Schlagwort-Archiv: Harold H. Rowdon

Neuerscheinungen zur Brüderbewegung 2023

Auch am Ende dieses Jahres möchte ich wieder die in den letzten zwölf Monaten erschienenen Veröffentlichungen zur Brüderbewegung übersichtlich zusammenstellen und kurz kommentieren bzw. einordnen.

In drei frühere Bibliografien habe ich inzwischen noch Nachträge aufgenommen:

  • 2022: Bücher von Geyser, Gill, Koene, Murray, Summerton und Tietjen; Aufsätze von Feng und Webster
  • 2019: Aufsätze von Brooks und Ineichen
  • 2018: Buch von Sahlberg; Aufsatz von Fett

BÜCHER


akenson3Donald Harman Akenson: The Americanization of the Apocalypse. Creating America’s Own Bible. New York (Oxford University Press) 2023. xv, 501 Seiten. ISBN 978-0-19-759979-2.

Nach Discovering the End of Time (2016) und Exporting the Rapture (2018) hat der amerikanische Historiker Donald Harman Akenson nun den dritten Band seiner Trilogie über die Geschichte des „apokalyptischen Millennialismus“ vorgelegt. Mit der im Untertitel genannten „eigenen Bibel Amerikas“ ist natürlich die Scofield-Bibel gemeint, aber wie schon beim Vorgängerband weckt der Untertitel falsche Erwartungen: Erst auf S. 176 dieses Buches wird Cyrus I. Scofield zum ersten Mal (beiläufig) erwähnt, und erst auf S. 326 (von 436, der Rest ist Anhang, Literaturverzeichnis und Register) rückt er ins Zentrum des Interesses. Vorher geht es erneut um die Anfänge der Brüderbewegung auf den britischen Inseln (S. 7–62), dann um Darbys Reisen nach Nordamerika und die ersten „Brüder“ dort (S. 65–134) und schließlich um die Ausbreitung dispensationalistischer Ideen in Amerika außerhalb der Brüderbewegung (James Inglis, James Hall Brookes, Dwight L. Moody, prophetische Konferenzen; S. 137–310).

Akensons Stil ist wie immer brillant und pointiert, dabei lexikalisch anspruchsvoll (selbst als Englischlehrer musste ich mehrmals das Wörterbuch bemühen – und wurde nicht immer fündig!), gelegentlich aber auch kapriziös – die meisten Kapitelüberschriften etwa versteht man erst nach Lektüre des Kapitels (z.B. „Buyers’ Remorse“, „Tall Man Standing“), was das Inhaltsverzeichnis zur Voraborientierung nahezu unbrauchbar macht, und wie in den Vorgängerbänden schweift der Autor gerne in (biografische) Nebensächlichkeiten ab, die allerdings fast immer unterhaltsam zu lesen sind.

Akenson schreibt aus säkularer Perspektive und verfolgt daher keine theologische Agenda, was insbesondere bei der von Anhängern und Gegnern sehr unterschiedlich dargestellten Biografie Scofields durchaus von Vorteil ist; allerdings fehlt ihm als Profanhistoriker für manche theologischen Fragen schlichtweg das Verständnis. Sehr klar wird u.a. herausgestellt, dass Darby an dispensationalistischen Schemata und Diagrammen, wie sie später so beliebt wurden, keinerlei Interesse hatte (S. 38) und dass er den heute als „anthem“ amerikanischer Dispensationalisten geltenden Bibelvers 2Tim 2,15 (“rightly dividing the word of truth”) noch nicht in diesem Sinne interpretierte (S. 337f.). Neu war mir, was für einen großen Anteil Offene Brüder an der Finanzierung, Zusammenstellung und Korrektur der Scofield-Bibel hatten.


buehneWolfgang Bühne: Ich pfeif auf deine Frömmigkeit! Schwelm – Stukenbrock – Schoppen: Stationen einer Geschichte, wie nur Gott sie schreiben kann. Bielefeld (CLV) 2023. 477 Seiten. ISBN 978-3-86699-690-8.

Der 1946 geborene Evangelist, Freizeit- und Jugendleiter, Autor und Verleger Wolfgang Bühne legt mit diesem Buch seine Autobiografie vor. Die im Untertitel genannten Orte Schwelm, Stukenbrock und Schoppen markieren wichtige Lebensstationen, die ausführlich, lebendig und selbstkritisch geschildert werden. Auch heikle Themen wie seinen Ausschluss aus der „geschlossenen“ Versammlung in Meinerzhagen-Worbscheid (1985) spart Bühne nicht aus (S. 301–319). Bemerkenswert ist, dass er die heutige geistliche Situation der Geschlossenen Brüder für besser hält als die in den 1960er und 1970er Jahren (z.B. S. 95, 96, 108, 306) – ein erstaunlicher Kontrast zu den in diesen Kreisen selbst manchmal zu hörenden Klagen über „Verfall“ und „Niedergang“. Das Buch ist wie fast alle CLV-Veröffentlichungen auch online verfügbar.


Andrew Craig: Darby or Darwin? Brethren Perspectives on Creation and Evolution from 1820–1945. Belfast (Words to World) 2023. 92 Seiten. ISBN 978-1-78798953-5.

Masterarbeit über die Auseinandersetzung der „Brüder“ mit den wissenschaftlichen Theorien ihrer Zeit. Die „Brüder“ seien keine „unbeirrbaren Fundamentalisten“ gewesen, sondern hätten eine „unerwartete Bandbreite an Überzeugungen von der Lückentheorie bis zur theistischen Evolution“ vertreten.


Craig Hoyle: Excommunicated. A multigenerational story of leaving the Exclusive Brethren. Auckland, Neuseeland (HarperCollins) 2023. 327 Seiten. ISBN 978-1-77554201-8.

Der Strom der Raven-Taylor-Symington-Hales-Aussteigerbiografien reißt nicht ab. Der Verfasser dieses Buches wurde 2009 im Alter von 19 Jahren exkommuniziert, nachdem er sich als homosexuell geoutet hatte.


hummelDaniel G. Hummel: The Rise and Fall of Dispensationalism. How the Evangelical Battle over the End Times Shaped a Nation. Grand Rapids, MI (Eerdmans) 2023. xvii, 382 Seiten. ISBN 978-0-8028-7922-6.

Eine weitere Geschichte des Dispensationalismus und seines Einflusses auf die amerikanische Kultur. Das erste Kapitel ist noch den Anfängen der Brüderbewegung in Irland und Großbritannien gewidmet, aber dann verschiebt sich der Schwerpunkt auf die Neue Welt und auf andere christliche Kreise, denn der Siegeszug des Dispensationalismus in Amerika fand (zu Darbys Leidwesen) bekanntlich außerhalb der Brüderbewegung statt – vermittelt aber vor allem durch deren reichhaltige Literatur.

Im Gegensatz zum oben vorgestellten Buch von Akenson zeichnet Daniel G. Hummel die Geschichte bis in die Gegenwart nach. Den im Titel angesprochenen „Fall“ sieht er mit dem „Pop-Dispensationalismus“ von Hal Lindsey und anderen ab den 1970er Jahren beginnen; dadurch sei auch der akademische Dispensationalismus in Misskredit geraten. Das Aufkommen des New Calvinism und die Hinwendung vieler Dispensationalisten entweder zu diesem oder zum Progressive Dispensationalism hätten dann in den 1990er Jahren zum endgültigen Zusammenbruch des traditionellen Dispensationalismus geführt; heute lebe er nur noch in seiner „Pop“-Form und akademisch in einigen Nischen fort.

Bei der Fülle der vom Autor verarbeiteten Details kann es nicht ausbleiben, dass sich einzelne Fehler eingeschlichen haben (worauf auch bereits von reformierter Seite hingewiesen wurde). Aus „Brüder“-Sicht möchte ich hier nur anmerken, dass Francis Emory Fitch, Alwyn Ball Jr. und John T. Pirie (Finanziers der Scofield-Bibel), Andrew Gray (vom Verlag Pickering & Inglis) sowie George H. Pember und Arno C. Gaebelein keine „Exclusive Brethren“ waren, wie Hummel behauptet.


Graeme Johanson: Searching For Elsewhere. Port Adelaide, Australien (Ginninderra Press) 2023. 304 Seiten. ISBN 978-1-76109-559-7.

Jugenderinnerungen eines 1946 geborenen Professors für Informationstechnik, der in einer Familie der Raven-Taylor-Brüder in Melbourne (Australien) aufwuchs. 1962 ausgeschlossen, gehörten sie zunächst einer „Outs“-Gruppe an, von der sich der Autor aber 1968 ebenfalls abwandte (wie vom christlichen Glauben überhaupt).


Varghese Mathai: Mahakavi K. V. Simon. The Milton of the East. New York u.a. (Bloomsbury Academic) 2023*. xxiv, 249 Seiten. ISBN 978-1-5013-8849-1.

Kunnampurathu Varghese Simon (1883–1944) war ein indischer Dichter und Lehrer, der 1918 eine freikirchliche Bewegung namens Viyojitha gründete, die sich 1929 mit den Offenen Brüdern zusammenschloss. Mahakavi („großer Dichter“) ist ein ihm verliehener Ehrentitel.

* In der auf Amazon zugänglichen Leseprobe steht 2024 als Erscheinungsjahr; tatsächlich muss das Buch aber bereits im Oktober 2023 herausgekommen sein.


David J(ohn) Murray: West Cumbria Brethren. The early years of five churches of the Christian Brethren movement in 19th century Cumberland. Brethren of the North 2. Workington (Selbstverlag/Amazon) 2023. 142 Seiten. ISBN 979-885017822-2.

Nach seinem 2022 erschienenen Band mit Lebensbildern von neun Missionaren aus Cumbria beschreibt Murray nun die Anfänge von fünf Offenen Brüdergemeinden in dieser Grafschaft (Keswick, Whitehaven, Workington, Cockermouth und Frizington).


Arthur T[appan] Pierson: Georg Müller. Niemals enttäuscht. Bielefeld (CLV) 2023. 286 Seiten. ISBN 978-3-86699-676-2.

Überarbeitete Fassung der klassischen Biografie Georg Müllers. Zuerst erschienen unter dem Titel Georg Müller von Bristol, Dinglingen (Verlag der St. Johannis-Druckerei) 1906,211996; teilweise auch in anderen Verlagen (Ott, Gotha; Spener, Marburg); der Titel Niemals enttäuscht spätestens ab der Ausgabe Gotha (Ott) 61930.


Margaret Skea: Angola in my Heart. The Story of Ruth Hadley. Bath (Echoes International) 2023. 145 Seiten. ISBN 978-1-9169058-3-2.

Biografie von Ruth Joy Hadley (1956–2017), die von 1982 bis 2016 als Missionarin der Offenen Brüder in Angola tätig war.


bmww2023Neil Summerton (Hrsg.): The Brethren Movement Worldwide. Key Information 2023. 6th Edition. Darvel, UK (OPAL Trust) 2023. xxviii, 435 Seiten. ISBN 978-1-907098-53-6.

Die 6., aktualisierte Auflage dieses internationalen Nachschlagewerks ist derzeit nur online verfügbar, soll aber 2024 auch im Druck erscheinen. Der Abschnitt über Deutschland wurde grundlegend überarbeitet und deckt jetzt auch die „blockfreien“ Gemeinden wieder ab (vgl. meine Kritik an der 5. Auflage von 2019). Verdienstvoll ist der 21-seitige Gesamtüberblick über die weltweite Geschichte der (Offenen) Brüderbewegung am Ende des Bandes.


Michael P. Veit: Pilger in einer fremden Welt. John Nelson Darbys Kommentare zu Jakobus, Petrus und Judas. Übersetzt und kommentiert von Michael P. Veit. Hamburg (disserta) 2023. 232 Seiten. ISBN 978-3-95935-608-4.

Auf den 2022 erschienenen Band über den Kolosserbrief folgt nun eine Zusammenstellung von (größtenteils erstmals übersetzten) Kommentaren Darbys zu den Briefen von Jakobus, Petrus und Judas. Nach Auskunft des Autors wird man dabei „teils erschreckende Parallelen zu den kirchlichen und religiösen Fehlentwicklungen unserer Zeit entdecken“.


Andrew W. Wilson: Assembly Autopsy. Why Brethren Churches are Dying and How to Revive Them. North Lakes, Australien (Believers Publications) 2023. 220 Seiten. ISBN 978-0-9943977-8-2.

Der aus Australien stammende Autor ist seit 1994 vollzeitlich im Dienst der Offenen Brüdergemeinden in England und Amerika tätig.


David Wilson: The Electrician’s Children. How an Irish family took Jesus’ conspiracy of hope across the globe. Dublin (Agapé Ireland) 2023. 322 Seiten. ISBN 978-0-9565814-3-3.

Erinnerungen einer irischen Missionarsfamilie der Offenen Brüder, die über drei Generationen auf fünf Kontinenten tätig war.


Pennie Wood: A Feather in the Fog. One Woman’s Escape from the Exclusive Brethren. Ohne Ort (Knotted Road Press / Amazon) 2023. 238 Seiten. ISBN 979-886569011-5.

Ein weiteres Raven-Taylor-Symington-Hales-Aussteigerbuch. In diesem Fall allerdings keine Autobiografie, sondern die von fremder Hand verfasste Lebensgeschichte einer 1979 geborenen, anonym (bzw. pseudonym) bleibenden Amerikanerin.


Klaus-Dieter Zunke (Hrsg.): Gemeinsam unterwegs als Soldat und Christ. 125 Jahre (1898–2023) – Vom „Bund gläubiger Offiziere“ zur „Cornelius-Vereinigung e.V. (CoV) – Christen in der Bundeswehr“.  Leipzig (Evangelische Verlagsanstalt) 2023. 228 Seiten. ISBN 978-3-374-07358-0.

Der Sammelband enthält zwei Aufsätze mit Bezug zur Brüderbewegung:

  • Klaus-Dieter Zunke: „Der Gründer – Georg von Viebahn (S. 43–46)
  • Hartmut Wahl: „Einblicke in den ‚Bund gläubiger Offiziere‘ (S. 49–56)

AUFSÄTZE


bhr2018Ausgabe 18 (2022) der Brethren Historical Review erschien erst Ende Februar 2023 und wird daher auch erst in dieser Bibliografie berücksichtigt. Sie enthält (neben etlichen Rezensionen) folgende Beiträge:

  • Crawford Gribben: „Dating Darby’s Addresses to his Roman Catholic Brethren (S. 1–14)
  • Douglas Wertheimer: „The Truth About 1843, and Why It’s Important: Gosse, Brethren, Jamaica, and the Scorpion (S. 15–63)
  • Timothy C. F. Stunt: „New Source Materials for the Open Brethren in the 1850s (S. 64–74)
  • Sam McKinstry / Neil Dickson: „Elusive Exclusive? John Murray Robertson (1844–1901), Architect, Dundee (S. 75–122)
  • Sam K. John: „A Quest for Radical Reformation: The Emergence of the Kerala Brethren at the Dawn of the Twentieth Century (S. 123–157)
  • Tim Grass: „The Historiography of Harold Rowdon (S. 158–164)
  • Michael Schneider: „New Writing on Brethren History (S. 165–169)
  • Ian Randall: „Harold Hamlyn Rowdon (1926–2021) (S. 216–228)

Die aktuelle Ausgabe 19 (2023) der Brethren Historical Review ist ebenfalls wieder bis Jahresende nicht erschienen und kann daher erst in der nächsten Bibliografie berücksichtigt werden.


Howard A. Barnes: „Donald Ross (1823–1903)“. In: Precious Seed 78 (2023), Heft 4, S. 8 (auch online).

Donald Ross, dessen Geburtstag sich am 11. Februar zum 200. Mal jährte, wirkte ab 1858 als Evangelist in Schottland, schloss sich 1871 den Offenen Brüdern an und wanderte 1876 nach Nordamerika aus, wo er zahlreiche Gemeinden gründete.


Wolfgang Bühne: „Ungewöhnliche Bekehrungen. Was Gott aus einem Taugenichts und Schurken machen kann!“ In: fest und treu 182 (2/2023), S. 8f.

Über die Bekehrung von Georg Müller (1805–1898). Das ganze Heft ist auch online verfügbar.


Bert Cargill: „Frederick W. Baedeker 1823–1906“. In: Precious Seed 78 (2023), Heft 1, S. 10f. (auch online).

Der Geburtstag des aus Deutschland stammenden, in England zum Glauben gekommenen Russlandmissionars Friedrich Wilhelm Baedeker jährte sich am 3. August ebenfalls zum 200. Mal (vgl. meinen Blogeintrag).


Mariana Espinosa: „Matrimonio y mujeres en el movimiento misionero Christian Brethren (Argentina, 1882–1960)“. In: Redes, empresas e iniciativas misioneras en América del Sur. Siglos XIX y XX. Hrsg. von Eric Morales Schmuker und Rocío Guadalupe Sánchez. Santa Rosa, Argentinien (Eric Morales Schmuker) 2023. S. 163–185 (auch online).

Soziologisch-anthropologische Untersuchung über Ehe und Frauen bei den Offenen Brüdern in Argentinien.


Lisa Heinz-Dönges: „Groß durch die Liebe. Zum 100. Todestag von Emil Dönges“. In: Zeit & Schrift 26 (2023), Heft 6, S. 16–25 (auch online).

Das wohl umfangreichste Lebensbild von Emil Dönges, verfasst von seiner Tochter Lisa und erschienen zu seinem 100. Geburtstag im Botschafter des Friedens 63 (1953), S. 29–36, wurde hier in leicht überarbeiteter Form wiederveröffentlicht und mit 38 historischen Anmerkungen versehen. Zu Dönges vgl. auch meinen Blogeintrag vom 7. Dezember.


Stephan Holthaus: „Weitblick des Glaubens. Friedrich Wilhelm Baedeker – der Evangelist Russlands“. In: Zeit & Schrift 26 (2023), Heft 5, S. 24–29 (auch online).

Die heute maßgebende biografische Studie über Friedrich Wilhelm Baedeker erschien 2006 auf Deutsch in dem gleichnamigen Büchlein von Stephan Holthaus und Ulrich Bister und 2013 auf Englisch in dem Wiedenester BAHN-Tagungsband Witness in Many Lands. Der hier wiederveröffentlichte, zuerst zum 100. Todestag in der Perspektive 6 (2006), Heft 12, S. 22–25 publizierte Artikel ist eine Kurzfassung davon.


Anand Jonathan Kanchan: „A Role of Printing Press towards Developing of Brethren Movement in Karnataka“. In: Research Methods in Multidisciplinary Subjects. Vol. 1. Hrsg. von Mohd. Shaikhul Ashraf, Sandhya Sharma, Rajalakshmi R, Chetna Gupta, Ankita Chaudhary und Anu Verma. Lunawada, Indien (red’shine Publication) 2023. S. 175–184.

Über die Rolle von gedruckten Publikationen bei der Entwicklung der Brüderbewegung im südindischen Bundesstaat Karnataka. Wie der Titel bereits zeigt, ist der Aufsatz in erstaunlich fehlerhaftem Englisch verfasst, insbesondere was den Artikelgebrauch angeht (“In the history of India printing press played important role”). Der gesamte Band ist auch online verfügbar.


Andreas Liese: „Auf dass sie alle eins seien. Freikirchliche Vereinigungsbemühungen 1937 bis 1941“. In: Entgrenzungen. Festschrift zum 60. Geburtstag von Andrea Strübind. Hrsg. von Sabine Hübner und Kim Strübind. Berlin (Duncker & Humblot) 2023. S. 151–191.

Bereits kurz vor dem Verbot von 1937 gab es Bestrebungen, Baptisten, Freie evangelische Gemeinden, Offene und Geschlossene Brüder zu einem Bund zusammenzuschließen; später wurden auch noch die Bischöfliche Methodistenkirche und die (ebenfalls methodistische) Evangelische Gemeinschaft ins Auge gefasst. Der Aufsatz stellt die Verhandlungen dieser Gruppen bis 1941 im Einzelnen dar und zeigt, warum der Zusammenschluss letztlich nicht über Baptisten und BfC hinausging.


Armin Lindenfelser: „Die Entwicklung der Brüdergemeinden im badischen Land“. In: Zeit & Schrift 26 (2023), Heft 3, S. 20–27 (auch online); Heft 4, S. 26–33 (auch online).

Baden gilt gemeinhin nicht als besonderes Zentrum der Brüderbewegung. Mithilfe von Adressverzeichnissen, mündlichen und schriftlichen Erinnerungen gelingt es dem Autor dennoch, wesentliche Züge der badischen Brüdergeschichte („geschlossen“ wie „offen“) zu rekonstruieren.


Ronaldo Magpayo: „The Lord’s Supper in a Filipino Perspective“. In: Logoi Pistoi / Faithful Words 6 (2023), S. 70–79.

Über die Bedeutung des Brotbrechens „aus der Perspektive der philippinischen indigenen Werte“, insbesondere für Brüdergemeinden. Der ganze Band ist auch online verfügbar.


David Maxwell: „Not Peace but a Sword: Missionaries, Humanitarianism, and Slavery in Late Nineteenth-Century Central Africa“. In: Pacifying Missions. Christianity, Violence, and Empire in the Nineteenth Century. Studies in Christian Mission 58. Hrsg. von Geoffrey Troughton. Leiden/Boston (Brill) 2023. S. 107–129.

Der Autor vergleicht die Reaktionen von Missionaren der katholischen Weißen Väter und der Offenen Brüder (Frederick Stanley Arnot, Dan Crawford) auf die sozialen Bedingungen im Zentralafrika des späten 19. Jahrhunderts.


Ian Randall: „Harold Hamlyn Rowdon (1926–2021)“. In: Partnership Perspectives 75 (Autumn 2022 / Winter 2023), S. 5–14 (auch online).

Nachruf auf den am 3. Oktober 2021 verstorbenen Dozenten für Kirchengeschichte am London Bible College und Autor des bahnbrechenden Werkes The Origins of the Brethren 1825–1850 (1967). Der Artikel erschien auch in Ausgabe 18 (2022) der Brethren Historical Review (s.o.).


Max Weremchuk: „John Nelson Darby (1800–1882)“. In: Discovering Dispensationalism. Tracing the Development of Dispensational Thought from the First to the Twenty-First Century. Hrsg. von Cory M. Marsh und James I. Fazio. El Cajon, CA (Southern California Seminary Press) 2023. S. 205–246 (auch online).

In dem Sammelband wird die Geschichte dispensationalen Denkens vom 1. bis zum 21. Jahrhundert (wohlwollend) nachgezeichnet. Das umfangreiche Kapitel von Max Weremchuk untersucht John Nelson Darbys Rolle in dieser Entwicklung.


HOCHSCHULSCHRIFTEN


Kate Brooks: ‘She appears a promising child’: The Role of the C19th Orphanage in Categorising Young Care Leavers in Terms of Productive Labour. A Critical Case Study of Muller’s New Orphan Homes’ Dismissal Books 1830s–1890s. PhD Thesis, Bath Spa University, Bath 2023. 260 Seiten (auch online).

Wenn die Kinder in Georg Müllers Waisenhäusern das Erwachsenenalter erreichten, wurden sie in die Arbeitswelt entlassen und mit Empfehlungen für ihre beruflichen Einsatzmöglichkeiten versehen. Die Autorin untersucht die Entlassungsbücher mithilfe der (marxistischen) „Kritischen Diskursanalyse“ und kommt zu dem Schluss, dass die Waisenhäuser „trotz ihrer evangelikalen Rhetorik nach den Grundsätzen der kapitalistischen Effizienz arbeiteten“. Durch Brooks’ Dissertation werde Müller „zum ersten Mal in den komplexen sozialen, ökonomischen und kulturellen Kontexten Großbritanniens im 19. Jahrhundert verortet“, und es werde „die Vermischung von guten Absichten und engstirnigen Vorurteilen, die solchen Werken zugrunde lag, diskursiv erfasst“.


Darin Duane Lenz: Henry Craik (1805–66), from St. Andrews to Bristol: An Irenic Scotsman and the Call for a Second Reformation. MTh Thesis, University of Glasgow / Edinburgh Theological Seminary 2022/23. 115 Seiten (auch online).

Nachdem Lenz 2010 bereits eine umfangreiche Dissertation über Georg Müller vorgelegt hatte – wahrscheinlich die erste über Müller überhaupt –, folgt nun die wohl erste akademische Arbeit über Müllers Kollegen Henry Craik. (Warum der Autor es allerdings nötig hatte, über zehn Jahre nach seiner Promotion noch eine Masterarbeit zu schreiben, und warum er die Dissertation in der Masterarbeit trotz des verwandten Themas kein einziges Mal erwähnt, entzieht sich meiner Kenntnis.)


Vilhelm Edvard i Lida: Brødremenigheden på Færøyene sommeren 2022. Observasjoner av forhold medlemmer var opptatt av. MA Thesis, Universität Bergen 2023. 99 Seiten (auch online).

Eine Untersuchung in norwegischer Sprache über die Haltung färöischer Brüdergemeindler zu sozialen Fragen wie Geschlechterrollen, Kleidung, Sprache, Alkoholkonsum, Teilnahme am Nationalfeiertag Ólavsøka und Identität.


Für Hinweise auf weitere, von mir übersehene Neuerscheinungen bin ich dankbar!

Anfänge in Herefordshire – und zwei (fast) vergessene Offene Brüder

brewer_edihAls ich 2001 über Percy Francis Hall zu recherchieren begann, schickte mir David Brady vom Christian Brethren Archive (CBA) in Manchester u.a. einen Artikel mit dem Titel „Early Days in Herefordshire“ zu, den auch das CBA nur in Kopie besaß. Er war dem Archiv zusammen mit anderen historischen Dokumenten der Brüdergemeinde Hereford übergeben worden und trug die handschriftliche Notiz:

Obtained from Rev. Morgan,1 Hereford Cathedral – source unknown – Printed 1893. Author: “C. B.”2

Da die Seitenzählung mit 84 begann, musste es sich um einen Auszug aus einem Sammelband o.Ä. handeln; im Katalog des CBA erhielt der Artikel daher den Vermerk: “Apparently extracted from a larger work.”

Der Autor ließ sich immerhin identifizieren, denn unter den Archivalien aus Hereford befand sich auch eine handschriftliche Version des Aufsatzes, betitelt „The Lord’s Work amongst Early Brethren in Herefordshire“ und einem gewissen Charles Brewer aus Leominster zugeschrieben.3 Entdeckt hatte beide Dokumente Harold H. Rowdon, als er für seine Dissertation recherchierte;4 von der Manuskriptfassung machte er in seinem Kapitel über Hereford reichen Gebrauch, nannte sie aber etwas kryptisch nur „Brewer’s MS“, ohne den genauen Titel und den Fundort anzugeben,5 was noch Jahrzehnte später immer wieder zu Anfragen an das CBA führte.6

Die Quelle

Welchem “larger work” die Druckversion entnommen war, blieb jedoch weiterhin unklar; Tim Grass bibliografierte sie 2006 in seinem magnum opus als “n. pl.: n. p., 1893”,7 und ich selbst schrieb in meinem 2013 erschienenen Aufsatz über Percy Francis Hall nur von einem “extract from an unidentified larger work”.8 Erst 2014/15 gelang es durch eine gemeinsame Anstrengung mehrerer Mitglieder des Brethren Archivists and Historians Network (BAHN), die Quelle ausfindig zu machen. Samuel McBride erinnerte sich, in einem Buch des Offenen Bruders Joseph Henry Burridge einen “well written account full of interesting and obscure information” über die Anfänge in Hereford gelesen zu haben;9 nachdem er seine Bibliothek konsultiert hatte, konnte er das Buch als The Christian Outlook: A Compendium of Papers on Various Aspects of Christian Life and Doctrine, Glasgow (Pickering & Inglis) o.J. identifizieren.10 Auf den Seiten 84–95 war tatsächlich der Artikel „Early Days in Herefordshire“ von „C. B.“ abgedruckt – ein Befund, den Timothy Stunt unabhängig davon bestätigte.11

burridge_tco_titleEin halbes Jahr später hatte ich Gelegenheit, den Band The Christian Outlook bei einem australischen Antiquariat zu erwerben. Wie sich herausstellte, handelt es sich nicht eigentlich um ein Buch, sondern um zwei Jahrgänge einer Zeitschrift, die Burridge 1896 unter dem Titel Church Principles and Christian Practice begonnen und 1899 in The Christian Outlook umbenannt, aber bereits Ende 1899 (also nach nur vier Jahren) wieder eingestellt hatte. In dem undatierten Sammelband The Christian Outlook, der nach außen hin wie ein gewöhnliches Buch erscheint, sind – getrennt paginiert – der dritte Jahrgang von Church Principles and Christian Practice (1898) und der vierte, The Christian Outlook genannte Jahrgang (1899) enthalten. Das Inhaltsverzeichnis (auf der Rückseite des Titelblatts) erfasst eigenartigerweise nur Letzteren; der Artikel „Early Days in Herefordshire“ findet sich jedoch im ersten Teil, und zwar im zweiten Heft, erschien also ursprünglich im zweiten Quartal 1898 in Church Principles and Christian Practice.

Vorangestellt ist dem Artikel eine Einleitung des Herausgebers mit dem Titel „Early Days among Brethren“, in der es u.a. heißt:

The narrative referred to was written in 1893, but the wisdom of publishing it being questioned by some, it has been kept back. But the fact that the account of God’s ways with His people, and His mighty power and grace among them, as well as that of their failure, is often given in the scripture for the benefit of, and even to bring home the sin of, a succeeding generation, and that in some instances they are expressly told to tell to their children the works of God among themselves, influences us to publish it now, especially as it is in character with the object of this Magazine.12

Damit wäre auch die Jahreszahl 1893 erklärt, mit der die Kopie im CBA versehen ist: Es handelt sich nicht um das Erscheinungsjahr der Druckversion, sondern um das Entstehungsjahr des Manuskripts. Eine Neuedition der Druckfassung habe ich vor einigen Tagen auf bruederbewegung.de zugänglich gemacht.13

Der Autor

Wer war nun Charles Brewer? Das Buch Turning the World Upside Down, eine Missionsgeschichte der Offenen Brüder, weiß ein wenig über ihn zu berichten:

Born in 1826, as a boy of eight or nine years old he had heard his father read an account of the mission in Baghdad, its trials and tragedies. The effect never left him. Until he died in 1915 he used all his energies in the Lord’s work at home and abroad. In 1884 he moved with his wife to Leominster and lived in the very suitably named Perseverance Road. To stir up missionary interest, he addressed meetings in various parts of the country, published books, pamphlets, tracts, magazine articles, maps, prayer cards, postcards and collecting boxes.14

Einige weitere biografische Einzelheiten lassen sich per Internetrecherche ermitteln. Geboren wurde Charles Brewer in Worthing (Sussex)15 als Sohn des Lehrers Samuel Kilbinton Brewer (17821849), der anscheinend bereits Freikirchler war,16 und dessen Frau Sarah geb. Shackle (ca. 1789–1871). Charles’ beruflicher Werdegang war offenbar abwechslungsreich: Im Census 1841 erscheint er als “Bookseller”, 1851 als “Head Assistant Bookseller”, 1861 als “Sewing Machine Maker”, 1871 als “Agent”, 1881 als “Grocer Manager Tea Trade”, 1891 und 1901 als “Living on (his) own Means” und 1911 als “Retired Bookseller”. Als Wohnsitz ist 1841 Lambeth St. Mary, 1851 bis 1881 Liverpool und 1891 bis 1911 Leominster registriert.

1851 heiratete Brewer in Plymouth die etwa fünf Jahre ältere Rebecca Horlford (geb. in Devonport); 1853 wurde ihre Tochter Lucy geboren (die 1885 den späteren Needed-Truth-Mitbegründer Charles Mann Luxmoore heiratete17), 1855 ihr Sohn Charles Samuel. Nachdem Rebecca 1902 im Alter von 81 Jahren verstorben war, ging der ebenfalls schon recht betagte Charles Brewer 1904 eine zweite Ehe mit der aus Leominster stammenden, ca. 27 Jahre jüngeren Laura Marion Rogers ein. Am 11. April 1915 starb Brewer, wahrscheinlich in Leominster:

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Quelle: National Probate Calendar

Seine zweite Frau überlebte ihn um gut 22 Jahre:

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Quelle: National Probate Calendar

Was die “books, pamphlets, tracts” angeht, die Brewer laut Turning the World Upside Down veröffentlicht haben soll, so besitzt das CBA nur einige wenige dünne Broschüren; am umfangreichsten ist noch das 32-seitige Heft My Book of Remembrance of Some Service & Work Done in Other Lands in the Name of the Lord, Leominster ²1909.18

Der Herausgeber

Noch weniger als über Brewer scheint bisher über Joseph Henry Burridge bekannt gewesen zu sein, den Herausgeber von Church Principles and Christian Practice bzw. The Christian Outlook. Roy Coad erwähnt ihn überhaupt nicht,19 Tim Grass nur einmal in Verbindung mit den Wiedervereinigungsgesprächen zwischen Offenen und Geschlossenen Brüdern Anfang des 20. Jahrhunderts.20 Der Katalog des CBA verzeichnet immerhin eine namhafte Anzahl seiner Veröffentlichungen (darunter einige recht anspruchsvoll klingende Titel, z.B. God’s Prophetic Plan: A Comprehensive View of God’s Dealings with Man from Creation to the New Heavens and New Earth, 300 Seiten, oder Near Eastern Politics and the Bible: Science, Creation, and Revelation in the Light of Near Eastern Politics, 152 Seiten), und das Believer’s Magazine veröffentlichte im Juni 1941 einen kurzen Nachruf.21 Hieraus und aus verschiedenen Online-Datenbanken lässt sich in etwa folgendes Lebensbild rekonstruieren:

Joseph Henry Burridge wurde am 20. Januar22 1856 im Londoner Vorort Peckham23 in einfache Verhältnisse hineingeboren: Sein Vater George Burridge (18281907) war zunächst Landarbeiter24 und später Ziegelbrenner,25 und auch die beiden ältesten Söhne George und Joseph Henry mussten früh hart arbeiten – im Census von 1871 sind sie als “Bricklayers”, d.h. Maurer registriert. Joseph Henry scheint diesem Beruf aber körperlich nicht gewachsen gewesen zu sein, denn 1881 wird der erst 25-Jährige als “Invalid” geführt. In der Zwischenzeit hatte sein Leben freilich schon eine andere Wendung genommen: 1872 war er zum Glauben gekommen und hatte sich den „Brüdern“ angeschlossen, und bereits vier Jahre später – also im Alter von 20 Jahren – war er in den vollzeitlichen Dienst getreten.26 Im Census 1891 ließ er sich denn auch als “Evangelist” eintragen, 1901 als “Mission Preacher”.27 Sein Schwerpunkt war allerdings nicht nur missionarisch: Wie aus Zeitungsanzeigen und -berichten hervorgeht, hielt er oft auch apologetische Vorträge (z.B. 1888 auf Guernsey über die Gottheit Christi, 1890 in Portsmouth über den Katholizismus, 1929 in Preston über die Inspiration der Bibel) oder gab in längeren Vortragsreihen umfassende Überblicke über Heilsgeschichte und Prophetie (z.B. 1894 in Ilfracombe, 1897 in Bath, 1903 in Tunbridge Wells)28 – alles Themen, die auf ein intensives autodidaktisches Studium schließen lassen.

1894, im Alter von 38 Jahren, heiratete Burridge im Bezirk Barton Regis (Gloucestershire) die etwa sieben Jahre jüngere, aus Wells (Somerset) gebürtige Fanny White. Sie bekamen fünf Kinder: Ernest Leslie (18961948), Doris Eva K. (18981901), Irene Winifred (19001965), Margaret Mary (19011994) und Arthur Patrick (19041992). Das Ehepaar ließ sich zunächst in Bristol nieder (bis zu seiner Heirat hatte Burridge offenbar in der Region London gelebt); von etwa 1898 bis 1901 finden wir sie in Ross-on-Wye (Herefordshire) oder Umgebung (Linton, Walford) – was wohl den Kontakt mit Charles Brewer und das Interesse an den Anfängen in Herefordshire erklärt –, von etwa 1904 bis 1911 wieder in Bristol, ab 1912 in Weston-super-Mare und spätestens ab den 1920er Jahren in Birmingham, wo Fanny am 15. Februar 1937 im Alter von 74 Jahren starb.29 Joseph Henry wirkte weitere vier Jahre in großer geistiger und körperlicher Frische;30 sein Tod am 6. Mai 1941 war auf einen tragischen Verkehrsunfall zurückzuführen.31

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Quelle: National Probate Calendar

(Dass der Wert seines Nachlasses hier mit “Nil” angegeben wird, verwundert etwas; 1901 war die Familie immerhin noch so vermögend gewesen, dass sie vier Hausangestellte beschäftigen konnte.)

burridge_cpacp_1898_2In vielen seiner Veröffentlichungen befasste sich Burridge mit Gemeindefragen. Er galt als Offener Bruder der „alten Schule“ und wandte sich seit den 1890er Jahren gegen die Verengungstendenzen, die in der Needed-Truth-Gruppe mündeten, aber auch außerhalb davon weiterwirkten.32 Tatsächlich verstand sich gerade seine Zeitschrift Church Principles and Christian Practice als „Zeugnis“ gegen diesen „Irrtum“.33 In seiner wahrscheinlich letzten Schrift Church Theories among Brethren, um die Jahreswende 1940/41 entstanden, meinte er sogar bei Henry Pickering und William Edwy Vine Züge dieser Lehre entdecken zu können.34 Darüber hinaus geißelte er den sektiererischen Geist, den er auch unter den Offenen Brüdern wahrnahm:

In our ecclesiastical and party strife, our respective sects (and all Church parties – or party Churches – are sects) look upon each other as enemies, and cultivate the greatest of bitter feelings toward each other. […] And those sects who boast that “we have left the sects” (and there are many such) are the most culpable, in this respect of unchristian feeling. For they have some idea of the true centre of gathering, and (some of them) the unity of the whole Church, on the absolute side. And yet their rules, regulations and customs are deadly set against the practical manifestation of the same. They have no respect – not to say love or interest – for believers, or even the work of God, outside our [sic!] own boundary lines.35

burridge_edabMit der Veröffentlichung von Charles Brewers „Early Days in Herefordshire“ in Church Principles and Christian Practice über 40 Jahre zuvor hatte er ebenfalls eine erzieherische Absicht verfolgt:

Let us seek to emulate the simplicity and devotedness of the early brethren to whom God revealed so much that is matter of common knowledge to us. Let us also seek to avoid the evils which so soon marred the testimony to the truth thus revealed, and judge the cause of it in ourselves. To this end we shall be glad to receive any true and unbiased accounts of the work of God in recovering to His people truth that had been long lost to the Church, yet clearly taught in His Word, and its immediate effect upon those who received it. But prejudiced accounts which have as their object the vindication of one party of brethren as against another, will not be in harmony with our object.36

Weitere historische Berichte dieser Art erschienen trotz Burridges Aufforderung leider nicht. Die Auflage der Zeitschrift Church Principles and Christian Practice dürfte ohnehin nicht besonders hoch gewesen sein – heute ist sie so selten, dass eine Google-Suche nur einen einzigen Treffer liefert, und zwar diesen Blog! Auch das CBA besitzt nur den Sammelband The Christian Outlook, also wohl nicht die ersten beiden Jahrgänge der Zeitschrift. Vielleicht kann der vorliegende Blogeintrag ein wenig zur Wiederentdeckung dieser beiden nahezu vergessenen Offenen Brüder der zweiten und dritten Generation, Charles Brewer (1826–1915) und Joseph Henry Burridge (1856–1941), beitragen.


50. Todestag von Peter L. Embley

embleyIn den 1960er Jahren forschten in England gleichzeitig zwei Doktoranden über die Frühgeschichte der Brüderbewegung. Harold Hamlyn Rowdon, Ende 30, legte seine 519 Schreibmaschinenseiten umfassende Arbeit 1964 der Universität London vor, erhielt 1965 den Doktortitel1 und konnte sein Werk – nach nochmaliger Überarbeitung2 – 1967 bei dem Londoner „Brüder“-Verlag Pickering & Inglis veröffentlichen;3 es wurde bald zum Standardwerk auf seinem Gebiet.4 Peter Lindsay Embley, Mitte 20, reichte seine „nur“ 294-seitige Dissertation 1966 bei der Universität Cambridge ein, bestand am 21. Februar 1967 die Doktorprüfung5 – und kam fünf Monate später bei einem Autounfall ums Leben, sodass seine Arbeit bis heute ungedruckt blieb.

Über Embleys Biografie liegen nur wenige Informationen vor. Geboren wurde er im 2. Quartal 1940 in Holderness (Yorkshire)6 als Sohn des kommunalen Verwaltungsbeamten Kenneth Lindsay Embley (1902–1968)7 und seiner Frau Gladys Lucy geb. Gibson (1910–1976)8. Die Familie gehörte wohl nicht der Brüderbewegung an; wahrscheinlich kam Embley erst während seines Studiums in Cambridge durch die Cambridge Inter-Collegiate Christian Union (CICCU) mit „Brüdern“ in Kontakt9 (nicht ohne Grund meint man in seiner Dissertation noch etwas mehr wissenschaftliche Distanz zum Untersuchungsgegenstand zu spüren als bei Rowdon). Nach Abschluss seines Studiums erhielt Embley eine Dozentenstelle10 am St Paul’s College in Cheltenham (einem der Vorläufer der heutigen University of Gloucestershire), wo er im August 1966 seine Doktorarbeit fertigstellte.11 Am 19. Juli 1967, heute vor genau 50 Jahren, wurde er auf der Autobahn M4 in der Nähe von Bray (Berkshire)12 unverschuldet13 in einen Verkehrsunfall verwickelt, bei dem er tragischerweise im blühenden Alter von 27 Jahren starb. Der ein Jahr jüngere Timothy Stunt, der ihn persönlich kannte,14 charakterisierte ihn 1969 wie folgt:

Anyone who knew Peter Embley will recall the energy and enthusiasm which would suddenly and unpredictably bubble up and find expression in tremendous industry applied to any project that he had in hand.15

Von Embleys Dissertation war lange Zeit nur eine 30-seitige Kurzfassung bekannt, die in seinem Todesjahr als Aufsatz in dem Sammelband Patterns of Sectarianism erschien16 (seit heute auch auf bruederbewegung.de zugänglich). Das einzige Exemplar der Dissertation befand sich in der Universitätsbibliothek Cambridge und konnte nur dort eingesehen werden – ein Aufwand, dem sich nur wenige Forscher unterzogen. 1982 bat das Christian Brethren Archive an der Universitätsbibliothek Manchester die Kollegen in Cambridge um die Erlaubnis, eine Kopie der Arbeit in seinen Bestand aufnehmen zu dürfen. Cambridge wollte zuerst die urheberrechtliche Situation geklärt wissen, aber bereits damals – nur wenige Jahre nach dem Tod von Embleys Mutter – ließen sich keine Erben mehr ausfindig machen, sodass dem CBA die Genehmigung erteilt wurde.17 Ende 2001 durfte ich mir die Kopie von Manchester ausleihen und einscannen; seit 2003 steht die Arbeit auf bruederbewegung.de zum Download zur Verfügung, und seither ist sie auch in zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten über die Brüderbewegung verwertet worden.

Die etwas früher fertiggestellte, aber damals noch unveröffentlichte Dissertation Rowdons konnte Embley vor Abschluss seiner Arbeit noch einsehen. Sein Urteil, sie überschneide sich nur geringfügig mit seiner eigenen,18 ist sicher etwas zu optimistisch (und wohl dem unter Doktoranden üblichen Bedürfnis geschuldet, sich von „Konkurrenten“ abzugrenzen), behandeln doch beide Dissertationen exakt denselben Zeitraum (1825–1850). Dennoch lohnt sich die Lektüre beider Arbeiten unbedingt, denn jede von ihnen verwendet Quellen, die der jeweils anderen fehlen – bei Embley sind es z.B. die Sibthorpe Collection, die Schriften von Andrew Jukes, Materialien aus den Devon County Archives und vor allem der Census of Religious Worship in England and Wales, eine statistische Erhebung über den Gottesdienstbesuch am 30. März 1851, die interessante Aufschlüsse über Anzahl und Größe der Brüdergemeinden zu diesem Zeitpunkt gibt.19

Zum 50. Todestag Embleys habe ich seine Dissertation in einer verbesserten Fassung hochgeladen: Die originalen Seitenzahlen sind jetzt rot hervorgehoben, sodass man Querverweisen wesentlich leichter nachgehen kann, das Fußnotenlayout wurde angepasst, ein OCR-Fehler (falsche Jahreszahl) auf S. 84 korrigiert, die editorische Notiz ins Englische übersetzt und der Bezug zu Cambridge klarer herausgestellt.