Schlagwort-Archiv: Entrückung

Neuerscheinungen zur Brüderbewegung 2022

Auch am Ende dieses Jahres möchte ich wieder die in den letzten zwölf Monaten erschienenen Veröffentlichungen zur Brüderbewegung übersichtlich zusammenstellen und kurz kommentieren bzw. einordnen.

In vier frühere Bibliografien habe ich inzwischen noch Nachträge aufgenommen:

  • 2021: Bücher von Fay, Martin, Skemmuni und Tonkin
  • 2020: Aufsatz von Fazio
  • 2018: Aufsätze von Răduţ, Shaw und Walter
  • 2017: Aufsätze von Baker und Răduţ

BÜCHER


Sinésio Barreto: McNair: uma vida. Petrópolis (Selbstverlag) 2022. 158 Seiten. ISBN 978-65-00-42949-7.

Biografie des englischen Brasilien-Missionars Stuart Edmund McNair (1867–1959). Zunächst „geschlossen“, wandte er sich später „offenen“ Kreisen zu (ähnlich wie Harold St John, mit dem er zusammenarbeitete). In portugiesischer Sprache.


John A. H. Dempster: Choosing Joy. A memoir of spiritual trauma survived. Market Harborough (Matador) 2022. xvi, 406 Seiten. ISBN 978-1-80313-224-2.

Autobiografie eines 1952 geborenen Schotten, dessen Familie während seiner ersten knapp zehn Lebensjahre den Offenen Brüdern angehörte und der heute Episkopaler ist. Begleitend zum Buch erstellte er eine Website.

Dempster veröffentlichte 1986 auch einen Aufsatz über die Verlage der schottischen Offenen Brüder: „Aspects of Brethren publishing enterprise in late nineteenth century Scotland“, in: Publishing History 20 (1986), S. 61–101 (Vorschau).


Gilles Despins: The Darby Bible and Its History. Its purpose, principles of translation and progress. London (Chapter Two) 2022. 150 Seiten. ISBN 978-1-85307-271-0.

Englische Ausgabe des vor drei Jahren auf Französisch erschienenen Buches (vgl. meine Bemerkungen in der Bibliografie 2019).


Footsteps Worth Following. 150 years of mission – 150 photographs – 150 stories. Bath (Echoes International) 2022. x, 308 Seiten. ISBN 978-1-9169058-1-8.

Jubiläumsband zum 150-jährigen Bestehen der wichtigsten britischen Missionsgesellschaft der Offenen Brüder, Echoes International.


Paul Geyser: Die ihr Leben nicht schonten. Wie Gott Johannes & Susanna Meyer auf erstaunliche Weise in der Mission führte. Steffisburg (Edition Nehemia) 2022. 182 Seiten. ISBN 978-3-906289-47-2.

Romanhafte Biografie des Schweizers Johannes Meyer (1814–1847), der ab 1840 als Missionar der „Brüder“ in Britisch-Guayana wirkte.

Zuvor erschienen als: Mit eisernem Willen. Eine Erzählung aus dem Leben des Indianermissionars Joh. Meyer. Stuttgart/Basel (Evangelischer Missionsverlag / Basler Missionsbuchhandlung) 1905, ²1923, ³1927. – Die ihr Leben nicht schonten. Die ungewöhnlichen Entscheidungen eines jungen Ehepaares, das alle Sicherheiten hinter sich läßt und ans Ende der Welt geht. Wuppertal (R. Brockhaus) 1981. – Für die Neuausgabe sprachlich überarbeitet und inhaltlich korrigiert.


David W[alter] Gill: What Are You Doing About It? The Memoir of a Marginal Activist. Eugene, OR (Resource Publications / Wipf & Stock) 2022. xix, 434 Seiten. ISBN 978-1-6667-5046-1.

Autobiografie eines 1946 geborenen Ethikprofessors, der unter den Tunbridge-Wells-Brüdern in Oakland (Kalifornien) aufwuchs. Mit 25 Jahren wurde er ausgeschlossen, weil er Artikel in einer Zeitschrift der linksevangelikalen Christian World Liberation Front veröffentlicht hatte. In den folgenden vier Jahren hielt er sich zu den Offenen Brüdern, bevor er der Evangelical Covenant Church beitrat. Die Zeit bei den Tunbridge-Wells-Brüdern wird in Kapitel 8 ausführlich beschrieben.


Samuel W. Jennings: Caribbean Adventures. Kilmarnock (Ritchie) 2022. 153 Seiten. ISBN 978-1-914273-34-6.

Erinnerungen eines 1928 geborenen nordirischen Missionars der Offenen Brüder.


Bert Koene: Hoe strenge protestanten de homeopathie kaapten. Het bewind van de familie Voorhoeve, 1886–1951. Zutphen (Walburg Pers) 2022. 288 Seiten. ISBN 978-94-624-9933-1.

Dem Autor zufolge wurde die niederländische Homöopathie von 1886 bis 1951 von der Familie Voorhoeve und anderen „strengen Protestanten“ (insbesondere „Brüdern“) beherrscht. Nicolaas Anthony Johannes Voorhoeve (1854–1922), der jüngste Bruder von Hermanus Cornelis Voorhoeve (1837–1901) und Gründer der Vereniging tot bevordering der Homoeopathie in Nederland (1886), habe die Homöopathie zu einer „christlich gefärbten Heilkunde“ machen wollen und zu diesem Zweck viele Glaubensbrüder in den Vorständen von Krankenhäusern und Vereinigungen untergebracht. Erst mit dem Tod seines Sohnes Jacob Nicolaas (1882–1951) sei die „religiöse Färbung“ der niederländischen Homöopathie verschwunden. – Das Buch enthält auch über das Thema Homöopathie hinaus viel Interessantes über die Familie Voorhoeve.


Elizabeth Laird: The Misunderstandings of Charity Brown. London (Macmillan) 2022. 352 Seiten. ISBN 978-1-5290-7563-2.

Teilweise autobiografisches Jugendbuch über ein Mädchen, das in den 1950er Jahren unter den Offenen Brüdern in London aufwächst.


Alex McIlhinney: The Service of Giving. Sir John Laing and his Trusts, 1922–2022. Darvel (OPAL Trust) 2022. 305 Seiten. Ohne ISBN.

Der englische Offene Bruder John William Lang (1879–1978) war ein Bauunternehmer, der im Laufe seines Lebens etwa 500 Millionen englische Pfund für wohltätige Zwecke spendete.


David J(ohn) Murray: They went from Cumbria. Heralds of the Cross around the globe from churches of the Christian Brethren Movement in 19th & 20th century Cumbria. Workington (Selbstverlag) 2022. vii, 122 Seiten. ISBN 979-835496154-2.

Neun Lebensbilder von Missionaren der Offenen Brüder aus der Grafschaft Cumbria.


Felix vom Stein: Die Geschwister aus der Heidenstraße. 115 Jahre. Hückeswagen (Selbstverlag) 2022. 127 Seiten.

Opulent bebilderte Geschichte der Geschlossenen Brüder in Hückeswagen.


Neil Summerton: ‘I thanked the Lord, and asked for more’. George Müller’s Life and Work. Foreword by David Bebbington. Studies in Brethren History, Subsidia. Glasgow (Brethren Archivists and Historians Network) 2022. xix, 359 Seiten. ISBN 978-1-7391283-0-2.

Die erste in Buchform erschienene wissenschaftliche Studie über Georg Müller. Nach einem knappen Überblick über sein Leben (S. 11–28) werden einzelne Themenbereiche vertieft, z.B. seine Theologie (S. 31–60), seine gemeindliche Identität (S. 63–85), seine Predigttätigkeit (S. 143–182) und seine Waisenhausarbeit (S. 257–311).


Bettina Tietjen: Früher war ich auch mal jung. Eine Zeitreise durch meine Tagebücher. München (Piper) 2022. 304 Seiten. ISBN 978-3-492-07116-1.

Die 1960 geborene Fernsehmoderatorin Bettina Tietjen geb. Schniewind wuchs ab ihrem 4. Lebensjahr unter den Geschlossenen Brüdern in Elberfeld (Hochstraße 47) auf und thematisiert dies auch ausführlich in ihrem Buch, insbesondere in Kapitel 3. Das christliche Medienmagazin PRO berichtete 2023 wiederholt über ihre Erfahrungen (11. Mai, 30. August, Printausgabe 4/2023).


Michael P. Veit: Unterwegs nach Schonda. John Nelson Darbys Auslegungen des Kolosserbriefes, übersetzt und kommentiert von Michael Veit. Hamburg (disserta) 2022. 220 Seiten. ISBN 978-3-95935-584-1.

Der Autor ist der Auffassung, „dass in Darbys Kolosser-Kommentaren im Grunde nahezu der gesamte Reichtum seiner Theologie ausgebreitet ist“. Da diese Kommentare – abgesehen von der Synopsis – bisher nicht auf Deutsch vorlagen, werden sie hier in kommentierter Übersetzung zugänglich gemacht.


wahlrohrHartmut Wahl: Kein bedingungsloser Gehorsam. Karl von Rohr-Levetzow – ausgelöscht und vergessen. Unterstützt von Rafold von Rohr. Muldenhammer (Jota) 2022. 337 Seiten. ISBN 978-3-949069-01-7.

Hartmut Wahl veröffentlichte bereits 2018 in der Perspektive erste Erkenntnisse über den Offenen Bruder Karl von Rohr-Levetzow (1878–1945), der bis 1939 BfC-Reisebruder war und im April 1945 unter ungeklärten Umständen von der SS ermordet wurde – möglicherweise wegen seiner Kontakte zum Widerstand (Henning von Tresckow war sein Neffe). In diesem Buch sind die Resultate umfassender weiterer Recherchen niedergelegt.

Eine Rezension von Hartmut Kretzer erschien in Zeit & Schrift 2/2022, S. 32–34.


AUFSÄTZE


Philip Church: „Separation from the (Evil) World: 2 Timothy 2.19–21 and the Plymouth Brethren Christian Church“. In: The Bible Translator 73 (2022), S. 252–267.

Exegetische und philologische Untersuchung zu Darbys englischer Übersetzung von 2Tim 2,19–21, einer der Kernstellen der „exklusiven“ Absonderungslehre. Während die alte Elberfelder Bibel den Satz „Wenn nun jemand sich von diesen reinigt“ (V. 21) lediglich in einer Fußnote durch den Hinweis erläuterte: „Eig. sich von diesen wegreinigt, d.h. sich reinigt, indem er sich von ihnen absondert“, nahm Darby diese Erläuterung in seiner englischen Ausgabe ohne jede Kennzeichnung in den Text selbst auf (“If therefore one shall have purified himself from these, in separating himself from them”).

Der Verfasser des Artikels stammt aus einer Familie in Auckland (Neuseeland), die sich 1956 von den Raven-Taylor-Brüdern trennte und sich 1960 den Cowell-Brüdern anschloss. Zusammenfassung auch online.


Jean DeBernardi: „Pietism, the Brethren Movement, and the Globalization of Evangelical Christian Practice“. In: Journal of Early Modern History 26 (2022), S. 124–145.

Über den Einfluss des Pietismus auf die Missionsarbeit der Offenen Brüder. Zusammenfassung auch online.


Neil Dickson: „The Brethren in Scotland: A Historical Overview during the Long Twentieth-Century“. In: Religions 13 (2022), Ausgabe 6, Artikel 504. 18 Seiten (online).

Der Autor berücksichtigt Offene und Geschlossene Brüder in Schottland und geht auf geographische und soziale Verteilung, Spaltungen, Verhältnis zu Kultur und Gesellschaft sowie zahlenmäßige Stärke ein.


Bernard Doherty / Laura Dyason: „Revision or re-branding? The Plymouth Brethren Christian Church in Australia under Bruce D. Hales 2002–2016“. In: Radical Transformations in Minority Religions. Hrsg. von Beth Singler und Eileen Barker. Routledge Inform Series on Minority Religions and Spiritual Movements. Abingdon / New York (Routledge) 2022. S. 152–171.

Über Veränderungen der Raven-Taylor-Symington-Hales-Brüder seit der Leitungsübernahme durch Bruce D. Hales 2002. Schwerpunkte sind „The Review“ (Überprüfung von Ausschlüssen vorangegangener Jahrzehnte und Versuch, die Ausgeschlossenen zurückzugewinnen, ca. 2003), Politik, Bildung, Technik und Wohltätigkeit.

Die Beschriebenen erhalten im selben Band Gelegenheit zu einer Stellungnahme:

PBCC: „Appendix to revision or re-branding? The Plymouth Brethren Christian Church 2002–2016“. Ebd., S. 172–174.

Die Hales-Brüder bestreiten, dass sie ihren Kurs geändert hätten, um sich den herrschenden Bedingungen anzupassen; vielmehr seien sie „ihren Grundwerten treu geblieben, um einen Weg durch dieses Zeitalter zu finden und gleichzeitig einen Weg, allen Gutes zu tun (Galater 6,10)“.


weilderhimmelsingtAndreas Ebert: „Glaubenslieder 2015. Die Geschichte hinter dem Buch“. In: Weil der Himmel singt … Musik in der Gemeinde Gottes im 21. Jahrhundert. Hrsg. von Thomas Hammer, Kai Müller und Marco Vedder. Dillenburg (Christliche Verlagsgesellschaft) 2022. S. 311–318.

Entstehungsgeschichte des von den meisten Gemeinden der „offenen“ Brüdergruppen verwendeten Liederbuchs Glaubenslieder 2015 – einschließlich eines knappen Abrisses der Vorgeschichte seit den 1850er Jahren in Form von drei kommentierten Zeittafeln. An den Letzteren erlaube ich mir einige Detailkorrekturen vorzunehmen:

  • Die „erste Brüdergemeinde in Düsseldorf“ kann noch nicht 1847 entstanden sein, denn wie wir spätestens seit August Jungs Buch von 2002 (!) wissen, kam Julius Anton von Poseck erst 1848 zum Glauben.
  • 1850 als Erscheinungsjahr der Lieder für die Kinder Gottes (1. Auflage) ist sicher ebenfalls zu früh angesetzt. Da Wigram das Heft im Juli 1852 von Düsseldorf nach England mitnahm, muss es aber spätestens dann vorgelegen haben.
  • Die Ausgabe 1858 der Kleinen Sammlung geistlicher Lieder wurde von Carl Brockhaus als 1. Auflage gezählt, nicht als 2.; die Erstausgabe von 1853 könnte man daher als „0. Auflage“ bezeichnen.
  • Dass die Erweiterung der Kleinen Sammlung auf 300 Lieder schon 1978 fertig gewesen sei, aber bis 1990 „in der Schublade“ gelegen habe, erscheint mir zweifelhaft; laut einem Artikel in der Wegweisung 5/1990 war die Erweiterung „seit mehr als drei Jahren“ vorgesehen, aber nicht seit zwölf.
  • Dass die 300er-Ausgabe der Kleinen Sammlung (1990) ein „Ladenhüter“ geblieben sei, weil man bereits auf die Glaubenslieder (1993) gewartet habe, widerspricht der Darstellung in der Wegweisung 2/1994, wonach bei Erscheinen der 300er-Ausgabe „trotz Befragens“ noch keine Rede von einer Neuausgabe der Glaubenslieder gewesen sei.

Interessant finde ich die Einschätzung, dass der zweite Band der Glaubenslieder von 2005 „etwas unreif“ und „unfertig“ gewesen sei. Schwer nachvollziehbar wiederum folgende kategorische Aussage:

Und dann gibt es Lieder, die sind einfach nicht „löschbar“. Kann man ein Lied wie „Ein feste Burg ist unser Gott“ einfach weglassen? Nein. Ausgeschlossen.

„Ein feste Burg“ wurde erst 1959/61 bei der Erweiterung auf 250 Lieder überhaupt in die Kleine Sammlung aufgenommen, war also über ein Jahrhundert lang von den „Brüdern“ als durchaus entbehrlich angesehen worden. Dass das Lied heute – unabhängig von seiner tatsächlichen Nutzung – zu den „nicht weglassbaren“ gehören soll (offenbar wegen seines prominenten Dichters?), halte ich für äußerst befremdlich.

Im Abschnitt „Neue Lieder“ heißt es u.a.:

Denn keinesfalls sollte in den Liedern etwas ausgesagt werden, was im Widerspruch zur biblischen Wahrheit steht.

Diesem Satz dürfte in der Theorie wohl jeder zustimmen. Ob alle neuen Lieder in den Glaubensliedern 2015 diesem Anspruch jedoch auch in der Praxis genügen, wird bekanntlich durchaus kontrovers beurteilt.


Jacob Chengwei Feng: „Against the Tide: The Ecclesiology of the Local Churches Movement in the Colonial Context and Its Contribution to a Glocal Church“. In: Journal of the Evangelical Theological Society 65 (2022), S. 239–259 (auch online).

Der Aufsatz behandelt u.a. den Einfluss der „Brüder“ auf Watchman Nee (1903–1972) und seine Bewegung sowie seine kurzzeitige Verbindung mit ihnen.


Crawford Gribben: „Baptist or Brethren? Primitivism, restorationism, and the legacies of Alexander Carson“. In: Irish Baptist Historical Society Journal 29 (2022), S. 5–22.

Alexander Carson (1776–1844) war ein irischer baptistischer Geistlicher, dessen Lehren hier mit denen John Nelson Darbys verglichen werden. Carsons Sohn James Crawford Ledlie veröffentlichte ab 1862 in mehreren Auflagen das Buch The Heresies of the Plymouth Brethren.


Brian Gunning: „Homecall: Arnot McIntee“. In: Cornerstone 6 (2022), Heft 2, S. 13 (auch online).

Nachruf auf einen kanadischen Evangelisten, Hirten und Lehrer der Offenen Brüder (1924–2021), der lange Zeit im Radio predigte und zuletzt noch einen YouTube-Kanal unterhielt.


hilbertMatthias Hilbert: „Carl Brockhaus – Prägende Gestalt der deutschen Brüderbewegung“. In: ders.: Unvergessene Wuppertaler und oberbergische Glaubensboten. Zwölf Personenporträts. Dillenburg (Christliche Verlagsgesellschaft) 2022. S. 245–278.

Der Titel fasst den Inhalt des insgesamt verdienstvollen Aufsatzes treffend zusammen. Leider verwendet der Autor keine nach 1999 erschienene brüdergeschichtliche Literatur, sodass etliche längst überwunden geglaubte Irrtümer älterer Darstellungen hier wiederbelebt und durch (vermutlich) eigene noch vermehrt werden. Nachstehend eine Auswahl:

  • Carl Brockhaus sei in „Himmelwert“ geboren (tatsächlich Himmelmert)
  • Darbys Vater sei „Lord“ gewesen (dieser Titel war dem Hochadel vorbehalten, während die Darbys nur der Gentry angehörten)
  • Darby habe Theologie studiert (dafür gibt es keine Belege; die Ordination zum Geistlichen war auch mit einem anderen Studium möglich)
  • Benjamin Wills Newton sei der jüngere Bruder „des später so bekannten Kardinals John Henry Newton“ gewesen (eine Verwechslung mit Francis William Newman, dem Bruder von Kardinal John Henry Newman)
  • Darby habe die Versammlung in Plymouth (auch) wegen Newtons „Ansichten über die Person Jesu“ verlassen (Letztere kamen erst 1847 ans Licht, aber Darby trennte sich bereits 1845 wegen Newtons Position als De-facto-Gemeindeleiter)
  • das Alte Testament der Elberfelder Bibel sei fünf Jahre nach dem Neuen Testament entstanden (tatsächlich 15 Jahre)
  • die Kleine Sammlung geistlicher Lieder sei erstmals 1858 erschienen (tatsächlich 1853)
  • in der letzten Auflage zu Carl Brockhaus’ Lebzeiten (1898) habe die Kleine Sammlung 145 Lieder enthalten (tatsächlich 137)
  • die Geschlossenen Brüder seien 1937 „aufgrund ihrer Organisationslosigkeit“ verboten worden (tatsächlich unterstellte man ihnen aufgrund ihrer Absonderungslehre eine staatsfeindliche Haltung)

Eine Rezension (des gesamten Buches) von Hartmut Wahl erschien in Zeit & Schrift 6/2022, S. 32–34.


Matthias Hilbert: „Als Grafe, Köbner und Brockhaus ihr eigenes Süppchen kochten … und sich im Wuppertal unterschiedliche freikirchliche Gemeinden bildeten“. In: Perspektive 20 [recte 22] (2022), Heft 4, S. 37f.

Zwischen 1852 und 1854 entstanden im Wuppertal drei verschiedene freikirchliche Gemeinden: die Baptistengemeinde von Julius Köbner (1852), die Brüdergemeinde von Carl Brockhaus (1853) und die Freie evangelische Gemeinde von Hermann Heinrich Grafe (1854). Der Artikel beleuchtet kurz die Gründe für diese Diversität.


Matthias Hilbert: „Damals im Wuppertal. Als Grafe, Köbner und Brockhaus ihr eigenes Süppchen kochten“. In: Die Gemeinde [77] (2022), Heft 15/16, S. 28f.

Revidierte Version des vorgenannten Artikels. In den Abschnitt über Köbner und Grafe wurde die Position der baptistischen Kirchenhistorikerin Andrea Strübind eingearbeitet, der Abschnitt über Brockhaus wurde gekürzt.


Thomas D. Ice: „A Refutation of False Origin of the Rapture Theories“. In: Journal of Dispensational Theology 26 (2022), S. 139–156.

Argumente gegen die Behauptung, John Nelson Darby habe die Lehre von der Entrückung vor der Großen Drangsal entweder von Edward Irving oder von Margaret MacDonald übernommen.


Gerhard Jordy: „Carl Brockhaus – und was wir von ihm lernen können“. In: Zeit & Schrift 25 (2022), Heft 2, S. 20–25 (auch online).

Geringfügig überarbeiteter Nachdruck eines zuerst 1999 in der Wegweisung erschienenen Artikels.


Volker Kessler: „‘Women, forgive us’: A German case study“. In: HTS Teologiese Studies / Theological Studies 78 (2022), Nr. 2. 7 Seiten (online).

Über die Rolle der Frau in deutschen Brüdergemeinden. Der Autor berichtet u.a. von eigenen Erfahrungen in einer Freien und einer BEFG-Brüdergemeinde und plädiert für volle Gleichberechtigung der Geschlechter, auch in Lehre und Leitung.


Joachim Köhler: „Leben im Vertrauen. Das Vorbild von Georg Müller“. In: Perspektive 20 [recte 22] (2022), Heft 2, S. 32f.

Über Georg Müller (1805–1898) als Glaubensvorbild.


Andreas Liese: „Sich vom Bösen trennen – Absonderungslehren in der Brüderbewegung“. In: Gewagt! 500 Jahre Täuferbewegung 1525–2025. Themenjahr 22: gewagt! konsequent leben. Hrsg. vom Verein 500 Jahre Täuferbewegung 2025 e.V. Kassel (Oncken / Blessings 4 you) 2022. S. 70f.

Die Absonderungslehre der Geschlossenen Brüder wird kurz in ihrer Entwicklung skizziert, kirchengeschichtlich eingeordnet und theologisch reflektiert.


Andreas Liese: „Brüderbewegung in Deutschland“. In: Konfessionskunde. Hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, dem Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik und dem Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes. 2022 (online).

Überblicksartikel zur Brüderbewegung in einer neuen ökumenischen Online-Konfessionskunde. Behandelt werden gegenwärtige Situation, Geschichte, Glaubensinhalte, Gottesdienste, Ethik und Haltung zur Ökumene.


Armin Lindenfelser: „Hymnologische Aspekte der Entwicklung des Gesangbuchs der deutschen Brüderbewegung (Kleine Sammlung geistlicher Lieder)“. In: Zeit & Schrift 25 (2022), Heft 1, S. 22–33 (auch online).

Über Grundsätze, Geschichte, Quellen und Einflüsse der Gesangbücher Lieder für die Kinder Gottes (von Julius Anton von Poseck) und Kleine Sammlung geistlicher Lieder (von Carl Brockhaus).


Kevin Miller / Ian Montgomery / Catherine O’Hara: „Ulster’s Evangelical Plain Style: A Visual Inquiry“. In: Architecture and Culture 10 (2022), S. 689–709 (auch online).

Über Versammlungshäuser (gospel halls) vor allem der Offenen Brüder in Nordirland.


Andrew Sibley: „John Nelson Darby, the Scofield Reference Bible, and the rise of old-earth creationism“. In: Journal of Creation 36 (2022), Heft 3, S. 123–128 (auch online).

Der Verfasser, offenbar ein Junge-Erde-Kreationist, untersucht die Rezeption der Lückentheorie und damit des Alte-Erde-Kreationismus bei John Nelson Darby, George Hawkins Pember und Cyrus I. Scofield.


Joseph Webster: „Anthropology-as-theology: Violent endings and the permanence of new beginnings“. In: American Anthropologist 124 (2022), S. 333–344 (auch online).

Anthropologische Untersuchung über den gewalttätigen Charakter von Endzeitvorstellungen der „Brüder“ und der Zeugen Jehovas.


Joseph Webster: „Whose Sins Do the Brethren Confess? The Problem of Sin as the Problem of Expiation“. In: Ethnos. Journal of Anthropology 87 (2022), S. 679–695.

Nach Ansicht des Autors bekennen die (Ex-Taylor-)„Brüder“ im schottischen Fischerdorf Gamrie in ihren Zusammenkünften nicht ihre eigenen Sünden, sondern die der „gefallenen Welt“. Dieses Phänomen wird aus anthropologischer Sicht untersucht. Zusammenfassung auch online.


Joseph Webster: „Nor shadow of turning: Anthropological reflections on theological critiques of doctrinal change“. In: TAJA. The Australian Journal of Anthropology 33 (2022), S. 360–382 (auch online).

Eine der im Rahmen dieser Fallstudie untersuchten Glaubensgemeinschaften sind erneut die (Ex-Taylor-)„Brüder” in Gamrie.


Ausgabe 18 (2022) der Brethren Historical Review ist leider bis Jahresende noch nicht erschienen und kann daher erst in der nächsten Bibliografie berücksichtigt werden.


Für Hinweise auf weitere, von mir übersehene Neuerscheinungen bin ich dankbar!

Neues über Max Springer (2): Der Allversöhnungslehrer

In meinem Blogeintrag „Eine wenig bekannte Artikelserie von ‚Titus Blicker‘“ wies ich bereits darauf hin, dass Max Springer in Ekkehard Hirschfelds Dissertation über den methodistischen Theologen Ernst Ferdinand Ströter (1846–1922) erwähnt wird. Laut Hirschfeld war Springer nämlich ein „wichtiger Mitarbeiter“ des von Ströter beeinflussten Predigers Heinrich Großmann (1879–1958), der in Berlin ab 1908 eine unabhängige „Christliche Gemeinschaft“ leitete.1

Heinrich Großmann

grossmann
Heinrich Großmann (1879–1958) mit seinen Kindern Helene und Hellmuth

Zur Einordnung zitiere ich hier zunächst das vollständige „Biogramm“ Großmanns aus dem Anhang von Hirschfelds Dissertation:

Arthur Heinrich Großmann, geb. 8.7.1879 in Danzig, gest. 29.9.1958 in Berlin. Kaufmännische Ausbildung und Tätigkeit, 1897 Bekehrung, 1899 Beginn evangelistischer Tätigkeit in Pommern mit eigenem Missionszelt (Evangelisation Immanuel), 1908 Gründung der ‚Christlichen Gemeinschaft‘ in Berlin in Kooperation mit eine[r] Gemeinschaft in Posen, 1910 Aufgabe der Zeltmission, 1916 Beitritt der Gemeinde zu den Baptisten, 1923–1929 Evangelist in den USA, 1931 Umzug der Gemeinde in die Hasenheide, 1941 Austritt der Gemeinde aus dem Bund der Baptisten. Evangelist, Prediger und Gemeindeleiter, früh ein Gegner der Pfingstbewegung, Autor zahlreicher Traktate und Schriften, 1908–1939 Herausgeber der Zeitschrift Forschet in der Schrift, später Der schmale Weg.2

Wann Max Springer zum Mitarbeiter Großmanns wurde, lässt sich anhand der vorliegenden Quellen zumindest ungefähr bestimmen. Im November 1909 meldete er sich bei Echoes of Service noch aus Charlottenburg,3 also wohl aus der Gemeinde Julius Rohrbachs (1852–1935) in der Krummen Straße. Vom 30. Januar bis 6. Februar 1910 hielt er dann eine Vortragsreihe über „Gottes Erlösungsplan von Zeitalter zu Zeitalter (illustriert an einer großen Karte)“ in der „Christlichen Gemeinschaft“ in Posen, Seecktstraße 6 – dabei dürfte es sich bereits um Großmanns Partnergemeinde gehandelt haben:

springer_posen
Auf der Warte 7 (1910), Heft 3, S. 4

Ein Jahr später druckte Echoes of Service den letzten Bericht von bzw. über Springer ab:

Herr Max Springer wird ermutigt in der Arbeit, die er kürzlich in Berlin begonnen hat, und er schreibt auch in tiefer Dankbarkeit von einer Konferenz, die unlängst in Posen stattfand (einst die Hauptstadt Polens) und an der er gemeinsam mit anderen, uns unbekannten Dienern Gottes teilnahm. Er sagt: „Der Geist Gottes hatte durchgehend die Leitung, und die Wahrheit, die den Gläubigen vorgestellt wurde, war lehrreich, auferbauend und nahrhaft für die Seelen. Wir waren in Frieden zusammen, auch wenn viele Fragen aufkamen und behandelt wurden.“4

Danach kommt der Name Max Springer in Echoes of Service nicht mehr vor. Es ist anzunehmen, dass er sich um die Jahreswende 1910/11 – vielleicht schon mit seinem Umzug nach Berlin5 – von den Offenen Brüdern löste und mit Großmann zusammenzuarbeiten begann; im Juni 1911 erschien jedenfalls bereits ein von beiden gemeinsam verfasster Artikel in Großmanns Zeitschrift Forschet in der Schrift.6

Großmann – ein „Darbyst“?

Großmanns Theologie war, so Hirschfeld,

stark von Ströter beeinflusst und enthielt darbystische Elemente bis hin zur denominationellen Selbstständigkeit der Berliner Gemeinschaft; dennoch wollte sich Großmann nicht als Darbyst oder Neudarbyst verstanden wissen.7

Wir stoßen hier auf eine Doppeldeutigkeit des Wortes Darbysmus, die sich durch die gesamte Literatur der damaligen Zeit zieht. Großmann und Springer bezeichneten damit die Brüderbewegung und ihre gemeindlichen Strukturen und konnten sich daher mit Recht davon distanzieren:

Wir brauchen die Bezeichnung „Darbysmus“ nicht als Schimpfwort, sondern nur, um eine bestimmte Richtung, die eben auch eine Partei ist, zu bezeichnen. […] Wir wollen keine „Darbysten“ sein oder werden, auch keine „Neudarbysten“, wie man angefangen hat uns zu nennen. […] Wir sind grundsätzlich dagegen, daß von einer „Zentrale“ aus, oder von „maßgebenden“ Brüdern eine Herrschaft über die einzelnen Gemeinden ausgeübt wird. Wir halten es für sündhaft und unbrüderlich, wenn ein Bruder in die Lokal-Gemeinde eines anderen Ortes hineinreden will. […] Leider hat es in unseren Kreisen solche darbystisch angehauchten Brüder gegeben, die dieses versuchten; sie sind aber ermahnt worden, und wenn sie ihre darbystische Unart nicht ließen, der Gemeinde so bezeichnet, daß sie keinen Schaden anrichten konnten.8

Andere Autoren verwendeten das Wort Darbysmus dagegen als Sammelbegriff für bestimmte Lehrauffassungen, die als typisch für Darby oder die Brüderbewegung galten, aber durchaus auch außerhalb davon anzutreffen sein konnten. Ernst Bunke (1866–1944), Leiter der Berliner Stadtmission, nannte 1903 z.B. folgende fünf „Bestandteile des darbystischen Sauerteigs“, die sich seiner Ansicht nach auch in der Gemeinschaftsbewegung breitmachten:

[1] Die Absonderung von der Kirche, zumal bei der Abendmahlsfeier, und der Wunsch, die Brautgemeinde in Vollkommenheit darzustellen, [2] die Unterschätzung der Sünde und die Ueberschätzung des eigenen Gnadenstandes, [3] die schwärmerische Beschäftigung mit den letzten Dingen, [4] die geschichtslose Anschauung von der heiligen Schrift und [5] die Verachtung der kirchengeschichtlichen Lehren des heiligen Geistes – […] das alles spiegelt sich in Gemeinschaftskreisen nur zu oft wieder.9

Mit dem dritten Punkt meinte er speziell den „Glaube[n] an die Entrückung der Gläubigen vor dem Kommen des Herrn zum Gericht“.10 Diese „darbystische Anschauung“ einer „prätribulatorischen Entrückung“ teilte auch Großmann, wie Hirschfeld mehrmals betont,11 und für sie machte er sich „noch Anfang der 1920er Jahre“ stark, nachdem sie in den Gemeinschaftskreisen unter Beschuss geraten war.12 Ohne jeden Zweifel nämlich war Großmann – wie Ströter – Dispensationalist, und tatsächlich hat man den Eindruck, dass das Wort Darbysmus im damaligen Kontext oft nichts anderes als „Dispensationalismus“ bedeutete.13

stroeter
Ernst Ferdinand Ströter (1846–1922)

Ströters Variante des Dispensationalismus würde man heute wohl als Ultradispensationalismus bezeichnen; so sah er wie Ethelbert William Bullinger (1837–1913) in der „Braut“ nicht die Gemeinde, sondern Israel,14 betrachtete den Taufbefehl von Mt 28,19 als für das Gemeindezeitalter nicht gültig15 und vertrat möglicherweise eine Auswahlentrückung.16 Der erstgenannten Ansicht stimmte auch Großmann zu,17 der zweiten wohl nicht.18 Zur Allversöhnungslehre, die Ströter ab 1909 verkündigte19 und für die er heute noch am bekanntesten ist, hielt Großmann lange Zeit ebenfalls Distanz; erst die Begegnung mit dem deutsch­amerikanischen Bibelübersetzer Adolph Ernst Knoch (1874–1965) während seines Amerikaaufenthalts 1923–29 scheint ihn zum Umdenken bewogen zu haben,20 und ab 1937 vertrat auch er diese Lehre öffentlich.21 Sie gehört bis heute zu den Grundüberzeugungen der von Großmann gegründeten Berliner Gemeinde.22

Großmann und Springer

Zurück zu Max Springer. Was genau ihn um die Jahreswende 1910/11 veranlasste, sich von den Offenen Brüdern zu trennen und sich Heinrich Großmann anzuschließen (ohne allerdings Mitglied in dessen Gemeinde zu werden23), geht aus den bislang vorliegenden Quellen nicht eindeutig hervor – sowohl in der Struktur als auch in der Lehre war die Gemeinde Großmanns den damaligen Offenen Brüdergemeinden ja durchaus ähnlich. Nahm Springer an den allmählich entstehenden überörtlichen Strukturen der Offenen Brüder Anstoß, weil sie ihn an die der Geschlossenen Brüder erinnerten?24 Störte ihn die ungebrochene Allianzbegeisterung der Offenen Brüder? Er selbst war von der Allianz offensichtlich desillusioniert, wie aus dem gemeinsam mit Großmann verfassten Artikel „Freie Knechte, nicht freie Herren“ hervorgeht:

Wie manche rühmen sich, daß sie auf „Allianzboden (?)“ stehen – welch einen Wert das haben soll, ist unerklärlich – ohne der Schriftwahrheit von der Einheit des Leibes Christi auch nur im geringsten näher zu kommen. Konferenzen können da zweifelsohne viel helfen, aber es müßten wirklich Konferenzen zum Konferieren, Aussprechen und Beraten heiliger, ernster Wahrheiten sein und nicht Glaubensversammlungen, wo einige wenige Brüder ihre Gedanken über an und für sich wichtige Schriftwahrheiten äußern.25

Gab es bereits lehrmäßige Differenzen zwischen Springer und den Offenen Brüdern, die eine Trennung auch von ihrer Seite aus erforderlich machten? Hatte Springer sich schon für die Sonderlehren Ströters geöffnet – oder für die Knochs? Fest steht jedenfalls, dass er 1912 eine eigene Zeitschrift gründete, also offenbar meinte, etwas Eigenes zu sagen zu haben, etwas, das er auch in Großmanns Zeitschrift nicht unterbringen konnte. Der Titel – Freiheit und Leben – erinnert auffallend an ein Schweizer Evangelisationsblatt der Offenen Brüder namens Leben und Freiheit (die deutschsprachige Ausgabe von Vie et Liberté, herausgegeben von Samuel Squire [† 1946] in Lausanne), aber das könnte auch Zufall sein. Der (zeitweilige?) Untertitel Missionsblatt der Freien Brüdergemeinde Bethanien gibt derzeit noch Rätsel auf – gründete Springer also eine eigene Gemeinde? Wenn ja, wo? Leider ist diese Zeitschrift extrem selten (die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig besitzt lediglich sechs verstreute Hefte aus den Jahren 1914–17, die Bayerische Staatsbibliothek München ein einziges Heft mit Beiblatt aus dem Jahr 1916,26 ansonsten sind in öffentlichen Bibliotheken keine Bestände nachgewiesen), sodass ich dieser Spur bisher nicht nachgehen konnte.

Springer und Knoch

knoch
Adolph Ernst Knoch (1874–1965)

Spätestens Mitte der 1920er Jahre – also über zehn Jahre vor Großmann – verkündigte Springer öffentlich die Allversöhnungslehre im Sinne Knochs. Unsearchable Riches, Knochs seit 1909 in Los Angeles erscheinende Zeitschrift, wies im Januar 1926 auf Vorträge von „Prediger Springer“ in Berlin hin und kommentierte:

Die große Wahrheit von der Allversöhnung hat wenigstens einen Zeugen in dieser großen Millionenstadt. Auch in anderen Teilen Deutschlands gibt es Hinweise auf ein wiedererwachtes Interesse.27

Im Mai 1929 berichtete Knoch von Springers Zeitschrift:

Wir freuen uns, den Empfang von Freiheit und Leben zu bestätigen, einer deutschen Publikation, die von Prediger M. Springer aus Berlin herausgegeben wird, dessen Adresse sich unter den Ankündigungen auf dem Umschlag befindet. Sie enthält eine Anzahl guter Artikel über Äonen und Allversöhnung. Wir sind dankbar zu sehen, dass diese Wahrheiten ein wenig von der Anerkennung erhalten, die sie verdienen.28

Ein Jahr später hieß es:

Eine deutsche Übersetzung von „What is Death“ ist von unserem Freund Max Springer, Berlin-Wilmersdorf, Güntzelstraße 29 herausgegeben worden. Sie trägt den Titel „Der Tod, was ist er?“ Wir haben einen großen Vorrat und hoffen, dass unsere deutschen Freunde großzügig davon Gebrauch machen werden. Wir senden gerne jedem in den Vereinigten Staaten kostenlos eine unserer deutschen Broschüren zu, um auf unsere wachsende Liste von Literatur in dieser Sprache aufmerksam zu machen.29

In der Broschüre What is Death? lehrte Knoch, dass der Mensch nach dem Tod nicht weiterlebe, sondern bis zur Auferstehung in einem Zustand des Nichtbewusstseins „schlafe“; man wird davon ausgehen können, dass der Übersetzer Springer diese Auffassung ebenfalls vertrat.30

Knoch in Deutschland

Im Sommer 1931 hielt sich Knoch auf dem Weg nach Palästina mehrere Wochen in Deutschland auf und traf dabei auch Springer. In diesem Zusammenhang kommen einige interessante biografische Einzelheiten über Springer zur Sprache:

In Berlin wurde ich von Prediger Max Springer und meinem alten Freund, dem Chiropraktiker Lehmann, empfangen, der einst meinen Griechischkurs in Los Angeles besucht hatte. Er beherbergte mich während meines Aufenthalts in der deutschen Hauptstadt. Am Abend nach meiner Ankunft besuchten wir die regelmäßige Mittwochabendklasse in der Nassauischen Straße 56, wo ich zu meiner Überraschung sofort aufgefordert wurde zu sprechen; Prediger Springer dolmetschte. Es wurde ein Plan zum Besuch verschiedener Teile Deutschlands mit diesem furchtlosen Mann Gottes als Führer und Dolmetscher aufgestellt. […] Am Sonntag wurde morgens das Mahl des Herrn eingenommen, nachmittags eine Nachbarschaftsklasse31 besucht und abends eine Ansprache an eine große Zuhörerschaft in dem schönen neuen Gebäude von Dr. Großmanns Gemeinde32 gehalten. Da Prediger Springer erkältet war, dolmetschte Gräfin Kanitz33 in allen drei Zusammenkünften. […]

Die Arbeit von Bruder Springer hat einen erschütternden Schlag erlitten. Ein Tornado hat die Ernten seines Altenheims vernichtet, sodass er nicht in der Lage ist, eine Hypothek von $ 3000 auf ein Anwesen, das mindestens $ 25.000 wert ist, zurückzuzahlen. Es scheint, als würde er es verlieren, nur weil er nicht die Mittel hat, einen so geringen Bruchteil des Wertes zu begleichen. Da fast jeder in Not ist, besteht wenig Hoffnung auf menschliche Hilfe. Deutschland befindet sich in einer äußerst bemitleidenswerten Lage. Nach außen geben sich die Leute stolz, aber ihre Taschen sind leer.34

Springer war um diese Zeit also offenbar Besitzer eines Altenheims, dem ein landwirtschaftlicher Betrieb angeschlossen war; genauere Informationen darüber liegen mir augenblicklich noch nicht vor. Interessant wäre auch zu erfahren, ob es sich bei der Gemeinde in der Nassauischen Straße 56 um Springers „Freie Brüdergemeinde Bethanien“ handelte; die Nähe zu seiner Wohnung in der Güntzelstraße 29 (etwa 350 Meter entfernt, wenn die heutige Hausnummerierung auch damals schon gültig war) könnte dafür sprechen. Allerdings befand sich in der Nassauischen Straße 56 zeitweise auch eine „Station“ der seit 1891 existierenden Baptistengemeinde „Bethania“ (!) in Moabit, Emdener Straße 15 (etwa 5 km nördlich gelegen), die genau um diese Zeit an ihrem Hauptstandort ein Alten- und Pflegeheim namens „Bethel“ einrichtete.35 Ob hier irgendein Zusammenhang besteht, vermag ich derzeit noch nicht zu sagen; dass Springer mit seinen inzwischen doch recht unorthodoxen Lehrauffassungen und Verbindungen regulärer Baptist war, erscheint mir eher zweifelhaft.

ur_1931_402Der nächste Absatz in Knochs Bericht ist brüdergeschichtlich von großem Interesse:

Das Wochenende wurde in Niederschelden im Siegerland unter ehemaligen Exklusiven Brüdern verbracht. Wegen der drückenden Hitze fuhren wir die ganze Nacht mit dem Zug und wurden in Siegen von Bruder Wilhelm Jäger36 empfangen, der uns während unseres Aufenthalts beherbergte. Am Samstag wurden zwei Bibelvorträge gehalten, am Sonntagmorgen das Mahl des Herrn eingenommen, am Nachmittag und Abend Ansprachen gehalten. Ein anschauliches Beispiel für die Zersplitterung der „Brüder“ bot die Tatsache, dass eine einzige Familie in mehrere Teile gespalten war, von denen ein Teil zu diesem und ein anderer zu jenem Zweig gehörte; einige waren ganz ausgestoßen. Lasst uns dafür beten, dass die wahre Grundlage der Gemeinschaft – der Wandel, nicht die Lehre – von ihnen angenommen wird und diese Trennungen geheilt werden. Manche von ihnen schienen überzeugt zu sein, dass die „Brüder“ in dieser Hinsicht von der Schrift abgewichen sind und ihre herzzerreißende Uneinigkeit und Sektiererei darauf zurückzuführen ist.37

Über die Versammlung in Niederschelden finden sich in Band 2 von Gerhard Jordys Brüdergeschichte einige Hinweise. Sie hatte sich geweigert, „einen deutlichen Trennungsstrich gegenüber Wilhelm Brockhaus zu ziehen“38 (gemeint ist der Ersteller der Elberfelder Bibelkonkordanz [1857–1936], der die Allversöhnungslehre angenommen hatte), und war deshalb 1926 aus dem Kreis der Elberfelder Versammlungen ausgeschlossen worden. Dass sie mit Springer und Knoch in Kontakt stand, beweist, dass es nicht nur um „persönliche Freundschaft mit dem Ausgeschlossenen“39 (Wilhelm Brockhaus) ging, sondern auch um klare Sympathien für seine Lehre.

Knoch fährt fort:

Nach einem Besuch in Elberfeld fuhren wir nach Mülheim und besuchten Bruder Peter Fabrizius. Später überquerten wir den Rhein nach Köln, wo ein interessiertes Publikum einer Erläuterung der konkordanten Methode zuhörte. Am nächsten Morgen fuhren wir nach Düsseldorf, geleitet von Bruder Schultz, der einst zu den Führern der deutschen Internationalen Bibelforscher-Vereinigung40 gehörte, aber heute ein begeisterter Arbeiter für die Wahrheiten ist, die wir lehren. Da Bruder Springer krank war, fuhr er zum Haus seiner Tochter in Düsseldorf. […] Im Hospiz „Pilgerheim“, einem geeigneten Ort für einen Pilger auf dem Weg ins Heilige Land, waren wir höchst bequem untergebracht. Zwei Zusammenkünfte wurden hier abgehalten. Die erste warf ein schwieriges Problem auf. Da Bruder Springer krank war, hatte ich keinen Dolmetscher! Im Publikum saßen viele Lehrer und Wissenschaftler. Aber ich musste meinen Stolz überwinden und in gebrochenem Deutsch losstammeln. Ich dachte auf Englisch, übersetzte es ins Deutsche, so gut ich konnte, und es gelang mir, mich mit Hilfe eines freundlichen und mitfühlenden Publikums verständlich zu machen, das mir oft mit Wörtern aushalf, an die ich mich nicht erinnern konnte. Am nächsten Abend fühlte sich Bruder Springer gut genug, um seinen Platz einzunehmen. Ich werde nie die freundliche Rücksichtnahme vergessen, die mir im Pilgerheim und von den Gläubigen in Düsseldorf entgegengebracht wurde.41

So weit die Auszüge aus Knochs Bericht. Knoch reiste weiter nach Palästina, kehrte aber 1932 wieder nach Deutschland zurück, um Sigrid von Kanitz zu heiraten und sich gemeinsam mit mehreren Mitstreitern der Erarbeitung einer Konkordanten Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche zu widmen (die englische Ausgabe war bereits seit 1914 in Fortsetzungen erschienen).

Ausklang

Im März 1932 wird Max Springer nochmals in Unsearchable Riches erwähnt:

Da wir42 selbst von rein deutschem Blut sind und ein wenig von der Sprache kennen, sehnen wir uns seit vielen Jahren danach, die uns anvertrauten großen Wahrheiten auch im Land unserer Väter bekannt zu machen. Dies geschah teilweise durch die Veröffentlichung von Artikeln im Prophetischen Wort,43 durch die Schriften und den Dienst von Schädel,44 Czerwinski,45 Dick,46 Springer und anderen und in den letzten Jahren vor allem durch [die Zeitschrift] Der Überwinder, herausgegeben von Freiin Wally von Bissing47 und Gräfin Sigrid von Kanitz, die nun als Zweig des Concordant Publishing Concern48 mit uns verbunden sind und Form und Namen ihrer Zeitschrift geändert haben, um mit den englischen Unsearchable Riches übereinzustimmen.49

ur_1932_355Bereits ein halbes Jahr später musste Knoch jedoch Springers Tod melden:

IN MEMORIAM

Die Arbeit in Deutschland hat einen schweren Verlust erlitten durch den Tod von Prediger Max Springer im reifen Alter von 74 Jahren. Während seines frühen Dienstes war er mit den sogenannten „Plymouth-Brüdern“ verbunden, entkam aber vor langer Zeit ihren sektiererischen Fesseln und betrieb eine unabhängige Arbeit für den Herrn. Er trat standhaft für die Wahrheit ein, die ihm anvertraut war, auch wenn ihn dies teuer zu stehen kam. Bei unserem ersten Besuch in Deutschland war er unser Vertreter und Dolmetscher. Ein kraftvoller, geistlich gesinnter Redner. Viel Unglück, Krankheit und Leid begleiteten seine späteren Jahre, aber sein Glaube wankte nicht. Auf Wiedersehen! – A. E. K.50

Ein genaues Todesdatum fehlt leider; da der Nachruf aber in der Septemberausgabe 1932 erschien, dürfte Springer im Sommer 1932 verstorben sein. Sein Geburtsjahr lässt sich aufgrund des Todesalters auf 1858 datieren. Mit dem „Unglück“ und „Leid“ in seinen „späteren Jahren“ sind vermutlich u.a. die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Altenheim gemeint.

Damit war ein bewegtes, arbeits- und abwechslungsreiches Leben zu Ende gegangen. Wo Springers geistliche Wurzeln lagen, wissen wir nicht, aber von den Elberfelder Brüdern über die Raven-Brüder und die Offenen Brüder bis hin zu den freien Kreisen um Großmann und Knoch hatte er mindestens vier gemeindliche Stationen durchlaufen, für die er sich jeweils in Wort und Schrift streitbar eingesetzt hatte. Unter den „Brüdern“ dürfte er nach 1910 weitgehend vergessen worden sein – die beiden letzten Jahrzehnte seines Lebens lagen jedenfalls bisher völlig im Dunkeln und konnten hier vielleicht erstmals ein klein wenig erhellt werden. Für weitere Hinweise bin ich dankbar!