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150. Todestag von Sir Alexander Campbell

Sir Alexander Campbell gehört zu jenen „Brüdern“ der ersten Generation, deren Name in jeder Geschichte der Brüderbewegung vorkommt, über deren Leben aber darüber hinaus nicht sehr viel bekannt ist. Ouweneel beispielsweise erwähnt ihn in Het Verhaal van de “Broeders” siebenmal, meist jedoch nur in Verbindung mit anderen Personen. So gehörte Campbell zu den Besuchern der Powerscourt-Konferenz von 18331 und zu den frühen „Brüdern“ in Plymouth, von wo er aber bereits Ende der 1830er Jahre wegzog.2 Nach Darbys Trennung von Newton im Oktober 1845 war Campbell einer der Brüder, die nach Plymouth kamen, „um den Zustand zu untersuchen“, wobei er deutlich mit Darbys Seite sympathisierte.3 Bei der Informationsveranstaltung in der Londoner Rawstorne Street im Februar 1847 schließlich legten er und etliche andere Brüder „klare und ernste Zeugnisse” gegen Newton ab.4

Jugend

Wer war Sir Alexander Campbell? Die bisher einzige nennenswerte Veröffentlichung über ihn ist ein kurzer Artikel von Timothy C. F. Stunt in der Brethren Historical Review 12 (2016),5 der wesentliche Eckpunkte seines Lebens benennt, aber ebenfalls noch manche Fragen offenlassen muss. Da er (im Gegensatz zu vielen anderen BHR-Artikeln) nicht online verfügbar ist, fasse ich ihn hier zusammen und ergänze ihn um einige neuere Erkenntnisse.

Campbell wurde am 22. Oktober6 1804 als Alexander Thomas Cockburn7 in Madras (Indien) geboren, wo sein Großvater mütterlicherseits, der Schotte Alexander Campbell (1760–1824), in der britischen Militärverwaltung tätig war. Mit knapp drei Jahren wurde er von seinem Großvater nach England gebracht, doch bereits im folgenden Jahr verlor er beide Eltern (die Mutter durch einen Schiffsuntergang), sodass er bei seinem Onkel Thomas Cockburn in Devon oder Cornwall aufwuchs. Sein Großvater verfolgte unterdessen seine Karriere weiter, wurde 1815 in den niederen Adelsstand erhoben (Baronet) und brachte es 1820 bis zum Oberbefehlshaber der Madras Army. Als er am 11. Dezember 1824 ohne überlebenden Sohn starb, ging der Adelstitel durch eine (bereits 1821 getroffene) Ausnahmeregelung auf seinen 20-jährigen Enkel Alexander Thomas Cockburn über, der sich fortan Sir Alexander Thomas Cockburn-Campbell, 2nd Baronet nennen durfte.

Bei den „Brüdern“

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Schwiegervater Sir John Malcolm (1769–1833)

Über Campbells nächstes Lebensjahrzehnt ist fast nichts bekannt, außer dass er 1827 seine Cousine Margaret Malcolm heiratete und das folgende Jahr mit ihr in Indien zubrachte (als Adjutant seines Schwiegervaters Sir John Malcolm). Die Rückkehr nach England erfolgte offenbar wegen Margarets Gesundheit. Spätestens 1836 lebten sie in Plymouth, denn im Januar dieses Jahres wurde dort ihre zweite Tochter Olympia geboren (die erste, Charlotte Isabella, war 1834 im Londoner Vorort Teddington zur Welt gekommen8). Der Übertritt zu den „Brüdern“ muss sich bereits einige Jahre früher ereignet haben, da James Butler Stoney Campbells Anwesenheit auf der Powerscourt-Konferenz von 1833 bezeugt.9 Als der Schweizer Pastor Carl von Rodt 1836 die Gemeinde in Plymouth besuchte, logierte er bei Campbell und berichtete:

Unter den begabtesten Brüdern bemerkt man den Capitän Hill10 und den Baron [sic] Campbell, von welchem letztern ich gastfreundlich aufgenommen worden bin; sein Haus ist ein Muster eines christlichen Hauses, und seine Einfachheit ist um so bemerkenswerther, da die Engländer im Allgemeinen die Pracht lieben. Sein Haus wird, obgleich es gut bedient und geräumig ist, doch selbst dem ängstlichen Gewissen nicht Anstoß geben. Der Hausgottesdienst breitet Frieden und herzliche Liebe unter den Hausgenossen aus.11

Campbells Frau Margaret schrieb mehrere Lieder, die später in die Liederbücher der „Brüder“ Eingang fanden, doch sie starb bereits 1841 im Alter von knapp 33 Jahren.12 Zu dieser Zeit lebte die Familie in Exeter, wo Campbell 1840 ein Versammlungsgebäude namens Providence Chapel hatte errichten lassen.

1842 heiratete Campbell erneut, und zwar die 37-jährige Grace Spence, die zuvor wahrscheinlich Gouvernante seiner Töchter gewesen war. Sie brachte in den folgenden Jahren zwei Söhne (Alexander und Thomas) und eine Tochter (Cecilia) zur Welt. In diese Zeit fielen die oben beschriebenen Auseinandersetzungen um Benjamin Wills Newton, die Campbell anscheinend recht mitnahmen, denn ein Teilnehmer der Konferenz in Bath im Mai 1848 hielt folgende Beobachtung für erwähnenswert:

During an interval between the meetings he remained in the room, with his legs resting on one of the benches, looking desolate and dejected.13

Tatsächlich muss es in den folgenden Jahren bei Campbell sogar zu einer ernsten Glaubenskrise gekommen sein. Darby schrieb am 18. Januar 1851 aus Montpellier an George Vicesimus Wigram in Le Vigan:

Campbell goes I suppose to St Hipp[*olyte?] Tuesday. You will see I suppose how he is; he reads now the bible, but it is astonishing how he is numbed. It is a miserable thing infidelity. I never saw it so near morally, but I hope there is progress.14

Demnach war Campbell also in Zweifel, wenn nicht gar in offenen „Unglauben“ (infidelity) geraten und begann soeben erst wieder in der Bibel zu lesen. Wigram ließ ihm im März 1853 Darbys Schrift The Irrationalism of Infidelity zukommen,15 in der Darby die Bibel und den christlichen Glauben gegen die Angriffe des Skeptikers Francis William Newman verteidigte – auch dies ein Hinweis auf Campbells (offenbar ähnliche) geistliche Situation.

Europa

Die Erwähnung von „St Hipp“ – die Herausgeber der Briefedition identifizieren den Ort als Saint-Hippolyte im südfranzösischen Département Gard, etwa 50 km nördlich von Darbys Aufenthaltsort Montpellier und 30 km östlich von Wigrams Aufenthaltsort Le Vigan – liefert uns den derzeit einzigen Aufschluss über Campbells Verbleib in diesen Jahren. Spätestens Ende 1847 war die Familie von Exeter nach Barnstaple gezogen, aber im britischen Census von 1851 ist sie (mit Ausnahme der beiden Töchter aus erster Ehe) unauffindbar – was sich mit einem Auslandsaufenthalt gut erklären lässt. Nach Stunt könnten dafür finanzielle Gründe ausschlaggebend gewesen sein:

Many British aristocrats and gentry, living on a fixed income from annuities, found that they could buy more with their pounds when living abroad.16

mohl
Robert von Mohl (1799–1875)

1855 finden wir die Familie (offenbar einschließlich der beiden ältesten Töchter) in Heidelberg, und hier stoßen wir nun auf das größte ungelöste Rätsel in Campbells Leben. Robert von Mohl (1799–1875), der zu dieser Zeit Juraprofessor in Heidelberg war, berichtet in seinen Lebenserinnerungen Folgendes:

Von dem fluktuierenden Teile der Heidelberger Gesellschaft ausführlich zu berichten, wäre nicht am Platze. Solche Zugvögel hatten doch zu wenigen Einfluß auf die wirklichen Verhältnisse, obgleich unter ihnen sehr nette Leute waren, schöne Frauen und Mädchen, erfahrene und weitgereiste Weltmänner. So zum Beispiel […] Sir A. Campbell, ein Schwiegersohn von Sir John Malcolm, er für seine Person ein schuftiges Subjekt, welches die Familie schließlich an dem Swan River in Australien als Polizeibeamten unterbrachte, dessen Töchter aber reizende Erscheinungen waren; […]17

„Ein schuftiges Subjekt“ – welches Fehlverhalten Campbells mag zu diesem erstaunlichen, an Geringschätzung kaum zu überbietenden Urteil Mohls geführt haben? Bisher liegen darüber keinerlei gesicherte Erkenntnisse vor. Heutige Nachkommen Campbells in Australien nehmen an, dass er nach wie vor finanzielle Probleme hatte – beging er vielleicht ein Betrugsdelikt? Die nachfolgende Karriere als „Polizeibeamter“ käme dann freilich sehr überraschend. Tatsache ist, dass Campbell 1858 ohne seine Familie nach Australien emigrierte; seine zweite Tochter, die „reizende Erscheinung“ Olympia, hatte 1857 noch den Heidelberger Kaufmann Charles Uhde (1814–1859), Besitzer des Schlösschens in Handschuhsheim, geheiratet.18

Australien

In der weit entfernten britischen Kolonie wirkte Campbell zunächst als Superintendent of Police in Perth, dann als Magistrate (Friedensrichter) in Albany.19 Nach Europa kehrte er, soweit bekannt, nur noch zweimal zurück: 1859 rekrutierte er in Irland Männer für den australischen Polizeidienst,20 und 1869/70 besuchte er die Schweiz und England. Dass er in dieser Phase seines Lebens noch (oder wieder) den „Brüdern“ angehörte, ist unwahrscheinlich; dennoch erfuhren diese von seinem Besuch, denn Darby schrieb im Dezember 1869 an Wigram:

Sir A Campbell, poor fellow, is back, thinking to take them all to Australia. I wrote to him: I have not yet heard.21

You know doubtless that poor Campbell is back, going with family to Australia.22

Warum die Familie und insbesondere seine Frau Grace ihn nicht bereits 1858 nach Australien begleitet hatte, liegt im Dunkeln; Grace zog dies wohl zeitweise in Erwägung,23 konnte sich jedoch nie dazu entschließen, auch nicht Ende 1869, als Darby die obigen Zeilen schrieb. Über die Beziehung der getrennt lebenden Eheleute kann man überhaupt nur Spekulationen anstellen. Grace blieb im Gegensatz zu ihrem Mann den „Brüdern“ treu; soweit wir wissen, lebte sie 1859–61 in der Schweiz, 1861–64 auf Guernsey, 1864–68 in England, 1868–70 erneut in der Schweiz und zum Schluss wieder in England. Campbell besuchte sie Ende 1869 in der Schweiz, reiste dann allerdings gleich weiter nach England, wohin Grace ihm erst im März 1870 folgte. Als sie am 31. Juli 1870 in Southport im Alter von knapp 65 Jahren starb, waren ihre Kinder Cecilia und Alexander und möglicherweise auch ihr Mann bei ihr.24

Auch Campbell selbst waren nur noch wenige Lebensmonate beschieden. Er kehrte wahrscheinlich im Herbst 1870 nach Australien zurück und heiratete dort im April 1871 die 32-jährige Sophia Jane Trimmer, eine ältere Schwester seiner Schwiegertochter Lucy Ann (die im Mai 1870 – also während Campbells Aufenthalt in England – seinen jüngeren Sohn Thomas geheiratet hatte). Nur drei Wochen nach dieser dritten Eheschließung, am 23. April 1871, heute vor 150 Jahren, starb Sir Alexander Campbell an seinem Wohnort Albany, 66 Jahre alt.

Nachkommen

Über Campbells älteste Tochter Charlotte Isabella habe ich nach 1851 nichts Sicheres mehr herausfinden können; da Mohl von „reizenden Erscheinungen“ im Plural spricht, fand auch sie möglicherweise einen Ehepartner auf dem europäischen Kontinent.

Die zweite Tochter Olympia wurde bereits nach zwei Jahren Ehe mit Charles Uhde Witwe und heiratete 1863 den deutschen Adligen Friedrich James Ernst Ochoncar Bruno von Poellnitz (1840–1903), mit dem sie fünf Kinder hatte.25 Sie starb am 7. September 1892 im österreichischen Bregenz.26

Alexander, der ältere Sohn aus Campbells zweiter Ehe, besuchte seinen Vater 1867/68 in Australien, ließ sich aber nicht dauerhaft dort nieder und blieb unverheiratet. Er erbte nach dem Tod seines Vaters den Adelstitel, starb jedoch selbst bereits weniger als fünf Monate später, am 6. September 1871.

Damit ging die Baronetswürde auf seinen jüngeren Bruder Thomas über, der 1864 seinem Vater nach Australien gefolgt war und den heute noch existierenden australischen Zweig der Familie begründete. Er arbeitete als Landvermesser, Farmer, Politiker und Zeitungsherausgeber und starb am 27. September 1892 in Perth. Mit der oben genannten Lucy Ann Trimmer hatte er sechs Kinder; sein ältester Sohn Alexander Thomas (1872–1935) erbte den Adelstitel, der bis heute fortgeführt wird.

Die Tochter Cecilia, die ebenfalls unverheiratet blieb, emigrierte erst nach dem Tod ihres Vaters nach Australien und wurde katholisch. Wann und wo sie starb, ist unbekannt.27


150. Todestag von David Walther

troesterAls Julius Anton von Poseck und William Henry Darby 1849 begannen, englische und französische „Brüderliteratur“ ins Deutsche zu übersetzen, war ihr bevorzugter Autor John Nelson Darby – mehr als die Hälfte der „Düsseldorfer Schriften“ stammte aus seiner Feder. Unter den sonstigen Übersetzungen trug nur eine einzige einen Autorenvermerk: Die 22-seitige Broschüre Die Persönlichkeit des Trösters. Aus dem Englischen (1850) enthielt ein von „D. Walther“ unterzeichnetes Vorwort.

Angesichts der th-Schreibweise des Nachnamens würde man den Verfasser vielleicht eher im deutschen als im englischen Sprachraum vermuten, und tatsächlich stammte der Vater von David Walther aus Deutschland: Johann Heinrich Walther (1745/46–1835) war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Hannover nach London ausgewandert, wo er sich Henry nannte und in den 1780er Jahren eine Buchbinderei gründete. Als ältester überlebender Sohn aus seiner 1790 geschlossenen zweiten Ehe mit Henrietta Petit (1756–1815) wurde 1794 der hier in Rede stehende David geboren.

Leben

Über Walthers Leben und Wirken hat der langjährige CBA-Archivar David Brady 2017 in der Brethren Historical Review einen ausführlichen Artikel veröffentlicht, der in einer 2020 nochmals erweiterten und aktualisierten Fassung auf der BAHN-Website verfügbar ist. Ich kann mich daher im Folgenden auf einen knappen Überblick beschränken.

David Walther ließ sich – nach einigen frühen Versuchen als Dichter – spätestens 1820 als Buchhändler und Verleger in der Brydges Street im Londoner Stadtteil Covent Garden nieder. 1823 heiratete er Isabella Hawkins, die in den folgenden Jahren zwei Töchter zur Welt brachte, jedoch bereits 1831 starb. 1834 zog Walther mit seinem Geschäft in die Straße Piccadilly, 1836 schloss er sich wahrscheinlich den „Brüdern“ an. In seinem Verlag hatte er von Anfang an neben säkularen auch christliche Titel herausgegeben, darunter 1833 ein Buch aus eigener Feder (Vindiciæ Biblicæ: A Series of Notices and Elucidations of Passages in the Old and New Testaments, which have been the Subject of Attack and Misrepresentation by Deistical Writers). Das Werk, das mit fünf Auflagen wohl zum größten Bestseller des Unternehmens wurde, erschien ab 1838: Jean-Henri Merle d’Aubignés History of the Great Reformation of the Sixteenth Century in Germany, Switzerland, etc. in anfangs drei, später fünf Bänden.

Von 1841 bis 1846 verlegte Walther auch Schriften von Darby. Nach der Spaltung von 1848 kam seine Versammlung in der Londoner Orchard Street jedoch auf der „offenen“ Seite zu stehen, die Walther mit mehreren Schriften auch publizistisch unterstützte, allerdings nicht mehr im eigenen Verlag: Etwa um diese Zeit stellte er seine Geschäftstätigkeit ein und ließ die ca. 40 meist knappen Schriften seiner letzten beiden Lebensjahrzehnte (die umfangreichste darunter war eine 74-seitige Erwiderung auf Francis William Newmans Phases of Faith, 1851) bei anderen Londoner Verlagen wie Campbell, Yapp oder Nisbet erscheinen. Am 16. April 1871, heute vor 150 Jahren, starb David Walther in seiner Londoner Wohnung.

1871-04-20 The Whitehaven News 5 Died (Walther)
The Whitehaven News, 20. April 1871, S. 5
walther_npc
National Probate Calendar 1871

„Die Persönlichkeit des Trösters“

Als die Broschüre Die Persönlichkeit des Trösters 1850 in Düsseldorf erschien, gehörte ihr Autor demnach bereits den Offenen Brüdern an. Möglicherweise war dies den Übersetzern gar nicht bekannt – Julius Anton von Poseck war ja erst im Sommer 1848 (ziemlich genau zur Zeit der Bethesda-Trennung) zum Glauben gekommen, und William Henry Darby hielt sich seit Herbst 1848 in Düsseldorf auf (die Versammlung Walthers in der Orchard Street wurde erst 1849 von der Trennung erreicht). Vielleicht war ihnen aber auch der Inhalt wichtiger als die Gemeindezugehörigkeit des Verfassers – mit Jerusalem und der Mensch der Sünde (ebenfalls 1850) brachten sie immerhin sogar eine Schrift heraus, die (zumindest teilweise) auf Benjamin Wills Newton zurückging.1

Das englische Original der Walther-Broschüre, The Personality of the Comforter, Briefly Considered, war 1848 in London erschienen und ist heute extrem selten: Außer in der British Library scheint nirgendwo mehr ein Exemplar erhalten geblieben zu sein, auch nicht im Christian Brethren Archive. Thema der Schrift ist die Personalität oder Personhaftigkeit des Heiligen Geistes – das griechische Wort parakletos (Joh 14,16.26; 15,26; 16,7; 1Joh 2,7), das in der Elberfelder Bibel traditionell mit „Sachwalter“ übersetzt wurde (in der revidierten Ausgabe seit 1985 „Beistand“), erscheint in der englischen Authorized oder King James Version (und auch noch in der Übersetzung Darbys2) als „Comforter“.

walther_vorwortDie Wiedergabe mit „Tröster“ war zeitgenössischen deutschen Lesern aus der Lutherbibel vertraut; insofern bot der Titel der Broschüre keine Verständnisschwierigkeiten. Vom Innenteil lässt sich dies leider nicht sagen; tatsächlich ist die Übersetzung von einer derartigen Sperrigkeit und Schwerfälligkeit, dass man viele Sätze mehrmals lesen muss, um ihnen überhaupt einen Sinn abzugewinnen.

Bereits die ersten zwei Absätze des Vorworts sind keine stilistische Meisterleistung, wenn auch noch nachvollziehbar:

Ein Wort, das ich mit einem theuern Bruder gewechselt habe, veranlaßt mich, eine Bemerkung zu machen in der Weise eines Vorwortes.

Indem der heilige Geist gegeben ist, um der Kirche zu helfen, damit sie ihr Nahesein zu Gott bewirklichen möge; so ist der Geist doch oft so sehr mißverstanden worden, daß der Herr dadurch sogar in Entfernung gestellt ward. (S. [3])

„In der Weise eines Vorwortes“, „Nahesein zu Gott bewirklichen“, „in Entfernung gestellt“ – das war auch Mitte des 19. Jahrhunderts kein geläufiges, idiomatisches Deutsch (für keine dieser Wendungen findet man Treffer auf Google Books). Aber es wird noch deutlich schlimmer:

Das Andenken an den heiligen Geist, als an eine gesandte Person, was eine große Schriftwahrheit ist, wird als ganz besonders hervorgehoben von der heil. Schrift unterhalten; – und es beugt dem nebelartigen Wahrnehmen, unter welchem die Kenntniß von Gott zuweilen entwickelt wird, vor. (S. 9)

Von der Heiligen Schrift wird also „das Andenken als ganz besonders hervorgehoben unterhalten“, und die Kenntnis von Gott wird „zuweilen unter einem nebelartigen Wahrnehmen entwickelt“ – was damit gemeint ist, kann man allenfalls erahnen, und man hätte gerne die englische Vorlage zum Vergleichen! Dass es keine bessere Möglichkeit gab, diese Sätze ins Deutsche zu übertragen, mag man jedenfalls kaum glauben.

Der Gesandte für die gegenwärtige Heilsanstalt trägt das Zeugniß von Ihm, – welchen zu sehen den Vater sehen war. (S. 10)

„Heilsanstalt“ ist möglicherweise ein früher Übersetzungsversuch für das englische Wort dispensation, aber ob den Zeitgenossen die Bedeutung dadurch wirklich transparent wurde, erscheint zweifelhaft. Auch der Satzteil nach dem Gedankenstrich kann schwerlich als gutes, idiomatisches Deutsch durchgehen.

Wir träumen und plaudern von Einfluß, wann er mit unserem Geiste in Vertraulichkeit umgeht, und das bis zum Unerforschlichen der frohen Gegenstände dieser Wahrheit. (S. 12)

Der erste Satzteil (bis „umgeht“) soll offenbar betonen, dass der Heilige Geist eine Person ist und kein bloßer „Einfluß“, aber der letzte Teil hängt sowohl syntaktisch als auch semantisch seltsam in der Luft – was soll man sich unter dem „Unerforschlichen der frohen Gegenstände dieser Wahrheit“ vorstellen?

Ich schätze die Thatsache, daß die Form [„den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“] nur bei Matthäus vorkommt. (S. 13)

„Schätzen“ ergibt hier wenig Sinn; in der Vorlage könnte acknowledge gestanden haben, was zwar auch „schätzen, würdigen“ bedeuten kann, hier aber besser mit „zugeben, einräumen“ zu übersetzen wäre.

Tragen wir dieß im Gemüthe, dann werden wir fähiger sein, den Grund für die theilweise Oeffnung der Wahrheit, wo diese vorkömmt, zu verstehen, welche wir in der Unruhe der Neugierde erfolglos zuvergrößern [sic] suchen.

Ich kann mich keiner Sache erinnern, die als ein Bedürfniß der Kirche eine weitere Eröffnung der Verhältnisse zwischen den Personen der Dreieinheit erheischen könnte, als schon gegeben ist. (S. 18)

Man versteht hier – wie an vielen Stellen der Broschüre – zwar einzelne Satzteile, aber es wäre mir nicht möglich, den Sinn dieser beiden Absätze mit eigenen Worten wiederzugeben.

Ob Die Persönlichkeit des Trösters ein repräsentatives Beispiel für die Qualität der Poseck-Darby’schen Übersetzungen ist, bedürfte einer genaueren Untersuchung; in den bisherigen Darstellungen (Ischebeck, Hermes, Jung usw.) sind die „Düsseldorfer Schriften“ ja immer nur aufgelistet, aber nie inhaltlich oder sprachlich analysiert worden. Wahrscheinlich wird man davon ausgehen können, dass der schriftliche Dienst von Carl Brockhaus ab 1853 auch deswegen eine größere Wirkung erzielte, weil er es verstand, sich volkstümlicher auszudrücken. Was David Walther angeht, so blieb Die Persönlichkeit des Trösters wohl die einzige seiner Schriften, die ins Deutsche übersetzt wurde.


Verwandtschaften unter den frühen „Brüdern“

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George Vicesimus Wigram

Max Weremchuk schreibt in seinem zweiten J.N. Darby Research Paper:

Early Brethren history almost reads like a “family affair”.

Ich habe mich in den letzten Wochen einmal intensiver mit den Familien einiger „Brüder“ der ersten Generation beschäftigt und die Ergebnisse in das Genealogie-Wiki WeRelate eingetragen. Hier ein paar Belege für Weremchuks Behauptung:

  • Parnells erste Frau Nancy war die Schwester von Cronin.

Auch innerhalb der nicht zur Brüderbewegung gehörenden Verwandtschaft gab es Verbindungen:

  • Parnells Schwester Emma Jane heiratete einen Cousin von Wigrams erster Frau Frances Bligh.

Um noch einmal Max Weremchuk zu zitieren:

These interconnections are amazing!! […] all these families knew each other and had contacts with each other.

Ein wenig bekanntes Bild von Dr. Cronin

Von Dr. Edward Cronin (1801–1882), einem der ersten „Brüder“ in Dublin, kennt man vor allem dieses Bild, das ihn als älteren Herrn zeigt:

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Weniger verbreitet ist dieses Jugendbildnis Cronins, das 1909 in einer Biografie Francis William Newmans erschien:

cronin_jung
I[sabel] Giberne Sieveking: Memoir and Letters of Francis W. Newman, London (Kegan Paul, Trench, Trübner & Co.) 1909, nach S. 40 (Großversion)
Newman gehörte ja mit Cronin und Parnell zu der Gruppe, die 1830 in Richtung Bagdad aufbrach, um Groves bei seiner Missionsarbeit zu unterstützen – ein ziemlich abenteuerliches Unternehmen, das alle drei mitgereisten Frauen das Leben kostete und wenig sichtbare Resultate hervorbrachte. Nachdem Newman 1833 nach England zurückgekehrt war, wandte er sich immer mehr vom biblisch-christlichen Glauben ab und wurde eine Art rationalistischer Theist. Gegen sein Buch Phases of Faith (1850) schrieb Darby The Irrationalism of Infidelity.

Die Ehefrauen Cronins und Newmans waren übrigens Schwestern – Newman heiratete 1835 Maria Kennaway (1801–1876), Cronin 1838 ihre Schwester Frances Kennaway (1806–1882). Man fragt sich, wie wohl in der Verwandtschaft mit Newmans religiöser Entwicklung umgegangen wurde! Newmans Frau Maria soll bis zu ihrem Tod den „Brüdern“ angehört haben (so Timothy C. F. Stunt im Oxford Dictionary of National Biography).