Archiv der Kategorie: Geschichte

200. Geburtstag von Lord Cavan

Frederick John William Lambart, 8th Earl of Cavan

Frederick John William Lambart, der 8. Earl of Cavan, gehört ähnlich wie George Frederic Trench oder Henry Heath zu den hierzulande weniger bekannten „Chief Men“ der britisch-irischen Offenen Brüder. Er wurde heute vor 200 Jahren in Fawley (Hampshire) an der Südküste Englands geboren.

Lambarts Eltern waren George Lambart, Viscount Kilcoursie, der älteste überlebende Sohn des 7. Earl of Cavan, und seine Frau Sarah geb. Coppin. Beide starben früh – die Mutter 1823 und der Vater 1828 –, sodass Frederick bereits mit 13 Jahren Vollwaise war. Von 1829 bis 1833 besuchte er die bekannte Eliteschule in Eton, anschließend trat er ins 7. Dragonerregiment ein, das damals in Irland stationiert war. In Dublin besorgte er sich 1835 zum ersten Mal in seinem Leben eine Bibel.

1837 starb Fredericks Großvater Richard Lambart, der 7. Earl of Cavan. Da sein Sohn George, der eigentliche Anwärter auf den Titel des 8. Earl,1 ebenfalls schon verstorben war, ging der Titel direkt auf den knapp 22-jährigen Enkel Frederick über. Acht Monate später heiratete dieser in London die 21-jährige Caroline Augusta Littleton, eine Tochter des Politikers Edward John Littleton, 1. Baron Hatherton.2 Die beiden bekamen mindestens acht Kinder, von denen allerdings drei früh starben.3

Von 1839 bis 1844 hielten sich die Cavans vorwiegend auf dem europäischen Kontinent auf; einen Winter verbrachten sie in Frankfurt, einen Sommer in Bad Ems, danach zwei Jahre in München. Hier begann Lord Cavan, angeregt u.a. durch einen Brief seines Schwagers Charles Evelyn Pierrepont, Viscount Newark, mit einem systematischen Studium der Bibel. Zurück in England, schloss er sich den „Brüdern“ an, denen er bis zu seinem Lebensende verbunden blieb (nach 1848 den Offenen Brüdern). 1846 war er an der Gründung der Evangelischen Allianz beteiligt.

Ab 1864 sah sich Lord Cavan zunehmend in den Predigt- und Evangelisationsdienst berufen. Sein Biograf in Chief Men among the Brethren beschreibt seinen Predigtstil wie folgt:

Quiet in manner, with little action, and no attempt to seem a striking preacher, with his Bible in one hand and his eyeglass in the other, confidence in the Lord gave power to what he spoke. “I am,” he would say, “only a plain man; but I speak what I know.” He might begin without giving the impression of much power; but after a little, with his heart yearning over those he addressed, his tender manner became full of energy, his tones earnest, and his words very solemn. The true end of preaching was reached; his hearers felt that, whether for life of death, Lord Cavan’ s testimony was a message from God.4

1866 lud Lord Cavan, der seit 1860 in Weston-super-Mare wohnte, den Evangelisten Lord Radstock (1833–1913) zum Predigen dorthin ein. Es entstand eine kleine Erweckung, bei der u.a. Friedrich Wilhelm Baedeker (1823–1906) zum Glauben kam. Besonders am Herzen lag dem Ehepaar Cavan auch der Nachbarort Milton (heute ein Stadtteil von Weston); hier kümmerten sie sich finanziell um die Armen, und Lord Cavan ließ einen Missionssaal errichten, in dem er selbst oft predigte. Karitativ engagierte er sich ferner auf der irischen Insel Achill, wo er ein Anwesen besaß.

Am 16. Dezember 1887, genau zwei Wochen vor seinem 72. Geburtstag, erlag Lord Cavan in seinem Haus in Weston-super-Mare einer Bronchitis. Über seine Beerdigung am 22. Dezember berichtete der Taunton Courier:

The mortal remains of the late Lord Cavan were interred in the Weston-super-Mare cemetery on Thursday, in the presence of a large concourse of spectators. At 11.30 a.m a short service was held in the Lodge – the residence of deceased – at the conclusion of which the cortège was formed in the following order: – First came the coffin – which was of polished oak with handsome bras [sic] fittings – on which were deposited several handsome floral tributes. Then followed, on foot, the subjoined mourners: Lord Kilcoursie, M.P. (eldest son), Col. the Hon. Oliver Lambert (brother of deceased), Capt. the Hon. A. Lambert (youngest son), Col. Slanden (son.in-law [sic]), the Hon. R. Lambert (Lord Kilcoursie’s eldest son), Col. the Hon. E. Littleton and the Hon. W. Littleton (nephews of the Countess Cavan), Mr Bowens, London (nephew of Lord Cavan), Capt. Broughton (Ampthill), and Mr Nisbet solicitor, London). Next in the procession came several ladies and the servants of the Lodge, all carrying choice wreaths, and these were followed by a large number of the clergy and gentlemen of the town and neighbourhood. In the cemetery chapel a short service was held, in which Mr T. Newbery and Mr A. Rainey took part. Subsequently, at the graveside, Dr Baedeker, Mr Newbury, and the Rev. Colin Campbell (vicar of Christ church), concluded the service, among the spectators of the mournful ceremony being the tenantry of the deceased from Glastonbury and Cannington, Rev. Preb, [sic] Stephenson (Lympsham), Rev. W. H. Turner (Banwell), Mr W. Hurman [Mayor of Bridgwa er [sic]), Mr F. J. Thomson (Bridgwater), Mr B. P. Thomas (Clifton), Capt. West (Clifton), Bev. [sic] J. Ormiston (Bristol), &c. The site of the interment is alongside the graves of three of deceased’s sons, all of whom died in their youth[.] As a mark of respect to the memory of deceased, the prinioal [sic] places of business throughout the town were partially closed during the hour of interment; the Uuion [sic] Jack was flcated [sic] at half-mast on the tower of the parish church, and a muffled peal was rung on the bells of the same parochial edifice.5

Das Lebensbild Lord Cavans aus Chief Men among the Brethren ist online zugänglich, enthält allerdings mehr fromme Redewendungen als konkrete Fakten; informativer ist der Artikel in der englischsprachigen Wikipedia.


100. Todestag von Georg von Viebahn

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Georg von Viebahn

Heute vor 100 Jahren starb der bekannte „General und Evangelist“ Georg von Viebahn. Aus diesem Anlass veröffentlicht bruederbewegung.de sechs historische Kurzbiografien und Porträts in zeichengetreuen Neueditionen:

  • Friedrich Wilhelm von Viebahn: Georg von Viebahn. Ein Streiter Jesu Christi (1918). Dieses Lebensbild wurde von Viebahns ältestem Sohn als Einleitung zu einer Auswahl aus der Traktatserie Zeugnisse eines alten Soldaten an seine Kameraden verfasst. Wichtige Quelle für alle späteren Biografien [18 Seiten, 154 KB].
  • Emil Dönges: General von Viebahn. Ein Gedenkblatt von Freundeshand (aus: Gedenk-Blätter aus ernster Zeit, um 1919). Der Autor, einer der führenden deutschen Geschlossenen Brüder der zweiten Generation, war mit Viebahn befreundet und sprach u.a. auf seiner Trauerfeier in Berlin. Besonders interessant sind einige persönliche Erinnerungen und Bezüge zur Brüderbewegung [11 Seiten, 123 KB].
  • Ernst Modersohn: Georg von Viebahn (aus: Menschen, durch die ich gesegnet wurde, 1937; wiederabgedruckt in Die Botschaft, 1951). In diesem Auszug aus seinen Lebenserinnerungen fasst der bekannte Pfarrer und Allianzmann Modersohn den „besonderen Auftrag“ Viebahns in vier Punkten zusammen [5 Seiten, 72 KB].
  • Ernst Lange: Zum hundertjährigen Geburtstag von Georg von Viebahn (aus: Die Botschaft, 1940). Der Verfasser dieses äußerst respektvollen Porträts war ein bekannter Offener Bruder und gehörte dem von Viebahn begründeten „Verband gläubiger Offiziere“ an [5 Seiten, 58 KB].
  • Anonym: Eine Erinnerung an General von Viebahn (aus: Die Botschaft, 1952). Zunächst wird eine Zeitungsnotiz zur Aufhebung des Viebahn’schen Familienfriedhofs in Engers kommentiert, anschließend folgen Erinnerungen eines Bruders Ö. aus Solingen, der Viebahn während seiner Soldatenzeit in den 1890er Jahren kennengelernt hatte [4 Seiten, 62 KB].
  • Kurt Karrenberg: Ein Streiter Gottes (aus: Die Botschaft, 1966). Dieser – leicht verspätet erschienene – Gedenkartikel zum 50. Todestag Viebahns, geschrieben vom damaligen Schriftleiter der Botschaft, fasst im Wesentlichen die Biografie Friedrich Wilhelm von Viebahns zusammen [7 Seiten, 80 KB].

Einige weitere Lebensbilder und Erinnerungen sind ebenfalls online zugänglich:

  • Arend Remmers: Georg von Viebahn (1840–1915) (aus: Gedenket eurer Führer. Lebensbilder einiger treuer Männer Gottes, Hückeswagen ²1990, S. 134–139)

Verweisen möchte ich schließlich noch auf die von Martin Arhelger bereitgestellte umfangreiche Sammlung von Zeitschriftenbänden und Broschüren Viebahns (darunter auch die bekannte Schrift Was ich bei den Christen gefunden habe, die sich nur im Namen Jesu versammeln [1902]; Neuedition auf bruederbewegung.de) sowie auf den bedeutsamen Briefwechsel zwischen Viebahn und Rudolf Brockhaus, dem führenden deutschen Geschlossenen Bruder im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts (Viebahn an Brockhaus, 14. Dezember 1905; Brockhaus an Viebahn, 15. Januar 1906).

Mehr über Henry Heath

Das meiste, was wir über Henry Heath wissen, verdanken wir Pickerings Chief Men among the Brethren;6 auch spätere Autoren (sofern sie Heath überhaupt erwähnen) schöpfen offenbar vorwiegend aus dieser Quelle.7 Dass in Chief Men ein falsches Todesjahr angegeben wird, habe ich in meinem Beitrag zum 200. Geburtstag Heaths bereits erwähnt; es hätte allerdings auch Pickering selbst schon auffallen können – immerhin waren die Letters of the Late Robert Cleaver Chapman, die Heaths Tod im Januar 1899 belegen, schon 1903 erschienen. Auf eine noch ältere und aufschlussreichere Quelle bin ich erst nach Verfassen meines Blogeintrags gestoßen; es handelt sich um einen Nachruf in der Zeitschrift North Africa vom Februar 1899.

north_africaNorth Africa war das Organ der Anfang der 1880er Jahre gegründeten überkonfessionellen „North Africa Mission“,8 als deren Sekretär der Offene Bruder Edward Henry Glenny (1852–1926) fungierte.9 In seiner regelmäßigen Rubrik “To the Friends of the North Africa Mission” meldete er im Februar 1899 den Tod dreier Freunde der Mission: Philip Gough,10 Henry Heath und William Thomas Berger.11 Der Abschnitt über Heath lautet wie folgt:

In the early hours of the first of January, as the New Year broke, Mr. Henry Heath, another life-long personal friend, reached home. In addition to sometimes helping financially, he was a regular reader of our paper, or it was read to him, and we may rest assured that the work was borne up before the Master whom he loved. He was a devoted, gifted, and eminent servant of Christ, but being very modest and retiring, was not so widely known as he otherwise might have been, though probably a considerable number of our readers may have known him. He was born in the year 1815, and converted early in life. At the age of nineteen he had a serious illness, and it was feared he might die of consumption, but the passage of Scripture, “I shall not die, but live and declare the works of the Lord,” was strongly impressed upon his mind. He was at first a schoolmaster, and then was associated with Mr. Robert Chapman, of Barnstaple, in Christian work. In 1841 he went to labour in Spain, and was in Malaga and Gibraltar for over a year at a time when work in Spain was very much more difficult than at present. He kept up his Spanish reading, though he did not return to that country again. In 1848 he was married, and entered upon Christian work at Hackney, and made this his centre of life and service till 1869. His tall, commanding figure, he must have stood 6 feet 2 or 3 inches, impressed itself vividly on my infant mind; he had an eagle eye, and his face was grave and serious, though it not infrequently relaxed into a pleasant smile. I owe much to his prayers, his holy example, and his calm faith, and now, after sixty or seventy years of service, he has reached home. He was buried at Woolpit, where he resided for the last thirty years, though during the last five years he had moved about rather more.

I was commissioned by members of Mr. Heath’s family to inform Mr. W. T. Berger, of Cannes, of his decease, as they had been closely associated in Christian work at Hackney; but on January 9th, before my letter could reach him, he, too, was called to the presence of the Master.12

Die Beschreibung von Heaths Charakter (“very modest and retiring”) und seinen wichtigsten Lebensstationen stimmt durchaus mit dem Bericht in Chief Men among the Brethren überein; eine ganze Reihe von Informationen sind jedoch völlig neu. Ich fasse sie stichwortartig zusammen:

  • frühe Bekehrung
  • lebensbedrohliche Krankheit im Alter von 19 Jahren
  • Missionseinsatz in Spanien 1841/4213
  • Heirat 184814
  • Zusammenarbeit mit William Thomas Berger in Hackney15
  • Unterstützung der „North Africa Mission“
  • Reisetätigkeit in den letzten fünf Lebensjahren

Alles dies war offenbar auch „C. J. H.“, dem Verfasser der Heath-Biografie in Chief Men among the Brethren, nicht bekannt – andernfalls hätte er sicher zumindest einiges davon erwähnt. Auch die spätere Brüdergeschichtsschreibung scheint Glennys Nachruf nicht verarbeitet zu haben, sodass er als veritable (wenn auch kleine) Entdeckung gelten kann.


200. Geburtstag von Henry Heath

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Henry Heath

Es gibt „Brüder“, die sozusagen im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen: Sie reisen, halten Vorträge, schreiben Artikel oder Bücher, beeinflussen Entscheidungen. Andere wirken eher im Stillen: lokal begrenzt, ohne großes Aufsehen, aber nicht weniger treu. Ein solcher Bruder war Henry Heath, der heute vor 200 Jahren in Teignmouth (Devon) geboren wurde.

Das Früheste, das wir aus Heaths Leben wissen, ist, dass er um 1839 in dem Dorf Tawstock , etwa 80 km nordwestlich seines Geburtsorts gelegen, als Lehrer eingestellt wurde. Bald machte er Bekanntschaft mit Robert Cleaver Chapman, der im benachbarten Barnstaple seit einigen Jahren eine Gemeinde nach Art der „Brüder“ leitete. Heath besuchte Chapmans Vorträge und lernte hier die Heilige Schrift als inspiriertes und lebendiges Wort Gottes kennen. Die Folge war, dass er seinen Plan, Geistlicher in der anglikanischen Kirche zu werden, aufgab. Er schloss sich der Gemeinde in Barnstaple an und entwickelte sich dort zu einem begabten Prediger und Leiter.16

Um 1848 zog Heath in das Dorf Hackney nordöstlich von London (heute ein Stadtteil Londons), um 1869 dann nach Woolpit, einem entlegenen Dorf in der Grafschaft Suffolk im Osten Englands. Sein Biograf berichtet:

Here this faithful servant of the Lord spent nearly thirty years of his life, putting into practice the text that came so forcibly to him many years previous: “Seekest thou great things for thyself? seek them not” (Jer. 45. 5). Hidden away from the multitude, unseen and unheard by the many, yet through the power of the Holy Spirit being a great blessing to those with whom he came in contact. People from fifteen different villages (some of them six miles away) would come regularly to Woolpit room to have the privilege of sitting under his ministry, and go away refreshed and strengthened.17

Henry Heath starb am 1. Januar 1899 im Alter von 83 Jahren.18 Sein ehemaliger Mentor, der inzwischen 96-jährige Robert Chapman, schrieb zwei Wochen später in einem Brief:

It is well with our dear departed Brother Heath – it is well – it is well. He is with the Lord whom he so loved and so faithfully served, and is looking onward to the gathering together of the redeemed.19

Heaths Name wurde unter den Offenen Brüdern noch lange in Ehren gehalten und häufig in einem Atemzug mit zwei anderen Henrys, Henry Groves und Henry Dyer, genannt.20 Sein Lebensbild aus Chief Men among the Brethren ist online verfügbar.


150. Todestag von Wilhelm Alberts

„Alberts, Schwarz, Bröcker, Weber, Eberstadt, Effey“ – diese Namensliste ist in nahezu jeder ausführlicheren Darstellung der deutschen Brüdergeschichte zu finden.21 Es handelt sich um die sechs Brüder, die am 11. Dezember 1852 zusammen mit Carl Brockhaus aus dem Evangelischen Brüderverein austraten bzw. austreten mussten, weil sie sich die Ansichten John Nelson Darbys zu eigen gemacht hatten. Über die meisten von ihnen wissen wir kaum mehr als die Namen; nur Wilhelm Alberts ist uns dank den Nachforschungen des letzten Brüdervereinsvorsitzenden Hans Horn etwas besser bekannt.22

Bildquelle: http://www.wiehl.de/bilder/drinhausenbig.jpg
Wiehl um 1850

Wilhelm Alberts wurde am 5. April 1823 in Dörnen bei Wiehl (heute ein Stadtteil im Südwesten Wiehls) geboren und erlernte das Handwerk des Klempners oder Blechschlägers. Durch den Nümbrechter Pfarrer Ernst Hermann Thümmel (1815–1887) kam er zum Glauben und erhielt bald Gelegenheit, in „erweckten“ Versammlungen das Wort zu ergreifen. 1850 trat er in den neu gegründeten Evangelischen Brüderverein ein und wurde für ein Tagesgehalt von 20 Silbergroschen hauptamtlicher „Lehrbruder“. Max Goebel, ein landeskirchlicher Kritiker des Brüdervereins, berichtete 1854, dass Alberts

zuerst in den Gemeinden Lennep und Lüttringhausen, und später in verschiedenen Gemeinden der Aggersynode sehr stark besuchte aber auch heftig angefeindete Versammlungen hielt. Während seines anfänglichen Wirkens in der Synode Lennep machte er auf die dortigen Pfarrer theilweise den Eindruck eines bescheidenen, wohlmeinenden, gläubigen Mannes […]. Alberts verbreitete seit 1852 bedenkliche Lehren von der Unverlierbarkeit des Gnadenstandes, der absoluten Prädestination und seiner Sündlosigkeit, so daß nun selbst die frömmeren und entschiedeneren Pfarrer der Aggersynode sein Treiben je länger je mehr mißbilligten. So hat er Pfingsten 1852 zu Nallingen in der Gemeinde Marienberghausen das heilige Abendmahl unter Gesang, Schriftlesung und abwechselnden knieenden Gebeten mehrer Brüder mit 12–14 (später gar mit 40) Personen beiderlei Geschlechts durch gegenseitige Austheilung von ungesegnetem Weißbrod und Wein (aus einer Tasse) gefeiert, was er selber aber nur ein Liebesmahl oder eine testamentliche Handlung nannte. Diese Feier wurde monatlich gehalten. Alberts selber war schon 1852 Wiedertäufer geworden, indem er sich mit einigen Anverwandten – wahrscheinlich von Lindermann23 – wiedertaufen ließ; und sammelte in seiner Heimath aus Verwandten und Freunden eine Gemeinde von zwanzig Personen, die 1853 ihren Austritt aus der evangelischen Kirche förmlich notariell erklärten.24

Vorausgegangen war dieser Gemeindegründung die „darbystische Krise“25 im Brüderverein. Horn schreibt:

Aus den fragmentarischen Berichten hinsichtlich des Inhaltes seiner [Alberts’] Predigt kann man die Spuren einer immer stärkeren Hinwendung zu den speziellen Lehren der sogenannten Brüderbewegung erkennen, die durch den Engländer John Nelson Darby einen mächtigen Auftrieb in Europa erfuhr. […] Es ist keine Frage, daß im Brüderverein Alberts neben Carl Brockhaus der entschiedenste Verteidiger der Lehren der Brüderbewegung war.26

Da der Brüderverein keine „separatistischen Bestrebungen“ duldete, wurden Alberts und seine Freunde am 11. Dezember 1852 zum Austritt gedrängt. Für Alberts hatte das durchaus existenzielle Konsequenzen: Er musste sich wieder einen Brotberuf suchen und begann als „Ackerer“ in der Landwirtschaft zu arbeiten. Seine Predigttätigkeit setzte er jedoch fort – nun freilich unter noch größeren Anfeindungen. Im Siegerland beispielsweise wurde er 1853 einmal verhaftet, und die zum „Liebesmahl“ Versammelten wurden von der Polizei auseinandergetrieben.

Die von Alberts an seinem Wohnort Großfischbach gegründete Gemeinde, die auch Carl Brockhaus auf seinen Reisen wiederholt besuchte, wurde „Brüderverein der Gläubigen“ oder „Freie Brüdergemeinde“ (!) genannt. Horn kommentiert:

Ganz entsprechend dem ihnen eigenen Gemeindeverständnis vermeidet man jede Bezeichnung, die als eine neue Freikirche verstanden werden könnte. Wie ernsthaft das Bestreben war, sich auf den Bahnen der Urgemeinde zu bewegen, erkennt man an dem interessanten Vorschlag, der bei einer Versammlung in der Gemeinde Marienberghausen unterbreitet, aber dann doch nicht verwirklicht wurde, nämlich die Gütergemeinschaft unter den Gläubigen einzuführen. […] Die Versammlungen selbst verliefen nach Auskunft des Bürgermeisters Möller „still und friedlich“, ihren Teilnehmern stellte er in „moralischer und sittlicher Beziehung“ ein sehr gutes Zeugnis aus.27

Wilhelm Alberts wurde nur 42 Jahre alt. Der „rastlose Wanderprediger“28 starb heute vor 150 Jahren in Rumeln im Kreis Moers (heute ein Stadtteil von Duisburg). Seine Nachwirkung fasst Horn wie folgt zusammen:

Die zahlreichen Kleinkreise der Brüderbewegung, die unmittelbar oder mittelbar von ihm gegründet wurden, haben ihn überlebt, aber im Laufe der Jahrzehnte seinen Namen auf Grund ihrer gewollten Interessenlosigkeit an der Geschichte verblassen lassen oder sogar vergessen. Wie viele es gewesen sind, läßt sich nicht mehr feststellen. Aber wir dürfen aus den vorhandenen Quellen schließen, daß die ältesten Zellen der Brüderbewegung im Oberbergischen, im Siegerland, und auch in angrenzenden Gebieten zu einem großen Teil auf diesen Vorkämpfer reiner geistgewirkter Christengemeinden zurückgehen.29

Die 20-seitige Arbeit von Horn ist auf bruederbewegung.de digital zugänglich.


100. Todestag von George Frederic Trench

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George Frederic Trench

Wie die meisten britischen und irischen Offenen Brüder der zweiten und dritten Generation ist George Frederic Trench im deutschen Sprachraum kaum bekannt. Er erhielt jedoch einen Platz in Henry Pickerings Chief Men among the Brethren29 – Grund genug, auch an dieser Stelle einmal an ihn zu erinnern.

Trenchs Vater Frederic FitzJohn Trench (1808–1859) war ursprünglich Kavallerieoffizier in Indien und später Pfarrer im irischen Staplestown. George Frederic,30 sein dritter Sohn, wurde am 6. August 1841 geboren. Zum Glauben kam er im Konfirmationsalter durch eine Ansprache des bekannten Erweckungspredigers Henry Grattan Guinness (1835–1910). Während seines Studiums am Trinity College in Dublin, das er mit einem B.A. abschloss, lernte er den gleichaltrigen Robert Anderson (1841–1918) kennen, der ebenfalls ein bekannter Offener Bruder werden sollte und mit dem er zeitlebens freundschaftlich verbunden blieb. Gemeinsam unternahmen sie in den 1860er Jahren erfolgreiche Evangelisationsreisen durch Irland.

1868 heiratete Trench Frances Charlotte Talbot-Crosbie, eine Tochter des Offenen Bruders William Talbot Talbot-Crosbie (1817–1899), und ließ sich an deren Heimatort Ardfert im Südwesten Irlands nieder. In den folgenden Jahrzehnten engagierte er sich stark als Evangelist, Prediger und Autor bei den Offenen Brüdern und darüber hinaus;31 das Christian Brethren Archive verzeichnet 15 Bücher und Schriften von ihm,32 hinzu kommen zahlreiche Beiträge zu den Zeitschriften The Witness, The Christian u.a. Pickering schreibt über seinen Dienst:

Having received clear light on the evil of Sec­tarianism in his younger days, he was clear in heart and ways to the end. No man was more loyal to the truths dear to those who seek to gather in the Worthy Name alone. An ardent worker, a diligent student, an able minister of the Word, ever a friend of the young, and interested in young men, also in policemen, soldiers, and other special branches of work, his influence was most widely extended by his pen.33

George Frederic Trench starb heute vor 100 Jahren und wurde auf dem protestantischen Friedhof von Dublin (Mount Jerome Ceme­tery) begraben. Sein von Pickering verfasstes Lebensbild ist online verfügbar.


150. Todestag von William Trotter

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William Trotter

William Trotter ist der Nachwelt vor allem als Verfasser der Schrift The Whole Case of Plymouth and Bethesda in Erinnerung geblieben, einer wichtigen, wenn auch etwas einseitigen zeitgenössischen Darstellung der Vorgänge, die 1848 zur Trennung zwischen Geschlossenen und Offenen Brüdern führten (die heute erhältliche Ausgabe trägt den Titel The Origin of (so-called) Open-Brethrenism; eine stark bearbeitete deutsche Übersetzung erschien – wahrscheinlich in den späten 1930er Jahren – beim Raven-Verlag Rückbrodt in Leipzig). Weniger bekannt ist, dass Trotter auch zwei umfangreiche Bände über Prophetie (die fast 500-seitigen Plain Papers on Prophetic and Other Subjects [PDF] und die knapp 200-seitigen Eight Lectures on Prophecy) sowie einige kleinere Schriften hinterließ.34

Geboren 1818 in Newcastle upon Tyne,35 kam Trotter mit 12 Jahren zum Glauben und begann bereits zwei Jahre später zu predigen. Mit 19 Jahren wurde er zum Prediger der Methodist New Connexion berufen. Zweifel an der Berechtigung des geistlichen Standes und eine Meinungsverschiedenheit mit der Kirchenleitung über die finanzielle Versorgung der Prediger und ihrer Witwen führten jedoch 1841 dazu, dass er sein Amt niederlegen musste;36 spätestens 1844 gehörte er der jungen Brüdergemeinde in Otley an. Er wurde ein treuer Freund und Gefolgsmann des 18 Jahre älteren John Nelson Darby, von dem er folgenden bekannt gewordenen Ausspruch überlieferte:

The secret of peace within and power without is to be occupied with good – ever and always to be occupied with good.37

William Trotter wurde nur 47 Jahre alt. Er starb heute vor 150 Jahren in Falsgrave bei Scarborough (North Yorkshire).38 Neatby schreibt über ihn:

William Trotter of York, an ex-Methodist minister, is more highly spoken of by every one that knew him than almost any other Plymouth Brother; and his untimely death, while he was yet under fifty, was felt to be a heavy loss of the kind that Christians can least afford.39

Online zugängliche Kurzbiografien Trotters stammen von Henry Pickering, John Bjorlie  und Gordon A. Rainbow.


Historische Adressbücher der deutschen Brüderbewegung

Das antikonfessionelle Selbstverständnis der Brüderbewegung brachte es mit sich, dass einige Jahrzehnte vergingen, bevor (mehr oder weniger offizielle) Versammlungsverzeichnisse erstellt wurden. In Großbritannien scheint dies zuerst 1873 bei den Geschlossenen Brüdern der Fall gewesen zu sein:40 Im Januar dieses Jahres erschien eine 26-seitige List of Meetings, deren Herausgeber sich hinter den (zweifellos pseudonymen) Initialen „Y. Z.“ versteckte, aber immerhin seine Adresse angab. Aktualisierte Auflagen folgten 1877 und 1882. John Nelson Darby betrachtete solche Verzeichnisse eher skeptisch, unternahm aber nichts dagegen:

As to the danger of slipping into sectarianism, that is, making ourselves a body apart, I recognise it fully […]. The printed list of meetings tended to it, for evil slips in unintentionally, and for this reason I never would have anything to say to it, though very convenient, and done with this view.41

Alle drei Ausgaben der List of Meetings verzeichneten in einem unpaginierten Anhang auch ausgewählte Versammlungen im Ausland:

The following is not intended in any way as a complete list. A few only are given, to whom reference can be made.

Aus Deutschland wurden jeweils zehn vorwiegend großstädtische Versammlungen genannt, aber nicht jedes Mal dieselben: Elberfeld, Düsseldorf, Mühlheim (bei Köln), Wiesbaden, Breslau, Stuttgart und Tübingen erschienen in allen Verzeichnissen; 1873 wurden sie um Homberg am Rhein, Offenbach und Mannheim ergänzt, 1877 und 1882 dagegen um Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main.

Ein noch detaillierteres Adressbuch, das offenbar auch für das Ausland Vollständigkeit anstrebt, wurde 1880 anonym unter dem schlichten Titel References veröffentlicht. Es liegt in zwei (allenfalls minimal voneinander abweichenden) Versionen vor, die auf Februar 188042 bzw. März 1880 datiert sind. Nach 61 Seiten Versammlungsadressen, -zeiten und Kontaktpersonen aus Großbritannien und Irland beginnt die Seitenzählung wieder von vorn, und es folgen 28 Seiten „Foreign References“. Deutschland ist mit 209 Versammlungen vertreten (nach Provinzen geordnet), von denen sich allerdings mindestens 46 heute außerhalb der deutschen Grenzen befinden43 (wie bereits Breslau in den zuvor erwähnten Verzeichnissen).

Eine vergleichbar umfassende Liste der deutschen Versammlungen aus dem 19. Jahrhundert ist sonst nicht bekannt; in Deutschland selbst erschien erst um 1905 ein erstes eigenes Verzeichnis. Nach der mir vorliegenden digitalen Version zu urteilen, enthält es nicht nur keinen Herausgebernamen und kein Erscheinungsjahr, sondern noch nicht einmal einen Titel; die Datierung „um 1905“ ergibt sich aus einer handschriftlichen Notiz auf einem anderen Exemplar.44 Auf 49 Seiten werden (wiederum nach Provinzen geordnet) immerhin 453 Geschlossene Versammlungen im damaligen deutschen Reichsgebiet genannt, also mehr als doppelt so viele wie 1880; etwa 102 der Orte gehören heute nicht mehr zu Deutschland. Sieben weitere Seiten des Büchleins sind Österreich-Ungarn (3 Versammlungen) und der Schweiz (34 Versammlungen) gewidmet.

Möglicherweise handelte es sich bei diesem titellosen Verzeichnis bereits um die erste Auflage des Kleinen Wegweisers; unter diesem Titel erschien jedenfalls spätestens seit der Zeit des Ersten Weltkriegs alle drei bis fünf Jahre ein quasi offizielles Adressbuch der deutschen Geschlossenen Brüder, in dem nicht nur Versammlungsorte und Kontaktpersonen, sondern auch die Zeiten der Zusammenkünfte mitgeteilt wurden. Herausgeber war Fritz Feldhoff (1874–1950) aus Duisburg, von Beruf Prokurist, ab 1925 vollzeitlicher „Reisebruder“.45 Die älteste mir zugängliche Ausgabe stammt vom Juli 1920; ihr Vorwort beginnt folgendermaßen:

Zum drittenmal erscheint der „Der kleine Wegweiser“, allerdings diesmal verändert. Im Kriege hat er hauptsächlich den Soldatenbrüdern gedient; nun möchte er allen Geschwistern, besonders denen, die oft auf Reisen sind, beim Aufsuchen der Versammlungen eine Hilfe sein. Unser Heft will es ermöglichen, die Reisen von vornherein so einzurichten, daß keine Versammlung versäumt zu werden braucht.

Mindestens die zweite, möglicherweise auch die erste Auflage des Kleinen Wegweisers muss also während des Ersten Weltkriegs erschienen sein. Die Ausgabe von 1920 listet in alphabetischer Reihenfolge insgesamt 447 Versammlungen (von denen mindestens drei auch nach damaligem Verständnis bereits im Ausland lagen46). Interessanterweise fand an etwa einem Viertel dieser Orte kein Brotbrechen statt, sondern nur „Erbauungs-“ und/oder Gebetsstunden, sodass eigentlich nur von 330 bis 345 „vollwertigen“ Versammlungen gesprochen werden kann.47

Vier weitere Ausgaben des Kleinen Wegweisers sind digital verfügbar (in wechselnder Scanqualität):

Die Ausgabe von 1936 dürfte die letzte vor dem Verbot der Geschlossenen Versammlungen im April 1937 gewesen sein. Sie verzeichnet in nun schon bewährter alphabetischer Manier 729 Versammlungen im damaligen Deutschen Reich48 – ein erstaunlicher Anstieg seit 1920. An mindestens 522, höchstens 547 Orten49 wurde das Brot gebrochen. Der Anhang bietet eine repräsentative Auswahl ausländischer Versammlungen; die Angaben für Österreich (3 Versammlungen) und die Schweiz (39 Versammlungen) könnten vollständig sein.

Auch die Offenen Brüder empfanden – vielleicht wegen ihrer starken Betonung der Unabhängigkeit der Ortsgemeinde – offenbar erst spät das Bedürfnis nach einem Adressbuch. 1897 brachte Joseph W. Jordan eine erste List of Some Meetings in the British Isles and Regions Beyond heraus,50 1904 folgte eine zweite Auflage. In deren internationalem Teil sind auch 20 deutsche Gemeinden verzeichnet, und zwar in Berlin,51 Rehe (Westerwald), Bad Homburg, Beeck (bei Duisburg, zwei Adressen), Beuel (bei Bonn), Duisburg, Elberfeld, Bad Godesberg, Holten (bei Oberhausen), Kupferdreh (bei Essen), Neviges (bei Velbert), Solingen, Velbert, Vohwinkel, Wermelskirchen, Dresden, Leipzig, Klafeld (bei Siegen), Grüne (bei Iserlohn) und Stuttgart.

Das älteste in Deutschland selbst erschienene Adressbuch der Offenen Brüder trägt den schlichten Titel Anschriftenverzeichnis und wurde bei Zeuner & Co. in Bad Homburg gedruckt. Angaben über Herausgeber und Erscheinungsjahr fehlen; das im Christian Brethren Archive in Manchester aufbewahrte Exemplar ist jedoch mit dem handschriftlichen Vermerk „Septb. 1923“ versehen. Enthalten sind insgesamt 206 Adressen, bei denen es sich allerdings zum großen Teil um Einzelpersonen und nicht um Gemeinden zu handeln scheint; nur bei 66 Adressen werden Veranstaltungszeiten genannt, bei 56 davon auch Zusammenkünfte am Sonntag (also ggf. Brotbrechen52). Ergänzend werden 24 Adressen in Holland (davon 17 mit Veranstaltungszeiten) und 9 Adressen in der Schweiz (alle ohne Veranstaltungszeiten) mitgeteilt.

Eine zweite Auflage dieses Verzeichnisses liegt mir nicht vor, jedoch eine dritte (Juni 1927)53 und eine vierte (September 1932). Als Herausgeber firmiert in der dritten Auflage Christian Schatz, in der vierten Fritz Koch, Christian Schatz und Johannes Warns. Die dritte Auflage enthält 288 Adressen, davon 147 mit Veranstaltungszeiten, davon wiederum 123 am Sonntag; in der vierten, leider sehr unübersichtlich gestalteten sind bereits 211 Adressen mit dem Vermerk „VR“ (= Versammlungsraum) und/oder mit Veranstaltungszeiten versehen, davon 150 am Sonntag, davon wiederum 101 eindeutig als „B“ (= Brotbrechen) gekennzeichnet. Auch diese beiden Verzeichnisse werden durch Adressen im Ausland ergänzt.

Nachdem sich die Offenen Brüder 1934 lose als „Kirchenfreie christliche Gemeinden“ (KcG) organisiert hatten, traten sie 1937 in den von den Geschlossenen Brüdern gegründeten „Bund freikirchlicher Christen“ (BfC) ein und gaben – vermutlich noch im selben Jahr54 – ein Verzeichnis der ehemals „Kirchenfreien christlichen Gemeinden“ in Deutschland nunmehr Gemeinden des „Bundes freikirchlicher Christen“ heraus. Es listet in beispielloser Übersichtlichkeit 135 durchnummerierte Gemeinden mit ihren „Ortsbeauftragten“ auf, allerdings ohne Veranstaltungszeiten.

Ein Gesamtverzeichnis des BfC erschien zwischen Mai und August 1939.55 Es besteht aus einem alphabetischen und einem nach Bezirken geordneten Teil und enthält insgesamt 590 Gemeinden, davon 535 mit Brotbrechen (etwa 71 der Orte liegen heute außerhalb Deutschlands). Welche der 522 bis 729 Geschlossenen Versammlungen aus dem letzten Kleinen Wegweiser von 1936 im BfC-Verzeichnis fehlen, also offenbar dem Bund nicht beitraten, wäre eine eigene Untersuchung wert.

Aus der Nachkriegszeit teile ich hier nur noch ein Verzeichnis der Geschlossenen Versammlungen von Ende 1956 mit.56 Es verzichtet wiederum völlig auf Herausgebernamen, Titel und Erscheinungsjahr und nennt alphabetisch die Adressen, Zeiten und Kontaktpersonen von 222 Versammlungen in der damaligen Bundesrepublik, davon 213 mit Brotbrechen.


Frühe Bezeichnungen für die britische Brüderbewegung

Da die Brüderbewegung keine neue Glaubensgemeinschaft sein wollte und sich daher auch keinen offiziellen Namen beilegte, dauerte es eine Weile, bis sie in der Öffentlichkeit als Gruppe wahrgenommen wurde. Der früheste Hinweis auf die Gemeinde in Plymouth, den ich im British Newspaper Archive finden konnte, stammt aus dem Jahr 1833 und identifiziert sie nur durch den Namen der Kapelle, in der sie sich versammelte (Providence Chapel):

1833-08-24 The Western Times 3 (Plymouth)
The Western Times, 24. August 1833, S. 3

Bereits 1836 war im irischen Westport die Bezeichnung Darbyites in Gebrauch. In einer Notiz über den Kirchenaustritt von John Marsden Code heißt es:

1836-03-03 The Standard 2 (Code, Darbyites)
The Standard, 3. März 1836, S. 2
1836-03-05 The Worcester Herald 2 (Code, Darbyites)
The Worcester Herald, 5. März 1836, S. 2

Im selben Jahr ist Darbyites auch im Google-Books-Corpus zum ersten Mal belegt:

google_books_darbyites_1836
“Irish Chronicle. April, 1836.” In: The Baptist Magazine 28 (1836), S. 165–168, hier 166

Der Name Plymouth Brethren lässt sich – sowohl im British Newspaper Archive als auch in Google Books – erst zwei Jahre später nachweisen. 1838 druckte die Hereford Times einen kurzen Artikel der Sunday Times über den Gottesdienstbesuch in Hereford nach und listete dabei als kleinste „Dissenter“-Gemeinde auch die „Plymouth Brethren“:

1838-03-31 The Hereford Times 4 (PB)
The Hereford Times, 31. März 1838, S. 4

Einige Monate später erwähnte die Zeitschrift The Evangelical Register die „Plymouth Brethren“ im Zusammenhang mit dem Kirchenaustritt von William Henry Dorman (Erstbeleg des Namens in Google Books):

google_books_plymouthbrethren_1838
“Miscellaneous.” In: The Evangelical Register 10 (1838), November-Heft, S. 500

Die Formulierung “known as” deutet darauf hin, dass der Name bereits eine Weile in Umlauf war; dennoch ist auffallend, dass die völlig verschiedenen Corpora von British Newspaper Archive und Google Books sowohl bei Darbyites als auch bei Plymouth Brethren jeweils auf exakt dasselbe Jahr verweisen.

An manchen Orten mussten diese Namen zunächst noch mit lokalen Sonderbezeichnungen wie Newtonites (Plymouth), Hallites (Plymouth, später Hereford), Müllerites (Bristol) oder Chapmanites (Barnstaple) konkurrieren. Aufschlussreich ist z.B. folgende Notiz aus dem Monthly Magazine vom Oktober 1839 (Google Books):

google_books_pb_etc_1839
“Quakerism and Quakers.” In: The Monthly Magazine 2 (1839), Heft 10, S. 417–431, hier 431

In Plymouth selbst dürfte es am längsten gedauert haben, bis der – hier wenig aussagekräftige – Name Plymouth Brethren sich als Gruppenbezeichnung etablierte. Noch 1840 kam ein Artikel über den Neubau des Saals in der Ebrington Street völlig ohne diesen Namen aus:

1840-02-21 The Cornwall Royal Gazette 4 (Plymouth)
The Cornwall Royal Gazette, 21. Februar 1840, S. 4

Die Bezeichnung Providence people spiegelt offenkundig noch den ursprünglichen Versammlungsort, die 1831 von Wigram erworbene Providence Chapel, wider; bemerkenswerterweise wurden Zusammensetzungen mit Providence zu dieser Zeit aber auch in anderen Städten verwendet – und hätten so vielleicht durchaus eine Alternative zu Plymouth Brethren werden können. In Exeter, etwa 70 km nordöstlich von Plymouth gelegen, hieß es z.B. im April 1840:

1840-04-02 Trewman's Exeter Flying-Post 2 (Exeter)
Trewman’s Exeter Flying-Post, 2. April 1840, S. 2

Im benachbarten Crediton wurde der Name im selben Jahr zu provident society verballhornt (was wörtlich etwa „Fürsorgegesellschaft“ oder „Unterstützungsverein“ bedeuten würde57):

1840-02-22 The Western Times 3 (Crediton)
The Western Times, 22. Februar 1840, S. 3

Im Laufe der 1840er Jahre scheint sich schließlich Plymouth Brethren als Bezeichnung flächendeckend durchgesetzt zu haben. Darbyites begegnet noch einige Male vor allem in irischen Quellen, nimmt dann aber auch ab – möglicherweise weil das Wort in den 1850er und 1860er Jahren eine neue politische Bedeutung bekam: Die Anhänger des britischen Premierministers Lord Derby, eigentlich Derbyites genannt, wurden in der Presse oft ebenfalls (fälschlicherweise?) Darbyites geschrieben (die Aussprache ist dieselbe). Hier ein Beispiel:

1852-07-06 Dublin Evening Post 2 (Darbyite)
Dublin Evening Post, 6. Juli 1852, S. 2

Daniel J. Danielsen – Missionar und Menschenrechtler

Von 1885 bis 1908 war das Gebiet der heutigen Demokratischen Republik Kongo Privatbesitz des belgischen Königs Leopold II. (1835–1909). Während dieser Zeit wurden die Kautschukvorkommen des Landes von europäischen Unternehmen mittels Sklaverei und Zwangsarbeit systematisch ausgeplündert, wobei es

massenhaft zu Geiselnahmen, Tötungen, Verstümmelungen und Vergewaltigungen [kam]. Es wird geschätzt, dass acht bis zehn Millionen Kongolesen den Tod fanden, etwa die Hälfte der damaligen Bevölkerung. […] Die Kongogräuel „gehören unzweifelhaft zu den größten Verbrechen der modernen Kolonialgeschichte“. Nach heutigen Begriffen können die Verbrechen der Kolonialherren im Kongo als Genozid oder sogar Holocaust bezeichnet werden.58

jacobsenEiner der Ersten, die dieses Unrecht öffentlich anprangerten, war der färöische „Bruder“ Daniel Jacob Danielsen (1871–1916). Von 1901 bis 1903 als Missionar und Ingenieur im Kongo tätig, erfuhr er aus erster Hand von den Gräueltaten und fertigte von etlichen Verstümmelungsopfern Beweisfotos an, die er Ende 1903 in Schottland und Anfang 1904 auf den Färöer-Inseln in mehreren Vortragsveranstaltungen öffentlich zeigte. Damit leistete er einen wesentlichen Beitrag zur Aufdeckung der Verbrechen.

Der färöische Historiker Óli Jacobsen, der bereits 2012 in der Brethren Historical Review eine Kurzbiografie Danielsens veröffentlichte, hat diese in der Folgezeit zu einer 200-seitigen Monografie ausgearbeitet, die 2014 unter dem Titel Daniel J. Danielsen and the Congo: Missionary Campaigns and Atrocity Photographs als erster Band der neuen BAHN-Reihe „Studies in Brethren History – Subsidia“ erschienen ist. Das Buch kann zum Preis von £ 20 beim Brethren Archivists and Historians Network bestellt oder kostenlos als PDF-Datei von der Website des Autors heruntergeladen werden.