Schlagwort-Archive: Gedenktage

200. Geburtstag von William Lincoln

William Lincoln (1825–1888)

Heute vor 200 Jahren wurde der Prediger William Lincoln in Bethnal Green, einem östlichen Vorort von London, geboren. Früh verwaist, wollte er nach seiner Bekehrung (im Alter von 17 Jahren) eigentlich Missionar in Indien werden, aber die Church Missionary Society nahm ihn nicht an, weil in seiner Familie die „Schwindsucht“ (Tuberkulose) erblich sei. Daraufhin schlug er eine reguläre Laufbahn in der anglikanischen Kirche ein, wurde 1849 ordiniert und übernahm nach mehreren anderen Stationen 1859 die Beresford Chapel im südlichen Londoner Vorort Walworth – eine eher schmucklose, aber geräumige Kapelle mit 1300 (nach anderen Quellen sogar 1600) Sitzplätzen. Die anfangs kleine Zuhörerschaft wuchs durch seine kraftvollen Predigten rasch an.

Innerhalb der nächsten drei Jahre kamen Lincoln jedoch zunehmend Zweifel an der engen Verbindung zwischen Kirche und Staat. 1862 rang er sich zu dem Entschluss durch, die Church of England zu verlassen, was er seiner Gemeinde am Sonntag, dem 23. November mitteilte. Die Zeitung Wilts and Glo’stershire Standard berichtete:

Wilts and Glo’stershire Standard, 29. November 1862, S. 4

Das im letzten Satz angekündigte Werk – ein Band von 587 Seiten – erschien 1863 unter dem Titel The Javelin of Phinehas; or, Christ’s Own Judgment upon Christendom; and More Particularly upon the Union of Church and State.

Erstaunlicherweise war es Lincoln möglich, die Beresford Chapel zu pachten und sie so weiterhin für seinen Dienst zu nutzen. Nicht alle Glieder der Gemeinde bejahten freilich seinen Kirchenaustritt; ein Teil kehrte sich von ihm ab, doch allmählich erholte sich die Besucherzahl wieder. In den folgenden Monaten und Jahren wandelte sich die Gemeinde Schritt für Schritt zu einer Offenen Brüdergemeinde, in der jeden Sonntag das Brot gebrochen wurde und die Möglichkeit zur freien Beteiligung bestand. William Lincoln schrieb eine Reihe weiterer Bücher, die großenteils beim Verlag von John Ritchie in Kilmarnock (Schottland) erschienen. Er starb am 25. April 1888 im südlichen Londoner Vorort Camberwell, noch keine 63 Jahre alt.

Lebensbilder Lincolns erschienen in Henry Pickerings Chief Men among the Brethren (1918, ²1931), David J. Beatties Brethren: The Story of a Great Recovery (1940, Kap. 17) und ganz aktuell in der Zeitschrift Precious Seed (1/2025).

150. Geburtstag von August von Wedekind

wedekind
August Freiherr von Wedekind (1875–1948)

Heute vor 150 Jahren wurde August von Wedekind, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einer der namhaftesten deutschen Offener Brüder, in Darmstadt geboren. Mit freundlicher Erlaubnis von Pastor i.R. Hartmut Wahl (Velbert) darf ich hier einige Ergebnisse seiner Recherchen über Wedekind vorstellen.

Georg Ludwig August1 Freiherr von Wedekind, wie er mit vollständigem Namen hieß, war das vierte Kind und der zweite Sohn des Rittmeisters und Amtmanns Friedrich Georg Freiherr von Wedekind (1841–1891) und seiner Frau Berta Friederike Johanna Luise Ferdinande geb. Decker. Er wurde im März 1891 in Oranienstein konfirmiert. Im Februar 1895 legte er an der Preußischen Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde bei Berlin sein Abitur ab und trat anschließend als Fähnrich ins Infanterie-Regiment 81 in Frankfurt am Main ein. Von Sommer 1895 bis Januar 1896 verbrachte er ein halbes Jahr an der Kriegsschule Danzig; 1898 absolvierte er ein französisches Dolmetscherexamen in Lausanne. Am 19. Januar 1900 heiratete er in Frankfurt die Bankierstochter Elsa Lackmann (1878–1945).

1903 unternahm Wedekind eine ausgedehnte Reise, die ihn über Ungarn, Bulgarien, die Türkei, Griechenland, Malta, Tunesien und Algerien bis nach Portugal führte. Ein Jahr später wurde er Oberleutnant und Ordonnanzoffizier im Infanterie-Regiment 81. 1905 fand er in Bad Homburg durch Arnd von Lettow zum persönlichen Glauben.

Von 1908 bis 1911 war Wedekind an seinem Geburtsort Darmstadt stationiert. Während dieser Zeit kam es – aus unbekannten Gründen – am 1. August 1910 zur Scheidung von seiner Ehefrau Elsa (die fünf Jahre später in Heidelberg den Rechtsanwalt Hans Hermann Kienitz heiratete). Im November 1911 wurde Wedekind als Hauptmann nach Sonderburg (heute Dänemark) versetzt.

Im Ersten Weltkrieg diente er an der Westfront. Zwei Tage vor seinem Ausrücken (am 8. August 1914) ging er in Hamburg eine zweite Ehe ein, und zwar mit Nanette Mathilde Irene Hildegard Anne-Marie Kruska (1886–1976), einer Tochter des Generalmajors Benno Kruska (1849–1933).

1918 wurde Wedekind als Major aus dem Heeresdienst verabschiedet. Von nun an widmete er sich hauptsächlich der „Reichsgottesarbeit“. Obwohl er 1917 in Berlin ein Haus gekauft hatte – hier war im selben Jahr auch seine Tochter Irene geboren worden –, zog die Familie 1918 nach Derschlag und 1920 nach Wiedenest, wo Wedekind eine Lehrtätigkeit an der Bibelschule aufnahm. Sein zweites Kind Arnd kam 1919 in Derschlag, das dritte Kind Horst 1924 in Wiedenest zur Welt. Da dem Asthmatiker Wedekind jedoch das Wiedenester Klima zu schaffen machte, siedelte die Familie 1927 nach Friedrichsdorf im Taunus und 1932 nach Bad Homburg über. Hier brachte sich Wedekind aktiv in die Offene Brüdergemeinde ein; auch im Reise- und Seelsorgedienst war er tätig. Die Zusammenschlüsse mit den Geschlossenen Brüdern (1937) und mit den Baptisten (1941/42) trug er aus Überzeugung mit.

1943 wurde Wedekinds 24-jähriger Sohn Arnd, inzwischen Medizinstudent, wegen „landesverräterischer“ Äußerungen verhaftet, vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Seine Eltern konnten ihren Sohn wenige Tage vor der Hinrichtung noch einmal sehen und waren, so Arnds Schwester Irene 1964 in einem Brief,

sehr getröstet durch sein Zeugnis, daß er innerlich Frieden habe und voller Freude sei, wie es auch in einem seiner letzten Briefe zum Ausdruck kommt, wo er schreibt … „eine halbe Stunde vor meiner Hinrichtung schreibe ich diese Zeilen. Ich bin überglücklich, meinen Heiland gleich zu sehn …“ […]

Als ehemaligem Offizier und „der Obrigkeit untertan“ war meinem Vater dieser Weg bezügl. seines Sohnes besonders schwer, aber er wusste auch, daß sein Kind getröstet war und aus dem Glauben zum Schauen ging.2

Wedekinds zweiter Sohn Horst kämpfte an der Ostfront und wurde nach dem Vormarsch auf Schytomyr (Ukraine) als vermisst gemeldet.

August Freiherr von Wedekind starb am 4. Dezember 1948 in seiner Wohnung in Bad Homburg, Ferdinandstraße 30, an Herzschwäche. Er wurde 73 Jahre alt.


150. Todestag von Sir Gillery Pigott

Der heutige „Jubilar“ (wenn man eine Person, deren Todestag sich jährt, überhaupt so nennen kann) schloss sich der Brüderbewegung erst wenige Wochen vor seinem Tod an, aber gerade das führte auf seiner Beerdigung zu einem Eklat, über den in der Presse breit berichtet wurde.

Leben und Karriere

pigott
Sir Gillery Pigott (1813–1875)

Gillery Pigott wurde am 18. September 1813 als vierter Sohn des Landbesitzers Paynton Pigott (1770–1862) und seiner Frau Maria Lucy geb. Gough (1783–1860) in Oxford geboren.3 Er schlug eine juristische Laufbahn ein und trat 1836 dem Middle Temple, einer der vier englischen Anwaltskammern, bei. Im selben Jahr heiratete er Frances Drake (1814–1894) aus London. Sie bekamen zehn Kinder – vier Söhne (von denen zwei bereits früh starben) und sechs Töchter.4

Nach seiner Anwaltszulassung 1839 wirkte Pigott zunächst im Gerichtsbezirk Oxford. Ab 1854 war er bei der britischen Steuerbehörde (Inland Revenue) tätig, 1857–62 nahm er parallel noch die Teilzeitaufgabe eines Stadtrichters (Recorder) in Hereford wahr. 1863 wurde er zum Richter (Baron) am Schatzkammergericht (Court of Exchequer) ernannt und in den niederen nichterblichen Adelsstand (Knight) erhoben, sodass er sich von nun an Sir Gillery Pigott nennen durfte. Mit der Nobilitierung verlor er allerdings auch seinen Sitz im britischen Parlament (House of Commons), den er seit 1860 als Abgeordneter der Liberal Party für die Stadt Reading innegehabt hatte.

Geistliche Entwicklung

Von Hause aus Anglikaner, hatte sich Pigott im Laufe der Jahre zunehmend von seiner Kirche entfremdet.5 Vor allem die starre Liturgie und die formellen, von allen Anwesenden unterschiedslos mitzusprechenden Gebete missfielen ihm. Ab etwa 1870 besuchte er die Gottesdienste in der Baptistenkapelle von William Landels (1823–1899) am Londoner Regent’s Park.6 Hier schätzte er das freie Gebet des Pastors, aber er vermisste nach wie vor die Möglichkeit, sich auch als Gemeindeglied an der Anbetung zu beteiligen. Sein älterer Sohn Arthur Gough Pigott (1850–1878), den offenbar ähnliche Gedanken umtrieben, kam mit den Geschlossenen Brüdern in Kontakt und empfahl seinem Vater ein Studium der neutestamentlichen Gemeindepraxis. Nach einer Begegnung mit William Kelly (1821–1906) nahm Gillery Pigott am 4. April 1875 in einer bescheidenen Hausversammlung der „Brüder“ – höchstwahrscheinlich bei dem Schuhmacher William Franklin in Sherfield Green7 (Hampshire) – zum ersten Mal am Brotbrechen teil.

Einen Tag später erlitt er einen Sturz vom Pferd, der ihn bettlägerig machte. In dieser Zeit las er einige Schriften von Kelly (u.a. Christian Worship und Christian Ministry), die dieser ihm zugesandt hatte und die ihn endgültig vom Standpunkt der „Brüder“ überzeugten, wie er Kelly am 17. April brieflich mitteilte. Am 23. April richtete er auch an den örtlichen Pfarrer Alfred Gresley Barker (1835–1906), mit dem er sich anscheinend schon vorher über solche Fragen ausgetauscht hatte, einen Brief, machte ihn auf schwerwiegende Irrtümer in einer gedruckten Predigt aufmerksam und legte zwei Schriften der „Brüder“ bei (Is the Anglican Establishment a Church of God? von William Kelly und Who is a Priest, and What is a Priest? von John Nelson Darby). Vier Tage später, am 27. April 1875,8 heute vor 150 Jahren, starb Gillery Pigott in seinem Anwesen Sherfield Hill House bei Basingstoke überraschend an einer Herzerkrankung. Er wurde nur 61 Jahre alt.

Beisetzung

Einige Tage nach Pigotts Tod schrieb sein knapp 25-jähriger Sohn Arthur, ebenfalls Jurist und 1873 als Anwalt (Barrister) zugelassen,9 einen Brief an Pfarrer Barker und bat um die Erlaubnis, die Beerdigung seines Vaters von einem Freund (also einem Geschlossenen Bruder) abhalten zu lassen.10 Barker lehnte dies ab mit der Begründung, dass er gesetzlich verpflichtet sei, keine Abweichungen von der Begräbnisliturgie der Church of England zuzulassen. Hierauf erwiderte Arthur Pigott, dass es auch der Wunsch seiner Mutter sei, dass die Beerdigung nicht nach anglikanischem Ritus erfolge, da sein Vater sich den „Plymouth Brethren“ angeschlossen habe. Sollte der Pfarrer bei seiner Weigerung bleiben, würden sie auf einen Gottesdienst auf dem Friedhof ganz verzichten. Bei einem persönlichen Besuch im Pfarrhaus von Sherfield on Loddon machte Pigott noch einen letzten Versuch, den Pfarrer umzustimmen, aber vergebens.

Die Beerdigung wurde auf Mittwoch, den 5. Mai festgesetzt.11 Um 14.15 Uhr fand zunächst eine Trauerfeier auf einem Rasenplatz bei Pigotts Haus statt, auf der William Kelly und Christopher McAdam (1807–1892) sprachen.12 Anschließend setzte sich der Trauerzug in Richtung Friedhof (gut 1 km nordöstlich gelegen) in Bewegung, wo er kurz vor 16 Uhr eintraf. Pfarrer (Rector) Barker und sein Hilfspfarrer (Curate) John Henry Sandall (1847–1925) sowie die Kirchenvorsteher Richard Tubb (1837–1904) und George Moss13 (1828–1912) hatten die Prozession bereits seit 14 Uhr am Friedhofstor erwartet.

Der Bestatter James Moody (1826–1888), der den Sarg begleitete, gab Barker sogleich zu verstehen, dass seine Dienste nicht erwünscht seien. Barker begann dennoch die Begräbnisliturgie zu verlesen und schritt dabei auf die Kirche zu. Während des dritten Satzes merkte er, dass der Sarg bereits zum Grab gebracht und eilig hinuntergelassen wurde. Er wies nun seinen Hilfspfarrer Sandall an, den am Grab zu sprechenden Teil der Liturgie vorzutragen. Sandall setzte dazu an, wurde aber durch Zurufe der Trauergäste unterbrochen. Schließlich ging der Rechtsanwalt der Familie Pigott, Arthur Walker (1809–1875), auf Sandall zu und protestierte im Namen der Hinterbliebenen gegen die weitere Fortsetzung der Liturgie. Die Vertreter der Kirche waren auf diesen Fall vorbereitet und hatten ihrerseits eine schriftliche Protestnote verfasst, die Walker von Kirchenvorsteher Tubb überreicht wurde. Daraufhin schlossen Barker und Sandall ihre Bücher und verließen den Friedhof.

Wie bereits erwähnt, erregte der Vorfall großes Aufsehen und wurde von zahlreichen Zeitungen aufgegriffen, wobei die Berichterstattung nicht immer exakt den Tatsachen entsprach. Als Beispiel sei der Artikel der Londoner Zeitung The Standard vom 7. Mai 1875, S. 2 zitiert, der vielfach nachgedruckt wurde:

SCENE AT BARON PIGOTT’S FUNERAL. – We regret to record a scandalous disturbance at the burial of the late Baron Pigott on Wednesday, at Sherfield Churchyard, near Basingstoke. The baron had been dead more than a week, but it was not till the day before the funeral that his two sons, who are members of the sect known as the “Plymouth Brethren,” intimated that they did not wish the Church Service to be used. Mr. Osborne Morgan’s14 opinion was at once telegraphed for, and he replied that, the deceased having been baptised, the clergyman was bound to read the service over the body, but that, if the clergyman was interfered with, he might shut up his book and walk away, but the burial could not be stopped. The clergyman, the Rev. A. G. Barker, went early to the churchyard, and exhorted the crowds to seemly and decent behaviour. He and his curate, the Rev. H. Sandall, afterwards met the funeral at the gate, and proceeded with the words, “I am the Resurrection and the Life,” when some of the mourners shouted to him to stop, and others to go on. Meanwhile, the bearers, commanded by one of the Baron’s sons, pushed along, and threw the coffin into the grave near the gate. A solicitor was then sent to say that in the name of the executors he protested against the service being read. The rector shut his book, and walked quietly away with his curate. The churchwardens have served a notice on the solicitor for the two sons, stating that they hold him legally responsible for stopping the rector in the performance of his duty. The great crowd then quietly dispersed. There is much indignation at the outrage, especially as it would have been quite easy to bury the deceased in Basingstoke Cemetery with any ceremonies the relations might have thought proper.

Pigotts zweiter Sohn, der 19-jährige Cecil Ernest (1855–1893), wehrte sich am folgenden Tag in einem Leserbrief gegen die Behauptung, er sei ein „Plymouth Brother“, und distanzierte sich auch von den Ereignissen auf dem Friedhof:

SIR, – I am the younger of the late Baron Pigott’s two sons, and having seen a paragraph in the Standard of to-day, headed “Scene at Baron Pigott’s Funeral,” I wish to state that I am not “a member of the sect known as Plymouth Brethren,” and that I did not “intimate” to any person at any time “that I did not wish the Church service to be used.” CECIL E. PIGOTT.15

Laut Arthurs späterer Aussage vor Gericht müssen neben seiner Mutter aber auch mindestens eine seiner Schwestern und andere Verwandte mit seinem Vorgehen einverstanden gewesen sein.

Prozess

Für Arthur Pigott und den Familienanwalt Arthur Walker sollte die Episode nämlich noch gerichtliche Konsequenzen haben. Kirchenvorsteher Richard Tubb verklagte sie wegen Störung einer Begräbnisfeier, wobei er sich auf den Ecclesiastical Courts Jurisdiction Act von 1860 berief. In dessen zweitem Abschnitt heißt es,

dass jede Person, die einen Priester im kirchlichen Amt bei der Ausübung eines Ritus in einer Kirche oder auf einem Friedhof in England oder Wales belästigt, behindert, stört oder beunruhigt oder ihn auf sonstige Weise daran hindert oder in seiner Tätigkeit beeinträchtigt, bei Verurteilung durch zwei Friedensrichter mit einer Geldstrafe von höchstens fünf Pfund oder mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Monaten belegt werden kann.16

Die Verhandlung fand am 2. Juni 1875 vor dem County Magistrates’ Court (eine Art Amtsgericht) im Rathaus von Basingstoke statt. Da Arthur Pigott – der sich selbst verteidigte – die volle Verantwortung für die Geschehnisse auf dem Friedhof übernahm, wurde die Klage gegen Arthur Walker nach dem Eröffnungsplädoyer fallengelassen. Als Zeugen vernahm man Pfarrer Barker, Hilfspfarrer Sandall, Colonel Pigott (einen Bruder des Verstorbenen17), Colonel Pigott-Carleton (einen Neffen des Verstorbenen18), Rechtsanwalt Walker, die Bestatter James Moody und John Gray Hill sowie die Sargträger William Franklin und Daniel Brown.19 Bis auf die beiden Geistlichen sagten alle übereinstimmend aus, dass es keine Störung und keinen Aufruhr gegeben habe, womit sie ein zentrales Verteidigungsargument des Beklagten stützten. Pigott berief sich außerdem auf die juristische Meinung, dass jeder Einwohner einer Pfarrei das Recht auf Beisetzung auf dem örtlichen Friedhof habe – ob mit oder ohne kirchliche Liturgie.

Auf das Angebot des gegnerischen Anwalts, die Klage nicht weiterzuverfolgen, wenn der Beklagte anerkenne, im Unrecht gewesen zu sein, und sich für sein Verhalten entschuldige, ging Pigott nicht ein. Das Gericht verurteilte ihn nach 35-minütiger Beratung einstimmig zu der relativ geringen Geldstrafe von £ 1 (nach heutiger Kaufkraft etwa £ 120–140) plus Gerichtskosten. Pigott legte sofort Berufung ein, scheint diese aber später zurückgenommen zu haben, denn über einen weiteren Prozess konnte ich in der zeitgenössischen Presse nichts finden.

Nachkommen

Gillery Pigotts Söhnen war leider durchweg kein langes Leben beschieden. Die beiden ältesten, Gillery Paynton Francis Drake (1843–1847) und Frederic Thomas (1846–1847), wurden nur vier bzw. ein Jahr alt und weilten zur Zeit der hier geschilderten Ereignisse schon lange nicht mehr unter den Lebenden. Aber auch Arthur Gough und Cecil Ernest erreichten kein hohes Alter: Ersterer starb zweieinhalb Jahre nach dem Prozess, am 8. Januar 1878, im südspanischen Málaga, nur 27 Jahre alt (sein Grab ist noch heute vorhanden), Letzterer am 6. Mai 1893 im elterlichen Sherfield Hill, 37 Jahre alt. Beide waren unverheiratet geblieben.

Besser erging es den sechs Töchtern – sie wurden mit einer Ausnahme zwischen 72 und 88 Jahre alt. Die Ausnahme war Mabel Lucy Sarah (1852–1894), Ehefrau von Henry Edward Tredcroft (1853–1912), die vier Tage nach der Geburt ihres neunten Kindes im Alter von 42 Jahren starb. Sie war zugleich das einzige der Pigott-Kinder, das Nachkommen hinterließ. Ihre Schwester Rosalie Archer (1840–1924) schloss erst im relativ fortgeschrittenen Alter von 41 Jahren eine Ehe, und zwar mit dem Witwer Archer Anderson Morshead (1846–1911); die übrigen vier Schwestern Frances Drake (1837–1910), Alice Isabella (1848–1920), Edith Caroline (1853–1931) und Beatrice Barbara (1859–1947) blieben alle unverheiratet.

Wie viele Mitglieder der Familie sich der Brüderbewegung anschlossen, wäre noch zu erforschen. Gillery Pigotts Schwester Isabella (1821–1902) war jedenfalls mit dem „Bruder“ Charles Gilbert Eversfield (1822–1886) verheiratet, und von seinen beiden Schwiegersöhnen scheint mindestens Henry Edward Tredcroft einen „Brüder“-Hintergrund gehabt zu haben – Tredcrofts Schwester Theodosia Isabella (1851–1924) war die Frau von Dennis Lambart Higgins (1847–1943), einem angeheirateten Großneffen von George Vicesimus Wigram (1805–1879).


200. Geburtstag von Peter Nippel

nippel1855
Peter Nippel 1855

Peter Nippel gehört zu den Personen der Brüdergeschichte, die lange Zeit nicht viel mehr waren als ein Name: Man wusste, dass er um 1849 als Hauslehrer einer Schweizer Familie von Graffenried in Tübingen die zweitälteste deutsche Brüdergemeinde gegründet hatte, aber von seinem Leben davor und danach war kaum etwas bekannt.

Angesichts dieser Lücken hatte ich schon vor etlichen Jahren begonnen, weitere Recherchen über Nippel anzustellen. Im Sommer 2022 habe ich diese intensiviert und die Ergebnisse in der Herbstsitzung des Wiedenester Arbeitskreises „Geschichte der Brüderbewegung“ vorgestellt. Zum heutigen 200. Geburtstag Peter Nippels mache ich mein 50-seitiges Vortragsskript online zugänglich.

Hier einige ausgewählte neue Erkenntnisse:

  • Nippel studierte nicht nur in Halle, wie bisher angenommen, sondern auch in Tübingen und Zürich, und zwar drei verschiedene Fächer (nacheinander).
  • In den 1850er und 1860er Jahren pendelte er zwischen der Schweiz und England, bevor er sich 1866 endgültig in Neuchâtel niederließ.
  • 1855 korrigierte er auf Bitten John Nelson Darbys die Druckfahnen der Erstausgabe des Elberfelder Neuen Testaments.
  • Im selben Jahr heiratete er in Plymouth die Tochter des aus der Newton-Kontroverse bekannten Bruders James Ebenezer Batten (1803–1885). Einer der Trauzeugen war Darby persönlich.
  • Seinen Lebensunterhalt verdiente Nippel lange Zeit als Leiter eines Pensionats (kleines Privatinternat). Von 1886 bis 1907 war er Professor für englische Sprache und Literatur an der Académie de Neuchâtel (Vorläufer der heutigen Universität).
  • Im Alter scheint er sich von der Brüderbewegung abgewandt zu haben.

Ein 8-seitiges illustriertes Kondensat meines Vortrags erscheint auch in Heft 4/2024 von Zeit & Schrift; die digitale Version ist bereits verfügbar, mit dem Versand der gedruckten Ausgabe ist nächste Woche zu rechnen.

150. Geburtstag von Johannes Warns

warnsJubiläen sind immer gute Gelegenheiten, sich an die Lebensleistung bedeutender historischer Persönlichkeiten zu erinnern. Zum 150. Geburtstag des Wiedenester Bibelschullehrers und -leiters Johannes Warns hat Pastor i.R. Hartmut Wahl (Velbert) eine Würdigung verfasst, die ich exklusiv hier im Blog veröffentlichen darf.

Als biografische Hintergrundinformation zitiere ich einleitend Ernst Schrupps Artikel über Warns aus dem Evangelischen Lexikon für Theologie und Gemeinde, Bd. 3, Wuppertal (R. Brockhaus) 1994:

W[arns], geb. am 21.1.1874 in Osteel/Ostfriesland, gest. am 27.1.1937 in Wiedenest. Sohn eines Pfarrers in Ostfriesland und mütterlicherseits verbunden mit dem erwecklichen Pfarrer [Karl Gottlieb Georg] Trommershausen [1806–1888] in Wiedenest (Oberbergischer Kreis) erlebte W[arns] als Vikar zusammen mit seinem späteren Schwiegervater Pastor Chr[istoph] Köhler ([geb. 1860,] gest. 1922) in Schildesche bei Bielefeld eine Erweckung der dortigen Kirchengemeinde. 1905 folgten die beiden allianzgesinnten und missionswirksamen Männer dem Ruf an die neu gegründete Bibelschule für Innere und Äußere Mission nach Berlin, die 1919 nach Wiedenest verlegt und deren Leiter W[arns] dort wurde. In seinen Büchern und Schriften über Taufe (1913), Abendmahl (1917), Gemeindedienste und -Ordnung (1919) entfaltet W[arns] die Verbindlichkeit der Bibel für die örtliche Gemeinde.

Und nun hat Hartmut Wahl das Wort:


Zum 150. Geburtstag von Johannes Warns

Anfang des Jahres 1874, also vor 150 Jahren, kam in einem ostfriesischen Pfarrhaus ein Junge zur Welt, der bis heute in Europa einen Namen hat. Er lebte und wirkte auf vielen Gebieten als Christ und Lehrer, und er lebte nur 63 Jahre. Was er in dieser Zeit geleistet hat, das will ich uns in Erinnerung rufen (und ich bin sicher, dass ich nicht alles erfasst habe).

Johannes Warns war vor allem ein ganz lebendiger Christ. Seine Gottesbeziehung war ihm Lebenselixier. Täglich suchte er das Gespräch mit Gott. Er betete und las täglich seine Bibel. Er studierte sie. Dazu ließ er sich extra eine Bibel mit leeren Blättern binden („durchschießen“), auf die er seine Gedanken und Anmerkungen schrieb. (Das Exemplar findet man im Archiv in Wiedenest.)

Er war ein ständig Lernender, ein Leser vieler Bücher. Manche Bücher las er nicht nur einfach, sondern fertigte sich von ihnen Exzerpte an (auch davon gibt es im Wiedenester Brüder-Archiv Exemplare).

Ein ausgezeichneter Lehrer und Theologe war er, der die alten Sprachen – Latein, Griechisch und Hebräisch – gut beherrschte. Zum Lernen der griechischen Sprache, in der das Neue Testament geschrieben ist, gab er extra ein Lehrbuch heraus. Noch heute gibt es dieses Buch in erweiterter und ergänzter Auflage.

Er war ein beeindruckender Lehrer. Durch seine künstlerische Begabung übermittelte er manche biblischen Themen und Zusammenhänge seinen Schülern und Lesern anschaulich und sehr illustrativ. Er zeichnete zum Beispiel den Lebensgang Abrahams, den biblischen Festkalender, den Aufbau des Danielbuches und der Offenbarung, das Haus des Herodes, Stammbäume der biblischen Väter usw. Wer ein optischer Lerntyp war, hat bei ihm sicher sehr profitiert.

Johannes Warns war ein Künstler. Eigentlich wollte er Malerei studieren, und sicherlich wäre er kein schlechter Maler geworden. Das beweisen seine Gemälde und Zeichnungen. Allein in seinen Aufzeichnungen (die ich 2021 in zwei Bänden im jota-Verlag herausgegeben habe) findet man ganz viele Zeichnungen von ihm (und nur ein kleiner Teil davon ist in den beiden Bänden zu sehen!). Er malte auch für andere Autorinnen und Autoren. Für manche Bücher der damals sehr bekannten Schriftstellerin Kristina Roy steuerte er Bilder bei. Für das Herzbüchlein von Johannes E. Goßner und für das Buch von Franz Bartsch Unser Auszug nach Mittelasien zeichnete er. Für das Kinderbuch seiner Frau Aus dem Wunderland der Tiere gestaltete er viele Seiten, sodass es kinderfreundlich, farbig und bunt erschien (und immer wieder neu verlegt wird). Auch für sein Buch Russland und das Evangelium übernahm der Oncken-Verlag als Titel ein Gemälde von ihm. Johannes Warns hatte diese Szene von drei russischen Menschen auf einem Schlitten, die miteinander die Bibel lesen, in Öl gemalt. Überhaupt: Titel! Für etliche christliche Zeitschriften gestaltete er den Titel, zum Beispiel für die mennonitische Zeitschrift Friedensstimme, die slowakische Zeitschrift Svetlo (Licht), den Zions-Freund (einer judenchristlichen Mission), den Heilsruf (der Heilsarmee) bis zu seinen eigenen Zeitschriften, die er herausgab.

Herausgeber war er also auch. Er gab mehrere Zeitschriften heraus und ein Liederbuch. In ihm fanden sich auch Lieder aus seiner Feder. Auch eine dichterische Begabung hatte er. Doch als Liederdichter ist er nicht groß wahrgenommen worden.

Er war Autor. Das bekannteste und umfangreichste Buch ist sein Werk mit dem schlichten Titel Die Taufe, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Die baptistischen Gemeinden und vor allem ihre Prediger haben über einige Generationen hinweg dieses Buch als „ihr“ Buch angesehen. Theologisch und geschichtlich zeigt es die Taufauffassung, für die sie eintraten. Die ersten Christen, die Täufer der Reformationszeit und die Baptisten der Neuzeit tauften keine Säuglinge, sondern nur Erwachsene, die zum Glauben gekommen waren. Fundiert zeigt das Warns auf. Darum gab der baptistische Oncken-Verlag mehrere Auflagen heraus (und heute gibt es das Buch noch im jota-Verlag).

Johannes Warns war auch ein Geschichtsforscher. Er suchte und fand aus vergessener Zeit Dokumente zur Geschichte der Freikirchen (dazu wollte er ein Buch herausgeben), zur Geschichte der mittelalterlichen Täufer (die er in sein Taufbuch aufnahm), zur Geschichte der Stundisten in Russland (die man in seinem Russland-Buch lesen kann), zur Geschichte seiner Familie und zur Geschichte und Geographie der Länder, die er bereiste.

Denn er war ein begeisterter Reisender und Besucher vieler, vor allem osteuropäischer Länder, in denen seine Schüler lebten und missionierten. Zu ihnen hielt er persönliche und briefliche Kontakte. Er schrieb viele Briefe. Eine umfangreiche Korrespondenz pflegte er nicht nur mit seinen Schülern. Auch mit manchen christlichen Persönlichkeiten im In- und Ausland hatte er regen Briefkontakt. (Leider sind diese Briefe nicht mehr aufzufinden – sofern sie nicht in Zeitschriften und Büchern veröffentlicht worden sind.)

Johannes Warns gehörte zu den sehr gefragten und beliebten Predigern und Rednern auf Konferenzen im In- und Ausland. Er sprach auf fast allen Konferenzen der Offenen Brüdergemeinden in Berlin und Leipzig. Man hörte ihn auf etlichen Allianzkonferenzen in Bad Blankenburg. Er sprach in Holland, in England, in der Schweiz, in Ungarn, in Russland auf großen und kleinen christlichen Tagungen. Manche Ansprache wurde anschließend in einer Zeitschrift gedruckt. Und wieder handelte er als praktischer Lehrer. Er gab für seine Schüler ein Buch heraus: 500 Entwürfe zu biblischen Ansprachen (2008 neu aufgelegt). Zugleich zeigt das Buch, wie belesen Johannes Warns war, denn er zitiert hier aus vielen Werken anderer Autoren.

Er war ein Mann, der sich nicht scheute, in aller Öffentlichkeit zu missionieren. Mit anderen Brüdern zog er viele Jahre in Berlin in den Grunewald und hielt dort Evangelisationsversammlungen. Hier knüpfte er an eine eigene entscheidende Erfahrung an. Als Theologiestudent hatte er sich auf einer Versammlung der Heilsarmee bekehrt. Darum gehörte der Heilsarmee viele Jahre sein Wohlwollen. Doch mit den dort in aller Öffentlichkeit predigenden Frauen hatte er als Mann seiner Zeit Probleme und wurde darum nicht Mitglied. Ansonsten aber schätzte er viele christliche Frauen, die sich für die Mission engagierten. Allen voran pflegte er gute Kontakte zu Toni von Blücher, aber auch zur Gräfin von Pfeil in Berlin und zur Gräfin Irma Lázár in Rumänien.

Johannes Warns war ein sehr kontaktfreudiger Mensch. Sein Zuhause, ob in Berlin oder dann in Wiedenest, war immer ein offenes Haus. Viele Gäste lud er ein und bewirtete sie – wobei natürlich vor allem seine Frau Annemarie die Gastfreundschaft ermöglichte. Sie stand ihm bei. Johannes Warns widmete sich seinen Gästen, nahm sie in seinen Unterricht mit, auf Exkursionen mit den Bibelschülern und diskutierte mit ihnen. Einige Gäste blieben sogar auf längere Zeit, besonders Christen, die auf Grund der Verfolgungen in der Sowjetunion nach Wiedenest geflohen waren.

Was Johannes Warns leistete, hatte er auch seiner ungemein tüchtigen Ehefrau zu verdanken. Sie übersetzte für ihn (ins Französische), gab eine Zeitschrift mit ihm heraus und gebar ihm neun Kinder. Sie pflegte ihn, wenn er krank war, sie sorgte dafür, dass er ungestört lesen und schreiben, malen und zeichnen konnte. Zu seinem 150. Geburtstag darf man sie nicht vergessen. Sie war ein ganz wesentlicher Teil seines Lebens und Wirkens. Doch zum 150. Geburtstag wollte ich aus seinem reichen Leben berichten.

Selbstverständlich war Johannes Warns kein unfehlbarer Mensch. Er hatte seine Fehler und irrte – wie auch wir. So gäbe es auch manche kritische Anmerkung, die ich ihm nachrufen könnte. Doch zu seinem Jubiläum sollen meine Zeilen vor allem ein Dank an Gott sein, der diesen hochbegabten, engagierten Mann für sein Werk gewinnen konnte. Vor 150 Jahren hat Gott ihm das Leben geschenkt und ihn dann in seinen Dienst und durch ihn viele Menschen zu einem fröhlichen Glaubensleben gerufen. Dass er nur 63 Jahre alt wurde, war auch in seinem Lebensstil begründet. Er brannte für Gott und brannte schneller aus als andere. Aber er brannte lichterloh und gab für Gott seine ganze Kraft und sein ganzes Können. Von ihm beeindruckt zu sein, heißt auch heute noch nach 150 Jahren von Gott gepackt und begeistert zu werden! Was für ein großer Mann Gottes!

Hartmut Wahl

100. Todestag von Emil Dönges

doenges
Emil Dönges (1853–1923)

Heute vor 100 Jahren verstarb in Darmstadt der neben Rudolf Brockhaus vielleicht prominenteste deutsche Geschlossene Bruder der zweiten Generation: Emil Dönges. Er war bekannt als Evangelist, Lehrer, Autor, Herausgeber und Verleger und auch als Delegierter in internationalen Angelegenheiten (z.B. Tunbridge Wells 1909/10, Basel 1921). Sein relativ früher Tod im Alter von 70 Jahren fand in den Zeitschriften der „Brüder“ ungewöhnlich starken Widerhall – es erschienen mindestens drei Nachrufe:

In der zuletzt genannten Publikation folgte anlässlich seines 100. Geburtstags 1953 noch ein weiteres Lebensbild (das bis heute wohl ausführlichste), verfasst von seiner Tochter Lisa Heinz-Dönges (1897–1964). Alle vier Texte liegen auf bruederbewegung.de inzwischen in zeichengetreuen Neueditionen vor; auf ihnen basieren im Wesentlichen auch alle späteren Darstellungen, z.B. die von Arend Remmers in Gedenket eurer Führer (1983) oder die von Paul Krumme in der Wegweisung (1991).20

Weniger bekannt ist, dass auch mehrere Zeitschriften aus den „Benennungen“ (wie die Geschlossenen Brüder sich auszudrücken pflegten) über Emil Dönges’ Heimgang berichteten. Sein Name war in christlichen Kreisen durchaus geläufig, denn im Gegensatz zu Rudolf Brockhaus und den meisten anderen „führenden Brüdern“ hatte Dönges sich nicht gescheut, auch in überkonfessionellen Organisationen wie dem Bibelbund, dem CVJM oder der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung mitzuarbeiten. In diesem Punkt ähnelte er Georg von Viebahn (1840–1915), mit dem er gut befreundet gewesen war und dem er um 1919 einen warmherzigen Nachruf gewidmet hatte. Der zeitgenössische Konfessionskundler Paul Scheurlen ordnete Viebahn und Dönges daher wohl nicht ganz zu Unrecht einer „milderen Richtung“ des „Darbysmus“ zu.21

Einige Nachrufe aus Zeitschriften außerhalb der Brüderbewegung haben sich als Kopien in der Sammlung von Rudolf Kretzer (1907–1975) erhalten, die inzwischen ins Brüderarchiv Wiedenest überführt und von Hartmut Wahl vollständig inventarisiert wurde. Zu Dönges’ 100. Todestag sollen sie hier der Vergessenheit entrissen werden.

Der Gärtner

Die Zeitschrift der Freien evangelischen Gemeinden erschien wöchentlich und konnte daher noch im letzten Heft des Jahres 1923 in der Rubrik „Umschau“ eine Nachricht über Dönges’ Tod unterbringen. Was sie an biografischen Informationen über ihn zur Hand hatte, ist fast durchweg falsch (vgl. meine korrigierenden Fußnoten), aber die Bewertung seiner Person und Rolle in der Brüderbewegung dafür umso interessanter.

Am 8.22 Dezember ist in Darmstadt Dr. Emil Dönges entschlafen. Geboren in Dillenburg23 war er vor seiner Bekehrung zum Herrn24 Oberlehrer25 im höheren Schulamt. Er gab dasselbe auf und trat, wenn wir den Gang der Dinge recht beurteilen, nach Joh.26 von Posecks, des Hauptübersetzers der Elberfelder Bibel,27 unfreiwilligem Abgang an dessen Stelle im deutschen Darbysmus.28 Was Poseck trotz seiner dogmatischen Treue nicht gelang, ein erträgliches und brüderliches Verhältnis zur Wuppertaler Oberleitung zu bewahren, war Dönges viele Jahre hindurch gegeben. Im Zusammenhang mit seinem Wirken entstand das zweite Verlagshaus der sogenannten Versammlung in Dillenburg, das dann mehr die Aufgabe erhielt, volkstümliche Literatur, Kalender u.a. zu verbreiten, als deren Herausgeber der Heimgegangene weithin bekannt geworden ist. Hier erschien auch die „Gute Botschaft des Friedens“, die Dönges jahrelang herausgab. Auch über die letzten Dinge hat er oft und viel geschrieben, allerdings, wie ja nicht anders zu erwarten, nur in Anlehnnung [sic] an J. N. Darbys geprägte, dort allein maßgebliche Schriftauslegung. Dennoch war er nicht wie so mancher andere ein starrer Kirchenmann seiner Benennung, sondern ein Mann der Liebe und des Friedens und einer dort seltenen Weitherzigkeit, in erster Linie Bruder und Jünger Jesu, der auch Andersdenkende und Andersempfindende gelten ließ und der sich hier und da schon mal erlauben konnte, eigene Wege zu gehen.29

Eine sprachlich (nicht inhaltlich) minimal korrigierte Version dieser Mitteilung erschien Anfang 1924 auch in der Zeitschrift Auf der Warte: Ein Blatt zur Förderung und Pflege der Reichgottesarbeit in allen Landen, die der Gemeinschaftsbewegung nahestand und zu dieser Zeit von Karl Möbius (1878–1962) in Neumünster/Holstein herausgegeben wurde.30

C. V. J. M. Darmstadt

Unter diesem unscheinbaren Titel gab die Darmstädter Ortsgruppe des Christlichen Vereins Junger Männer ein Faltblatt heraus, das offenbar zugleich als Einladungsflyer, Mitteilungsblatt und Veranstaltungskalender diente. In der Ausgabe mit den Terminen für Januar 1924 (auf der Rückseite; die Titelseite ist undatiert) findet sich unter der Rubrik „Freude und Leid im Vereinsleben“ folgende Notiz:

Tiefes Leid hat uns der Heimgang eines lieben Freundes unserer Sache gebracht. Am 7. Dezember ist Herr Dr. Dönges plötzlich von seinem Meister, dem er seit seinem 18. Jahre in Treue und Liebe diente, im 70.31 Lebensjahre heimgerufen worden zu dem, den er im heiligen Ernste verkündete. Allmonatlich hat uns dieser treue Knecht seines Meisters mit dem reichen Schatz seiner Erfahrung in die Schrift eingeführt. Er hat es besonders verstanden, jedem der Teilnehmer etwas zu geben. Der reiche Segen, den er unter uns ausgestreut, wird sicher gesegnete Frucht bringen.32

Evangelisches Allianzblatt

Die Zeitschrift der „Blankenburger Allianz“ (die eher landeskirchenkritisch eingestellt war) brachte im ersten Heft des Jahres 1924 eine von Otto Dreibholz verfasste Todesanzeige:

Im Alter von 7133 Jahren entschlief in Darmstadt der, in der Gemeinde des Herrn, weit bekannte

Dr. Emil Dönges.

Der Bruder war ein Zeuge Jesu durch Wort und Schrift und die Ewigkeit wird es klar machen, wie vielen Irrenden er den Weg zu Jesu gewiesen hat und wie vielen Kindern Gottes er im Segen gedient hat.

Als Gott den Moses wegnahm, da hatte Er den Josua zubereitet und als Elias gen Himmel gefahren war, da teilte sich das Wasser vor Elisa. Wir wollen auch in diesem Falle das Vertrauen zum Herrn haben, daß Er die Lücke in der rechten Weise ausfüllt.

O. D.34

Unser Dienst

Ein Vorläufer der heutigen SMD war die Deutsche Christliche Studentenvereinigung. Da sie erst 1895 gegründet wurde, kann Dönges ihr als Student nicht angehört haben, aber er stand ihr offenbar mit viel Sympathie gegenüber und nahm sowohl in Frankfurt als auch in Darmstadt regelmäßig an Veranstaltungen ihres „Altfreunde-Verbandes“ teil. Dessen Zeitschrift Unser Dienst, herausgegeben von Pastor Arno Spranger (1884–1972), würdigte ihn im Juni 1924 in einem knapp dreiseitigen, stellenweise beinahe hymnischen Nachruf:

Zum Gedächtnis.

Am 7. Dezember 1923 entschlief sanft im Herrn unser lieber, treuer Altfreund Dr. Emil Dönges. Man hat gesagt, ein Oberster, ein Großer, sei mit dem Entschlafenen abgeschieden, ein Wort, dem alle diejenigen, insonderheit alle diejenigen Altfreunde, aus vollem Herzen zustimmen werden, denen es vergönnt war, dem teuren Entschlafenen nähertreten zu dürfen. Mit Dr. Dönges ist einer unserer treuesten Altfreunde, der regen Verkehr mit den Kreisen Darmstadt und Frankfurt unterhielt, aus dem Leben geschieden, ein Großer, ja, der Größten einer unserer Führer auf dem Weg zur ewigen Heimat, ein Mann, dessen Herz ungeteilt auf seinen Herrn gerichtet war, der sein ganzes Leben, seine hohen geistigen Fähigkeiten, seine ganze Kraft in den Dienst seines Herrn gestellt, dem es wie wenigen vergönnt war, jahrzehntelang, sowohl im Wort wie durch seine nimmermüde Feder, jung und alt, hoch und niedrig auf seinen göttlichen Meister, seinen wunderbaren Herrn und Heiland hinweisen zu dürfen. Welch ein reicher Segen von seinem Worte ausging, das weiß der Herr allein, das wird die Ewigkeit erweisen; wir, die Zurückgebliebenen, können es nur ahnen, durften wir doch oftmals zu seinen Füßen sitzen und im Geiste teilnehmen an der himmlischen Freude, die sein Herz in so reichem Maße empfand, an jener Liebe zugleich, die aus Gott geboren, sein ganzes Wesen erfüllte, die rückhaltlos auf alle diejenigen ausstrahlte, die zu ihm kamen, jener wahren Liebe, die als etwas Ursprüngliches, Urmächtiges, als lebendiger Gottesquell seiner begnadeten Seele entströmte. Ihr müssen wir es danken, daß er nie müde wurde, immer und immer wieder, auch in den Kreisen der Altfreunde, die dringende Notwendigkeit zu betonen, in der Liebe des Herrn und an seinem heiligen, unvergänglichen Worte zu bleiben.

Als ein kleines Zeichen der Dankbarkeit möge ein kurzes Lebensbild des Heimgegangenen folgen.

Das nun folgende Lebensbild ist im Wesentlichen eine Zusammenfassung des erwähnten Artikels von Rudolf Brockhaus aus der Tenne, sodass auf eine vollständige Wiedergabe hier verzichtet werden kann. Gegen Ende wird die Darstellung wieder eigenständiger:

Am 2. September 1923 durfte er im Kreise seiner Lieben: seiner treuen Gattin, seiner Kinder und einem Enkel unter reichsten Glückwünschen von nah und fern seinen 70. Geburtstag festlich begehen.

Anfang Dezember 1923 stellte sich eine Verschlimmerung seines alten Herzleidens ein, die am 7. Dezember diesem teuren, gottbegnadeten Leben ein Ende bereitete.

War es „Zufall“, daß er auf den Tag seines Heimgangs für den 7. Dezember auf seinem Abreißkalender eine Betrachtung geschrieben über das Wort 1. Kor. 15, 49: „Wie wir das Bild dessen von Staub getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen“? Er schrieb: „… unser heutiges Wort gibt uns neu die bestimmte kostbare Zusage: „Wir werden das Bild des Himmlischen tragen.“ Welch herrliche Hoffnung!“

Noch 14 Tage vor seinem Heimgang besuchte er einen Altfreundeabend, auf dem Dr. phil. Krämer über 1. Kor. 15 sprach anläßlich des bevorstehenden Totensonntags. In der Aussprache betonte der Entschlafene kräftig die Gewißheit der ewigen Seligkeit der Kinder Gottes und verlas zum Schluß die beiden ersten Verse des Liedes: „Jesus, meine Zuversicht“:

„Jesus, er, mein Heiland, lebt,
Ich werd’ auch das Leben schauen,
Sein, wo mein Erlöser schwebt,
Warum sollte mir denn grauen?
Lässet auch ein Haupt sein Glied,
Welches es nicht nach sich zieht?“

Vom Posaunenchor des C. V. J. M. Darmstadt, in dessen Mitte er oft und gern geweilt hatte, mit den Klängen dieses Liedes geleitet, wurde am 11. Dezember 1923 unter überaus zahlreicher Beteiligung aus allen Gauen Deutschlands seine sterbliche Hülle zu Grabe getragen.

Nun ist die einst nimmermüde Feder seiner Hand entfallen, die Lippen, die einst in der Kraft des Herrn in heiliger Freude die unendliche Liebe und Gnade gepriesen, sind für immer verstummt. Der Diener ist eingegangen zu seinem hochgelobten Herrn, sein Wunsch ist erfüllt: Ihn schauen zu dürfen, wie er ist. Er ist als der gute und getreue Knecht eingegangen in die Herrlichkeit seines Herrn.

Auch uns, den hinterbliebenen Altfreunden, hat sein Scheiden eine große Lücke hinterlassen, die nur der Herr zu schließen vermag. Doch nicht klagen geziemt uns. Vielmehr wollen wir nach oben schauen in heißer Dankbarkeit dafür, daß der Herr einen solch Großen ausgesandt, damit sein Werk ausgebreitet und in den Seelen vertieft werde. Wir wollen nicht ermatten in der Bitte, daß der Herr der Ernte uns fähig mache, ihm nachzufolgen in gleicher Liebe und Treue, wie unser entschlafener Altfreund es getan, zu unseres wunderbaren Herrn Lob und Ehr’ und Dank und Preis. Sein Name sei gepriesen in alle Ewigkeit! Amen.

Fr. R.35

Nach dem Gesetz und Zeugnis

Seit den 1910er Jahren war Dönges Mitglied des Bibelbundes gewesen,36 deren Zeitschrift Nach dem Gesetz und Zeugnis auch mindestens einen Artikel von ihm abgedruckt hatte (über die Inspiration der Bibel37). Im ersten Quartal 1925 erinnerte auch diese Zeitschrift an den Verstorbenen, indem sie den – eigentlich eher „Brüder“-internen – Nachruf, der 1925 im Botschafter des Friedens erschienen war, praktisch unverändert nachdruckte (nur ohne den ersten Absatz).38 Herausgeber der Zeitschrift war zu dieser Zeit Heinrich Cornelius (1864–1942), Pfarrer in Lütjenburg.

Der Münsterländer

Beim letzten hier mitgeteilten Lebensbild aus der Sammlung Kretzer handelt es sich nicht mehr um einen Nachruf, sondern um einen biografischen Zeitungsartikel, der wahrscheinlich 1958 im Münsterländer, einer heimatkundlichen Beilage zu den Westfälischen Nachrichten, erschien. Anlass dafür war Dönges’ (relativ kurze) Tätigkeit als Lehrer am Gymnasium Burgsteinfurt, die dem Verfasser Dr. Rudolf Rübel (1887–1963) offenbar bedeutend genug erschien, um ihn in die 91-teilige Artikelserie „Verdiente Burgsteinfurter“ aufzunehmen. Als Quellen verwendete er das Lebensbild im Botschafter des Friedens 1953 sowie „Familiennachrichten“.39 Der Artikel enthält neben einigen eher zweifelhaften Aussagen auch Informationen, die meines Wissens sonst nirgendwo überliefert sind (z.B. den genauen Ort von Dönges’ Englandaufenthalt).

Verdiente Burgsteinfurter

Dr. Emil Dönges
2. September 1853 – 7. Dezember 1923

Emil Dönges wurde in Becheln (bei Bad Ems) als zweitältester Sohn des Lehrers Philipp Dönges und seiner Gattin Josefine40 geb. Knab geboren. Sein Vater war ein ernster, gottesfürchtiger Mann, der der Erweckungsbewegung angehörte und in seinem Hause christliche Versammlungen abhielt. Nach dem Besuch der Realschule in Bad Ems kam der Junge auf das Realgymnasium nach Elberfeld. Dort wohnte er in einer christlichen Familie und trat in Verbindung mit entschiedenen Gläubigen. Nach dem Abitur (14. Juli 1874) ging er nach Marburg, wo er neuere Sprachen studierte. Zwischendurch war er 18 Monate in England, in Stoke Prior in einem Pfarrhause. Dort lernte er John Darby (1800–1882) kennen, den Begründer der Sekte der Darbisten. Am 23. Mai 1879 legte er in Marburg die Lehramtsprüfung für französisch und englisch ab. Nach einem Studienaufenthalt in Paris promovierte er am 5. August 1879 über das altfranzösische Rolandslied. Am 1. Oktober 1879 wurde er als Probekandidat und Hülfslehrer (= Studienassessor) an das Gymnasium nach Burgsteinfurt versetzt.

Als Angehöriger einer kirchenfreien Gemeinschaft weigerte er sich, mit den Gymnasiasten den Gottesdienst in der Kirche zu besuchen, wie es damals (bis 1918) Brauch am Gymnasium war. Er gründete hier eine freikirchliche Gemeinschaft, ähnlich wie die Darbisten und die Plymouthbrüder, die jede kirchliche Organisation und alle geistlichen Aemter ablehnen. Auch nach dem Weggang von Dr. Dönges blieb die von ihm gegründete Gemeinschaft weiter bestehen.

Als Dr. Dönges Ostern 1882 Burgsteinfurt verließ, entschloß er sich, den Lehrerberuf aufzugeben. Zunächst (von 1884–86) arbeitete er im Verlag Brockhaus in Elberfeld. Er übersetzte das Werk von Andrew Miller (einem Angehörigen der Plymouthbrüder): Short Papers on Church history (= Kurzgefaßte Kirchengeschichte) 1874–79, und arbeitete mit bei der Uebersetzung der sog. „Elberfelder Bibel“, die von seinen Anhängern seitdem benutzt wird. Diese Uebersetzung entstand aus dem Wunsch, „dem einfachen und nicht gelehrten Leser eine möglichst genaue Uebersetzung in die Hand zu geben“. Ueber Luther hinausgehend wurden auch neuere Uebersetzungen, auch holländische und englische, benutzt.

1886 zog er nach Frankfurt, wo er seine Lebensgefährtin fand, Katharina Kirch, die ihm neun Kinder geschenkt hat. Seine Erstlingsarbeit war die Evangeliums-Zeitschrift: „Gute Botschaft des Friedens“, erschienen zuerst 1888, die rasche Verbreitung fand. Auch für Kinder gab er eine Zeitschrift heraus, sowie mehrere Familienkalender, die auch in der Schweiz und in Amerika Verbreitung fanden. März 1899 siedelte er nach Darmstadt über. Sehr redegewandt, verstand er anschaulich zu erzählen. Sehr weitherzig ließ er auch Andersdenkende gelten. Neben den regelmäßigen Zeitschriften schrieb er auch viele Erzählungen und Traktate. Trotz seiner ausgedehnten Tätigkeit leitete er auch die Anstalt für Schwachsinnige in Aue (bei Schmalkalden). Bis wenige Tage vor seinem Tode war er unermüdlich tätig. Seine Kinder setzen seine Arbeit erfolgreich fort.41


200. Geburtstag von Friedrich Wilhelm Baedeker

baedeker
Friedrich Wilhelm Baedeker (1823–1906)

Heute vor 200 Jahren wurde der Evangelist Friedrich Wilhelm Bae­deker im westfälischen Witten an der Ruhr geboren. Mit Witten wird sein Name freilich heute kaum noch assoziiert, sondern vielmehr mit England (wo er ab 1859 seinen Hauptwohnsitz hatte und zum Glauben kam) und vor allem mit Russland (wo er ab 1876 unermüdlich evangelisierte). Die erste Biografie, die bereits im Jahr nach seinem Tod erschien, trug daher auch den Titel Dr. Baedeker and his Apostolic Work in Russia,42 und die jüngste Buchveröffentlichung über ihn, herausgegeben zum 100. Todestag 2006, stellt im Untertitel ebenfalls den Russlandmissionar heraus.43

Lebensbeschreibungen Baedekers liegen auch online in ausreichend großer Zahl vor. Ich nenne in chronologischer Reihenfolge:

Auf einen eigenen biografischen Aufguss kann ich hier daher wohl verzichten; nützlicher erscheint mir die Veröffentlichung einiger bisher unbekannter Zeitungstexte, die ich vor einigen Jahren bei meinen Recherchen im British Newspaper Archive gefunden habe.

Baedeker in englischen Zeitungen

1887 sprach Baedeker gemeinsam mit Julius Rohrbach (1852–1935)44 in seiner Heimatgemeinde Weston-super-Mare über die Evangelisationsarbeit in Deutschland:

1887-04-20 Weston-super-Mare Gazette 2 (Rohrbach, Baedeker)
Weston-super-Mare Gazette, 20. April 1887, S. 2

1898 berichtete das North Devon Journal ausführlich über einen Vortrag Baedekers in Barnstaple und verschaffte den Lesern damit einen recht guten Einblick in seine Arbeit (wegen der Länge gebe ich den Artikel in Transkription wieder):

DR. BAEDEKER AT BARNSTAPLE.

In connection with the Plymouth Brethren cause, Dr. T. [sic] W. Baedeker (a well-known Christian traveller) preached most acceptably at the Grosvenor-street Chapel, Barnstaple, on Sunday. His address in the afternoon on work in the Russian prisons and among the persecuted Stundists in Siberia was anticipated with special interest, and there was a large congregation present. At the outset Dr. Baedeker (who is about sixty five years of age45) pointed out that Russia was one-sixth part of the inhabitable world, and that it contained 146 millions of people, who spoke 128 different languages. It was a large mission field, and nearly all nations were represented among the inhabitants. There were many there who had never heard the Word of God, and there were many millions who read the Word of God and had no intelligence for it. They were bound by an outward form of religion and ceremonies, with no power to keep them from sin at all. That was just the field into which God, in His great lovingkindness, had led him during the past twenty-one years. During the first ten years he visited various parts of Russia, preaching the Gospel, as well as he was able, wherever he found willing ears. About eleven years ago he went to Finland, where there was more religious liberty than in any other part of Russia, and visited all the prisons there. He afterwards obtained permission to visit all the prisons in the Russian Empire, and to give each prisoner a Testament in his own language. The British and Foreign Bible Society issued Testaments in 180 different languages, and they sold him the books at one-quarter the price for the prisoners. In visiting Moscow he lost his pocket-book and money, but there was light in the darkness, for he obtained fresh permission to visit the prisons, whilst friends helped him financially from St. Petersburg. Since then he had visited Siberia altogether four times, and he instanced an act of noble generosity on the part of a steamboat director in allowing him to travel free of cost. He wanted people in England to have a share in this work of God. There were open doors for the Gospel among the Stundists, and with Bible reading in various languages, the Word was the power of God unto salvation. As there were thousands of wolves and bears in the country, and travelling was otherwise dangerous, he had been advised to carry a revolver for protection; but he had never done this, and had never seen a wolf or been injured in any way. It was a great joy and privilege to be allowed to speak to the prisoners. In St. Petersburg there were 1,100 prisoners, each one in his own cage; and as he spoke to each separately, it took him five days to go through the gaol. All through the way had been very marvellously and wisely opened up, and he did not know that he had done with Russia yet. The prison doors were all open, and whilst he was away friends behind were still carrying on the work. Siberia, a country only just beginning to be peopled, was very rich, and full of treasures yet to be found. The crime of the Stundists, who were simple people, consisted in not conforming to the Greek Church, which, as he had said before, was full of ceremonies without any Gospel, although it allowed the New Testament to be freely distributed. But religion, apart from the Lord, was a dead thing. There was no religion, no church, except the Lord’s. He showed that the Stundists were subjected to much persecution through faith in the New Testament. In Roumania there were two colonies of Stundists who had escaped from punishment, and they were working for the Lord, their testimony being a great power in the land. He appealed to his hearers to pray for them, and to stand by them in prayer. – The address was interspersed with many incidents and anecdotes, not the least interesting being those which showed how his prayers in his difficult work had been answered, and the wonderful dream which resulted in his being enabled to visit prisoners who had been banished on an island for life.46

Gut acht Jahre später war Baedekers Arbeit leider zu Ende. Nachdem er sich auf einer Konferenz in Clifton eine Erkältung zugezogen hatte, die zu einer Lungenentzündung führte, starb er am 9. Oktober 1906 in seinem Haus in Weston-super-Mare, 83 Jahre alt.47 Der Zeitungsbericht über die Konferenz in der Western Daily Press lässt noch nichts davon ahnen:

1906-10-03 The Western Daily Press 5 Items of Local News (Clifton conference)
The Western Daily Press, 3. Oktober 1906, S. 5, Items of Local News

Acht Tage danach musste die Zeitung jedoch Baedekers Tod melden (das angegebene Geburtsjahr ist natürlich falsch):

1906-10-11 The Western Daily Press 3 (Baedeker)
The Western Daily Press, 11. Oktober 1906, S. 3

Der Manchester Courier fasste die Nachricht etwas kürzer:

1906-10-11 The Manchester Courier 8 Obituary (Baedeker)
The Manchester Courier, 11. Oktober 1906, S. 8, Obituary

Die Bath Chronicle schließlich brachte folgenden freundlichen Nachruf:

1906-10-18 The Bath Chronicle 5 (Baedeker)
The Bath Chronicle, 18. Oktober 1906, S. 5

Einen Monat später wusste die Western Daily Press sogar noch den Wert von Baedekers Nachlass zu berichten:

1906-11-22 The Western Daily Press 6 Local Wills (Baedeker)
The Western Daily Press, 22. November 1906, S. 6, Local Wills

Nach heutiger Kaufkraft entspräche dies immerhin £ 194.800 oder mehr.48

Baedeker in Deutschland

Aus deutscher Sicht interessant (und wenig bekannt) sind noch die zahlreichen Berichte in der Missionszeitschrift Echoes of Service über Baedekers Deutschlandreisen. Auf dem Weg von England nach Russland und zurück war Deutschland eine nahezu unvermeidliche Zwischenstation, aber Baedeker besuchte wiederholt auch Städte, die abseits der üblichen Route lagen, oder unternahm regelrechte Rundreisen. Im Einzelnen werden erwähnt:49

  • 1877: Berlin
  • 1878: Karlsruhe
  • 1880: Hückeswagen, Wermelskirchen
  • 1881: Berlin, Lübeck, Hamburg, Schleswig, Düsseldorf, Dresden
  • 1883–1886: fünfmal Berlin
  • 1888: Karlsruhe, Wiesbaden, Berlin, Hattingen, Witten, Blankenburg, [Bad] Homburg50
  • 1889: Berlin
  • 1890: Düsseldorf, Wiesbaden, Berlin
  • 1891: Berlin, Frankfurt, [Bad] Homburg
  • 1893: Süddeutschland
  • 1894: Berlin, Frankfurt und andere Städte
  • 1895: Berlin, Frankfurt, [Bad] Homburg, Darmstadt, Heidelberg, Stuttgart
  • 1896: Berlin, Leipzig, Blankenburg, Frankfurt, Heidelberg, Stuttgart, Düsseldorf, Neukirchen
  • 1897: Blankenburg, Gotha, Frankfurt, Heidelberg, Berlin
  • 1898: Berlin, Blankenburg, Dortmund, Düsseldorf
  • 1900: Berlin, Blankenburg, Baden, Wiesbaden, Frankfurt
  • 1901: Hamburg, Berlin, Görlitz
  • 1903: Süddeutschland, Blankenburg
  • 1905: Süddeutschland

Alle diese Berichte können in der Anthologie Early Open Brethren in the German-Speaking Countries nachgelesen werden, die ich 2018 für bruederbewegung.de zusammengestellt habe.


200. Geburtstag von Wilhelm Alberts

Zum heutigen 200. Geburtstag von Wilhelm Alberts wiederhole ich hier (minimal modifiziert) einen Beitrag, den ich 2015 zu seinem 150. Todestag geschrieben habe.


„Alberts, Schwarz, Bröcker, Weber, Eberstadt, Effey“ – diese Namensliste ist in nahezu jeder ausführlicheren Darstellung der deutschen Brüdergeschichte zu finden.51 Es handelt sich um die sechs Brüder, die am 11. Dezember 1852 zusammen mit Carl Brockhaus aus dem Evangelischen Brüderverein austraten bzw. austreten mussten, weil sie sich die Ansichten John Nelson Darbys zu eigen gemacht hatten. Über die meisten von ihnen wissen wir kaum mehr als die Namen; nur Wilhelm Alberts ist uns dank den Nachforschungen des letzten Brüdervereinsvorsitzenden Hans Horn etwas besser bekannt.52

Bildquelle: http://www.wiehl.de/bilder/drinhausenbig.jpg
Wiehl um 1850

Wilhelm Alberts wurde am 5. April 1823 in Dörnen bei Wiehl (heute ein Stadtteil im Südwesten Wiehls) geboren und erlernte das Handwerk des Klempners oder Blechschlägers. Durch den Nümbrechter Pfarrer Ernst Hermann Thümmel (1815–1887) kam er zum Glauben und erhielt bald Gelegenheit, in „erweckten“ Versammlungen das Wort zu ergreifen. 1850 trat er in den neu gegründeten Evangelischen Brüderverein ein und wurde für ein Tagesgehalt von 20 Silbergroschen hauptamtlicher „Lehrbruder“. Max Goebel, ein landeskirchlicher Kritiker des Brüdervereins, berichtete 1854, dass Alberts

zuerst in den Gemeinden Lennep und Lüttringhausen, und später in verschiedenen Gemeinden der Aggersynode sehr stark besuchte aber auch heftig angefeindete Versammlungen hielt. Während seines anfänglichen Wirkens in der Synode Lennep machte er auf die dortigen Pfarrer theilweise den Eindruck eines bescheidenen, wohlmeinenden, gläubigen Mannes […]. Alberts verbreitete seit 1852 bedenkliche Lehren von der Unverlierbarkeit des Gnadenstandes, der absoluten Prädestination und seiner Sündlosigkeit, so daß nun selbst die frömmeren und entschiedeneren Pfarrer der Aggersynode sein Treiben je länger je mehr mißbilligten. So hat er Pfingsten 1852 zu Nallingen in der Gemeinde Marienberghausen das heilige Abendmahl unter Gesang, Schriftlesung und abwechselnden knieenden Gebeten mehrer [sic] Brüder mit 12–14 (später gar mit 40) Personen beiderlei Geschlechts durch gegenseitige Austheilung von ungesegnetem Weißbrod und Wein (aus einer Tasse) gefeiert, was er selber aber nur ein Liebesmahl oder eine testamentliche Handlung nannte. Diese Feier wurde monatlich gehalten. Alberts selber war schon 1852 Wiedertäufer geworden, indem er sich mit einigen Anverwandten – wahrscheinlich von Lindermann53 – wiedertaufen ließ; und sammelte in seiner Heimath aus Verwandten und Freunden eine Gemeinde von zwanzig Personen, die 1853 ihren Austritt aus der evangelischen Kirche förmlich notariell erklärten.54

Vorausgegangen war dieser Gemeindegründung die „darbystische Krise“55 im Brüderverein. Horn schreibt:

Aus den fragmentarischen Berichten hinsichtlich des Inhaltes seiner [Alberts’] Predigt kann man die Spuren einer immer stärkeren Hinwendung zu den speziellen Lehren der sogenannten Brüderbewegung erkennen, die durch den Engländer John Nelson Darby einen mächtigen Auftrieb in Europa erfuhr. […] Es ist keine Frage, daß im Brüderverein Alberts neben Carl Brockhaus der entschiedenste Verteidiger der Lehren der Brüderbewegung war.56

Da der Brüderverein keine „separatistischen Bestrebungen“ duldete, wurden Alberts und seine Freunde am 11. Dezember 1852 zum Austritt gedrängt. Für Alberts hatte das durchaus existenzielle Konsequenzen: Er musste sich wieder einen Brotberuf suchen und begann als „Ackerer“ in der Landwirtschaft zu arbeiten. Seine Predigttätigkeit setzte er jedoch fort – nun freilich unter noch größeren Anfeindungen. Im Siegerland beispielsweise wurde er 1853 einmal verhaftet, und die zum „Liebesmahl“ Versammelten wurden von der Polizei auseinandergetrieben.

Die von Alberts an seinem Wohnort Großfischbach gegründete Gemeinde, die auch Carl Brockhaus auf seinen Reisen wiederholt besuchte, wurde „Brüderverein der Gläubigen“ oder „Freie Brüdergemeinde“ (!) genannt. Horn kommentiert:

Ganz entsprechend dem ihnen eigenen Gemeindeverständnis vermeidet man jede Bezeichnung, die als eine neue Freikirche verstanden werden könnte. Wie ernsthaft das Bestreben war, sich auf den Bahnen der Urgemeinde zu bewegen, erkennt man an dem interessanten Vorschlag, der bei einer Versammlung in der Gemeinde Marienberghausen unterbreitet, aber dann doch nicht verwirklicht wurde, nämlich die Gütergemeinschaft unter den Gläubigen einzuführen. […] Die Versammlungen selbst verliefen nach Auskunft des Bürgermeisters Möller „still und friedlich“, ihren Teilnehmern stellte er in „moralischer und sittlicher Beziehung“ ein sehr gutes Zeugnis aus.57

Wilhelm Alberts wurde nur 42 Jahre alt. Der „rastlose Wanderprediger“58 starb am 14. November 1865 in Rumeln im Kreis Moers (heute ein Stadtteil von Duisburg). Seine Nachwirkung fasst Horn wie folgt zusammen:

Die zahlreichen Kleinkreise der Brüderbewegung, die unmittelbar oder mittelbar von ihm gegründet wurden, haben ihn überlebt, aber im Laufe der Jahrzehnte seinen Namen auf Grund ihrer gewollten Interessenlosigkeit an der Geschichte verblassen lassen oder sogar vergessen. Wie viele es gewesen sind, läßt sich nicht mehr feststellen. Aber wir dürfen aus den vorhandenen Quellen schließen, daß die ältesten Zellen der Brüderbewegung im Oberbergischen, im Siegerland, und auch in angrenzenden Gebieten zu einem großen Teil auf diesen Vorkämpfer reiner geistgewirkter Christengemeinden zurückgehen.59

Die 20-seitige Arbeit von Horn ist auf bruederbewegung.de digital zugänglich.


100. Todestag von Christoph Köhler

koehler
Christoph Köhler (1860–1922)

Heute vor 100 Jahren starb Christoph Köhler, der erste Leiter der Allianz-Bibelschule Berlin, während eines Besuchs in Wiedenest. Ihn als Pionier der deutschen Offenen Brüder zu bezeichnen ist vielleicht nicht ganz korrekt – zum einen war er noch bis 1905 evangelischer Pfarrer, zum anderen verstanden sich sowohl die Allianz-Bibelschule Berlin als auch die Gemeinde Berlin-Hohenstaufenstraße (der er sich anschloss) um diese Zeit noch nicht als Offene Brüder im engeren Sinne (bei der Bibelschule ist dies bereits am Namen erkennbar, die Gemeinde Hohenstaufenstraße stellte sich laut Gerhard Jordy erst ab 1927 „unter der Führung Heinrich Neumanns ganz bewusst in die Gemeinschaft der sich nun ausbreitenden ‚Offenen Brüder‘ in Deutschland“59).

Was Köhler schon bis 1905 als landeskirchlicher Erweckungsprediger leistete, ist allerdings beeindruckend; das anonyme60 Lebensbild auf der Website der Gemeinde Hohenstaufenstraße gibt einen recht guten Einblick in diese Arbeit. Edmund Hamer Broadbent (1861–1945), der in vielerlei Hinsicht als „Geburtshelfer“ der deutschsprachigen Offenen Brüder gelten kann,61 besuchte Köhler zwei Monate vor dessen Kirchenaustritt in Schildesche bei Bielefeld und schrieb darüber in sein Tagebuch:

14. Dezember [1904]. Ich erreichte Bielefeld am Morgen und wurde von Johannes Warns abgeholt, der mich in das kleine Dorf Schildesche mitnahm, wo ich von Pastor Köhler, seiner Frau62 und seinem ganzen Haushalt in dem großen, altmodischen Pfarrhaus, einem 200 Jahre alten, schwarz-weißen Gebäude, sehr herzlich willkommen geheißen wurde. Dort blieb ich bis zum nächsten Tag. Es war eine außergewöhnlich angenehme Erfahrung, in diesen Haushalt in Schildesche zu kommen, denn er ist das Zentrum eines Werkes des Geistes, das in der ganzen Umgebung im Gange ist. Köhler ist Pfarrer eines großen Bezirks, ist bekehrt und macht seit Jahren Fortschritte in der Kenntnis des Wortes. Unter dem Widerstand der klerikalen Kräfte um ihn herum hat er so weit wie möglich die innerkirchliche „Gemeinschaft“ unterstützt, die dort wie an so vielen Orten entstanden ist. In Verbindung damit hat eine wahre Erweckung stattgefunden, und mehrere hundert haben sich bekehrt. Es wurde ein attraktiver, praktischer Versammlungssaal gebaut (wo ich über das Buch Nehemia sprach). Pastor Köhler hat einen Punkt erreicht, wo er keine andere Möglichkeit mehr sieht, als sein Amt niederzulegen und die Kirche zu verlassen. Er hofft, sich dem Werk des Evangeliums zu widmen und die Gläubigen in dieser Gegend zu erbauen. Es gibt bereits 16 oder 18 Dörfer und Städte, wo regelmäßige Zusammenkünfte stattfinden und wo einige Gläubige wohnen. Frau Köhler ist ganz in Übereinstimmung mit ihrem Mann; sie ist eine sehr freundliche und liebenswürdige Person. Ihre Schwester ist die Frau von Pfarrer Lohmann. Sie haben fünf Kinder, das älteste zehn, das jüngste drei Jahre alt. Die beiden ältesten Jungen sind bekehrt. Es wird keine leichte Sache für sie sein, das Haus, die Stellung und das Einkommen aufzugeben, über das sie so lange verfügten, aber sie haben nicht den geringsten Zweifel über den einzuschlagenden Weg.63

Köhlers Amtsniederlegung erfolgte am 7. Februar 1905; seine schriftliche Erklärung darüber ist im oben verlinkten Artikel nachzulesen. Noch im selben Jahr wurde in Berlin die Allianz-Bibelschule gegründet, deren Leitung Köhler übernahm. Als sie 1919 nach Wiedenest umzog, blieb er aus gesundheitlichen Gründen in Berlin und widmete sich dem Gemeindedienst in der Hohenstaufenstraße, kam aber gelegentlich noch als Gastlehrer nach Wiedenest. Er starb während einer dortigen Konferenz, erst knapp 62 Jahre alt.

An Online-Informationsquellen über Christoph Köhler sind mir außer dem erwähnten Lebensbild noch zwei bekannt:


200. Geburtstag von Julius Löwen

loewen
Julius Löwen (1822–1907)

Heute vor 200 Jahren wurde Julius Löwen in Breckerfeld geboren – neben seinem gleichaltrigen Schwager Carl Brockhaus eine zweite prägende Figur in der Gründergeneration der deutschen Brüderbewegung.

Der Nachwelt ist er vor allem als Dichter der Lieder Dir, dem hocherhobnen Herrn (GL 125), Anbetung Dir, dem Lamme (GL 128) und Anbetung, Ehre, Dank und Ruhm (GL 134) sowie als Komponist oder Bearbeiter der Melodie von Dem, der uns liebt (GL 126) in Erinnerung geblieben. Bedeutsam war aber auch seine Rolle in Differenzen und Meinungsverschiedenheiten unter den Geschlossenen Brüdern; so war er 1881/82 der Hauptgegner Julius Anton von Posecks in der Auseinandersetzung um Park Street64 und verfasste 1901 ein Statement gegen die allianzfreundliche Haltung Georg von Viebahns (das diesem allerdings erst 1906 von Rudolf Brockhaus zugänglich gemacht wurde65).

Mit seiner dreiteiligen Artikelserie „‚Alles geschehe wohlanständig und in Ordnung.‘ (1. Kor. 14, 40.)“ legte Löwen 1893 im Botschafter des Heils in Christo ein klassisches, von den Geschlossenen Brüdern bis heute umgesetztes praktisches Regelwerk zu Abendmahlszulassung und -ausschluss vor.66 Es wurde 1930 erneut im Botschafter abgedruckt:

Da immer wieder Fragen über das richtige, Gott wohlgefällige Verhalten in Versammlungs-Angelegenheiten auftauchen, wird es für wünschenswert gehalten, die seiner Zeit von unserem im Jahre 1907 entschlafenen, den älteren Lesern des „Botschafter“ wohlbekannten Bruder Jul. Löwen darüber niedergeschriebenen Gedanken in etwas abgekürzter Form noch einmal wiederzubringen. Wir hoffen, damit sowohl unseren Lesern im allgemeinen einen Dienst zu erweisen, als auch zu möglichster Gleichmäßigkeit in der Behandlung vorkommender Schwierigkeiten in den Versammlungen beizutragen.67

Zum dritten Mal erschien die Artikelserie 1959 in Ermunterung und Ermahnung (sprachlich leicht überarbeitet):

Die folgenden Ausführungen unseres im Jahre 1907 heimgegangenen Bruders Jul. Löwen sind schon im Jahre 1893 erstmalig im „Botschafter“ erschienen und im Jahre 1930 wiederholt worden. Da es heute wichtiger denn je erscheint, in der Wahrheit befestigt zu werden und sich dessen klar bewußt zu sein, wessen man belehrt worden ist, sowie auch um zu möglichster Gleichmäßigkeit in der Behandlung der heute so häufig vorkommenden Schwierigkeiten in den Versammlungen beizutragen, so wurde ein nochmaliger Abdruck dringend empfohlen.68

Ein Lebensbild Julius Löwens verfasste Arend Remmers 1983 für sein Buch Gedenket eurer Führer; außerdem existiert seit 2006 ein Wikipedia-Artikel von Gregor Helms. Nicht online verfügbar ist leider die von Andreas Liese geschriebene Kurzbiografie in Protestantische Profile im Ruhrgebiet. 500 Lebensbilder aus 5 Jahrhunderten, hrsg. von Michael Basse, Traugott Jähnichen und Harald Schroeter-Wittke, Kamen (Spenner) 2009, S. 227–229.