stark besuchte aber auch heftig angefeindete Versammlungen hielt. Während seines anfänglichen Wirkens in der Synode Lennep machte er auf die dortigen Pfarrer theilweise den Eindruck eines bescheidenen, wohlmeinenden, gläubigen Mannes […]. Alberts verbreitete seit 1852 bedenkliche Lehren von der Unverlierbarkeit des Gnadenstandes, der absoluten Prädestination und seiner Sündlosigkeit, so daß nun selbst die frömmeren und entschiedeneren Pfarrer der Aggersynode sein Treiben je länger je mehr mißbilligten. So hat er Pfingsten 1852 zu Nallingen in der Gemeinde Marienberghausen das heilige Abendmahl unter Gesang, Schriftlesung und abwechselnden knieenden Gebeten mehrer [sic] Brüder mit 12–14 (später gar mit 40) Personen beiderlei Geschlechts durch gegenseitige Austheilung von ungesegnetem Weißbrod und Wein (aus einer Tasse) gefeiert, was er selber aber nur ein Liebesmahl oder eine testamentliche Handlung nannte. Diese Feier wurde monatlich gehalten. Alberts selber war schon 1852 Wiedertäufer geworden, indem er sich mit einigen Anverwandten – wahrscheinlich von Lindermann3 – wiedertaufen ließ; und sammelte in seiner Heimath aus Verwandten und Freunden eine Gemeinde von zwanzig Personen, die 1853 ihren Austritt aus der evangelischen Kirche förmlich notariell erklärten.4

Vorausgegangen war dieser Gemeindegründung die „darbystische Krise“5 im Brüderverein. Horn schreibt:

Aus den fragmentarischen Berichten hinsichtlich des Inhaltes seiner [Alberts’] Predigt kann man die Spuren einer immer stärkeren Hinwendung zu den speziellen Lehren der sogenannten Brüderbewegung erkennen, die durch den Engländer John Nelson Darby einen mächtigen Auftrieb in Europa erfuhr. […] Es ist keine Frage, daß im Brüderverein Alberts neben Carl Brockhaus der entschiedenste Verteidiger der Lehren der Brüderbewegung war.6

Da der Brüderverein keine „separatistischen Bestrebungen“ duldete, wurden Alberts und seine Freunde am 11. Dezember 1852 zum Austritt gedrängt. Für Alberts hatte das durchaus existenzielle Konsequenzen: Er musste sich wieder einen Brotberuf suchen und begann als „Ackerer“ in der Landwirtschaft zu arbeiten. Seine Predigttätigkeit setzte er jedoch fort – nun freilich unter noch größeren Anfeindungen. Im Siegerland beispielsweise wurde er 1853 einmal verhaftet, und die zum „Liebesmahl“ Versammelten wurden von der Polizei auseinandergetrieben.

Die von Alberts an seinem Wohnort Großfischbach gegründete Gemeinde, die auch Carl Brockhaus auf seinen Reisen wiederholt besuchte, wurde „Brüderverein der Gläubigen“ oder „Freie Brüdergemeinde“ (!) genannt. Horn kommentiert:

Ganz entsprechend dem ihnen eigenen Gemeindeverständnis vermeidet man jede Bezeichnung, die als eine neue Freikirche verstanden werden könnte. Wie ernsthaft das Bestreben war, sich auf den Bahnen der Urgemeinde zu bewegen, erkennt man an dem interessanten Vorschlag, der bei einer Versammlung in der Gemeinde Marienberghausen unterbreitet, aber dann doch nicht verwirklicht wurde, nämlich die Gütergemeinschaft unter den Gläubigen einzuführen. […] Die Versammlungen selbst verliefen nach Auskunft des Bürgermeisters Möller „still und friedlich“, ihren Teilnehmern stellte er in „moralischer und sittlicher Beziehung“ ein sehr gutes Zeugnis aus.7

Wilhelm Alberts wurde nur 42 Jahre alt. Der „rastlose Wanderprediger“8 starb am 14. November 1865 in Rumeln im Kreis Moers (heute ein Stadtteil von Duisburg). Seine Nachwirkung fasst Horn wie folgt zusammen:

Die zahlreichen Kleinkreise der Brüderbewegung, die unmittelbar oder mittelbar von ihm gegründet wurden, haben ihn überlebt, aber im Laufe der Jahrzehnte seinen Namen auf Grund ihrer gewollten Interessenlosigkeit an der Geschichte verblassen lassen oder sogar vergessen. Wie viele es gewesen sind, läßt sich nicht mehr feststellen. Aber wir dürfen aus den vorhandenen Quellen schließen, daß die ältesten Zellen der Brüderbewegung im Oberbergischen, im Siegerland, und auch in angrenzenden Gebieten zu einem großen Teil auf diesen Vorkämpfer reiner geistgewirkter Christengemeinden zurückgehen.9

Die 20-seitige Arbeit von Horn ist auf bruederbewegung.de digital zugänglich.


Anmerkungen:

  1. Vgl. z.B. M[ax] Goebel: „Der Brüderverein und der Baptismus am Niederrhein“, in: Monatsschrift für die evangelische Kirche der Rheinprovinz und Westphalens [24] (1854), Juli–Dezember, S. 127. – G[ustav] Ischebeck: „Blätter aus vergangenen Tagen“, in: Der Gärtner 27 (1919), S. 43. – Ernst Eylenstein: „Carl Brockhaus. Ein Beitrag zur Geschichte der Entstehung des Darbysmus in Deutschland“, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 56, NF 9 (1927), S. 282. – W[alther] Hermes: Hermann Heinrich Grafe und seine Zeit. Ein Lebens- und Zeitbild aus den Anfängen der westdeutschen Gemeinschaftsbewegung, Witten (Bundes-Verlag) 1933, S. 171. – Gerhard Jordy: Die Brüderbewegung in Deutschland, Band 1: Das 19. Jahrhundert: Englische Ursprünge und Entwicklung in Deutschland, Wuppertal (R. Brockhaus) 1979, S. 84. – Ulrich Bister: Die Brüderbewegung in Deutschland von ihren Anfängen bis zum Verbot des Jahres 1937 – unter besonderer Berücksichtigung der Elberfelder Versammlungen, Diss. Marburg 1983, S. 44. – Rolf Edgar Gerlach: Carl Brockhaus – ein Leben für Gott und die Brüder, Wuppertal/Zürich (R. Brockhaus) 1994, S. 71, 73, 281.
  2. Hans Horn: „Wilhelm Alberts (1823–1865). Ein Vorkämpfer der sog. Brüderbewegung aus dem Oberbergischen“, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 26 (1977), S. 167–186.
  3. Johann Heinrich Lindermann (1806–1892), Kolporteur und Evangelist, bis 1851 Mitglied des Evangelischen Brüdervereins, danach unabhängig; zunächst baptistisch, später adventistisch bzw. sabbatistisch orientiert. Vgl. August Jung: Als die Väter noch Freunde waren. Aus der Geschichte der freikirchlichen Bewegung, Wuppertal/Kassel/Witten (R. Brockhaus / Oncken / Bundes-Verlag) 1999, passim.
  4. Goebel, S. 124f.
  5. Vgl. Jung, S. 108f.
  6. Horn, S. 174f.
  7. Horn, S. 176.
  8. Horn, S. 180.
  9. Horn, S. 180.