China war bis zur kommunistischen Machtübernahme eines der wichtigsten Missionsgebiete der Kelly-Lowe-Continental-Brüder. Auch mehrere deutsche Missionare arbeiteten dort, darunter Wilhelm Koll, dessen Todestag sich heute zum 50. Mal jährt. Ich fasse im Folgenden ein Referat zusammen, das Klaus Mauden 2017 im Arbeitskreis Geschichte der Brüderbewegung hielt,1 und ergänze es lediglich durch einige genealogische Daten.
Johannes Wilhelm Koll wurde am 13. März 18822 in Barmen geboren und erlernte zunächst den Kaufmannsberuf. Nach einer Begegnung mit dem englischen Chinamissionar Thomas Hutton (1856–1926) ging er im Oktober 1911 gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Gustav (1887–1957) nach London, um sich am Livingstone Medical College für den Missionsdienst medizinisch ausbilden zu lassen. 1912 reisten die beiden Brüder nach China aus und begannen ihre Arbeit in Hinghwa.
Im Ersten Weltkrieg wurde Wilhelm Koll zum Militärdienst in der deutschen Kolonie Tsingtau einberufen, die allerdings bereits wenige Monate später in die Hände der Japaner fiel, was für Koll fünf Jahre japanische Kriegsgefangenschaft zur Folge hatte. Nach seiner Entlassung setzte er die Arbeit in Hinghwa fort, wobei er besonders in der medizinischen Versorgung der Chinesen tätig war. Als 1922 der Arzt Hans Neuffer (1892–1968) nach China kam, unterstützte Koll dessen Arbeit im neu gebauten Krankenhaus.
Nach einem Heimaturlaub in Deutschland ab 1926 heiratete Wilhelm Koll am 7. Oktober 1929 in Shanghai die Engländerin Elsie Alice Ransom (1896–1977), die bereits einige Jahre als Lehrerin in China gearbeitet hatte. In den beiden folgenden Jahren wurden die Kinder Ruth Elsie (1930–2006) und Godfrey Ernest (1931–2019) geboren. 1937 machte die Familie eine Reise nach England und von dort im Mai 1938 nach Deutschland, wo sie verbotene Zusammenkünfte der „Nichtbündler“ besuchten. Wilhelm Koll kehrte noch im selben Jahr nach China zurück; seine Familie konnte erst 1940 über die USA nachreisen.
Die Missionsarbeit in Hinghwa endete 1946, als die Stadt von den Kommunisten erobert wurde. Auf abenteuerliche Weise gelangte die Familie Koll nach Shanghai, doch Wilhelm erhielt als Deutscher kein Ausreisevisum, sodass Elsie mit den beiden Kindern im Dezember 1946 allein nach England aufbrechen musste. Erst Ostern 1947 durfte Wilhelm nachkommen. Die Familie ließ sich in Iver Heath westlich von London nieder und zog 1969 nach Eastbourne.
Wilhelm Koll war in mehreren Ländern noch oft im Verkündigungsdienst aktiv, Elsie arbeitete in der Kinder- und Jugendarbeit von Jean André in der Schweiz mit und übersetzte auf den Konferenzen in Zürich. Am 13. September 1971, heute vor 50 Jahren, starb Wilhelm Koll im 90. Lebensjahr.
Als Julius Anton von Poseck und William Henry Darby 1849 begannen, englische und französische „Brüderliteratur“ ins Deutsche zu übersetzen, war ihr bevorzugter Autor John Nelson Darby – mehr als die Hälfte der „Düsseldorfer Schriften“ stammte aus seiner Feder. Unter den sonstigen Übersetzungen trug nur eine einzige einen Autorenvermerk: Die 22-seitige Broschüre Die Persönlichkeit des Trösters. Aus dem Englischen (1850) enthielt ein von „D. Walther“ unterzeichnetes Vorwort.
Angesichts der th-Schreibweise des Nachnamens würde man den Verfasser vielleicht eher im deutschen als im englischen Sprachraum vermuten, und tatsächlich stammte der Vater von David Walther aus Deutschland: Johann Heinrich Walther (1745/46–1835) war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Hannover nach London ausgewandert, wo er sich Henry nannte und in den 1780er Jahren eine Buchbinderei gründete. Als ältester überlebender Sohn aus seiner 1790 geschlossenen zweiten Ehe mit Henrietta Petit (1756–1815) wurde 1794 der hier in Rede stehende David geboren.
Leben
Über Walthers Leben und Wirken hat der langjährige CBA-Archivar David Brady 2017 in der Brethren Historical Review einen ausführlichen Artikel veröffentlicht, der in einer 2020 nochmals erweiterten und aktualisierten Fassung auf der BAHN-Website verfügbar ist. Ich kann mich daher im Folgenden auf einen knappen Überblick beschränken.
David Walther ließ sich – nach einigen frühen Versuchen als Dichter – spätestens 1820 als Buchhändler und Verleger in der Brydges Street im Londoner Stadtteil Covent Garden nieder. 1823 heiratete er Isabella Hawkins, die in den folgenden Jahren zwei Töchter zur Welt brachte, jedoch bereits 1831 starb. 1834 zog Walther mit seinem Geschäft in die Straße Piccadilly, 1836 schloss er sich wahrscheinlich den „Brüdern“ an. In seinem Verlag hatte er von Anfang an neben säkularen auch christliche Titel herausgegeben, darunter 1833 ein Buch aus eigener Feder (Vindiciæ Biblicæ: A Series of Notices and Elucidations of Passages in the Old and New Testaments, which have been the Subject of Attack and Misrepresentation by Deistical Writers). Das Werk, das mit fünf Auflagen wohl zum größten Bestseller des Unternehmens wurde, erschien ab 1838: Jean-Henri Merle d’AubignésHistory of the Great Reformation of the Sixteenth Century in Germany, Switzerland, etc. in anfangs drei, später fünf Bänden.
Von 1841 bis 1846 verlegte Walther auch Schriften von Darby. Nach der Spaltung von 1848 kam seine Versammlung in der Londoner Orchard Street jedoch auf der „offenen“ Seite zu stehen, die Walther mit mehreren Schriften auch publizistisch unterstützte, allerdings nicht mehr im eigenen Verlag: Etwa um diese Zeit stellte er seine Geschäftstätigkeit ein und ließ die ca. 40 meist knappen Schriften seiner letzten beiden Lebensjahrzehnte (die umfangreichste darunter war eine 74-seitige Erwiderung auf Francis William NewmansPhases of Faith, 1851) bei anderen Londoner Verlagen wie Campbell, Yapp oder Nisbet erscheinen. Am 16. April 1871, heute vor 150 Jahren, starb David Walther in seiner Londoner Wohnung.
„Die Persönlichkeit des Trösters“
Als die Broschüre Die Persönlichkeit des Trösters 1850 in Düsseldorf erschien, gehörte ihr Autor demnach bereits den Offenen Brüdern an. Möglicherweise war dies den Übersetzern gar nicht bekannt – Julius Anton von Poseck war ja erst im Sommer 1848 (ziemlich genau zur Zeit der Bethesda-Trennung) zum Glauben gekommen, und William Henry Darby hielt sich seit Herbst 1848 in Düsseldorf auf (die Versammlung Walthers in der Orchard Street wurde erst 1849 von der Trennung erreicht). Vielleicht war ihnen aber auch der Inhalt wichtiger als die Gemeindezugehörigkeit des Verfassers – mit Jerusalem und der Mensch der Sünde (ebenfalls 1850) brachten sie immerhin sogar eine Schrift heraus, die (zumindest teilweise) auf Benjamin Wills Newton zurückging.1
Das englische Original der Walther-Broschüre, The Personality of the Comforter, Briefly Considered, war 1848 in London erschienen und ist heute extrem selten: Außer in der British Library scheint nirgendwo mehr ein Exemplar erhalten geblieben zu sein, auch nicht im Christian Brethren Archive. Thema der Schrift ist die Personalität oder Personhaftigkeit des Heiligen Geistes – das griechische Wort parakletos (Joh 14,16.26; 15,26; 16,7; 1Joh 2,7), das in der Elberfelder Bibel traditionell mit „Sachwalter“ übersetzt wurde (in der revidierten Ausgabe seit 1985 „Beistand“), erscheint in der englischen Authorized oder King James Version (und auch noch in der Übersetzung Darbys2) als „Comforter“.
Die Wiedergabe mit „Tröster“ war zeitgenössischen deutschen Lesern aus der Lutherbibel vertraut; insofern bot der Titel der Broschüre keine Verständnisschwierigkeiten. Vom Innenteil lässt sich dies leider nicht sagen; tatsächlich ist die Übersetzung von einer derartigen Sperrigkeit und Schwerfälligkeit, dass man viele Sätze mehrmals lesen muss, um ihnen überhaupt einen Sinn abzugewinnen.
Bereits die ersten zwei Absätze des Vorworts sind keine stilistische Meisterleistung, wenn auch noch nachvollziehbar:
Ein Wort, das ich mit einem theuern Bruder gewechselt habe, veranlaßt mich, eine Bemerkung zu machen in der Weise eines Vorwortes.
Indem der heilige Geist gegeben ist, um der Kirche zu helfen, damit sie ihr Nahesein zu Gott bewirklichen möge; so ist der Geist doch oft so sehr mißverstanden worden, daß der Herr dadurch sogar in Entfernung gestellt ward. (S. [3])
„In der Weise eines Vorwortes“, „Nahesein zu Gott bewirklichen“, „in Entfernung gestellt“ – das war auch Mitte des 19. Jahrhunderts kein geläufiges, idiomatisches Deutsch (für keine dieser Wendungen findet man Treffer auf Google Books). Aber es wird noch deutlich schlimmer:
Das Andenken an den heiligen Geist, als an eine gesandte Person, was eine große Schriftwahrheit ist, wird als ganz besonders hervorgehoben von der heil. Schrift unterhalten; – und es beugt dem nebelartigen Wahrnehmen, unter welchem die Kenntniß von Gott zuweilen entwickelt wird, vor. (S. 9)
Von der Heiligen Schrift wird also „das Andenken als ganz besonders hervorgehoben unterhalten“, und die Kenntnis von Gott wird „zuweilen unter einem nebelartigen Wahrnehmen entwickelt“ – was damit gemeint ist, kann man allenfalls erahnen, und man hätte gerne die englische Vorlage zum Vergleichen! Dass es keine bessere Möglichkeit gab, diese Sätze ins Deutsche zu übertragen, mag man jedenfalls kaum glauben.
Der Gesandte für die gegenwärtige Heilsanstalt trägt das Zeugniß von Ihm, – welchen zu sehen den Vater sehen war. (S. 10)
„Heilsanstalt“ ist möglicherweise ein früher Übersetzungsversuch für das englische Wort dispensation, aber ob den Zeitgenossen die Bedeutung dadurch wirklich transparent wurde, erscheint zweifelhaft. Auch der Satzteil nach dem Gedankenstrich kann schwerlich als gutes, idiomatisches Deutsch durchgehen.
Wir träumen und plaudern von Einfluß, wann er mit unserem Geiste in Vertraulichkeit umgeht, und das bis zum Unerforschlichen der frohen Gegenstände dieser Wahrheit. (S. 12)
Der erste Satzteil (bis „umgeht“) soll offenbar betonen, dass der Heilige Geist eine Person ist und kein bloßer „Einfluß“, aber der letzte Teil hängt sowohl syntaktisch als auch semantisch seltsam in der Luft – was soll man sich unter dem „Unerforschlichen der frohen Gegenstände dieser Wahrheit“ vorstellen?
Ich schätze die Thatsache, daß die Form [„den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“] nur bei Matthäus vorkommt. (S. 13)
„Schätzen“ ergibt hier wenig Sinn; in der Vorlage könnte acknowledge gestanden haben, was zwar auch „schätzen, würdigen“ bedeuten kann, hier aber besser mit „zugeben, einräumen“ zu übersetzen wäre.
Tragen wir dieß im Gemüthe, dann werden wir fähiger sein, den Grund für die theilweise Oeffnung der Wahrheit, wo diese vorkömmt, zu verstehen, welche wir in der Unruhe der Neugierde erfolglos zuvergrößern [sic] suchen.
Ich kann mich keiner Sache erinnern, die als ein Bedürfniß der Kirche eine weitere Eröffnung der Verhältnisse zwischen den Personen der Dreieinheit erheischen könnte, als schon gegeben ist. (S. 18)
Man versteht hier – wie an vielen Stellen der Broschüre – zwar einzelne Satzteile, aber es wäre mir nicht möglich, den Sinn dieser beiden Absätze mit eigenen Worten wiederzugeben.
Ob Die Persönlichkeit des Trösters ein repräsentatives Beispiel für die Qualität der Poseck-Darby’schen Übersetzungen ist, bedürfte einer genaueren Untersuchung; in den bisherigen Darstellungen (Ischebeck, Hermes, Jung usw.) sind die „Düsseldorfer Schriften“ ja immer nur aufgelistet, aber nie inhaltlich oder sprachlich analysiert worden. Wahrscheinlich wird man davon ausgehen können, dass der schriftliche Dienst von Carl Brockhaus ab 1853 auch deswegen eine größere Wirkung erzielte, weil er es verstand, sich volkstümlicher auszudrücken. Was David Walther angeht, so blieb Die Persönlichkeit des Trösters wohl die einzige seiner Schriften, die ins Deutsche übersetzt wurde.
Die in einem früheren Blogpost hier angekündigte, für den 21. November 2020 in der EFG Haiger geplante Veranstaltung „500 Jahre Täuferbewegung“ muss wegen der Corona-Pandemie leider ausfallen. Sie soll voraussichtlich 2024 nachgeholt werden.
Von den meisten Pionieren der deutschen Offenen Brüder liegen bislang keine umfangreicheren Lebensbilder vor; auch Christian Schatz bildet da keine Ausnahme. Anlässlich seines heutigen 150. Geburtstages möchte ich hier wenigstens drei kurze Skizzen veröffentlichen, die sonst noch nicht online zugänglich sind.
Ich beginne mit einem Blatt aus einer als Typoskript überlieferten Chronik der Familien Brackelsberg/Braselmann aus Ennepetal-Milspe:1
In Urach im schönen Württemberg ist Christian Schatz am 6. Oktober 1869 geboren. Er heiratete Anna Osthoff, die ihm aber keine Kinder schenkte.
Christian war Lehrer an einer Mittelschule, trat aber mit etwa 22 Jahren aus der Kirche aus, um einer von Darby gegründeten freikirchlichen Gemeinschaft angehören zu können. Deshalb musste er auch seinen Beruf aufgeben, und so kam er nach Wuppertal-Barmen zu einem Orgelbauer. Später war er Hauslehrer bei Julius und Daniel Brackelsberg und Carl Osthoff, dessen Tochter er ehelichte. Nachdem er zwei Jahre als Soldat in Metz gedient hatte, heiratete er 1893.2
Später war Christian Hausverwalter der Familie Menzel in Düsseldorf, dann Kaufmann in einer Giesserei in Altenvoerde. Nach dem Konkurs dieser Fabrik wurde er Metallwarenvertreter in Bad Homburg.
Christian Schatz war ein sehr ernster Christ, dabei auch in der biblischen Auslegung sehr bewandert. Das zeigt auch, dass er Mitbegründer der „Offenen Brüder“ geworden ist. Nebenbei schriftstellerte er auch.
Am 1. Januar 1947 hauchte Schatz sein vielbewegtes Leben aus. Er starb an Altersschwäche aufgrund der schlechten Ernährungslage in damaliger Zeit. Sein Sterbeort ist Bad Homburg.
Interessant ist hier u.a. die Information, dass Schatz erst mit ca. 22 Jahren zu den „Brüdern“ kam, also etwa 1891/92. Um diese Zeit fanden auf dem europäischen Kontinent gerade die Auseinandersetzungen über die Lehren F. E. Ravens statt. Möglicherweise gehörte Schatz also nie den „Elberfelder Brüdern“ an, sondern trat gleich den Raven-Brüdern bei, deren Zeitschrift Worte der Gnade und Wahrheit er von 1897 bis 1900 in Altenvoerde herausgab (nachdem sich der erste Herausgeber, Max Springer, den Offenen Brüdern zugewandt hatte).
Die zweite Skizze stammt aus der Festschrift zum 60-jährigen Bestehen der Offenen Brüdergemeinde Bad Homburg, die in Schatz’ Todesjahr 1947 erschien. Auf deren Seite 12 heißt es zunächst knapp:
Vom Jahre 1917 an nahm Bruder Schatz, der inzwischen nach Homburg übergesiedelt war, regen Anteil an dem Dienst in der Gemeinde.3
Sechs Seiten weiter wird ausführlicher berichtet:
Am 1. 1. 47 ging Bruder Schatz im Alter von 77 Jahren nach längerer Krankheit heim. Drei Tage vor seinem Tode sang ihm der Gemischte Chor einige Lieder zur Ermunterung, die ihn auch sichtlich erfreuten. Ein arbeitsreiches Leben fand damit seinen Abschluß. Bruder Schatz war durch seine umfassende Schriftkenntnis und seine eiserne Energie über den Rahmen der örtlichen Gemeinde hinaus bekannt und bemühte sich unablässig für das Werk des Herrn, besonders auch für die Brüder in der Mission. Obwohl er selbst kinderlos war, so hatte er doch stets ein warmes Empfinden für die Jugend.
Bei der Vereinigung der verschiedenen Gemeindegruppen war er mithelfend tätig und freute sich, als diese Bemühungen zum Erfolg führten.
Bruder Schatz mußte im November 1945 seine Tätigkeit als Gemeindeleiter krankheitshalber aufgeben. Bruder Friedrich Adolf Zeuner wurde in einer Gemeindeversammlung als Nachfolger gewählt und dient seitdem unserer Gemeinde als Gemeindeleiter in vorbildlicher Treue. Bruder Friedrich Kleemann steht ihm als Stellvertreter zur Seite.4
Mit der „Vereinigung der verschiedenen Gemeindegruppen“ ist natürlich der Beitritt der Offenen Brüder zum BfC (1937) und der Zusammenschluss des BfC mit den Baptisten (1941/42) gemeint. Dass Schatz sich über den letzteren durchaus nicht ganz ungeteilt „freute“, verrät die Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Bad Homburger Gemeinde (1987):
Der gebürtige Württemberger war Lehrer, mußte jedoch diesen Beruf aufgeben, weil er sich der „Christlichen Versammlung“ angeschlossen hatte. Als Privatlehrer in Wuppertal hielt er Kontakt zu den Versammlungen am Ort. 1917 zog er nach Bad Homburg und arbeitete als Industriekaufmann. In die Arbeit der Gemeinde brachte er seine reichen Gaben ein und wurde zu einem der führenden Männer unter den „Offenen Brüdern“ in Deutschland. Zusammen mit Joh. Warns von der Bibelschule in Wiedenest gab er die Zeitschrift „Saat und Ernte“ im Verlag Zeuner heraus. Er war ab 1937 ein überzeugter Förderer des Zusammenschlusses mit den sogenannten „Elberfeldern“, der darbystischen Gruppe unter den Versammlungen. Den Zusammenschluß mit dem Bund der Baptistengemeinden in Deutschland im Jahre 1942 vollzog er zunächst zögernd, dann – um der Einheit der Gemeinde willen – bewußt mit.5
Von Christian Schatz’ Veröffentlichungen hat bruederbewegung.de bisher vier zugänglich gemacht:
Heute vor 200 Jahren wurde Peter Friedrich Wilhelm Brockhaus, einer der bekanntesten deutschen „Brüder“ der ersten Generation, in Himmelmert bei Plettenberg geboren. Anstelle eines vollständigen Lebensbildes verweise ich hier auf den Wikipedia-Artikel, den ich 2007 über ihn verfasst und heute noch einmal ergänzt habe.
Der Schriftsteller
Anders als bei seinem jüngeren Bruder Carl, mit dem gemeinsam er Ende 1852 den Evangelischen Brüderverein verließ, spielte sich ein großer Teil von Wilhelm Brockhaus’ Wirken auch danach noch außerhalb der Brüderbewegung ab. Er blieb nämlich bis zu seinem Lebensende Schriftleiter des Kinderboten, der Zeitschrift des Elberfelder Erziehungsvereins, und veröffentlichte außerdem in dessen Reihe Saat und Ernte mindestens 15 historische Romane „für die reifere Jugend und ihre Freunde“. Einer davon, Der Burgvogt oder: Feurige Kohlen. Eine Erzählung aus den Zeiten des deutschen Bauernkrieges (ca. 18701), ist als Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek auch online zugänglich.
Die Bände beginnen in der Regel mit einer ausführlichen historischen Einleitung, die beachtliche Kenntnisse verrät und oft durchaus hohe Ansprüche an die jugendlichen Leser stellt. Über Brockhaus’ Arbeitsweise schreibt der FeG-Historiker Gustav Ischebeck (1863–1937):
Dieser Bruder war, so berichtete man uns, auf seinen vielen Reisen meist in seinem schriftstellerischen Geiste so Aug’ und Ohr, daß er anderes ganz vergaß. Wo er auch las, sah, hörte, erzählte oder sich erzählen ließ, war er gebannt und sammelte er. Dabei soll er vielerorten von seinen Reisestücken dies und das so völlig vergessen haben, daß man erst im Familienkreise hernach das Fehlen merkte. Gott segnete seinen Sammelfleiß, der mit einer schönen schriftstellerischen Gabe vereint war. Er hat mit seinem Pfunde treu gedienet!2
Der Elberfelder Erziehungsverein warb mit folgenden Worten für seinen Autor:
Es dürfte für die Jugend kaum etwas Schöneres, Fesselnderes und Gediegeneres geben, wie [sic] diese positiv christlichen Erzählungen, die auch für Jugend-, Jünglings-Vereins- und Volksbibliotheken sehr begehrt sind.3
Aus heutiger Sicht wirkt Brockhaus’ Erzählstil oft etwas pathetisch, wenn nicht prätentiös; ein Romananfang wie etwa der von Der Vater Tim (1862) würde heute wohl nur noch wenige Leser zum Weiterlesen anregen (schon gar keine Jugendlichen):
Wenn man von La Rochelle in Frankreich, der Küste des Ozeans entlang, weiter nach Süden wandert, so genießt das Auge auf beiden Seiten den wunderlieblichsten Anblick. Unter betäubendem Getöse und mit stürmisch wildem Drängen wälzen sich die Schaumwellen der nahen Brandung gegen das felsige Gestade, als ob sie es zu zersprengen und sich einen Durchgang zu brechen gedächten; und während das Auge vergeblich in der ungewissen Ferne einen Rahmen grünender Hügel sucht, der die unruhig wogende Wassermasse zu einem bestimmten Ganzen umschließe, gewahrt man nur hie und da ein schwankendes Fahrzeug, das, einem riesigen Seevogel gleich, der Tiefe zu entsteigen und sich in den Fluten zu schaukeln scheint.4
Der Komponist
Stärker gegenwärtig ist Wilhelm Brockhaus noch als Komponist, denn mindestens 12, möglicherweise sogar 22 Melodien der Kleinen Sammlung Geistlicher Lieder stammen von ihm. Gesichert erscheint seine Urheberschaft an folgenden Kompositionen:5
Bei nachstehenden Melodien, die ihm traditionell ebenfalls zugeschrieben werden, setzt die aktuelle Ausgabe der Kleinen Sammlung Geistlicher Lieder ein Fragezeichen hinter seinen Namen:
Drei, wenn nicht vier Lieder können also – von möglichen herausgeberischen Eingriffen seines Bruders Carl abgesehen – vollständig als Schöpfungen Wilhelm Brockhaus’ gelten: die Nummern 113, 114, 118 und ggf. 99.
Die Zeitschrift Offene Türen, die heute die Oberzeile „Das Wiedenester Magazin“ trägt, erschien zum ersten Mal im April 1909 als Doppelheft („No. 1 u. 2“) mit dem Untertitel Mitteilungen aus dem Werke des Herrn in Ungarn, Rumänien und den Balkanländern. Herausgeber war Christian Schatz (1869–1947) in Verbindung mit Edmund Hamer Broadbent (1861–1945), Albert von der Kammer (1860–1951) und Johannes Warns (1874–1937). Parallel erschien das Blatt Central-Asien: Mitteilungen aus Turkestan, Chiwa, Buchara, herausgegeben von Johannes Warns. Schon nach jeweils einer Ausgabe wurden die beiden Zeitschriften zusammengelegt, und zwar unter dem Titel Offene Türen: Mitteilungen aus dem Werk des Herrn. Als Herausgeber firmierte weiterhin Christian Schatz mit seinen drei Mitarbeitern, die Nummerierung begann mit „Heft 2“. Bereits im nächsten Heft schieden Broadbent und von der Kammer als Mitherausgeber aus, und Warns und Schatz wurden gleichberechtigte Hauptherausgeber. Ab Heft 4/1912 gab Warns die Zeitschrift allein heraus.
Die Missionare, die mit den Offenen Türen in Verbindung standen, wirkten zunächst oft auch in mennonitischen Kreisen. Daher haben die Betreiber der Website Chortitza: Mennonitische Geschichte und Ahnenforschung die ersten fünf Jahrgänge der Zeitschrift dankenswerterweise digitalisiert und ins Netz gestellt. Leider ist die Liste der einzelnen Hefte sehr unübersichtlich, da nicht chronologisch geordnet; hier ein systematischer Überblick mit Direktlinks zu den PDF-Dateien (jeweils 3–8 MB Umfang):
Über das wechselvolle Leben des heutigen Jubilars liegt seit 2002 eine wissenschaftliche Monografie vor,1 in der seine kurze Verbindung mit den „Brüdern“ allerdings nicht erwähnt wird. Noel nennt ihn einen „Polish Rabbi“2 (was Rowdon und Ouweneel übernehmen3), aber tatsächlich war Christoph Heinrich Friedrich Bialloblotzky weder Pole noch Rabbiner: Seine Familie hatte zwar ursprünglich polnische Wurzeln, lebte aber bereits seit Generationen in Deutschland und war protestantisch.4
Zur groben Orientierung fasse ich Bialloblotzkys Leben zunächst in einer Zeittafel zusammen (mehr Einzelheiten und ein Publikationsverzeichnis bietet der Artikel im BBKL):
9. April 1799: Geburt Bialloblotzkys in Pattensen bei Hannover als Sohn eines lutherischen Superintendenten
1818–22 Theologiestudium in Göttingen; Kontakte mit erweckten Kreisen
ab 1824 Privatdozent an der Universität Göttingen und Hilfsgeistlicher an St. Jacobi
1848–49 Expeditionsreise zur Erforschung der Nilquellen; Abbruch aus finanziellen Gründen in Sansibar
danach mehrere Jahre ungeklärter Verbleib
ab 1854 wieder zeitweise Privatdozent an der Universität Göttingen
28. März 1869 (heute vor 150 Jahren): Tod Bialloblotzkys im Haus seiner Schwester Marie in Ahlden an der Aller
Bialloblotzky und die „Brüder“
Welcher Art und wie eng Bialloblotzkys Beziehungen zu den „Brüdern“ waren, liegt bisher noch weitgehend im Dunkeln. George Wigram, an dessen Hebräisch-Konkordanz Bialloblotzky offenbar maßgeblichen Anteil hatte5 (Noel nennt ihn „the principal Editor“6), wird in Railtons 250-seitiger Monografie nur zweimal nebenbei erwähnt;7 ein Zusammenstoß zwischen Bialloblotzky und Benjamin Wills Newton in den Anfangstagen der Londoner „Brüder“-Versammlung fehlt bei Railton ganz. Newton erzählt diesen Vorfall in seinen Erinnerungen dreimal; da diese Textstellen bisher noch nie vollständig zitiert worden zu sein scheinen, gebe ich sie hier in ganzer Länge wieder:
IwasatthefirstmeetingofBrethreninLondon. The diversity at Plymouth ultimately caused Wigram to leave and go to London. I happened to be near London when he had arranged his first meeting; and he sent his man-servant with his gig begging me to come & take charge of the meeting as he was taken suddenly ill. – I couldn’t go & see him in his bed, so I concluded the order was the same as we were accustomed to in Plymouth. It was in a private room near Regent Square and about 15 people, I suppose were present. As I had no instructions about procedure, I began the Meeting and soon after the commencement a gentleman came in with books. He was a Professor at University, Bialloblowski. After I had done, he rose & said that what we came for was discussion: we all differed, & the need was that we should investigate what truth was, by discussing it. I rose and said that I didn’t know what Mr. Wigram had arranged, but I could not accept that idea for a moment. Then I explained what my principles as to teaching were. –
He burst out with “Oh, those are your notions, are they? They are not mine. Then I’ll have nothing to do with it” And he left in anger: his wife went into hysteries. – A fine confusion.8
Der zweite Bericht ist in der 3. Person verfasst, stammt also offenbar von Newtons Protokollanten Frederick William Wyatt:
Wigram meanwhile had left for London and BWN saw nothing of the London meetings till 1833, when, being there, Wigram asked him to take some meeting in Titchfield Street as he himself was ill. – So N went, alone, and knowing no one. – He found that the meetings there had only just been started – in fact this was but the second sunday. – He took his seat and conducted the meeting as was usual in Devonshire but a gentleman who had come with Lexicon & Concordance protested against the monopoly. – He said it was not a teaching meeting but a searching or Berean meeting; & on BWN affirming that he was there as representing the principles that he believed Wigram held, the other gathered up his books & left.9
Zeigen sich schon hier leichte Abweichungen im Detail, so ist dies im dritten Bericht noch stärker der Fall:
Wigram asked me up to his meeting in London. [I think BWN said Wigram was ill & wrote for him to come. Ø] I went. –
Somebody rose & spoke first, & said “Ye may all prophesy one by one – etc.” and so on. – I rose afterward and said that this was entirely different from what I had understood, & from what Mr. Wigram had approved at Plymouth. – Also that the passage meant that prophets might all prophesy, but of course nobody but a prophet could do so. –
I had noticed a gentleman & lady come in with several big books (Lexicon & Concordance they were) which he placed on the table. His name was Bialloblotsky I found. He rose in a very excited manner, when I was saying that, & gathered up his books & left. – His wife fainted & it made quite a little upset. – He was a professor of Languages in London.10
Da diese Erinnerungen Jahrzehnte nach den Ereignissen aufgezeichnet wurden, ist es nicht verwunderlich, dass sich leichte Abweichungen und auch Fehler eingeschlichen haben. Die Jahreszahl 1833 beispielsweise kann nicht stimmen, da Bialloblotzky in diesem Jahr noch gar nicht verheiratet war; erst am 5. April 1834 schloss er eine Ehe mit der Engländerin Sarah Maria Batley (1802–1866).11 Mithin ist auch fraglich, ob es sich wirklich um die erste oder zweite Zusammenkunft Wigrams in London gehandelt haben kann (vielleicht nur in diesem Raum?). Bialloblotzky war ferner kein „Professor at University“, sondern scheint von der University of London lediglich zeitweise als externer Prüfer für Deutsch herangezogen worden zu sein.12 Dennoch sind die Grundzüge des Vorfalls deutlich genug erkennbar, und es besteht kein Grund, an seiner Historizität zu zweifeln.
Ob Bialloblotzky später noch einmal einen Versuch gemacht hat, an den Zusammenkünften der „Brüder“ teilzunehmen, oder ob sich seine Beziehung zu ihnen von nun an auf die Mitarbeit an Wigrams Konkordanz beschränkte, ist unbekannt.
Anhang: Bialloblotzkys Ehe
Bialloblotzkys Auseinandersetzung mit Newton deutet auf ein reizbares, ungestümes Temperament hin, und tatsächlich finden sich dafür in seiner Biografie noch weitere Beispiele. Das gravierendste ereignete sich 1848 und war der Grund für den wohl größten Bruch in Bialloblotzkys Leben – die unvermittelte Abreise in Richtung Nilquellen, die keinerlei Bezug zu seinen vorherigen Tätigkeiten und Interessen erkennen lässt.
Was war geschehen? Die Leser der Londoner Evening Mail erfuhren es am 16. Juni 1848:
Schuldig geschieden wegen häuslicher Gewalt – damit hatte sich Bialloblotzky jede berufliche Perspektive in England verbaut.13 Er kehrte ins heimatliche Pattensen zurück und brach noch im selben Jahr in Richtung Afrika auf, finanziell unterstützt von seinem englischen Freund Charles Tilstone Beke. Ob er seine Frau je wiedergesehen hat, ist nicht bekannt; sie starb drei Jahre vor ihm, am 24. Juli 1866, in Shere (Surrey) südwestlich von London.
Dem im letzten Blogeintrag angeführten Zitat aus Unsearchable Riches war zu entnehmen, dass Max Springer mindestens eine Tochter hatte, die 1931 in Düsseldorf wohnte. Weitere Informationen über seine Familie liegen bislang nicht vor; die Datenbanken auf FamilySearch können jedoch zumindest einige Hinweise auf seine Geschwister geben.
Amerikareisen
1921 und 1923 taucht Max Springers Name auf Schiffspassagierlisten auf: In diesen beiden Jahren reiste er jeweils für mehrere Monate in die Vereinigten Staaten, um – so die Eintragung in den Listen – seine Schwester Elise Warwas zu besuchen, die in Forest Park (Illinois) lebte. Dass es sich tatsächlich um „unseren“ Max Springer handelt, wird durch die Heimatadresse in Berlin-Wilmersdorf bestätigt, die mit der aus Unsearchable Riches bekannten übereinstimmt: Güntzelstraße 29 (in der Liste von 1921 fälschlich „Gunkelstrasse“ geschrieben). Springers Beruf wird 1921 als „priest“, 1923 als „Pastor“ angegeben, seine Größe beide Male als „5 Feet 8 Inches“ (= 1,73 m), seine Haarfarbe 1921 als „mixed“, 1923 als „grey“, seine Augenfarbe beide Male als „grey“. Interessanter als diese äußerlichen Details ist sein Geburtsort, der in beiden Listen dokumentiert ist: Springer wurde im oberschlesischen Neisse (heute Nysa, Polen) geboren, stammte also nicht aus dem Wuppertal, wo er in den 1890er und 1900er Jahren wirkte (ältere Nachrichten über ihn lagen ja bisher nicht vor). Sein Alter ist offensichtlich nur auf der Liste von 1923 korrekt angegeben (65; daraus ergibt sich dasselbe Geburtsjahr wie aus dem Nachruf von Adolph E. Knoch), während die Liste von 1921 ihn fünf Jahre jünger macht (58 statt 63).
Die 1921er Reise war laut Passagierliste Springers erster Besuch in den USA. Sein Schiff „Noordam“ legte am 3. August in Rotterdam ab und traf am 13. August in New York ein. Springers Aufenthalt war auf sechs Monate veranschlagt; das amerikanische Bürgerrecht – auch danach wurde in der Passagierliste gefragt – hatte er nicht vor zu beantragen. Wenn alles wie geplant verlief, müsste er also im Februar 1922 zurückgekehrt sein. Am 8. Dezember des folgenden Jahres machte er sich von Liverpool aus erneut auf die Reise, und zwar mit dem Schiff „Cedric“, das am 17. Dezember in New York ankam. Diesmal wollte er ein ganzes Jahr bleiben, und die Frage nach der Beantragung des Bürgerrechts blieb offen („Uncer[tain]“). Vermutlich ist es dazu nicht gekommen, aber das Jahr 1924 dürfte Springer größtenteils in den USA verbracht haben.
Interessanterweise hielt sich ein alter Freund und Mitstreiter Springers um diese Zeit ebenfalls in den Vereinigten Staaten auf: Heinrich Großmann war acht Monate vor ihm, am 7. April 1923, in New York eingetroffen und blieb bis 1929. Auch wenn er sich in der Nähe von New York niederließ – die Passagierliste nennt das unmittelbar benachbarte Jersey City als Zielort –, ist es doch gut möglich, dass die beiden Kontakt miteinander aufnahmen. Großmann lernte während seines sechsjährigen Aufenthalts auch Adolph Ernest Knoch kennen;1 es ist nicht auszuschließen, dass dies auch für Springer gilt.
Ein weiterer alter Bekannter lebte seit über zehn Jahren ganz in der Nähe von Springers Schwester: Prediger Julius Rohrbach, der drei Jahrzehnte in Moabit und Charlottenburg tätig gewesen war und 1908 in einem Brief an Echoes of Service Springers „gesegnetes Zeugnis“ in Berlin gelobt hatte,2 war 1910 oder spätestens 1913 in die USA emigriert und wohnte in einem nördlichen Vorort von Chicago, knapp 30 km von Forest Park entfernt. Über eventuelle Kontakte während Springers erstem oder zweitem Amerikaaufenthalt lässt sich natürlich auch hier nur spekulieren.
Geschwister
Elise Warwas geb. Springer, Max’ Schwester, hatte bereits 1892 bis 1896 in den Vereinigten Staaten gelebt und wanderte 1898 von Charlottenburg endgültig dorthin aus. Als Bezugsperson in den USA wird ein Schwager namens „Jan Johannsen“ genannt. Zwei Jahre später, als der Census 1900 erhoben wurde, war Elise bereits Witwe und wohnte mit ihren beiden Kindern Richard (* September 1877; Beruf: „Painter“) und Freda (* Januar 1884; Beruf: „Milliner“ = Hutmacherin oder -verkäuferin) sowie ihrem unverheirateten Bruder Frederick Springer (* Mai 1861; Beruf: „Pocket Book Maker“) im Chicagoer Stadtteil West Town. Ihr Geburtsdatum wird mit September 1857 angegeben; demnach war sie ein Jahr älter als ihr Bruder Max.
1915 meldete Elise Warwas den Tod einer Agnes Springer, Tochter von Wm. Springer und Johanne Wacke, geboren am 29. November 1859 in Deutschland, verstorben am 11. Juli 1915 in Oak Park (Illinois), unverheiratet – also offensichtlich eine weitere Schwester. Agnes hatte beim Census 1900 als Hausangestellte der Familie Augustus J. Wampler im Chicagoer Stadtteil Hyde Park gelebt; eingewandert war sie bereits 1886 und somit wohl als Erste der Springer-Familie. 1910 arbeitete sie im Haushalt zweier alter Damen, Katarina Viering (82, verwitwet) und Eliza Brenneman (89, unverheiratet), beide aus Deutschland gebürtig.
Elise Warwas kann ich im Census von 1910 nicht finden. Ihr Bruder Frederick wohnte zu dieser Zeit bei der Familie seines Schwagers Jens Johansen (43 Jahre alt, geboren in Dänemark, Kupferschmied; offenbar identisch mit dem bereits genannten „Jan Johannsen“). Wenn Johansen ein Schwager der Springers war, muss seine Frau Christina (40 Jahre alt, geboren in Deutschland, eingewandert 1892, seit 17 Jahren verheiratet) eine dritte Schwester gewesen sein. Im Census 1900 findet sie sich unter dem Namen Christina Johanson (Ehefrau von „John Johanson“); ihr Geburtsdatum wird mit Oktober 1869 angegeben, ihre Kinder heißen William (* Mai 1895) und Annie (* Juni 1897). 1910 ist noch ein Sohn Walter (* 1902) dazugekommen.
Mit dem Census 1920 nähern wir uns dem Zeitraum, in dem Max Springer sich in den USA aufhielt. Wie sich zeigt, war die in den Schiffspassagierlisten angegebene Zieladresse „504 Elgin Avenue, Forest Park“ nicht das Haus von Elise Warwas, sondern das ihres (ebenfalls deutschstämmigen) Schwiegersohns Henry O. Lessner, bei dessen Familie sie nun wohnte. Der Name ihrer inzwischen 36-jährigen Tochter erscheint jetzt als „Elfrieda“; zum Haushalt gehörten ferner die Kinder Herbert (11) und Margaret (7) sowie der „Roomer“ Gustav Knausch (49).
Schwester Christina Johansen (diesmal „Christine“ geschrieben) war beim Census 1920 bereits Witwe3 und mit ihren drei Kindern William, Anna (sic) und Walter an derselben Chicagoer Adresse gemeldet wie 1910. Drei Jahre später, am 7. November 1923, starb auch sie, erst 54 alt. Die Todesmeldung enthält ihr exaktes Geburtsdatum: 6. Oktober 1869.
Bruder Frederick ist im Census von 1920 unauffindbar. Am Censustag 1930 (dem 1. April) befand er sich im Chicago State Hospital, einer psychiatrischen Klinik; zweieinhalb Monate später, am 15. Juni 1930, starb er im Alter von 69 Jahren. Seine Todesmeldung liefert wiederum das genaue Geburtsdatum (11. Mai 1861) und bestätigt die bereits im Zusammenhang mit Agnes erwähnten Namen der Eltern (wenn auch wieder in leicht abweichender Form – wahrscheinlich transkriptionsbedingt): William und Johanna Wache. In einer anderen Datenbank werden sogar die Geburtsorte der Eltern genannt: Der Vater stammte aus dem niederschlesischen Brieg (heute Brzeg, Polen), die Mutter (hier Johanna Woche geschrieben4) aus Neisse, wo auch Frederick (ursprünglich sicher Friedrich) geboren wurde.5
Schwester Elise wohnte 1930 im „German Baptist Old People’s Home“ in Chicago – der einzige bislang vorliegende Hinweis auf die Glaubensstellung eines der „amerikanischen“ Springer-Kinder. Auch sie starb jedoch noch im selben Jahr, nämlich am 22. Oktober. Gemeldet wurde ihr Tod von einem gewissen Henry Koch, der offenbar nur ungenau über sie Bescheid wusste: So wird der Vorname ihres Vaters mit „Friedrich“ und ihr Geburtsdatum mit dem 7. September 1856 angegeben (statt 1857). Immerhin erfahren wir hier aber den Vornamen ihres verstorbenen Mannes (Henry, also wohl Heinrich) und finden wieder den Geburtsort Neisse bestätigt.
Es ist bemerkenswert, dass nicht weniger als vier Geschwister von Max Springer ihr Glück in Amerika suchten. Ob außer Max noch weitere in Deutschland blieben, lässt sich derzeit noch nicht sagen, da für den deutschsprachigen Raum keine vergleichbaren Online-Datenbanken existieren. Auch die Namen und Lebensdaten von Max’ Frau und Kindern wären wohl nur durch Archivrecherchen herauszufinden (aus der Passagierliste von 1923 geht immerhin hervor, dass der Name seiner Frau mit E begann).
Die Lebensdaten der fünf bekannten Springer-Geschwister sollen hier abschließend noch einmal übersichtlich zusammengestellt werden (zum Vergrößern klicken):
Anhang: Der Erfinder
Sucht man per Google nach „Max Springer Vohwinkel“, so stößt man auf mehrere Einträge in alten Patentzeitschriften, die leider (noch) nicht im Volltext zugänglich sind. Offensichtlich ließ Springer Ende des 19. Jahrhunderts mehrere Erfindungen patentieren, darunter ein „Pneumatisches Schutzband gegen Wundwerden und zum Schutz für Wunden, aus einem mit Befestigungsringen (Bändern) versehenen Schlauch mit Lufteinblasventilschlauch bestehend“ (Patentblatt 1897), einen „Elastischen Schutzring für Wunden, mit freistehendem Ventilschlauch und Schutzhülfe für denselben“ (ebd.), ein „Elastisches Schutzkissen gegen Wundwerden und zum Schutze vor Wunden“ (Illustrirtes Österreichisch-Ungarisches Patent-Blatt 1897) oder einen „Elastischen Schutzring für Zugthiere gegen Wundwerden und zum Schutze von Wunden mit auswechselbarem Luftkissen“ (Patentblatt 1900). Eine dieser Erfindungen wurde 1898 in der französischen Landwirtschaftszeitschrift Journal de l’agriculture wie folgt beschrieben:6
Um diese Nachteile zu überwinden, erfand Herr Max Springer aus Vohwinkel (Rheinprovinz) pneumatische Wundschutzringe. Dieses Gerät ist aus Leder gefertigt und mit einem Gummiring ausgestattet, der je nach Bedarf mit einer Luftpumpe mehr oder weniger aufgeblasen werden kann; dies ist von hohem hygienischem Wert, insbesondere bei Verspannungen, Abszessen, Schwellungen nach Operationen usw. Er ist außerdem mit einem freien Lüftungsloch A ausgestattet, das nach dem Aufblasen in einem Schutzzwickel platziert wird. Das Gerät wird verwendet, um verschiedene Wunden und Schrammen zu schützen.
Die Erfindung und Herstellung solcher Geräte war demnach wohl der Beruf, von dem sich Max Springer 1899 nach Einschätzung des Offenen Bruders Max Isaac Reich „immer mehr freimachen“ konnte, „um am Wort zu dienen“.7
In meinem Blogeintrag „Eine wenig bekannte Artikelserie von ‚Titus Blicker‘“ wies ich bereits darauf hin, dass Max Springer in Ekkehard Hirschfelds Dissertation über den methodistischen Theologen Ernst Ferdinand Ströter (1846–1922) erwähnt wird. Laut Hirschfeld war Springer nämlich ein „wichtiger Mitarbeiter“ des von Ströter beeinflussten Predigers Heinrich Großmann (1879–1958), der in Berlin ab 1908 eine unabhängige „Christliche Gemeinschaft“ leitete.1
Heinrich Großmann
Zur Einordnung zitiere ich hier zunächst das vollständige „Biogramm“ Großmanns aus dem Anhang von Hirschfelds Dissertation:
Arthur Heinrich Großmann, geb. 8.7.1879 in Danzig, gest. 29.9.1958 in Berlin. Kaufmännische Ausbildung und Tätigkeit, 1897 Bekehrung, 1899 Beginn evangelistischer Tätigkeit in Pommern mit eigenem Missionszelt (Evangelisation Immanuel), 1908 Gründung der ‚Christlichen Gemeinschaft‘ in Berlin in Kooperation mit eine[r] Gemeinschaft in Posen, 1910 Aufgabe der Zeltmission, 1916 Beitritt der Gemeinde zu den Baptisten, 1923–1929 Evangelist in den USA, 1931 Umzug der Gemeinde in die Hasenheide, 1941 Austritt der Gemeinde aus dem Bund der Baptisten. Evangelist, Prediger und Gemeindeleiter, früh ein Gegner der Pfingstbewegung, Autor zahlreicher Traktate und Schriften, 1908–1939 Herausgeber der Zeitschrift Forschet in der Schrift, später Der schmale Weg.2
Wann Max Springer zum Mitarbeiter Großmanns wurde, lässt sich anhand der vorliegenden Quellen zumindest ungefähr bestimmen. Im November 1909 meldete er sich bei Echoes of Service noch aus Charlottenburg,3 also wohl aus der Gemeinde Julius Rohrbachs (1852–1935) in der Krummen Straße. Vom 30. Januar bis 6. Februar 1910 hielt er dann eine Vortragsreihe über „Gottes Erlösungsplan von Zeitalter zu Zeitalter (illustriert an einer großen Karte)“ in der „Christlichen Gemeinschaft“ in Posen, Seecktstraße 6 – dabei dürfte es sich bereits um Großmanns Partnergemeinde gehandelt haben:
Ein Jahr später druckte Echoes of Service den letzten Bericht von bzw. über Springer ab:
Herr Max Springer wird ermutigt in der Arbeit, die er kürzlich in Berlin begonnen hat, und er schreibt auch in tiefer Dankbarkeit von einer Konferenz, die unlängst in Posen stattfand (einst die Hauptstadt Polens) und an der er gemeinsam mit anderen, uns unbekannten Dienern Gottes teilnahm. Er sagt: „Der Geist Gottes hatte durchgehend die Leitung, und die Wahrheit, die den Gläubigen vorgestellt wurde, war lehrreich, auferbauend und nahrhaft für die Seelen. Wir waren in Frieden zusammen, auch wenn viele Fragen aufkamen und behandelt wurden.“4
Danach kommt der Name Max Springer in Echoes of Service nicht mehr vor. Es ist anzunehmen, dass er sich um die Jahreswende 1910/11 – vielleicht schon mit seinem Umzug nach Berlin5 – von den Offenen Brüdern löste und mit Großmann zusammenzuarbeiten begann; im Juni 1911 erschien jedenfalls bereits ein von beiden gemeinsam verfasster Artikel in Großmanns Zeitschrift Forschet in der Schrift.6
Großmann – ein „Darbyst“?
Großmanns Theologie war, so Hirschfeld,
stark von Ströter beeinflusst und enthielt darbystische Elemente bis hin zur denominationellen Selbstständigkeit der Berliner Gemeinschaft; dennoch wollte sich Großmann nicht als Darbyst oder Neudarbyst verstanden wissen.7
Wir stoßen hier auf eine Doppeldeutigkeit des Wortes Darbysmus, die sich durch die gesamte Literatur der damaligen Zeit zieht. Großmann und Springer bezeichneten damit die Brüderbewegung und ihre gemeindlichen Strukturen und konnten sich daher mit Recht davon distanzieren:
Wir brauchen die Bezeichnung „Darbysmus“ nicht als Schimpfwort, sondern nur, um eine bestimmte Richtung, die eben auch eine Partei ist, zu bezeichnen. […] Wir wollen keine „Darbysten“ sein oder werden, auch keine „Neudarbysten“, wie man angefangen hat uns zu nennen. […] Wir sind grundsätzlich dagegen, daß von einer „Zentrale“ aus, oder von „maßgebenden“ Brüdern eine Herrschaft über die einzelnen Gemeinden ausgeübt wird. Wir halten es für sündhaft und unbrüderlich, wenn ein Bruder in die Lokal-Gemeinde eines anderen Ortes hineinreden will. […] Leider hat es in unseren Kreisen solche darbystisch angehauchten Brüder gegeben, die dieses versuchten; sie sind aber ermahnt worden, und wenn sie ihre darbystische Unart nicht ließen, der Gemeinde so bezeichnet, daß sie keinen Schaden anrichten konnten.8
Andere Autoren verwendeten das Wort Darbysmus dagegen als Sammelbegriff für bestimmte Lehrauffassungen, die als typisch für Darby oder die Brüderbewegung galten, aber durchaus auch außerhalb davon anzutreffen sein konnten. Ernst Bunke (1866–1944), Leiter der Berliner Stadtmission, nannte 1903 z.B. folgende fünf „Bestandteile des darbystischen Sauerteigs“, die sich seiner Ansicht nach auch in der Gemeinschaftsbewegung breitmachten:
[1] Die Absonderung von der Kirche, zumal bei der Abendmahlsfeier, und der Wunsch, die Brautgemeinde in Vollkommenheit darzustellen, [2] die Unterschätzung der Sünde und die Ueberschätzung des eigenen Gnadenstandes, [3] die schwärmerische Beschäftigung mit den letzten Dingen, [4] die geschichtslose Anschauung von der heiligen Schrift und [5] die Verachtung der kirchengeschichtlichen Lehren des heiligen Geistes – […] das alles spiegelt sich in Gemeinschaftskreisen nur zu oft wieder.9
Mit dem dritten Punkt meinte er speziell den „Glaube[n] an die Entrückung der Gläubigen vor dem Kommen des Herrn zum Gericht“.10 Diese „darbystische Anschauung“ einer „prätribulatorischen Entrückung“ teilte auch Großmann, wie Hirschfeld mehrmals betont,11 und für sie machte er sich „noch Anfang der 1920er Jahre“ stark, nachdem sie in den Gemeinschaftskreisen unter Beschuss geraten war.12 Ohne jeden Zweifel nämlich war Großmann – wie Ströter – Dispensationalist, und tatsächlich hat man den Eindruck, dass das Wort Darbysmus im damaligen Kontext oft nichts anderes als „Dispensationalismus“ bedeutete.13
Ströters Variante des Dispensationalismus würde man heute wohl als Ultradispensationalismus bezeichnen; so sah er wie Ethelbert William Bullinger (1837–1913) in der „Braut“ nicht die Gemeinde, sondern Israel,14 betrachtete den Taufbefehl von Mt 28,19 als für das Gemeindezeitalter nicht gültig15 und vertrat möglicherweise eine Auswahlentrückung.16 Der erstgenannten Ansicht stimmte auch Großmann zu,17 der zweiten wohl nicht.18 Zur Allversöhnungslehre, die Ströter ab 1909 verkündigte19 und für die er heute noch am bekanntesten ist, hielt Großmann lange Zeit ebenfalls Distanz; erst die Begegnung mit dem deutschamerikanischen Bibelübersetzer Adolph Ernst Knoch (1874–1965) während seines Amerikaaufenthalts 1923–29 scheint ihn zum Umdenken bewogen zu haben,20 und ab 1937 vertrat auch er diese Lehre öffentlich.21 Sie gehört bis heute zu den Grundüberzeugungen der von Großmann gegründeten Berliner Gemeinde.22
Großmann und Springer
Zurück zu Max Springer. Was genau ihn um die Jahreswende 1910/11 veranlasste, sich von den Offenen Brüdern zu trennen und sich Heinrich Großmann anzuschließen (ohne allerdings Mitglied in dessen Gemeinde zu werden23), geht aus den bislang vorliegenden Quellen nicht eindeutig hervor – sowohl in der Struktur als auch in der Lehre war die Gemeinde Großmanns den damaligen Offenen Brüdergemeinden ja durchaus ähnlich. Nahm Springer an den allmählich entstehenden überörtlichen Strukturen der Offenen Brüder Anstoß, weil sie ihn an die der Geschlossenen Brüder erinnerten?24 Störte ihn die ungebrochene Allianzbegeisterung der Offenen Brüder? Er selbst war von der Allianz offensichtlich desillusioniert, wie aus dem gemeinsam mit Großmann verfassten Artikel „Freie Knechte, nicht freie Herren“ hervorgeht:
Wie manche rühmen sich, daß sie auf „Allianzboden (?)“ stehen – welch einen Wert das haben soll, ist unerklärlich – ohne der Schriftwahrheit von der Einheit des Leibes Christi auch nur im geringsten näher zu kommen. Konferenzen können da zweifelsohne viel helfen, aber es müßten wirklich Konferenzen zum Konferieren, Aussprechen und Beraten heiliger, ernster Wahrheiten sein und nicht Glaubensversammlungen, wo einige wenige Brüder ihre Gedanken über an und für sich wichtige Schriftwahrheiten äußern.25
Gab es bereits lehrmäßige Differenzen zwischen Springer und den Offenen Brüdern, die eine Trennung auch von ihrer Seite aus erforderlich machten? Hatte Springer sich schon für die Sonderlehren Ströters geöffnet – oder für die Knochs? Fest steht jedenfalls, dass er 1912 eine eigene Zeitschrift gründete, also offenbar meinte, etwas Eigenes zu sagen zu haben, etwas, das er auch in Großmanns Zeitschrift nicht unterbringen konnte. Der Titel – Freiheit und Leben – erinnert auffallend an ein Schweizer Evangelisationsblatt der Offenen Brüder namens Leben und Freiheit (die deutschsprachige Ausgabe von Vie et Liberté, herausgegeben von Samuel Squire [† 1946] in Lausanne), aber das könnte auch Zufall sein. Der (zeitweilige?) Untertitel Missionsblatt der Freien Brüdergemeinde Bethanien gibt derzeit noch Rätsel auf – gründete Springer also eine eigene Gemeinde? Wenn ja, wo? Leider ist diese Zeitschrift extrem selten (die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig besitzt lediglich sechs verstreute Hefte aus den Jahren 1914–17, die Bayerische Staatsbibliothek München ein einziges Heft mit Beiblatt aus dem Jahr 1916,26 ansonsten sind in öffentlichen Bibliotheken keine Bestände nachgewiesen), sodass ich dieser Spur bisher nicht nachgehen konnte.
Springer und Knoch
Spätestens Mitte der 1920er Jahre – also über zehn Jahre vor Großmann – verkündigte Springer öffentlich die Allversöhnungslehre im Sinne Knochs. Unsearchable Riches, Knochs seit 1909 in Los Angeles erscheinende Zeitschrift, wies im Januar 1926 auf Vorträge von „Prediger Springer“ in Berlin hin und kommentierte:
Die große Wahrheit von der Allversöhnung hat wenigstens einen Zeugen in dieser großen Millionenstadt. Auch in anderen Teilen Deutschlands gibt es Hinweise auf ein wiedererwachtes Interesse.27
Im Mai 1929 berichtete Knoch von Springers Zeitschrift:
Wir freuen uns, den Empfang von Freiheit und Leben zu bestätigen, einer deutschen Publikation, die von Prediger M. Springer aus Berlin herausgegeben wird, dessen Adresse sich unter den Ankündigungen auf dem Umschlag befindet. Sie enthält eine Anzahl guter Artikel über Äonen und Allversöhnung. Wir sind dankbar zu sehen, dass diese Wahrheiten ein wenig von der Anerkennung erhalten, die sie verdienen.28
Ein Jahr später hieß es:
Eine deutsche Übersetzung von „What is Death“ ist von unserem Freund Max Springer, Berlin-Wilmersdorf, Güntzelstraße 29 herausgegeben worden. Sie trägt den Titel „Der Tod, was ist er?“ Wir haben einen großen Vorrat und hoffen, dass unsere deutschen Freunde großzügig davon Gebrauch machen werden. Wir senden gerne jedem in den Vereinigten Staaten kostenlos eine unserer deutschen Broschüren zu, um auf unsere wachsende Liste von Literatur in dieser Sprache aufmerksam zu machen.29
In der Broschüre What is Death? lehrte Knoch, dass der Mensch nach dem Tod nicht weiterlebe, sondern bis zur Auferstehung in einem Zustand des Nichtbewusstseins „schlafe“; man wird davon ausgehen können, dass der Übersetzer Springer diese Auffassung ebenfalls vertrat.30
Knoch in Deutschland
Im Sommer 1931 hielt sich Knoch auf dem Weg nach Palästina mehrere Wochen in Deutschland auf und traf dabei auch Springer. In diesem Zusammenhang kommen einige interessante biografische Einzelheiten über Springer zur Sprache:
In Berlin wurde ich von Prediger Max Springer und meinem alten Freund, dem Chiropraktiker Lehmann, empfangen, der einst meinen Griechischkurs in Los Angeles besucht hatte. Er beherbergte mich während meines Aufenthalts in der deutschen Hauptstadt. Am Abend nach meiner Ankunft besuchten wir die regelmäßige Mittwochabendklasse in der Nassauischen Straße 56, wo ich zu meiner Überraschung sofort aufgefordert wurde zu sprechen; Prediger Springer dolmetschte. Es wurde ein Plan zum Besuch verschiedener Teile Deutschlands mit diesem furchtlosen Mann Gottes als Führer und Dolmetscher aufgestellt. […] Am Sonntag wurde morgens das Mahl des Herrn eingenommen, nachmittags eine Nachbarschaftsklasse31 besucht und abends eine Ansprache an eine große Zuhörerschaft in dem schönen neuen Gebäude von Dr. Großmanns Gemeinde32 gehalten. Da Prediger Springer erkältet war, dolmetschte Gräfin Kanitz33 in allen drei Zusammenkünften. […]
Die Arbeit von Bruder Springer hat einen erschütternden Schlag erlitten. Ein Tornado hat die Ernten seines Altenheims vernichtet, sodass er nicht in der Lage ist, eine Hypothek von $ 3000 auf ein Anwesen, das mindestens $ 25.000 wert ist, zurückzuzahlen. Es scheint, als würde er es verlieren, nur weil er nicht die Mittel hat, einen so geringen Bruchteil des Wertes zu begleichen. Da fast jeder in Not ist, besteht wenig Hoffnung auf menschliche Hilfe. Deutschland befindet sich in einer äußerst bemitleidenswerten Lage. Nach außen geben sich die Leute stolz, aber ihre Taschen sind leer.34
Springer war um diese Zeit also offenbar Besitzer eines Altenheims, dem ein landwirtschaftlicher Betrieb angeschlossen war; genauere Informationen darüber liegen mir augenblicklich noch nicht vor. Interessant wäre auch zu erfahren, ob es sich bei der Gemeinde in der Nassauischen Straße 56 um Springers „Freie Brüdergemeinde Bethanien“ handelte; die Nähe zu seiner Wohnung in der Güntzelstraße 29 (etwa 350 Meter entfernt, wenn die heutige Hausnummerierung auch damals schon gültig war) könnte dafür sprechen. Allerdings befand sich in der Nassauischen Straße 56 zeitweise auch eine „Station“ der seit 1891 existierenden Baptistengemeinde „Bethania“ (!) in Moabit, Emdener Straße 15 (etwa 5 km nördlich gelegen), die genau um diese Zeit an ihrem Hauptstandort ein Alten- und Pflegeheim namens „Bethel“ einrichtete.35 Ob hier irgendein Zusammenhang besteht, vermag ich derzeit noch nicht zu sagen; dass Springer mit seinen inzwischen doch recht unorthodoxen Lehrauffassungen und Verbindungen regulärer Baptist war, erscheint mir eher zweifelhaft.
Der nächste Absatz in Knochs Bericht ist brüdergeschichtlich von großem Interesse:
Das Wochenende wurde in Niederschelden im Siegerland unter ehemaligen Exklusiven Brüdern verbracht. Wegen der drückenden Hitze fuhren wir die ganze Nacht mit dem Zug und wurden in Siegen von Bruder Wilhelm Jäger36 empfangen, der uns während unseres Aufenthalts beherbergte. Am Samstag wurden zwei Bibelvorträge gehalten, am Sonntagmorgen das Mahl des Herrn eingenommen, am Nachmittag und Abend Ansprachen gehalten. Ein anschauliches Beispiel für die Zersplitterung der „Brüder“ bot die Tatsache, dass eine einzige Familie in mehrere Teile gespalten war, von denen ein Teil zu diesem und ein anderer zu jenem Zweig gehörte; einige waren ganz ausgestoßen. Lasst uns dafür beten, dass die wahre Grundlage der Gemeinschaft – der Wandel, nicht die Lehre – von ihnen angenommen wird und diese Trennungen geheilt werden. Manche von ihnen schienen überzeugt zu sein, dass die „Brüder“ in dieser Hinsicht von der Schrift abgewichen sind und ihre herzzerreißende Uneinigkeit und Sektiererei darauf zurückzuführen ist.37
Über die Versammlung in Niederschelden finden sich in Band 2 von Gerhard Jordys Brüdergeschichte einige Hinweise. Sie hatte sich geweigert, „einen deutlichen Trennungsstrich gegenüber Wilhelm Brockhaus zu ziehen“38 (gemeint ist der Ersteller der Elberfelder Bibelkonkordanz [1857–1936], der die Allversöhnungslehre angenommen hatte), und war deshalb 1926 aus dem Kreis der Elberfelder Versammlungen ausgeschlossen worden. Dass sie mit Springer und Knoch in Kontakt stand, beweist, dass es nicht nur um „persönliche Freundschaft mit dem Ausgeschlossenen“39 (Wilhelm Brockhaus) ging, sondern auch um klare Sympathien für seine Lehre.
Knoch fährt fort:
Nach einem Besuch in Elberfeld fuhren wir nach Mülheim und besuchten Bruder Peter Fabrizius. Später überquerten wir den Rhein nach Köln, wo ein interessiertes Publikum einer Erläuterung der konkordanten Methode zuhörte. Am nächsten Morgen fuhren wir nach Düsseldorf, geleitet von Bruder Schultz, der einst zu den Führern der deutschen Internationalen Bibelforscher-Vereinigung40 gehörte, aber heute ein begeisterter Arbeiter für die Wahrheiten ist, die wir lehren. Da Bruder Springer krank war, fuhr er zum Haus seiner Tochter in Düsseldorf. […] Im Hospiz „Pilgerheim“, einem geeigneten Ort für einen Pilger auf dem Weg ins Heilige Land, waren wir höchst bequem untergebracht. Zwei Zusammenkünfte wurden hier abgehalten. Die erste warf ein schwieriges Problem auf. Da Bruder Springer krank war, hatte ich keinen Dolmetscher! Im Publikum saßen viele Lehrer und Wissenschaftler. Aber ich musste meinen Stolz überwinden und in gebrochenem Deutsch losstammeln. Ich dachte auf Englisch, übersetzte es ins Deutsche, so gut ich konnte, und es gelang mir, mich mit Hilfe eines freundlichen und mitfühlenden Publikums verständlich zu machen, das mir oft mit Wörtern aushalf, an die ich mich nicht erinnern konnte. Am nächsten Abend fühlte sich Bruder Springer gut genug, um seinen Platz einzunehmen. Ich werde nie die freundliche Rücksichtnahme vergessen, die mir im Pilgerheim und von den Gläubigen in Düsseldorf entgegengebracht wurde.41
So weit die Auszüge aus Knochs Bericht. Knoch reiste weiter nach Palästina, kehrte aber 1932 wieder nach Deutschland zurück, um Sigrid von Kanitz zu heiraten und sich gemeinsam mit mehreren Mitstreitern der Erarbeitung einer Konkordanten Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche zu widmen (die englische Ausgabe war bereits seit 1914 in Fortsetzungen erschienen).
Ausklang
Im März 1932 wird Max Springer nochmals in Unsearchable Riches erwähnt:
Da wir42 selbst von rein deutschem Blut sind und ein wenig von der Sprache kennen, sehnen wir uns seit vielen Jahren danach, die uns anvertrauten großen Wahrheiten auch im Land unserer Väter bekannt zu machen. Dies geschah teilweise durch die Veröffentlichung von Artikeln im Prophetischen Wort,43 durch die Schriften und den Dienst von Schädel,44 Czerwinski,45 Dick,46 Springer und anderen und in den letzten Jahren vor allem durch [die Zeitschrift] Der Überwinder, herausgegeben von Freiin Wally von Bissing47 und Gräfin Sigrid von Kanitz, die nun als Zweig des Concordant Publishing Concern48 mit uns verbunden sind und Form und Namen ihrer Zeitschrift geändert haben, um mit den englischen Unsearchable Riches übereinzustimmen.49
Bereits ein halbes Jahr später musste Knoch jedoch Springers Tod melden:
IN MEMORIAM
Die Arbeit in Deutschland hat einen schweren Verlust erlitten durch den Tod von Prediger Max Springer im reifen Alter von 74 Jahren. Während seines frühen Dienstes war er mit den sogenannten „Plymouth-Brüdern“ verbunden, entkam aber vor langer Zeit ihren sektiererischen Fesseln und betrieb eine unabhängige Arbeit für den Herrn. Er trat standhaft für die Wahrheit ein, die ihm anvertraut war, auch wenn ihn dies teuer zu stehen kam. Bei unserem ersten Besuch in Deutschland war er unser Vertreter und Dolmetscher. Ein kraftvoller, geistlich gesinnter Redner. Viel Unglück, Krankheit und Leid begleiteten seine späteren Jahre, aber sein Glaube wankte nicht. Auf Wiedersehen! – A. E. K.50
Ein genaues Todesdatum fehlt leider; da der Nachruf aber in der Septemberausgabe 1932 erschien, dürfte Springer im Sommer 1932 verstorben sein. Sein Geburtsjahr lässt sich aufgrund des Todesalters auf 1858 datieren. Mit dem „Unglück“ und „Leid“ in seinen „späteren Jahren“ sind vermutlich u.a. die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Altenheim gemeint.
Damit war ein bewegtes, arbeits- und abwechslungsreiches Leben zu Ende gegangen. Wo Springers geistliche Wurzeln lagen, wissen wir nicht, aber von den Elberfelder Brüdern über die Raven-Brüder und die Offenen Brüder bis hin zu den freien Kreisen um Großmann und Knoch hatte er mindestens vier gemeindliche Stationen durchlaufen, für die er sich jeweils in Wort und Schrift streitbar eingesetzt hatte. Unter den „Brüdern“ dürfte er nach 1910 weitgehend vergessen worden sein – die beiden letzten Jahrzehnte seines Lebens lagen jedenfalls bisher völlig im Dunkeln und konnten hier vielleicht erstmals ein klein wenig erhellt werden. Für weitere Hinweise bin ich dankbar!
Über Springers Leben ist bisher außerordentlich wenig bekannt; nicht einmal seine Geburts- und Todesdaten und sein vollständiger Name (er publizierte unter den Initialen „W. C. M.“ Springer) liegen uns vor. Sicher ist, dass er bis 1892 den „Elberfelder Brüdern“ angehörte, sich dann aber auf die Seite Ravens stellte – vielleicht weniger aus Sympathie mit Ravens Lehren als aus Opposition gegen die „zentralistische“ Art und Weise, wie die kontinentaleuropäischen „Brüder“ 1890/91 auf zwei Elberfelder Konferenzen ihre Entscheidung gegen Raven gefällt hatten. So richtete er am 5. Juni 1892 in einem Rundschreiben „eine scharfe Anklage gegen die autoritäre Haltung einiger führender Brüder“.1 […]
Max Springer gründete 1893 die erste Zeitschrift der deutschen Raven-Brüder, Worte der Gnade und Wahrheit. Bereits Ende 1894 scheint er jedoch auch mit den Raven-Brüdern in Konflikt geraten zu sein, denn Raven schrieb am 17. Dezember 1894 an Thomas Henry Reynolds (1830–1930): “I am quite pained to hear about Springer and am quite in sympathy with your appeal.”2 Etwa 1896 wandte Springer sich dann offenbar ganz von der Brüderbewegung ab; die Worte der Gnade und Wahrheit wurden 1897 von Christian Schatz (1869–1947) übernommen.
In den letzten Wochen war es mir möglich, das Dunkel um Springers Leben nach 1896 ein wenig zu erhellen. Dazu trug zunächst die Veröffentlichung der 47 Bände Echoes of Service bei, über die ich in meinem letzten Blogeintrag berichtete – denn ab 1898 begegnete den Lesern dieser Zeitschrift der Name Max Springer in großer Regelmäßigkeit!3 Springer wandte sich also nach seiner Trennung von den Raven-Brüdern durchaus noch nicht von der Brüderbewegung ab, sondern er war in den folgenden Jahren eine der wichtigsten Kontaktpersonen der Offenen Brüder in Deutschland.
Versammlungen im Rheinland
Erstmals erwähnt wird Springer im zweiten Septemberheft 1898 in einem Bericht Joseph W. Jordans,4 aus dem hervorzugehen scheint, dass sich im Rheinland unter Springers Einfluss bereits mehrere Versammlungen von den Geschlossenen (oder Raven-) Brüdern gelöst hatten bzw. dabei waren, sich zu lösen:5
Wir waren erfreut, im Rheinland eine Anzahl von Gemeinden zu finden, die im Namen des Herrn versammelt waren, und konnten einige davon besuchen und Zusammenkünfte abhalten, nämlich in Elberfeld und Barmen sowie in Vohwinkel, wo wir den Sonntag verbrachten. Es gibt in diesem Teil Deutschlands viele, die zum Volk Gottes gehören, und manche von ihnen sehnen sich danach, von menschlicher Knechtschaft frei zu sein und die Freiheit zu genießen, mit der der Herr uns freimacht. Ich möchte die Kinder Gottes bitten, für die Arbeit in diesem Teil Deutschlands zu beten und dass die Hände unseres Bruders Max Springer in seiner Arbeit für den Herrn gestärkt werden mögen.6
Offenbar dieselben Versammlungen besuchte der Singapurmissionar Alexander Grant Anfang 1899:
Im Rheinland fand Mr. Grant […] kleine Versammlungen, ruhig, fast bis zur Trägheit, mit äußerster Hochachtung vor der Autorität der Schrift, und doch scheinen kaum Seelen gewonnen zu werden. Dennoch gab es offensichtliche Anzeichen wahrer Gottesfurcht. Unser Bruder suchte ihnen die Wahrheit vorzustellen, dass die Aufgabe des Dieners Gehorsam ist und nicht bloß die Ausführung von „Grundsätzen“.7
Im Frühjahr 1899 kam der deutsch-englische Judenmissionar Max Isaac Reich ins Rheinland und besuchte gemeinsam mit Max Springer („der sich immer mehr von seinem Beruf freimachen kann, um am Wort zu dienen“8) die Versammlungen in Vohwinkel (Springers Wohnort), Elberfeld, Mettmann und Wald:
In vielen Herzen ist ein wirkliches Sehnen, dem in Johannes 17 ausgedrückten Wunsch unseres Herrn Jesus „auf dass sie alle eins seien“ ein Stück weit nachzukommen. Nicht die bloße Einheitlichkeit einer kirchlichen Körperschaft, sondern die lebendige Einheit in der Kraft göttlichen Lebens, die Christus zum Mittelpunkt und Gegenstand hat.9
Auch in den folgenden Jahren statteten englische Offene Brüder dem Rheinland immer wieder Besuche ab (und wurden häufig von Springer übersetzt): Im Mai 1900 nahmen Reich und der angehende Österreichmissionar Frederick Butcher an einer Konferenz in Vohwinkel teil,10 im Juni 1900 kam Edmund Hamer Broadbent nach Vohwinkel, Düsseldorf und Krefeld,11 im August 1901 Echoes-Mitherausgeber William Henry Bennet in Begleitung von Reich und eventuell wieder Broadbent nach Köln, Vohwinkel, Barmen und Düsseldorf,12 im Februar 1904 Belgienmissionar William J. Nock nach Vohwinkel, Velbert und Neviges13 und im August 1904 wiederum Bennet nach Solingen, Vohwinkel und Velbert.14
Der Evangelist
Springer selbst betätigte sich ab 1900 zunehmend als Evangelist, zunächst in Vohwinkel und Umgebung,15 bald aber auch darüber hinaus – mit sehr erfreulichen Resultaten:
Im Mai 1904 konnte er von jeweils vierzehntägigen Evangelisationen in Bochum (40–50 Bekehrungen) und Werden (70–80 Bekehrungen) sowie einem Evangelisationsnachmittag in Langerfeld berichten,16 im November 1904 von einer Evangelisation in Mülheim.17
Ende 1905 bis Anfang 1906 hielt Springer mehrere gut besuchte Evangelisationen in Mülheim, Vohwinkel und Oberhausen ab: „Es gibt einen tiefen Seelenhunger, der das Werk des Herrn selbst ist. […] Gottes Gnade besucht Deutschland. Oh, mögen sich Herzen dafür öffnen!“18
Im März 1906 folgte eine weitere zweiwöchige Evangelisation in Oberhausen,19 im Mai/Juni 1906 eine dritte, zu der jeden Abend 300–500 Personen kamen; über 90 bekehrten sich, „und ich hoffe, dass der Herr einige dahin führen wird, sich einfach zu seinem Namen hin zu versammeln“.20
Im Juli 1906 predigte Springer in Holten (heute ein Stadtteil von Oberhausen-Sterkrade): „Ich hatte jeden Tag zwei Zusammenkünfte und fühlte mich sehr glücklich unter den lieben Brüdern dort, die in der Wahrheit sehr gute Fortschritte machen.“21
Bereits 1904 hatte Springer auch Missionsreisen ins Ausland zu unternehmen begonnen; so evangelisierte er im Herbst 1904 sechs Wochen lang in Siebenbürgen, Bukarest und Budapest,22 Anfang 1905 erneut in Siebenbürgen,23 im Herbst 1905 fünf Wochen lang in Biel (Schweiz) und danach abermals in Siebenbürgen und Budapest,24 im Februar/März 1906 in Ungarn25 und im Herbst 1906 in Kroatien und Ungarn.26
Ab 1907 verlagerte er seinen Lebensmittelpunkt vom Rheinland zunehmend in Richtung Berlin, wo er in zunächst halbjährlichen Abständen mehrwöchige Vortragsreihen hielt, bevor er sich Ende 1910 dauerhaft dort niederließ:27
Im Frühjahr 1907 veranstaltete er sechs Wochen lang abends Evangelisationen und nachmittags Zusammenkünfte für Christen „aus allen Benennungen“, die „ein Sehnen nach der Wahrheit zeigten und ein tiefes Verlangen, den Herrn besser zu kennen“.28
Im Herbst 1907 fand eine fünfwöchige Vortragsreihe (vorwiegend für Christen) in Charlottenburg und Halensee mit zwei Veranstaltungen täglich statt. Abends erschienen oft 700–800 Zuhörer, an Sonntagen über 1000, und es kam zu etlichen Bekehrungen (allein am 20. Oktober z.B. 60–70).29
Im Frühjahr 1908 evangelisierte Springer im Osten Berlins („Ich spreche nicht gerne von Ergebnissen, aber der Meister hat mich sehr ermutigt, und ich hatte die Freude, viele zu Christus kommen zu sehen“) und hielt nachmittags Vorträge für Christen, die besonders bei Angehörigen der höheren Gesellschaftsschichten auf zunehmende Resonanz stießen:30 „An einem Ort im Zentrum Berlins hatte ein Komitee adliger Damen Zusammenkünfte um 11 Uhr morgens anberaumt, die von dieser Klasse gut besucht wurden, darunter auch einigen mit Verbindungen zu unserem Königshof. Der Herr öffnete die Herzen vieler für seine Wahrheit.“31
Im Herbst 1908 kam Springer erneut zu einer sechswöchigen Vortragsreihe mit zwei Vorträgen täglich nach Charlottenburg; die Zuhörerzahl wuchs zum Schluss auf 400–700 Personen.32
Im Herbst 1909 arbeitete Springer mehrere Monate in Berlin; zuerst hielt er täglich zwei Vorträge in Charlottenburg, ab November evangelisierte er im Osten der Stadt „im sozialistischen und anarchistischen Viertel“.33
Springers Missionsreisen in die Ferne wurden während dieser Zeit fortgesetzt und verstärkt; so finden wir ihn im Sommer 1907 wieder in Siebenbürgen,34 im November 1907 auf der Insel Usedom,35 im April 1908 auf Schloss Schedlau in Schlesien (wo er auf Einladung von Graf Pückler neun Vorträge hielt),36 im Sommer 1908 in Lettland (u.a. in Riga und auf Schloss Kremon, wo er mit der Familie Lieven das Brot brach),37 im November 1908 in Herrnhut,38 im Januar 1909 in Königsberg,39 im Januar 1910 in Ungarn und eventuell Siebenbürgen40 und Ende 1910 in Polen.41
Anfang der 1910er Jahre kühlte seine Beziehung zu den Offenen Brüdern dann aber offensichtlich ab – sein letzter Bericht in Echoes of Service erschien im Januar 1911, und bereits ein Jahr später bezeichnete er die Offenen Brüder in seiner pseudonym erschienenen Artikelserie „Ist der Darbysmus, was er vorgibt zu sein?“ als „Neudarbysten“, die sich aus seiner Sicht offenbar nur wenig von den anderen „Schülern Darbys“ unterschieden.42 Welche gemeindliche Richtung er nun einschlug, möchte ich in einem zweiten Beitrag darstellen.