50. Todestag von Peter L. Embley

embleyIn den 1960er Jahren forschten in England gleichzeitig zwei Doktoranden über die Frühgeschichte der Brüderbewegung. Harold Hamlyn Rowdon, Ende 30, legte seine 519 Schreibmaschinenseiten umfassende Arbeit 1964 der Universität London vor, erhielt 1965 den Doktortitel1 und konnte sein Werk – nach nochmaliger Überarbeitung2 – 1967 bei dem Londoner „Brüder“-Verlag Pickering & Inglis veröffentlichen;3 es wurde bald zum Standardwerk auf seinem Gebiet.4 Peter Lindsay Embley, Mitte 20, reichte seine „nur“ 294-seitige Dissertation 1966 bei der Universität Cambridge ein, bestand am 21. Februar 1967 die Doktorprüfung5 – und kam fünf Monate später bei einem Autounfall ums Leben, sodass seine Arbeit bis heute ungedruckt blieb.

Über Embleys Biografie liegen nur wenige Informationen vor. Geboren wurde er im 2. Quartal 1940 in Holderness (Yorkshire)6 als Sohn des kommunalen Verwaltungsbeamten Kenneth Lindsay Embley (1902–1968)7 und seiner Frau Gladys Lucy geb. Gibson (1910–1976)8. Die Familie gehörte wohl nicht der Brüderbewegung an; wahrscheinlich kam Embley erst während seines Studiums in Cambridge durch die Cambridge Inter-Collegiate Christian Union (CICCU) mit „Brüdern“ in Kontakt9 (nicht ohne Grund meint man in seiner Dissertation noch etwas mehr wissenschaftliche Distanz zum Untersuchungsgegenstand zu spüren als bei Rowdon). Nach Abschluss seines Studiums erhielt Embley eine Dozentenstelle10 am St Paul’s College in Cheltenham (einem der Vorläufer der heutigen University of Gloucestershire), wo er im August 1966 seine Doktorarbeit fertigstellte.11 Am 19. Juli 1967, heute vor genau 50 Jahren, wurde er auf der Autobahn M4 in der Nähe von Bray (Berkshire)12 unverschuldet13 in einen Verkehrsunfall verwickelt, bei dem er tragischerweise im blühenden Alter von 27 Jahren starb. Der ein Jahr jüngere Timothy Stunt, der ihn persönlich kannte,14 charakterisierte ihn 1969 wie folgt:

Anyone who knew Peter Embley will recall the energy and enthusiasm which would suddenly and unpredictably bubble up and find expression in tremendous industry applied to any project that he had in hand.15

Von Embleys Dissertation war lange Zeit nur eine 30-seitige Kurzfassung bekannt, die in seinem Todesjahr als Aufsatz in dem Sammelband Patterns of Sectarianism erschien16 (seit heute auch auf bruederbewegung.de zugänglich). Das einzige Exemplar der Dissertation befand sich in der Universitätsbibliothek Cambridge und konnte nur dort eingesehen werden – ein Aufwand, dem sich nur wenige Forscher unterzogen. 1982 bat das Christian Brethren Archive an der Universitätsbibliothek Manchester die Kollegen in Cambridge um die Erlaubnis, eine Kopie der Arbeit in seinen Bestand aufnehmen zu dürfen. Cambridge wollte zuerst die urheberrechtliche Situation geklärt wissen, aber bereits damals – nur wenige Jahre nach dem Tod von Embleys Mutter – ließen sich keine Erben mehr ausfindig machen, sodass dem CBA die Genehmigung erteilt wurde.17 Ende 2001 durfte ich mir die Kopie von Manchester ausleihen und einscannen; seit 2003 steht die Arbeit auf bruederbewegung.de zum Download zur Verfügung, und seither ist sie auch in zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten über die Brüderbewegung verwertet worden.

Die etwas früher fertiggestellte, aber damals noch unveröffentlichte Dissertation Rowdons konnte Embley vor Abschluss seiner Arbeit noch einsehen. Sein Urteil, sie überschneide sich nur geringfügig mit seiner eigenen,18 ist sicher etwas zu optimistisch (und wohl dem unter Doktoranden üblichen Bedürfnis geschuldet, sich von „Konkurrenten“ abzugrenzen), behandeln doch beide Dissertationen exakt denselben Zeitraum (1825–1850). Dennoch lohnt sich die Lektüre beider Arbeiten unbedingt, denn jede von ihnen verwendet Quellen, die der jeweils anderen fehlen – bei Embley sind es z.B. die Sibthorpe Collection, die Schriften von Andrew Jukes, Materialien aus den Devon County Archives und vor allem der Census of Religious Worship in England and Wales, eine statistische Erhebung über den Gottesdienstbesuch am 30. März 1851, die interessante Aufschlüsse über Anzahl und Größe der Brüdergemeinden zu diesem Zeitpunkt gibt.19

Zum 50. Todestag Embleys habe ich seine Dissertation in einer verbesserten Fassung hochgeladen: Die originalen Seitenzahlen sind jetzt rot hervorgehoben, sodass man Querverweisen wesentlich leichter nachgehen kann, das Fußnotenlayout wurde angepasst, ein OCR-Fehler (falsche Jahreszahl) auf S. 84 korrigiert, die editorische Notiz ins Englische übersetzt und der Bezug zu Cambridge klarer herausgestellt.


Anmerkungen:

  1. Vgl. den Katalog der Universitätsbibliothek London (weiterer Eintrag).
  2. Laut dem Vorwort von F. F. Bruce arbeitete Rowdon noch weitere ungedruckte Quellen ein (Harold H. Rowdon: The Origins of the Brethren 1825–1850, London [Pickering & Inglis] 1967, S. xi).
  3. Vgl. die vorige Anm.; in Buchform umfasst die Arbeit xii + 323 Seiten.
  4. Bereits Willem J. Ouweneel stützte sich im ersten Band seiner Brüdergeschichte stärker auf Rowdon als auf ältere, „exklusive“ Darstellungen; er beurteilt den Autor als „offen, aber objektiv“ (W. J. Ouweneel: Het verhaal van de ”Broeders”. 150 jaar falen en genade, Deel II (1890–1978), Winschoten [Uit het Woord der Waarheid] 1978, S. 455).
  5. Vgl. den Katalog der Universitätsbibliothek Cambridge.
  6. Vgl. den Eintrag im England and Wales Birth Registration Index.
  7. Vgl. die Einträge im England and Wales Birth Registration Index und im National Probate Calendar.
  8. Vgl. die Einträge im England and Wales Death Registration Index und im National Probate Calendar.
  9. Timothy Stunt an Verf., 24. Juli 2017.
  10. Timothy Stunt an Verf., 13. September 2010.
  11. Vgl. das Titelblatt.
  12. Vgl. den Eintrag im National Probate Calendar.
  13. Timothy Stunt an Verf., 13. September 2010.
  14. Ebd.
  15. T. C. F. Stunt: Rez. Bryan R. Wilson (Hrsg.), Patterns of Sectarianism, Christian Brethren Research Fellowhip Journal 19 (1969), S. 35–39, hier 38.
  16. Peter L. Embley: „The Early Development of the Plymouth Brethren“, in: Patterns of Sectarianism. Organisation and Ideology in Social and Religious Movements, hrsg. von Bryan R. Wilson, London (Heinemann) 1967, S. 213–243.
  17. Briefwechsel zwischen David Brady (Christian Brethren Archive) und D. J. Hall (Cambridge University Library), Dezember 1982 / Januar 1983; Kopien in meinem Besitz.
  18. “This only slightly overlaps the present work” (Peter L. Embley: The Origins and Early Development of the Plymouth Brethren, Ph.D. Thesis, Cambridge 1966/67, S. 240, Anm. 105; im PDF S. 48).
  19. Vgl. Stunt, wie Anm. 15. – Zu den Quellen, die nur Rowdon verarbeitet, gehören z.B. die Protokollbücher der Brüdergemeinde in Hereford (vgl. Rowdon, wie Anm. 2, S. 165–170, Literaturverzeichnis S. 308).