Kategorie-Archiv: Geschlossene Brüder

100. Todestag von Walter Thomas Prideaux Wolston

1917-03-14 The Scotsman 6 (Wolston)

Diese Meldung erschien am 14. März 1917 in der Edinburgher Zeitung The Scotsman (S. 6). Das genaue Todesdatum des Verstorbenen war den Familiennotizen auf S. 12 derselben Ausgabe zu entnehmen:

1917-03-14 The Scotsman 12 Deaths (Wolston)

Walter Thomas Prideaux Wolstons Lebenslauf ist durch die Kurzbiografien von Henry Pickering, Arend Remmers und John Bjorlie hinreichend bekannt und muss daher hier nicht wiederholt werden. Was keiner der drei Autoren erwähnt, ist der Name seiner Ehefrau. Die Zeitung The South London Press berichtete am 8. Juni 1878 (S. 11):

1878-06-08 The South London Press 11 (Wolston, Lean)

Mary Lean wurde im 3. Quartal 1842 in Plymouth geboren1 und starb am 25. November 1932 in Weston-super-Mare.2 Über ihren Vater Francis Lean (1795–1873) weiß George Henry Lang zu berichten, dass er noch am Abend seiner Bekehrung (und seines Übertritts zu den „Brüdern“) seine Position bei der Marine aufgab.3 (Vermutlich handelt es sich um denselben Francis Lean, der am 16. Juni 1849 einen Brief aus London an die Gemeinde in Bethesda [Bristol] mitunterzeichnete.4 Seine jüngste Tochter Ellen Teresa heiratete übrigens einen Sohn von Charles Henry Mackintosh.5)

W. T. P. Wolstons Schriften sind größtenteils auf STEM Publishing, einige Faksimiles auch im Brethren Archive und im Christian Writings Archive zugänglich.

Das Friedenszeugnis der frühen „Brüder“

brockFür die meisten Pioniere der (britischen) Brüderbewegung waren Militär- und Kriegsdienst mit dem Christsein unvereinbar; wer als Soldat zum Glauben (und zu den „Brüdern“) kam, quittierte in der Regel den Dienst.1 Der britisch-kanadische Pazifismusforscher Peter Brock (1920–2006) stellt das „Friedenszeugnis“ der frühen „Brüder“ denn auch mit dem der Quäker auf eine Stufe; er hält es sogar für möglich, dass der Ausdruck conscientious objection – im Englischen heute der Terminus technicus für „Kriegsdienstverweigerung“ – von einem „Bruder“ geprägt wurde, nämlich 1846 von Sir Charles Brenton (1807–1862).2 Brocks klassischer Artikel “The Peace Testimony of the Early Plymouth Brethren”, zuerst 1984 in der amerikanischen Zeitschrift Church History erschienen, ist seit gestern auf bruederbewegung.de als Download zugänglich. Außer auf Brenton geht Brock darin insbesondere auf Anthony Norris Groves, Georg Müller, John Nelson Darby, Benjamin Wills Newton und Percy Francis Hall ein.

Ein zentrales Motiv für den Pazifismus der „Brüder“ (wenn man ihn überhaupt so nennen darf) bleibt bei Brock allerdings leider unerwähnt: ihr dispensationalistisches Geschichtsbild. Die „Brüder“ waren und sind im Allgemeinen ja keine radikalen Pazifisten, die jede Form des Krieges für böse und verwerflich halten würden (andernfalls müssten sie weite Teile des Alten Testaments und der Prophetie ablehnen), sondern sie sind lediglich der Auffassung, dass Nachfolger Jesu in der gegenwärtigen Zeit der Gnade nicht dazu berufen sind, sich daran zu beteiligen. George Henry Lang (1874–1958) fasst diese Haltung prägnant zusammen:

Therefore we do not with some say that all war is inherently and necessarily wrong, for we recognize that God has ordered wars … We say that all this is not the present business of the associate of the Lord Jesus Christ …3

Wenigstens knapp erläutert wird dieser Zusammenhang zwischen „Brüderpazifismus“ und Dispensationalismus in Elisabeth Wilsons thematisch verwandter Masterarbeit Brethren Attitudes to Authority and Government, with Particular Reference to Pacifism (University of Tasmania, Hobart 1994), S. 38f.


150. Geburtstag von Franz Kaupp

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Franz Kaupp (1866–1945)

„Eine der wichtigsten Lehrautoritäten der ‚Christlichen Versammlung‘ in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der Württemberger Franz Kaupp“ – dieser Einschätzung Volker Jordans1 wird man sicherlich zustimmen können. Kaupp, dessen Geburtstag sich heute zum 150. Mal jährt, stammte wie der gleichaltrige Otto Schröder aus einfachen Verhältnissen und hatte keine Möglichkeit, eine höhere Schule zu besuchen, eignete sich aber im Selbststudium so umfassende Kenntnisse der Bibel einschließlich ihrer Grundsprachen an, dass seinem Urteil in Auslegungsfragen größtes Gewicht beigemessen wurde2 – und das nicht nur in „geschlossenen“, sondern auch in „offenen“ Kreisen.

Tatsächlich erschienen die meisten schriftlichen Fragenbeantwortungen Kaupps nicht im Botschafter des Heils in Christo (das Christian Writings Archive verzeichnet hier nur wenige Artikel aus den Jahren 1934–37), sondern in den Handreichungen aus dem Worte Gottes, der bedeutendsten Zeitschrift der deutschen Offenen Brüder. Eine heimliche Sympathie für den „offenen“ Standpunkt kann daraus sicher nicht abgeleitet werden, wohl aber doch die Bereitschaft, über den „exklusiven“ Tellerrand hinauszublicken und mit (etwas) anders denkenden Christen zusammenzuarbeiten.

Kaupps gesammelte Fragenbeantwortungen wurden 1968 vom Ernst-Paulus-Verlag in Buchform veröffentlicht (²1972), eingeleitet durch ein kurzes Lebensbild, das Arend Remmers über weite Strecken wörtlich in sein Buch Gedenket eurer Führer (1983, ²1990) übernahm. Es bildet auch die Grundlage für Volker Jordans Kapitel über Kaupp, das ab heute als separate Datei auf bruederbewegung.de zur Verfügung steht.

Einige Artikel und Fragenbeantwortungen Kaupps sind auch einzeln online zugänglich:

 


200. Geburtstag von Philipp und Carl Richter

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Philipp Richter (1816–1914), gemalt von seinem Enkel Paul Feller

„Wer schreibt, der bleibt“, sagt ein Sprichwort. Das gilt in gewisser Weise auch für die Kirchengeschichte: Diener Gottes, die Schriften hinterlassen haben, bleiben der Nachwelt in der Regel besser und länger im Gedächtnis als solche, deren Dienst vorwiegend mündlicher Art war. In die letztere Kategorie fallen zweifellos die Dillenburger Zwillingsbrüder Philipp und Carl Richter, die zu den Gründervätern der Brüderbewegung im Dillkreis gehörten und viele Jahre als Evangelisten und Lehrer in ihrer Heimatregion und darüber hinaus aktiv waren. Ihr Geburtstag jährt sich heute zum 200. Mal.

Dabei sind die Informationen über Carl (oder Karl) noch spärlicher als die über Philipp, der immerhin bis 1914 lebte, also fast 100 Jahre alt wurde. In seinem 40. Todesjahr (1954) gelang es der Zeitschrift Die Botschaft noch, Zeitzeugenerinnerungen an ihn zu sammeln und zu einem Gedenkartikel zu verarbeiten; dieser wurde 2014 zu seinem 100. Todestag in orthografisch modernisierter, annotierter und illustrierter Form in Zeit & Schrift wiederabgedruckt. Die zeichengetreue Originalfassung ist seit heute auf bruederbewegung.de zu finden.

Wiederholt erwähnt werden die Brüder Richter auch in zwei Arbeiten von August Jung: im Artikel „Die Anfänge der Brüderbewegung im Dillkreis, besonders in Manderbach“, erschienen in der Festschrift 150 Jahre Christliche Versammlung Manderbach (2003), S. 24–37, und im gleichnamigen (aber nicht damit identischen) Festvortrag zum selben Anlass.

100. Todestag von Paul Jacob Loizeaux

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Paul Jacob Loizeaux (1841–1916)

Wer hat den Tisch des Herrn? Diese Frage hat die „Brüder“ schon immer beschäftigt. Eine eher ungewöhnliche Antwort (zumindest für einen Geschlossenen Bruder) gab darauf der amerikanische „Grant-Bruder“ Paul Jacob Loizeaux – so ungewöhnlich, dass sich Rudolf Brockhaus 1925 veranlasst sah, im Botschafter des Heils in Christo eine Richtigstellung zu veröffentlichen.

Wer war Paul Jacob1 Loizeaux? Geboren wurde er im Oktober2 1841 als ältester Sohn des Seidenhändlers Jean Jacques Loizeaux (1816–1885) und seiner Frau Marie Susanne geb. Dusse (1819–1892) im nordfranzösischen Ort Lemé. 1850 zog die Familie, die seit Generationen protestantisch war, in den Süden Frankreichs, da es dort bessere protestantische Schulen gab. Als 1853 das Seidengewerbe in eine Krise geriet, emigrierten sie in die USA; nach kurzem Aufenthalt in Illinois ließen sie sich in Vinton (Iowa) nieder und begannen erfolgreich Landwirtschaft zu betreiben.

Paul Jacob besuchte von 1860 bis 1862 das Charlier Institute, eine höhere Schule in New York, und begann anschließend eine juristische Ausbildung in einer Anwaltskanzlei seiner Heimatregion. Aufgrund von Gewissensbedenken brach er diese jedoch bald wieder ab und kehrte als Lehrer ans Charlier Institute zurück. Er bemühte sich, ein moralisch einwandfreies Leben zu führen, und erhielt von seiner Kirche sogar eine Lizenz zum Predigen, war bis dahin aber noch nicht zum Evangelium der Gnade durchgedrungen; dies geschah erst, als er während eines Krankenbesuchs auf Römer 3 und die Rechtfertigung allein aus Glauben hingewiesen wurde. Loizeaux beschloss, seinen Beruf aufzugeben und sich fortan nur noch der Verkündigung dieser Botschaft zu widmen.

In New York hatte er Celia Sanderson (1842–1908) kennengelernt, die dort ebenfalls zur Schule ging und bereits den „Brüdern“ angehörte. Am 4. Februar 1868 heirateten die beiden in Celias Heimatstadt Milwaukee (Wisconsin) und zogen anschließend wieder nach Vinton. Durch Loizeaux’ Zeugnis fand ein großer Teil seiner Familie, darunter seine Eltern und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Timothée Ophir Loizeaux (1843–1927), zur Gewissheit des Heils. In Vinton und Umgebung entstanden mehrere Hausgemeinden.

Im Sommer 1870 besuchte Loizeaux die große Konferenz der „Brüder“ in Guelph (Ontario), zu der auch John Nelson Darby (1800–1882) angereist war. Das dort Gehörte beeindruckte ihn sehr, und so schloss er sich – ebenso wie mehrere andere Mitglieder seiner Familie – den „Brüdern“ an. 1876 gründete er gemeinsam mit seinem Bruder Timothée in Vinton den Schriftenverlag Bible Truth Depot, der 1879 nach New York verlegt wurde und sich dort unter dem Namen Loizeaux Brothers bald zu einem der wichtigsten amerikanischen Verlage der „Brüder“ entwickelte.

Ab 1881 wohnten die Brüder Loizeaux in dem ca. 40 km westlich von New York gelegenen Plainfield (New Jersey), wo sich auch Frederick William Grant (1843–1902) niederließ. Paul Loizeaux predigte viel in den umliegenden Versammlungen, verkündigte das Evangelium und schrieb etliche Broschüren und Zeitschriftenartikel.3 Die höchste Auflage (mehrere Millionen!) erreichte eine bereits 1871 erschienene Schrift über den zum Tode verurteilten Verbrecher Daniel Mann, der im Gefängnis von Kingston (Ontario) durch Loizeaux zum Glauben gekommen war.4 Über seine Evangelisationsweise berichtet Henry Allan Ironsides Biograf eine interessante Episode:5

Mr. Loizeaux war vor allen Dingen ein Evangelist, der durch sein kraftvolle Verkündigung viele Menschen ansprach.

Eines Abends begab sich Ironside früh zum Versammlungssaal. Er stand hinten in einer kleinen Nische, die durch eine Querwand vom Rest des Saales abgetrennt war. Da kamen zwei Männer herein und betraten gleich den Hauptraum. Einer der beiden sagte: „Ist dir aufgefallen, worin sich der Predigtstil Loizeaux’ von dem Ironsides unterscheidet?“

Harry hielt es für angebracht, seine unsichtbare Anwesenheit kundzutun, aber bevor er überlegen konnte, was er sagen solle, antwortete der zweite Mann dem Fragenden: „Die beiden kann man überhaupt nicht miteinander vergleichen. Sie sind so grundverschieden.“

Jetzt war es zu spät, und im nächsten Augenblick hörte der unfreiwillige Lauscher den ersten Mann sagen: „Ja, aber es gibt eine Sache, die ins Auge fällt. Wenn Paul Loizeaux spricht, sagt er den Leuten immer, was sie bekommen werden, wenn sie zu Christus kommen. Harry Ironside dagegen sagt ihnen immer, was sie erwartet, wenn sie es nicht tun.“

Ironside wurde von diesem Gegensatz so getroffen, daß er das Gespräch später am Abend Mr. Loizeaux mitteilte. Jener sagte auf die für ihn typische Art: „Ja, mein lieber junger Bruder, das sollte uns zu denken geben. Wir dürfen niemals vergessen, daß unser großer Auftrag darin besteht, die Gnade Gottes zu verkünden.“

Als es 1884 zur „Grant-Trennung“ kam, blieben die Brüder Loizeaux treu auf der Seite Grants. Bei den späteren Vereinigungsgesprächen mit anderen „Brüder“-Gruppen spielte Paul Loizeaux meist eine führende Rolle, so bereits 1886, als William Kelly (1821–1906) nach Amerika kam, um die Aussichten für einen Zusammenschluss zwischen „Kelly-“ und „Grant-Brüdern“ zu erkunden (was letztlich an der Verbindung der „Grant-“ mit den „Stuart-Brüdern“ scheiterte, die Kelly nicht akzeptieren konnte). Der 1892 getroffenen Entscheidung der „Grant-Brüder“, auch Offene Brüder zum Brotbrechen zuzulassen, stand Loizeaux skeptisch gegenüber, trug sie aber doch mit – bevor sie 1893 und 1894 schrittweise wieder rückgängig gemacht wurde. 1909 reiste Loizeaux mit drei anderen führenden „Grant-Brüdern“ nach England, um einen möglichen Zusammenschluss mit den „Glanton-Brüdern“ zu erörtern, doch konnte darüber ebenfalls keine Einigung erzielt werden – Loizeaux nahm es den „Glanton-Brüdern“ übel, dass sie sich nicht eindeutig vom Ausschluss Clarence Esme Stuarts (1885) distanzieren wollten, und sprach sich schließlich gegen ein Zusammengehen mit ihnen aus. Den Aufenthalt in Europa nutzte er danach noch zu einem Besuch seiner französischen Heimat.

Wann Loizeaux seine kleine Broschüre über den Tisch des Herrn schrieb, ist unbekannt – sie erschien unter dem Titel The Lord’s Table: Who Has It? ohne Jahresangabe im Verlag Loizeaux Brothers. Den Hintergrund bildeten vermutlich die Gespräche mit anderen „Brüder“-Gruppen, die den Tisch des Herrn für sich allein beanspruchten. Das Fazit von Loizeaux’ Überlegungen lautete:

Es gibt auch nur einen Tisch des Herrn; der andere ist „der Tisch der Dämonen“ (1. Kor. 10, 21), und der Tisch des Herrn ist da, wo der „eine Leib“ des Herrn ist. Er gab ihn der „Versammlung, welche sein Leib ist“, und eine jede Teilkirche, die dessen ausschließlichen Besitz für sich in Anspruch nehmen würde, wäre damit ebenso stolz und überheblich, als wenn sie behaupten würde, ausschließlich der Leib des Herrn zu sein. […] Die wahre Kirche, der wahre Tisch des Herrn, die Gegenwart des Herrn in der Mitte der Seinen sind Dinge, die niemals Besitz einer Sekte sein können. Nie kann irgendein bestimmter Teil des Volkes Gottes diese Dinge in ausschließlicher Weise vorwurfslos für sich in Anspruch nehmen. Nur Hochmut kann dazu führen, und „Gott widersteht dem Hochmütigen“!6

Auch wenn in einer Gemeinde Missstände vorhanden seien, die eine Trennung erforderlich machten, bedeute das nicht, dass dort nicht mehr der Tisch des Herrn sei:

Wenn also eine Gemeinschaft von Gläubigen an Grundsätzen festhält, die durch das Wort Gottes verurteilt werden, oder wenn sie ungerecht handelt und sich weigert, Buße zu tun oder von der Ungerechtigkeit abzustehen, so können wir dennoch nicht behaupten, daß sie nicht mehr des Herrn Gegenwart in ihrer Mitte genießen oder den Tisch des Herrn haben. Diese Frage zu beantworten ist nicht unsere Angelegenheit. Wir haben nur einfach Gott in allen Dingen, die Sein Wort uns anbefiehlt, zu gehorchen.7

Als diese Äußerungen – und ähnliche von Samuel Ridout (1855–1930), einem anderen führenden „Grant-Bruder“ – Rudolf Brockhaus zu Gesicht kamen, reagierte er beunruhigt:

Hört und liest man doch heute oft Worte, die man bisher in der Mitte und in den Schriften der Brüder nicht zu hören oder zu lesen gewöhnt war. Es werden Ansichten geäußert, die befürchten lassen, daß man Grundsätze, die früher für göttlich gehalten wurden, bereits aufgegeben hat, oder daß man doch in Gefahr steht, sie aufzugeben.8

Als Beispiele zitiert Brockhaus zunächst zwei Sätze von Ridout:

So lehrt man z.B. in Verbindung mit der uns beschäftigenden Frage: „Der Tisch des Herrn wurde einst für Seine ganze Kirche gegeben und kann von diesem Gesichtspunkt aus von keiner Vereinigung von Gläubigen für sich, unter Ausschluß anderer, in Anspruch genommen werden“. Oder: „Der Besitz des Tisches des Herrn steht mit der Stellung des Christen in Verbindung und nicht mit seiner Treue im Wandel“.9

Dann folgt die bereits oben zititerte Äußerung von Loizeaux:

Ja, man hat sogar geschrieben: „Wenn eine Vereinigung von Christen Grundsätze festhält, die das Wort Gottes verurteilt, oder ein Unrecht begeht und sich nun weigert, im Gehorsam gegen Gott Buße zu tun, oder von der Ungerechtigkeit abzustehen, so maßen wir uns nicht an zu sagen, daß sie nicht länger des Herrn Gegenwart oder des Herrn Tisch in ihrer Mitte habe“. Das sind, wie gesagt, Worte, die mit dem, was wir bisher gehört und gelernt haben, in unmittelbarem Widerspruch stehen. Es ist aber immer eine ernste Sache, die alten Grenzen, die die Väter gesetzt haben, zu verrücken. Gottes Wort warnt uns davor in Sprüche 22, 28.10

Brockhaus hatte Ridout seine Bedenken zunächst brieflich mitgeteilt (12. Mai 1925, mitunterzeichnet von Johannes Nicolaas Voorhoeve) und verarbeitete sie anschließend zu dem bekannten Botschafter-Artikel „Der Tisch des Herrn“, der auch als separate Broschüre11 erschien:

Sie [die nachstehenden Gedanken] wurden anläßlich eines Briefwechsels über eine Zuchtfrage, deren Entscheidung eine schmerzliche und weitgehende Trennung nach sich gezogen hat,12 niedergeschrieben, um beide Seiten noch einmal an die einfachen Grundlinien des Wortes Gottes zu erinnern, sowohl hinsichtlich der Feier des Abendmahls und des Zusammenkommens im Namen Jesu „außerhalb des Lagers“, als auch einiger mit dem Tische des Herrn in Verbindung stehender Wahrheiten.13

Mit Loizeaux konnte sich Brockhaus nicht mehr persönlich auseinandersetzen, da er zu dieser Zeit schon nicht mehr unter den Lebenden weilte. Er starb am 3. Oktober 1916, heute vor genau 100 Jahren, an seinem Wohnort Plainfield und wurde auf dem Hillside Cemetery in Scotch Plains begraben.

Ironside fasst seinen Dienst wie folgt zusammen:

cultured and of magnetic personality, he became a spirit-filled and flaming evangelist and went everywhere proclaiming the Word, in self-denying dependence on the Lord.14

Später nennt er ihn noch

the able evangelist whose fiery eloquence had made him the outstanding preacher in this particular section of the movement.15

Online zugängliche Biografien Loizeaux’ sind mir keine bekannt. Die obigen Informationen entstammen im Wesentlichen den Büchern von Noel,16 Ironside17 und Ouweneel,18 überprüft und ggf. korrigiert durch die Broschüre A Good Soldier of Jesus Christ. A Short Memoir of Paul J. Loizeaux von Samuel Ridout (New York [Loizeaux Brothers] o.J.).


200. Geburtstag von Julius Anton von Poseck

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Julius Anton von Poseck (1816–1896)

Es gibt wohl kein Lied aus den Kreisen der Brüderbewegung, das in der Christenheit so bekannt geworden ist wie „Auf dem Lamm ruht meine Seele“. Die Website Liederdatenbank verzeichnet allein aus den letzten vier Jahrzehnten sieben Liederbücher verschiedenster Herkunft, in die es aufgenommen wurde – von den Gemeindeliedern der Baptisten und FeGs über Jesus unsere Freude vom Gnadauer Gemeinschaftsverband und Singt zu Gottes Ehre vom Blauen Kreuz bis hin zu Lied des Lebens von „Jugend mit einer Mission“. Tonaufnahmen von Doris Loh bis Helmut Jost, Übersetzungen ins Englische und Niederländische sowie ein Buchtitel von Jost Müller-Bohn sind weitere Zeugen seiner Popularität. Der Autor dieses „Klassikers“, mit vollem Namen Julius Anton Eugen Wilhelm von Poseck, wurde heute vor 200 Jahren im pommerschen Zirkwitz (heute Cerkwica in Polen) geboren.

Weniger bekannt ist, dass der seit über 150 Jahren gesungene Wortlaut durchaus nicht den ursprünglichen Vorstellungen des Dichters entspricht. Tatsächlich mussten sich alle Lieder Posecks – nach heutigem Kenntnisstand lassen sich nur noch fünf mit einiger Gewissheit ihm zuordnen1 – mehr oder weniger einschneidende Änderungen gefallen lassen, als sie in das „kanonische“ Liederbuch der deutschen „Brüder“, die von Carl Brockhaus herausgegebene Kleine Sammlung geistlicher Lieder, aufgenommen wurden. Ausgerechnet „Auf dem Lamm ruht meine Seele“ traf es dabei mit am härtesten: Von den eigentlich elf Strophen wurden sechs getilgt, die fünf beibehaltenen wurden umgeschrieben (besonders die letzte ist kaum noch wiederzuerkennen), und eine Strophe wurde (wahrscheinlich von Carl Brockhaus) neu hinzugedichtet.

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Titelseite der „Lieder für die Kinder Gottes“ (²1856)

Wie Poseck selbst sich seine Lieder vorgestellt hatte, ist uns durch das von ihm herausgegebene Liederbuch Lieder für die Kinder Gottes (2. Auflage, Hilden 18562) glücklicherweise noch bekannt. Auch wenn man manche der späteren Veränderungen durchaus als Verbesserungen empfinden mag – oder ist es nur eine Frage der Gewohnheit? –, sollen in diesem Gedenkartikel einmal die Originalfassungen zu ihrem Recht kommen – als kleine Reverenz an einen Bruder mit „nicht alltägliche[r] Dichtergabe“,3 der in Deutschland wegen seiner „Gelehrtheit“ nicht recht willkommen war und deshalb die zweite Hälfte seines Lebens in England verbrachte.4

Das Lied „Auf dem Lamm ruht meine Seele“ trug in Posecks Liedern für die Kinder Gottes die Nummer 91:5

Auf dem Lamm ruht meine Seele,
Schauet still dies Wunder an:
„Alle, alle meine Sünden
Durch Sein Opfer weggethan!“

Sel’ger Ruhort! Süßer Frieden,
Auf dem Lamme so zu ruhn!
Wo Gott Selber mit mir ruhet
Der ich Ihm versöhnet nun.

Hier fand Ruhe mein Gewissen;
Denn Sein Blut, es war der Quell,
Der mein Kleid von allen Sünden
Hat gewaschen weiß und hell.

Hier seh’ ich die Morgenröthe
Offen steht des Himmels Thor;
Meine Seele im Triumphe
Schwinget sich zu Gott empor.

Hier muß der Verkläger weichen;
Denn für mich ward Gottes Lamm
Einst zur Schlachtbank hingeführet,
Hat den Mund nicht aufgethan.

Seele, klammre Dich im Glauben
Fest an Deinen Heiland an.
Sieh, Er ist für Dich gestorben,
Daß Du lebest Ihm fortan.

Geh nach Weisheit zu dem Lamme;
Lern’ hier Gottes Sinn verstehn;
Lern’ des Vaters Herrlichkeiten,
Täglich neue Wunder sehn.

Tränke Dich aus diesen Quellen
Wahrer Demuth, Lieb’ und Gnad’.
Dann, o Seele, ruhst du sicher,
Wandelst sicher deinen Pfad.

Jesu, Deine Gnade leitet
Mich der sel’gen Wohnung zu,
Die dort in des Vaters Hause
Selber mir bereitet du.

Dann wird Dich mein Auge sehen,
Dessen Lieb’ ich hier geschmeckt,
Dessen Treu ich hier erfahren,
Der mir Gottes Herz entdeckt.

Wenn der Lohn von deinen Schmerzen:
Deine Gott erkaufte Schaar –
Bringt in Zions heil’ger Ruhe
Gotteslamm ihr Loblied dar.

Ähnlich starke Veränderungen wie „Auf dem Lamm ruht meine Seele“ erfuhr das Lied „Jesu, Quelle unsrer Freuden“ (Nr. 94): Es wurde von fünf auf zwei Strophen gekürzt, die nunmehr zweite Strophe wurde völlig umgedichtet, und die 2. und 4. Zeile wurden um jeweils zwei Silben verlängert:

Jesu, Quelle unsrer Freuden,
Trost in allem Leid!
Der Du Selber gingst durch Leiden
Ein zur Herrlichkeit.
Hier von unserm Pilgerlauf
Schauen wir zu Dir hinauf,
Rings umschränkt,
Hart bedrängt,
Stärke uns im Glaubensstreit.

Sieh, Dein Feind schlägt Deine Glieder
Mit gar großer Macht,
Glaubt, er hätte bald darnieder
Deinen Leib gebracht.
Aber seine Macht, sie raubt
Nicht dem Leib sein mächtig Haupt,
Das Du bist,
Jesus Christ,
Der vom Himmel uns bewacht.

All sein Toben und sein Wüthen,
Seine Ränk’ und List,
Sein Gewehr und Machtaufbieten
Doch vergebens ist.
Christi Leib bezwingt er nicht,
Christi Geist, den dämpft er nicht.
In uns ist
Jesus Christ
Mächt’ger, als der draußen ist.

Starkes Haupt der schwachen Glieder!
Aus der Herrlichkeit
Schaust Du auf die Deinen nieder,
Die für Dich im Streit.
All’ in jedem Ort und Land,
Groß und Klein sind Dir bekannt;
Jeden Schlag,
Spott und Schmach,
Fühlst Du als Dein eigen Leid.

Halt’ uns nah Dir alle Stunden,
Daß nicht, Jesu, wir
Sünd’gend Dich, o Haupt, verwunden,
Das geblutet hier.
Festen Schritt und brennend Licht!
Denn Du, Herr, verziehest nicht!
Bald nach Streit,
Kreuz und Leid,
Triumphirt die Braut mit Dir.

Kaum besser erging es dem Lied 77 „Hochgebenedeiter“ (der zugegebenermaßen etwas befremdliche Titel wurde in „Gott, mein treuer Leiter“ geändert): Fünf von acht Strophen gingen verloren, die übrigen wurden gründlich revidiert:

Hochgebenedeiter!
Deine Macht reicht weiter,
Als die Sonne scheint.
Du Selbst willst uns schützen,
Soll’n auf Dich uns stützen,
Unsichtbarer Freund!
Steh uns bei,
Im Glauben treu,
Trotz des Lebens Truggestalten
An Dir fest zu halten.

So im heil’gen Bunde
Bist Du jede Stunde
Uns, o Helfer, nah.
Nimm, was Du willst nehmen,
Es soll uns nicht grämen,
Denn Du liebst uns ja.
Reben, wir,
Im Weinstock, Dir,
Gib, daß wir trotz Sturmes Schalten
An Dir fest nur halten.

Wir sind in der Wüste,
Fern der Heimath Küste,
Müd’ und unterdrückt.
Doch zu allen Stunden
Wird in Dir gefunden
Ruh’, die uns erquickt.
Uns, verbannt
Im fremden Land,
Stärkest Du mit Segenswalten,
Wenn wir fest Dich halten.

Unsre frühern Träume,
Gleich wie leere Schäume,
Lassen wir zurück.
Was ist Erdenwonne?
Nebel vor der Sonne!
Der uns trübt den Blick.
Unsre Freud’
Und Sonn’ im Leid,
Strahlst und wärmst Du ohn’ Erkalten,
Wenn wir fest Dich halten.

Hoffnungen der Erde,
Freunde und Gefährte,
Schwinden wie ein Trug.
Und wenn sie uns fehlen,
Bist Du, Trost der Seelen,
Freund und Hoffnung g’nug.
Wenn uns blieb
Nicht Freund noch Lieb’,
Wird’s uns desto wen’ger spalten,
Wenn wir fest Dich halten.

Will es oft uns dünken,
Als ob wir versinken
In der Wüste Sand;
Sieh, eh’ wir es denken,
Zeigst Du, uns zu tränken,
Uns der Quelle Rand.
„Halte dich
Doch fest an Mich!“
Flüsterst Du mit Liebestönen,
Stillest unsre Thränen.

Glaub’ und Hoffnung müssen
Unter Kümmernissen
Hier ernähren sich.
Doch wir sind zufrieden,
Bitten nichts hienieden,
Brauchen nichts als Dich.
Ruhig still
In Gottes Will’,
Sanft ergeben in Dein Walten,
Sind, die fest Dich halten.

Grab und Satan schrecket
Uns nicht, denn uns wecket
Unser Gott einst auf.
Der den Tod bezwungen,
Uns durch Blut errungen,
Stärkt hier unsern Lauf.
Gläub’gem Muth
Weicht Jordan’s Fluth,
Muß vor unserm Fuß sich spalten,
Wenn wir fest Dich halten.

Vergleichsweise ungeschoren kam dagegen Lied 66 „O Gottes Sohn! Vor aller Zeit geboren!“ davon: Es verlor nur seine erste Strophe, blieb aber sonst gut erkennbar:

O Gottes Sohn!
Vor aller Zeit geboren!
Eh’ Erd’ und Himmel ward, aller Engel Preis!
Des Vaters Lust und Freud’,
Du spieltest vor Ihm allezeit.
Warst Weisheit Seiner Stärke;
Der Meister Seiner Werke.
Und solchen Himmel, solchen Gott,
Konntst Du verlassen Ihn?

O Gottes Lamm!
Für Sünder hier erwürget!
Die Erde, die Du schufst, ach, sie trug Dein Kreuz!
Was führte Dich herab
In Armuth, Fluch und Tod und Grab? –
Die Braut, die Dir gegeben
Dein Gott, mit Dir zu leben,
Mit Dir zu thronen königlich,
Sie zog hernieder Dich.

Gott und das Lamm, –
O Quelle aller Freuden! –
Ist unser, wir sind Sein, jetzt und ewiglich!
Die Braut hast Du erkauft,
Und sie mit Deinem Geist getauft.
Die Liebe zog Dich nieder!
Sie zieht zu Dir uns wieder.
Was wär’ der Himmel ohne Dich,
Und alle Herrlichkeit?

Komm, Jesu, komm!
Wir sehnen uns, zu schauen
Das Antlitz unsers Herrn, der uns Gott erkauft.
Der, Seines Vaters Bild,
Sein Herz und Seinen Himmel füllt.
Auf fremden Erdenwegen
Wir seufzen Dir entgegen,
Bis unser Loblied voll ertönt
Dem Lamm, das uns versöhnt.

Am geringfügigsten schließlich wurde in Lied 9 „Jesus kam hernieder“ (heute: „Herr, Du kamst hernieder“) eingegriffen:

Jesus kam hernieder,
Hat uns versöhnt;
Ging zum Vater wieder,
Ward am Thron gekrönt.
Sein Eigenthum
Sind wir, Gott zum Ruhm;
Sind durch Ihn vertreten
Dort im Heiligthum.
Ewige Gnade,
Mein Bruder Du!
O welch’ hohe Gabe,
Welch’ sel’ge Ruh!

Wir, die Deinen beten
Freimüthiglich,
Weil Du sie vertreten
Hohepriesterlich.
Dein Angesicht
Ist auch jetzt gericht’t
Auf die Brüder alle,
O Du läßt sie nicht.
Dein treues Lieben,
Dein Opfertod
Brachte uns den Frieden,
Du treuer Gott!

Stehe auf vom Throne,
Du Gotteslamm!
Nimm die Braut zum Lohne,
O mein Bräutigam!
Sie ist ja Dein;
Rufe bald sie heim!
In des Vaters Wohnung
Führ’ sie mit Dir ein.
An Deinem Herzen
Trifft sie kein Leid;
Nahen keine Schmerzen
In Ewigkeit.

Lebensbilder Julius Anton von Posecks auf dem aktuellen Stand der Forschung (seit 2002 liegt ja die Monografie von August Jung vor, die auch bereits in mehreren Punkten korrekturbedürftig ist) sind online leider nicht verfügbar. Ich verweise hier auf den Artikel von Arend Remmers aus Gedenket eurer Führer und auf die deutschsprachige Wikipedia, deren Poseck-Artikel ich mir demnächst einmal vornehmen werde.


150. Geburtstag von Otto Schröder

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Otto Schröder (1866–1941)

Die deutsche Brüderbewegung wurde – anders als die englische – in ihren ersten Jahrzehnten nicht von Akademikern und Angehörigen der höheren Schichten geprägt, sondern von Kleinbürgern, Handwerkern und „einfachen Leuten“. So war auch der Berliner „Lehrbruder“ Otto Schröder, dessen Geburtstag sich heute zum 150. Mal jährt, von Beruf eigentlich Schuhmacher. Durch jahrelanges intensives Selbststudium hatte er sich jedoch mit der Bibel derart vertraut gemacht, dass über seine Vorträge gesagt werden konnte:

Die tiefe Erkenntnis war für manche einfachen Christen fast zu hoch. Wenn er auch zu Unbekehrten sprechen konnte, so war er doch ganz Lehrer, der „das Wort der Wahrheit recht teilte“. Es war stets ein hoher Genuss, ihn über schwierige Bibeltexte reden zu hören, wie z.B. über den Segen Josephs. Dabei war er in seiner ganzen Art ein bescheidener und vor allem ein sehr schweigsamer Mann, weshalb er manchmal verkannt wurde.

Von etwa 1904 bis zum Verbot der „Christlichen Versammlung“ 1937 war Schröder vollzeitlich im „Werk des Herrn“ tätig. Dem BfC schloss er sich – im Gegensatz zu den meisten anderen „Reisebrüdern“ – nicht an. Das Ende der Verbotszeit erlebte er leider nicht mehr: Er starb 1941 im Alter von 75 Jahren.

Ein von Friedrich Briem sen. verfasstes erbauliches Lebensbild Schröders erschien 2003 in Zeit & Schrift (daraus auch das obige Zitat).

Frankfurter „Nichtbündler“ vor Gericht

strafsacheDie Geschichte der „Nichtbündler“, d.h. derjenigen Angehörigen der „Christlichen Versammlung“, die sich nach dem Verbot vom April 1937 nicht dem vom NS-Staat geförderten „Bund freikirchlicher Christen“ anschlossen, ist durch die Arbeiten von Gerhard Jordy1, Friedhelm Menk2, Hartmut Kretzer3, Andreas Liese4 und Volker Jordan5 inzwischen recht gut erforscht. Dennoch kommen immer noch neue Namen und Dokumente ans Licht.

Ein Bruder aus dem Rhein-Main-Gebiet schickte mir kürzlich ein Urteil des „Sondergerichts für den Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main“ vom 30. November 1942 zu, das in der bisherigen Literatur noch nicht erwähnt worden zu sein scheint.6 Es richtet sich gegen vier „Schwestern“ und einen „Bruder“ aus Frankfurt, denen vorgeworfen wurde, sich „im Sinne der verbotenen Sekte ‚Christliche Versammlung‘“ betätigt zu haben, indem sie illegale Zusammenkünfte besuchten und sich an Geldsammlungen beteiligten. Vier der Angeklagen – Lea Pelet, Frieda Hornung geb. Eichinger, Karl Bernhardt und Anna Ulbrich geb. Krebs – wurden zu 200 bzw. 400 RM Geldstrafe, eine – Luise Wolf – zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.

Die Begründung im Fall Luise Wolf verdient es, vollständig zitiert zu werden:

Dagegen konnte eine Geldstrafe bei der Angeklagten Wolf, obwohl auch sie ein Geständnis abgelegt hat und noch unbestraft ist, den Strafzweck nicht erfüllen. Sie ist eine fanatische Anhängerin der verbotenen CV. und war sich der Strafwürdigkeit ihrer Handlungsweise voll bewusst. Während die übrigen Angeklagten versprochen haben, sich fortan nicht mehr im Sinne der verbotenen CV. zu betätigen, hat die Angeklagte Wolf eine derartige Versicherung nicht abgegeben, sondern lediglich erklärt, sie wisse noch nicht, wie sie sich künftig einstellen solle. Ihr muss daher nachdrücklich zum Bewusstsein gebracht werden, dass sie Anordnungen der Reichsregierung bedingungslos zu befolgen hat. Das kann aber nur durch eine Gefängnisstrafe geschehen. Eine solche von 2 Monaten erschien als angemessene aber auch ausreichende Sühne.

Es wäre interessant zu erfahren, wie es dieser mutigen Bekennerin weiter ergangen ist!

Eine gescannte Version des Urteils und zweier ergänzender Dokumente kann hier heruntergeladen werden (PDF, 11 Seiten; 7,3 MB).


100. Todestag von Georg von Viebahn

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Georg von Viebahn

Heute vor 100 Jahren starb der bekannte „General und Evangelist“ Georg von Viebahn. Aus diesem Anlass veröffentlicht bruederbewegung.de sechs historische Kurzbiografien und Porträts in zeichengetreuen Neueditionen:

  • Friedrich Wilhelm von Viebahn: Georg von Viebahn. Ein Streiter Jesu Christi (1918). Dieses Lebensbild wurde von Viebahns ältestem Sohn als Einleitung zu einer Auswahl aus der Traktatserie Zeugnisse eines alten Soldaten an seine Kameraden verfasst. Wichtige Quelle für alle späteren Biografien [18 Seiten, 154 KB].
  • Emil Dönges: General von Viebahn. Ein Gedenkblatt von Freundeshand (aus: Gedenk-Blätter aus ernster Zeit, um 1919). Der Autor, einer der führenden deutschen Geschlossenen Brüder der zweiten Generation, war mit Viebahn befreundet und sprach u.a. auf seiner Trauerfeier in Berlin. Besonders interessant sind einige persönliche Erinnerungen und Bezüge zur Brüderbewegung [11 Seiten, 123 KB].
  • Ernst Modersohn: Georg von Viebahn (aus: Menschen, durch die ich gesegnet wurde, 1937; wiederabgedruckt in Die Botschaft, 1951). In diesem Auszug aus seinen Lebenserinnerungen fasst der bekannte Pfarrer und Allianzmann Modersohn den „besonderen Auftrag“ Viebahns in vier Punkten zusammen [5 Seiten, 72 KB].
  • Ernst Lange: Zum hundertjährigen Geburtstag von Georg von Viebahn (aus: Die Botschaft, 1940). Der Verfasser dieses äußerst respektvollen Porträts war ein bekannter Offener Bruder und gehörte dem von Viebahn begründeten „Verband gläubiger Offiziere“ an [5 Seiten, 58 KB].
  • Anonym: Eine Erinnerung an General von Viebahn (aus: Die Botschaft, 1952). Zunächst wird eine Zeitungsnotiz zur Aufhebung des Viebahn’schen Familienfriedhofs in Engers kommentiert, anschließend folgen Erinnerungen eines Bruders Ö. aus Solingen, der Viebahn während seiner Soldatenzeit in den 1890er Jahren kennengelernt hatte [4 Seiten, 62 KB].
  • Kurt Karrenberg: Ein Streiter Gottes (aus: Die Botschaft, 1966). Dieser – leicht verspätet erschienene – Gedenkartikel zum 50. Todestag Viebahns, geschrieben vom damaligen Schriftleiter der Botschaft, fasst im Wesentlichen die Biografie Friedrich Wilhelm von Viebahns zusammen [7 Seiten, 80 KB].

Einige weitere Lebensbilder und Erinnerungen sind ebenfalls online zugänglich:

  • Arend Remmers: Georg von Viebahn (1840–1915) (aus: Gedenket eurer Führer. Lebensbilder einiger treuer Männer Gottes, Hückeswagen ²1990, S. 134–139)

Verweisen möchte ich schließlich noch auf die von Martin Arhelger bereitgestellte umfangreiche Sammlung von Zeitschriftenbänden und Broschüren Viebahns (darunter auch die bekannte Schrift Was ich bei den Christen gefunden habe, die sich nur im Namen Jesu versammeln [1902]; Neuedition auf bruederbewegung.de) sowie auf den bedeutsamen Briefwechsel zwischen Viebahn und Rudolf Brockhaus, dem führenden deutschen Geschlossenen Bruder im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts (Viebahn an Brockhaus, 14. Dezember 1905; Brockhaus an Viebahn, 15. Januar 1906).

150. Todestag von Wilhelm Alberts

„Alberts, Schwarz, Bröcker, Weber, Eberstadt, Effey“ – diese Namensliste ist in nahezu jeder ausführlicheren Darstellung der deutschen Brüdergeschichte zu finden.1 Es handelt sich um die sechs Brüder, die am 11. Dezember 1852 zusammen mit Carl Brockhaus aus dem Evangelischen Brüderverein austraten bzw. austreten mussten, weil sie sich die Ansichten John Nelson Darbys zu eigen gemacht hatten. Über die meisten von ihnen wissen wir kaum mehr als die Namen; nur Wilhelm Alberts ist uns dank der Nachforschungen des letzten Brüdervereinsvorsitzenden Hans Horn etwas besser bekannt.2

Bildquelle: http://www.wiehl.de/bilder/drinhausenbig.jpg
Wiehl um 1850

Wilhelm Alberts wurde am 5. April 1823 in Dörnen bei Wiehl (heute ein Stadtteil im Südwesten Wiehls) geboren und erlernte das Handwerk des Klempners oder Blechschlägers. Durch den Nümbrechter Pfarrer Ernst Hermann Thümmel (1815–1887) kam er zum Glauben und erhielt bald Gelegenheit, in „erweckten“ Versammlungen das Wort zu ergreifen. 1850 trat er in den neu gegründeten Evangelischen Brüderverein ein und wurde für ein Tagesgehalt von 20 Silbergroschen hauptamtlicher „Lehrbruder“. Max Goebel, ein landeskirchlicher Kritiker des Brüdervereins, berichtete 1854, dass Alberts

zuerst in den Gemeinden Lennep und Lüttringhausen, und später in verschiedenen Gemeinden der Aggersynode sehr stark besuchte aber auch heftig angefeindete Versammlungen hielt. Während seines anfänglichen Wirkens in der Synode Lennep machte er auf die dortigen Pfarrer theilweise den Eindruck eines bescheidenen, wohlmeinenden, gläubigen Mannes […]. Alberts verbreitete seit 1852 bedenkliche Lehren von der Unverlierbarkeit des Gnadenstandes, der absoluten Prädestination und seiner Sündlosigkeit, so daß nun selbst die frömmeren und entschiedeneren Pfarrer der Aggersynode sein Treiben je länger je mehr mißbilligten. So hat er Pfingsten 1852 zu Nallingen in der Gemeinde Marienberghausen das heilige Abendmahl unter Gesang, Schriftlesung und abwechselnden knieenden Gebeten mehrer Brüder mit 12–14 (später gar mit 40) Personen beiderlei Geschlechts durch gegenseitige Austheilung von ungesegnetem Weißbrod und Wein (aus einer Tasse) gefeiert, was er selber aber nur ein Liebesmahl oder eine testamentliche Handlung nannte. Diese Feier wurde monatlich gehalten. Alberts selber war schon 1852 Wiedertäufer geworden, indem er sich mit einigen Anverwandten – wahrscheinlich von Lindermann3 – wiedertaufen ließ; und sammelte in seiner Heimath aus Verwandten und Freunden eine Gemeinde von zwanzig Personen, die 1853 ihren Austritt aus der evangelischen Kirche förmlich notariell erklärten.4

Vorausgegangen war dieser Gemeindegründung die „darbystische Krise“5 im Brüderverein. Horn schreibt:

Aus den fragmentarischen Berichten hinsichtlich des Inhaltes seiner [Alberts’] Predigt kann man die Spuren einer immer stärkeren Hinwendung zu den speziellen Lehren der sogenannten Brüderbewegung erkennen, die durch den Engländer John Nelson Darby einen mächtigen Auftrieb in Europa erfuhr. […] Es ist keine Frage, daß im Brüderverein Alberts neben Carl Brockhaus der entschiedenste Verteidiger der Lehren der Brüderbewegung war.6

Da der Brüderverein keine „separatistischen Bestrebungen“ duldete, wurden Alberts und seine Freunde am 11. Dezember 1852 zum Austritt gedrängt. Für Alberts hatte das durchaus existenzielle Konsequenzen: Er musste sich wieder einen Brotberuf suchen und begann als „Ackerer“ in der Landwirtschaft zu arbeiten. Seine Predigttätigkeit setzte er jedoch fort – nun freilich unter noch größeren Anfeindungen. Im Siegerland beispielsweise wurde er 1853 einmal verhaftet, und die zum „Liebesmahl“ Versammelten wurden von der Polizei auseinandergetrieben.

Die von Alberts an seinem Wohnort Großfischbach gegründete Gemeinde, die auch Carl Brockhaus auf seinen Reisen wiederholt besuchte, wurde „Brüderverein der Gläubigen“ oder „Freie Brüdergemeinde“ (!) genannt. Horn kommentiert:

Ganz entsprechend dem ihnen eigenen Gemeindeverständnis vermeidet man jede Bezeichnung, die als eine neue Freikirche verstanden werden könnte. Wie ernsthaft das Bestreben war, sich auf den Bahnen der Urgemeinde zu bewegen, erkennt man an dem interessanten Vorschlag, der bei einer Versammlung in der Gemeinde Marienberghausen unterbreitet, aber dann doch nicht verwirklicht wurde, nämlich die Gütergemeinschaft unter den Gläubigen einzuführen. […] Die Versammlungen selbst verliefen nach Auskunft des Bürgermeisters Möller „still und friedlich“, ihren Teilnehmern stellte er in „moralischer und sittlicher Beziehung“ ein sehr gutes Zeugnis aus.7

Wilhelm Alberts wurde nur 42 Jahre alt. Der „rastlose Wanderprediger“8 starb heute vor 150 Jahren in Rumeln im Kreis Moers (heute ein Stadtteil von Duisburg). Seine Nachwirkung fasst Horn wie folgt zusammen:

Die zahlreichen Kleinkreise der Brüderbewegung, die unmittelbar oder mittelbar von ihm gegründet wurden, haben ihn überlebt, aber im Laufe der Jahrzehnte seinen Namen auf Grund ihrer gewollten Interessenlosigkeit an der Geschichte verblassen lassen oder sogar vergessen. Wie viele es gewesen sind, läßt sich nicht mehr feststellen. Aber wir dürfen aus den vorhandenen Quellen schließen, daß die ältesten Zellen der Brüderbewegung im Oberbergischen, im Siegerland, und auch in angrenzenden Gebieten zu einem großen Teil auf diesen Vorkämpfer reiner geistgewirkter Christengemeinden zurückgehen.9

Die 20-seitige Arbeit von Horn ist auf bruederbewegung.de digital zugänglich.