150. Geburtstag von August von Wedekind

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August Freiherr von Wedekind (1875–1948)

Heute vor 150 Jahren wurde August von Wedekind, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einer der namhaftesten deutschen Offener Brüder, in Darmstadt geboren. Mit freundlicher Erlaubnis von Pastor i.R. Hartmut Wahl (Velbert) darf ich hier einige Ergebnisse seiner Recherchen über Wedekind vorstellen.

Georg Ludwig August1 Freiherr von Wedekind, wie er mit vollständigem Namen hieß, war das vierte Kind und der zweite Sohn des Rittmeisters und Amtmanns Friedrich Georg Freiherr von Wedekind (1841–1891) und seiner Frau Berta Friederike Johanna Luise Ferdinande geb. Decker. Er wurde im März 1891 in Oranienstein konfirmiert. Im Februar 1895 legte er an der Preußischen Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde bei Berlin sein Abitur ab und trat anschließend als Fähnrich ins Infanterie-Regiment 81 in Frankfurt am Main ein. Von Sommer 1895 bis Januar 1896 verbrachte er ein halbes Jahr an der Kriegsschule Danzig; 1898 absolvierte er ein französisches Dolmetscherexamen in Lausanne. Am 19. Januar 1900 heiratete er in Frankfurt die Bankierstochter Elsa Lackmann (1878–1945).

1903 unternahm Wedekind eine ausgedehnte Reise, die ihn über Ungarn, Bulgarien, die Türkei, Griechenland, Malta, Tunesien und Algerien bis nach Portugal führte. Ein Jahr später wurde er Oberleutnant und Ordonnanzoffizier im Infanterie-Regiment 81. 1905 fand er in Bad Homburg durch Arnd von Lettow zum persönlichen Glauben.

Von 1908 bis 1911 war Wedekind an seinem Geburtsort Darmstadt stationiert. Während dieser Zeit kam es – aus unbekannten Gründen – am 1. August 1910 zur Scheidung von seiner Ehefrau Elsa (die fünf Jahre später in Heidelberg den Rechtsanwalt Hans Hermann Kienitz heiratete). Im November 1911 wurde Wedekind als Hauptmann nach Sonderburg (heute Dänemark) versetzt.

Im Ersten Weltkrieg diente er an der Westfront. Zwei Tage vor seinem Ausrücken (am 8. August 1914) ging er in Hamburg eine zweite Ehe ein, und zwar mit Nanette Mathilde Irene Hildegard Anne-Marie Kruska (1886–1976), einer Tochter des Generalmajors Benno Kruska (1849–1933).

1918 wurde Wedekind als Major aus dem Heeresdienst verabschiedet. Von nun an widmete er sich hauptsächlich der „Reichsgottesarbeit“. Obwohl er 1917 in Berlin ein Haus gekauft hatte – hier war im selben Jahr auch seine Tochter Irene geboren worden –, zog die Familie 1918 nach Derschlag und 1920 nach Wiedenest, wo Wedekind eine Lehrtätigkeit an der Bibelschule aufnahm. Sein zweites Kind Arnd kam 1919 in Derschlag, das dritte Kind Horst 1924 in Wiedenest zur Welt. Da dem Asthmatiker Wedekind jedoch das Wiedenester Klima zu schaffen machte, siedelte die Familie 1927 nach Friedrichsdorf im Taunus und 1932 nach Bad Homburg über. Hier brachte sich Wedekind aktiv in die Offene Brüdergemeinde ein; auch im Reise- und Seelsorgedienst war er tätig. Die Zusammenschlüsse mit den Geschlossenen Brüdern (1937) und mit den Baptisten (1941/42) trug er aus Überzeugung mit.

1943 wurde Wedekinds 24-jähriger Sohn Arnd, inzwischen Medizinstudent, wegen „landesverräterischer“ Äußerungen verhaftet, vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Seine Eltern konnten ihren Sohn wenige Tage vor der Hinrichtung noch einmal sehen und waren, so Arnds Schwester Irene 1964 in einem Brief,

sehr getröstet durch sein Zeugnis, daß er innerlich Frieden habe und voller Freude sei, wie es auch in einem seiner letzten Briefe zum Ausdruck kommt, wo er schreibt … „eine halbe Stunde vor meiner Hinrichtung schreibe ich diese Zeilen. Ich bin überglücklich, meinen Heiland gleich zu sehn …“ […]

Als ehemaligem Offizier und „der Obrigkeit untertan“ war meinem Vater dieser Weg bezügl. seines Sohnes besonders schwer, aber er wusste auch, daß sein Kind getröstet war und aus dem Glauben zum Schauen ging.2

Wedekinds zweiter Sohn Horst kämpfte an der Ostfront und wurde nach dem Vormarsch auf Schytomyr (Ukraine) als vermisst gemeldet.

August Freiherr von Wedekind starb am 4. Dezember 1948 in seiner Wohnung in Bad Homburg, Ferdinandstraße 30, an Herzschwäche. Er wurde 73 Jahre alt.


150. Todestag von Sir Gillery Pigott

Der heutige „Jubilar“ (wenn man eine Person, deren Todestag sich jährt, überhaupt so nennen kann) schloss sich der Brüderbewegung erst wenige Wochen vor seinem Tod an, aber gerade das führte auf seiner Beerdigung zu einem Eklat, über den in der Presse breit berichtet wurde.

Leben und Karriere

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Sir Gillery Pigott (1813–1875)

Gillery Pigott wurde am 18. September 1813 als vierter Sohn des Landbesitzers Paynton Pigott (1770–1862) und seiner Frau Maria Lucy geb. Gough (1783–1860) in Oxford geboren.1 Er schlug eine juristische Laufbahn ein und trat 1836 dem Middle Temple, einer der vier englischen Anwaltskammern, bei. Im selben Jahr heiratete er Frances Drake (1814–1894) aus London. Sie bekamen zehn Kinder – vier Söhne (von denen zwei bereits früh starben) und sechs Töchter.2

Nach seiner Anwaltszulassung 1839 wirkte Pigott zunächst im Gerichtsbezirk Oxford. Ab 1854 war er bei der britischen Steuerbehörde (Inland Revenue) tätig, 1857–62 nahm er parallel noch die Teilzeitaufgabe eines Stadtrichters (Recorder) in Hereford wahr. 1863 wurde er zum Richter (Baron) am Schatzkammergericht (Court of Exchequer) ernannt und in den niederen nichterblichen Adelsstand (Knight) erhoben, sodass er sich von nun an Sir Gillery Pigott nennen durfte. Mit der Nobilitierung verlor er allerdings auch seinen Sitz im britischen Parlament (House of Commons), den er seit 1860 als Abgeordneter der Liberal Party für die Stadt Reading innegehabt hatte.

Geistliche Entwicklung

Von Hause aus Anglikaner, hatte sich Pigott im Laufe der Jahre zunehmend von seiner Kirche entfremdet.3 Vor allem die starre Liturgie und die formellen, von allen Anwesenden unterschiedslos mitzusprechenden Gebete missfielen ihm. Ab etwa 1870 besuchte er die Gottesdienste in der Baptistenkapelle von William Landels (1823–1899) am Londoner Regent’s Park.4 Hier schätzte er das freie Gebet des Pastors, aber er vermisste nach wie vor die Möglichkeit, sich auch als Gemeindeglied an der Anbetung zu beteiligen. Sein älterer Sohn Arthur Gough Pigott (1850–1878), den offenbar ähnliche Gedanken umtrieben, kam mit den Geschlossenen Brüdern in Kontakt und empfahl seinem Vater ein Studium der neutestamentlichen Gemeindepraxis. Nach einer Begegnung mit William Kelly (1821–1906) nahm Gillery Pigott am 4. April 1875 in einer bescheidenen Hausversammlung der „Brüder“ – höchstwahrscheinlich bei dem Schuhmacher William Franklin in Sherfield Green5 (Hampshire) – zum ersten Mal am Brotbrechen teil.

Einen Tag später erlitt er einen Sturz vom Pferd, der ihn bettlägerig machte. In dieser Zeit las er einige Schriften von Kelly (u.a. Christian Worship und Christian Ministry), die dieser ihm zugesandt hatte und die ihn endgültig vom Standpunkt der „Brüder“ überzeugten, wie er Kelly am 17. April brieflich mitteilte. Am 23. April richtete er auch an den örtlichen Pfarrer Alfred Gresley Barker (1835–1906), mit dem er sich anscheinend schon vorher über solche Fragen ausgetauscht hatte, einen Brief, machte ihn auf schwerwiegende Irrtümer in einer gedruckten Predigt aufmerksam und legte zwei Schriften der „Brüder“ bei (Is the Anglican Establishment a Church of God? von William Kelly und Who is a Priest, and What is a Priest? von John Nelson Darby). Vier Tage später, am 27. April 1875,6 heute vor 150 Jahren, starb Gillery Pigott in seinem Anwesen Sherfield Hill House bei Basingstoke überraschend an einer Herzerkrankung. Er wurde nur 61 Jahre alt.

Beisetzung

Einige Tage nach Pigotts Tod schrieb sein knapp 25-jähriger Sohn Arthur, ebenfalls Jurist und 1873 als Anwalt (Barrister) zugelassen,7 einen Brief an Pfarrer Barker und bat um die Erlaubnis, die Beerdigung seines Vaters von einem Freund (also einem Geschlossenen Bruder) abhalten zu lassen.8 Barker lehnte dies ab mit der Begründung, dass er gesetzlich verpflichtet sei, keine Abweichungen von der Begräbnisliturgie der Church of England zuzulassen. Hierauf erwiderte Arthur Pigott, dass es auch der Wunsch seiner Mutter sei, dass die Beerdigung nicht nach anglikanischem Ritus erfolge, da sein Vater sich den „Plymouth Brethren“ angeschlossen habe. Sollte der Pfarrer bei seiner Weigerung bleiben, würden sie auf einen Gottesdienst auf dem Friedhof ganz verzichten. Bei einem persönlichen Besuch im Pfarrhaus von Sherfield on Loddon machte Pigott noch einen letzten Versuch, den Pfarrer umzustimmen, aber vergebens.

Die Beerdigung wurde auf Mittwoch, den 5. Mai festgesetzt.9 Um 14.15 Uhr fand zunächst eine Trauerfeier auf einem Rasenplatz bei Pigotts Haus statt, auf der William Kelly und Christopher McAdam (1807–1892) sprachen.10 Anschließend setzte sich der Trauerzug in Richtung Friedhof (gut 1 km nordöstlich gelegen) in Bewegung, wo er kurz vor 16 Uhr eintraf. Pfarrer (Rector) Barker und sein Hilfspfarrer (Curate) John Henry Sandall (1847–1925) sowie die Kirchenvorsteher Richard Tubb (1837–1904) und George Moss11 (1828–1912) hatten die Prozession bereits seit 14 Uhr am Friedhofstor erwartet.

Der Bestatter James Moody (1826–1888), der den Sarg begleitete, gab Barker sogleich zu verstehen, dass seine Dienste nicht erwünscht seien. Barker begann dennoch die Begräbnisliturgie zu verlesen und schritt dabei auf die Kirche zu. Während des dritten Satzes merkte er, dass der Sarg bereits zum Grab gebracht und eilig hinuntergelassen wurde. Er wies nun seinen Hilfspfarrer Sandall an, den am Grab zu sprechenden Teil der Liturgie vorzutragen. Sandall setzte dazu an, wurde aber durch Zurufe der Trauergäste unterbrochen. Schließlich ging der Rechtsanwalt der Familie Pigott, Arthur Walker (1809–1875), auf Sandall zu und protestierte im Namen der Hinterbliebenen gegen die weitere Fortsetzung der Liturgie. Die Vertreter der Kirche waren auf diesen Fall vorbereitet und hatten ihrerseits eine schriftliche Protestnote verfasst, die Walker von Kirchenvorsteher Tubb überreicht wurde. Daraufhin schlossen Barker und Sandall ihre Bücher und verließen den Friedhof.

Wie bereits erwähnt, erregte der Vorfall großes Aufsehen und wurde von zahlreichen Zeitungen aufgegriffen, wobei die Berichterstattung nicht immer exakt den Tatsachen entsprach. Als Beispiel sei der Artikel der Londoner Zeitung The Standard vom 7. Mai 1875, S. 2 zitiert, der vielfach nachgedruckt wurde:

SCENE AT BARON PIGOTT’S FUNERAL. – We regret to record a scandalous disturbance at the burial of the late Baron Pigott on Wednesday, at Sherfield Churchyard, near Basingstoke. The baron had been dead more than a week, but it was not till the day before the funeral that his two sons, who are members of the sect known as the “Plymouth Brethren,” intimated that they did not wish the Church Service to be used. Mr. Osborne Morgan’s12 opinion was at once telegraphed for, and he replied that, the deceased having been baptised, the clergyman was bound to read the service over the body, but that, if the clergyman was interfered with, he might shut up his book and walk away, but the burial could not be stopped. The clergyman, the Rev. A. G. Barker, went early to the churchyard, and exhorted the crowds to seemly and decent behaviour. He and his curate, the Rev. H. Sandall, afterwards met the funeral at the gate, and proceeded with the words, “I am the Resurrection and the Life,” when some of the mourners shouted to him to stop, and others to go on. Meanwhile, the bearers, commanded by one of the Baron’s sons, pushed along, and threw the coffin into the grave near the gate. A solicitor was then sent to say that in the name of the executors he protested against the service being read. The rector shut his book, and walked quietly away with his curate. The churchwardens have served a notice on the solicitor for the two sons, stating that they hold him legally responsible for stopping the rector in the performance of his duty. The great crowd then quietly dispersed. There is much indignation at the outrage, especially as it would have been quite easy to bury the deceased in Basingstoke Cemetery with any ceremonies the relations might have thought proper.

Pigotts zweiter Sohn, der 19-jährige Cecil Ernest (1855–1893), wehrte sich am folgenden Tag in einem Leserbrief gegen die Behauptung, er sei ein „Plymouth Brother“, und distanzierte sich auch von den Ereignissen auf dem Friedhof:

SIR, – I am the younger of the late Baron Pigott’s two sons, and having seen a paragraph in the Standard of to-day, headed “Scene at Baron Pigott’s Funeral,” I wish to state that I am not “a member of the sect known as Plymouth Brethren,” and that I did not “intimate” to any person at any time “that I did not wish the Church service to be used.” CECIL E. PIGOTT.13

Laut Arthurs späterer Aussage vor Gericht müssen neben seiner Mutter aber auch mindestens eine seiner Schwestern und andere Verwandte mit seinem Vorgehen einverstanden gewesen sein.

Prozess

Für Arthur Pigott und den Familienanwalt Arthur Walker sollte die Episode nämlich noch gerichtliche Konsequenzen haben. Kirchenvorsteher Richard Tubb verklagte sie wegen Störung einer Begräbnisfeier, wobei er sich auf den Ecclesiastical Courts Jurisdiction Act von 1860 berief. In dessen zweitem Abschnitt heißt es,

dass jede Person, die einen Priester im kirchlichen Amt bei der Ausübung eines Ritus in einer Kirche oder auf einem Friedhof in England oder Wales belästigt, behindert, stört oder beunruhigt oder ihn auf sonstige Weise daran hindert oder in seiner Tätigkeit beeinträchtigt, bei Verurteilung durch zwei Friedensrichter mit einer Geldstrafe von höchstens fünf Pfund oder mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Monaten belegt werden kann.14

Die Verhandlung fand am 2. Juni 1875 vor dem County Magistrates’ Court (eine Art Amtsgericht) im Rathaus von Basingstoke statt. Da Arthur Pigott – der sich selbst verteidigte – die volle Verantwortung für die Geschehnisse auf dem Friedhof übernahm, wurde die Klage gegen Arthur Walker nach dem Eröffnungsplädoyer fallengelassen. Als Zeugen vernahm man Pfarrer Barker, Hilfspfarrer Sandall, Colonel Pigott (einen Bruder des Verstorbenen15), Colonel Pigott-Carleton (einen Neffen des Verstorbenen16), Rechtsanwalt Walker, die Bestatter James Moody und John Gray Hill sowie die Sargträger William Franklin und Daniel Brown.17 Bis auf die beiden Geistlichen sagten alle übereinstimmend aus, dass es keine Störung und keinen Aufruhr gegeben habe, womit sie ein zentrales Verteidigungsargument des Beklagten stützten. Pigott berief sich außerdem auf die juristische Meinung, dass jeder Einwohner einer Pfarrei das Recht auf Beisetzung auf dem örtlichen Friedhof habe – ob mit oder ohne kirchliche Liturgie.

Auf das Angebot des gegnerischen Anwalts, die Klage nicht weiterzuverfolgen, wenn der Beklagte anerkenne, im Unrecht gewesen zu sein, und sich für sein Verhalten entschuldige, ging Pigott nicht ein. Das Gericht verurteilte ihn nach 35-minütiger Beratung einstimmig zu der relativ geringen Geldstrafe von £ 1 (nach heutiger Kaufkraft etwa £ 120–140) plus Gerichtskosten. Pigott legte sofort Berufung ein, scheint diese aber später zurückgenommen zu haben, denn über einen weiteren Prozess konnte ich in der zeitgenössischen Presse nichts finden.

Nachkommen

Gillery Pigotts Söhnen war leider durchweg kein langes Leben beschieden. Die beiden ältesten, Gillery Paynton Francis Drake (1843–1847) und Frederic Thomas (1846–1847), wurden nur vier bzw. ein Jahr alt und weilten zur Zeit der hier geschilderten Ereignisse schon lange nicht mehr unter den Lebenden. Aber auch Arthur Gough und Cecil Ernest erreichten kein hohes Alter: Ersterer starb zweieinhalb Jahre nach dem Prozess, am 8. Januar 1878, im südspanischen Málaga, nur 27 Jahre alt (sein Grab ist noch heute vorhanden), Letzterer am 6. Mai 1893 im elterlichen Sherfield Hill, 37 Jahre alt. Beide waren unverheiratet geblieben.

Besser erging es den sechs Töchtern – sie wurden mit einer Ausnahme zwischen 72 und 88 Jahre alt. Die Ausnahme war Mabel Lucy Sarah (1852–1894), Ehefrau von Henry Edward Tredcroft (1853–1912), die vier Tage nach der Geburt ihres neunten Kindes im Alter von 42 Jahren starb. Sie war zugleich das einzige der Pigott-Kinder, das Nachkommen hinterließ. Ihre Schwester Rosalie Archer (1840–1924) schloss erst im relativ fortgeschrittenen Alter von 41 Jahren eine Ehe, und zwar mit dem Witwer Archer Anderson Morshead (1846–1911); die übrigen vier Schwestern Frances Drake (1837–1910), Alice Isabella (1848–1920), Edith Caroline (1853–1931) und Beatrice Barbara (1859–1947) blieben alle unverheiratet.

Wie viele Mitglieder der Familie sich der Brüderbewegung anschlossen, wäre noch zu erforschen. Gillery Pigotts Schwester Isabella (1821–1902) war jedenfalls mit dem „Bruder“ Charles Gilbert Eversfield (1822–1886) verheiratet, und von seinen beiden Schwiegersöhnen scheint mindestens Henry Edward Tredcroft einen „Brüder“-Hintergrund gehabt zu haben – Tredcrofts Schwester Theodosia Isabella (1851–1924) war die Frau von Dennis Lambart Higgins (1847–1943), einem angeheirateten Großneffen von George Vicesimus Wigram (1805–1879).


Vorträge zur Glaubenstaufe online

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Die drei Vorträge der Veranstaltung „500 Jahre Glaubenstaufe“ sind nun auf dem YouTube-Kanal der Freien Brüdergemeinde Dillenburg-Manderbach öffentlich zugänglich:

Am selben Wochenende, an dem diese Tagung des Arbeitskreises „Geschichte der Brüderbewegung“ stattfand, feierte die Gemeinde in Manderbach auch ihre 75-jährige Zugehörigkeit zum Freien Brüderkreis. Die beiden Festvorträge sind ebenfalls auf YouTube abrufbar:

 

Erinnerung: Brüderbewegung und Glaubenstaufe

taeuferbewegungEine Woche vor dem Termin möchte ich gerne noch einmal an die Veranstaltung des Arbeitskreises „Geschichte der Brüderbewegung“ zum Thema „500 Jahre Glaubenstaufe“ erinnern und herzlich dazu einladen. Nähere Informationen in meinem Post vom 18. Oktober.

Gegenüber dem veröffentlichten Programm wird es eine Änderung geben: Der Vortrag von Hartwig Schnurr muss leider krankheitsbedingt ausfallen; stattdessen wird der thematisch verwandte Vortrag von Gerd Goldmann vorgezogen und durch eine moderierte Diskussion ergänzt.

Max Weremchuk: Klarstellungen zu “Becoming J.N.D.”

Max Weremchuk liegt es am Herzen, einige Missverständnisse aufzuklären, die durch ein YouTube-Interview über sein jüngstes Buch entstanden sind. Ich veröffentliche seinen Text auch hier im Blog.


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Since Shawn Willson’s interview with Brian Reynolds regarding my book Becoming “J.N.D” on his “Rev Reads” site on YouTube has generated some comments which are misleading and incorrect in their claims, I’d like to clarify a point or two.

Actually I am a Canadian and not German. I am not Reformed in any stereotype sense of the term, and I definitely do not have a “high regard for the Puritans Divines and their law-centric systems,” but rather a high regard for any who honor the Word of God and endeavor to make it accessible to people and effective in their lives.

Since the interview I was able to correspond with Brian and clear up some misunderstan‍dings. For example, his statement that the book contained nothing new to him referred to Darby’s teaching, and he wrote to me: “My statement had to do with the doctrinal development 1827–29.” I was definitely not attempting to reveal any new “disco‍veries” in this regard, though I am sure that more than a few readers were not aware of the fact that Darby held to the “day = year” theory for a very long time (i.e. into the 1830s) or of his initial negative attitude towards pre-tribulational premillennialism. (See James Fazio’s excellent paper “John Nelson Darby’s Early Resistance to Pre-Tribulational Premillennialism As Expressed at the 1831 Powerscourt Prophecy Conference”.) My book does contain much new historical/background material never published in this way before.

As for a “thesis” on my part, while admitting that a writer cannot avoid being subjective to a certain degree, it was my honest endeavor to be as objective as possible. I was not at‍tempting to paint a certain picture of Darby that I had formed of him in my mind and wanted to convince my readers of. For example, my contradiction of his claims regarding an oath proposed by Archbishop Magee or the number of weekly converts was the result of very thorough research in these areas and not because I wanted to refute him in any way. In fact, I originally undertook intensive research in these areas to verify his claims and dis‍covered that the facts proved the opposite.

What became clear to me through my research was that Darby often claimed to be the cause or origin of something that he ultimately was not. I was not trying to prove this from the start and had not set this up as a thesis for myself that I wanted to demonstrate or have confirmed. It was simply an undeniable fact that kept turning up and could not with any honesty be ignored or sidestepped. Darby may have felt or thought he was the originator – I am not accusing him of willful/conscious dishonesty –, but that was often (not always) a very subjective impression on his part. He was involved, at times prominently so, but not necessarily the originator.

In the example of Joseph C. Philpot’s conversion, it was Philpot’s son who attributed his father’s conversion to Anne Pennefather’s influence, and the pain and despair caused by their not being allowed to come together, and not a fanciful idea of mine to contradict Darby’s claim in the matter.

Donald Akenson may be too harsh in his criticism of Darby at times, but we can fall off the other side of the horse by attempting to excuse and justify everything. Someone has com‍mented, “Puritanism dominated the evangelical Protestant world up to JND’s ‘reco‍very’ of Pauline truths.” That is obviously an honest conviction, but one that is not ne‍cessarily correct because it is expressed with conviction and in all sincerity. Darby is not the “recoverer” of Pauline truths for all sincere Christian believers. He is for some, and that must be respected, and exchanges over differences of opinion regarding the same must be conducted in a spirit of true Christian charity and not as attacks and counter-attacks.

I hope that those who accuse me of following a particular “thesis” in my book are ready to acknowledge that they are also influenced by the “thesis” that Darby was the “recoverer” of Pauline truths and feel that anything which seems to contradict that conviction must be opposed and discredited.

Darby definitely made a “contribution,” but he was not alone. The so-called Brethren Move­ment may not have become what it became without him, but he could not have be‍come who he was without it, i.e. without the contribution of so many others who today can be described as “unsung heroes”. In order to properly honor and value Darby’s contri‍butions, we must be fair and honest in our evaluations, and even if in the end we don’t always agree with each other, simple Christian courtesy must be maintained, other‍wise we are damaging the testimony of Christ in this world.

Neuerscheinungen zur Brüderbewegung 2024

Auch am Ende dieses Jahres möchte ich wieder die in den letzten zwölf Monaten erschienenen Veröffentlichungen zur Brüderbewegung übersichtlich zusammenstellen und kurz kommentieren bzw. einordnen.

In zwei frühere Bibliografien habe ich inzwischen noch Nachträge aufgenommen:

  • 2023: Bücher von Griffiths und Higgs; Aufsätze von Albayrak, Bailey, Heinrichs und Markham; Hochschulschriften von Loureiro, Muhirwa und Rodrigues
  • 2022: Bücher von Jennings und McIlhinney; Aufsätze von Gribben, Ice, Miller et al. und Sibley

BÜCHER


Maria Compton: Out of Faith. A mother, a sect, and a journey to freedom. London (Blink Publishing) 2024. 352 Seiten. ISBN 978-1-78512-182-1.

Der Markt für Raven-Taylor-Symington-Hales-Aussteigerbiografien scheint immer noch nicht gesättigt zu sein; hier handelt es sich um einen neuen Beitrag aus England. Die in den 1960er Jahren geborene Autorin ist Mutter von sechs Kindern, die in der Gruppe verblieben.


gribbendarbyCrawford Gribben: J. N. Darby and the Roots of Dispensationalism. New York (Oxford University Press) 2024. xvi, 240 Seiten. ISBN 978-0-19-093234-3.

Gribbens Ziel ist es zu zeigen, dass John Nelson Darby nicht der „Vater der Dispensationalismus“ war, als der er heute oft dargestellt wird, sondern dass seine Theologie komplexer war und in vielen Punkten der seiner reformierten Kritiker näher stand als dem modernen Dispensationalismus. In vier großen Kapiteln werden vier theologische Teilgebiete untersucht: Soteriologie, Ekklesiologie, Pneumatologie und Eschatologie. Der Schwerpunkt liegt dabei nicht so sehr auf Darbys frühen Jahren, die in der bisherigen Forschung oft im Zentrum des Interesses standen, sondern eher auf seiner mittleren und späteren Periode, „als seine Führung der exklusiven Brüderbewegung am meisten gefestigt war und er die größte Freiheit hatte, seine Ideen in einer grundsätzlich unterstützenden Gemeinschaft zu entwickeln“ (S. 153). Die ihm nachfolgenden Dispensationalisten, insbesondere in Amerika, hätten seine Theologie dann aber so stark vereinfacht, reduziert und abgewandelt, dass Darby darin wahrscheinlich nur einen weiteren Beweis für den „Verfall der Kirche“ erblickt hätte. Statt als „Vater“ könne er allenfalls als „Großvater“ (S. xi) oder – wie Gribben im April 2024 auf der Jahrestagung des Vereins für Freikirchenforschung sagte – als „Onkel“ des Dispensationalismus bezeichnet werden.

Bei diesem Buch handelt es sich ohne Zweifel um eine der bisher gründlichsten Arbeiten über Darbys Theologie. Gribben steht Darby mit Sympathie gegenüber, verfolgt als Historiker aber keine theologische Agenda und muss Darby daher weder verteidigen noch widerlegen, was zu einem hohen Maß an Objektivität führt. Zu korrigieren wären lediglich ein paar historische Ungenauigkeiten (z.B. wenn auf S. 14 der Eindruck entsteht, die Trennung in Plymouth 1845 wäre bereits auf Newtons christologische Irrtümer zurückzuführen gewesen, oder wenn auf S. 23 Hermanus Cornelis Voorhoeve zum Übersetzerteam des Elberfelder Neuen Testaments gerechnet wird). Auch hätten gelegentliche Zwischenüberschriften die Lektüre der bis zu 30 Seiten langen Kapitel erleichtert.


Peter Herriot: Understanding Religious Fundamentalists. An Introduction. Abingdon / New York (Routledge) 2024. 126 Seiten. ISBN 978-1-032-75013-2.

Als Beispiele für religiösen Fundamentalismus stellt der Verfasser, ein emeritierter Psychologieprofessor mit Wurzeln in der Brüderbewegung, kurioserweise die Taliban und die Offenen Brüder einander gegenüber.


Xosé Manuel López Franco: Galicia Protestante. 100 años en O Grove. Ohne Ort (Alba Stories) 2024. 549 Seiten. ISBN 978-84-09-64450-6.

Geschichte der Offenen Brüdergemeinde in O Grove, Galicien (Spanien).


Betty Magennis / Victor Maxwell: All the Way My Saviour Leads Me. More than forty-six ye‍ars serving God in Zambia. Belfast (Victor Maxwell) 2024. 96 Seiten. ISBN 978-1-913446-60-4.

Die von einer nordirischen Offenen Brüdergemeinde ausgesandte Betty Magennis leitete ein Gesundheitszentrum mit Entbindungsstation in Dipalata (Sambia).


Jean Prod’hom: Un jardin sans clôture. John Nelson Darby et Alexis Muston. Petite Bibliothèque de Spiritualité. Genf (Editions Labor et Fides) 2024. 149 Seiten. ISBN 978-2-8309-1859-5.

Biografische Studien über Darby und den französisch-italienischen Pastor Alexis Muston (1810–1888), die sich 1879 im südfranzösischen Saint-Laurent-du-Pape einmal persönlich begegneten. Der Obertitel des Buches lautet übersetzt „Ein Garten ohne Zaun“. Der 1955 in Lausanne geborene Autor wuchs in einer Brüdergemeinde auf, verließ diese aber bereits mit 15 Jahren.


Gary R. Uremovich: Legacy of Faith: An Elder’s Life. In Memory of the Pastoral Impact of George M. Carrera, Sr. Brandon, FL (Growth Publishers / Amazon) 2024. 217 Seiten. ISBN 979-8-32911447-8.

Erinnerungen an George M. Carrera, einen Ältesten der Offenen Brüdergemeinde North­west Bible Chapel in Chicago.


becomingMax S. Weremchuk: Becoming “J.N.D.” The Early Years of John Nelson Darby 1800–1829. A biography. El Cajon, CA (Southern California Seminary Press) 2024. xv, 709 Seiten. ISBN 979-8-9882376-2-4.

Auf dieses Monumentalwerk hatte ich bereits kurz nach seinem Erscheinen hier im Blog hingewiesen.

Max Weremchuk hat in seinem Bestreben, die ersten 29 Lebensjahre John Nelson Darbys minutiös nachzuzeichnen, keinen Stein unumgedreht gelassen: familiärer Hintergrund, Schulzeit, Studium, juristische Ausbildung, Bekehrung, Ordination, kirchlicher Dienst, der berühmte Reitunfall, neue biblische Erkenntnisse und die Anfänge der Brüderbewegung – das alles wird hier ausführlich und detailliert beschrieben, garniert mit vielen, oft umfangreichen Zitaten aus zeitgenössischen Quellen und aus der Sekundärliteratur. Es folgen noch 35 Anhänge, in denen Spezialthemen vertieft oder weitere Quellentexte wiedergegeben werden.

Wer sich vor allem für die Brüderbewegung interessiert, wird natürlich bedauern, dass die Biografie dort abbricht, wo die eigentliche Brüdergeschichte erst beginnt (hier bildet das oben vorgestellte Buch von Gribben eine gute Ergänzung). Timothy Stunt äußert in seiner Rezension in der aktuellen Brethren Historical Review auch Zweifel, ob man bis 1829 überhaupt schon von “Becoming J.N.D.” reden könne – die für Darbys späteres Leben entscheidenden Erfahrungen und Erkenntnisse habe er erst ab 1830 gemacht bzw. gewonnen. Stunt kritisiert ferner den unübersichtlichen Endnotenapparat (der dem Verlag anzulasten ist – Weremchuks Vorlage hatte Fußnoten) und das magere Register von nur fünf Seiten.


AUFSÄTZE


bhr2018Ausgabe 19 (2023) der Brethren Historical Review erschien erst Ende Februar 2024 und wird daher auch erst in dieser Bibliografie berücksichtigt. Sie enthält (neben etlichen Rezensionen) folgende Beiträge:

  • Donald Tinder: „Movements Like the Brethren: Denominationalism and the Rise of Nondenominationalism (S. 1–13)
  • Max S. Weremchuk: „Dating Darby’s The Notion of a Clergyman (S. 14–32)
  • Timothy C. F. Stunt: „Some Late Nineteenth-Century Military Brethren (S. 33–40)
  • D[onald] H[arman] Akenson: „Counting the People with No Name. The Uses and Limits of the US Censuses (S. 41–53)
  • Branko Bjelajac: „James William Wiles (1877–1950): Serving the Bible in Serbia and Southeast Europe (S. 54–73)
  • Michael Schneider: „New Writing on Brethren History (S. 74–79)
  • Timothy C. F. Stunt: „William Elfe Tayler (1812 – Nov/?Dec. 1869) (S. 80f.)
  • Neil Dickson: „‘Exclusive’ and ‘Open’: A Footnote (S. 82–90)
  • Neil Summerton: „King Street Chapel, Tiverton: A Brief History (S. 91–99)
  • Peter Conlan: „George Verwer 1938–2023 (S. 143–150)
  • Neil Dickson: „David John Alfred Clines (1938–2022) (S. 151–155)

Die aktuelle Ausgabe 20 (2024) der Brethren Historical Review wurde im Dezember versandt und umfasst folgende Beiträge (von Rezensionen wiederum abgesehen):

  • Craig Hoyle: „England, Jamaica, New Zealand: The Childs Family and the Early Brethren Movement (S. 1–15)
  • Timothy C. F. Stunt: „William Vivian (1803–1836) of Torquay and His Family (S. 16–29)
  • Tim Grass: „Brethren in England and Wales and the 1851 Census of Religious Worship (S. 30–55)
  • Neil Dickson / Tim Grass: „Transmitting Tradition: Engaging with the McLaren ‘Triple Tradition’ Thesis (S. 56–77)
  • Jean DeBernardi: „‘Missionary Studies – By Use of Eye-Gate’: Missionary Helps Postcards, 1907–1921 (S. 78–124)
  • Sam McKinstry / Neil Dickson: „James Austen Laird of Kilmacolm (1878–1950), Christian and Architect (S. 125–156)
  • Crawford Gribben: „W. S. Desai, the Bo’ness Brethren, and Burmese-Indian history (S. 157–185)
  • Michael Schneider: „New Writing on Brethren History (S. 186–190)
  • Douglas Wertheimer: „Deciphering a Wigram Letter to Darby (S. 191–201)
  • Timothy C. F. Stunt: „… and one more individual defies the Brethren stereotype: The Case of Casimir-Marie Gaudibert (1823–1901) (S. 202–207)

Howard A. Barnes: „Samuel Ridout (1855–1930)“. In: Precious Seed 79 (2024), Heft 1, S. 7 (auch online).

Kurzes Lebensbild des amerikanischen Grant-Bruders Samuel Ridout.


John Bennett: „Leonard Strong (1797–1874)“. In: Precious Seed 79 (2024), Heft 1, S. 11 (auch online).

Der Todestag des englischen Guayana-Missionars Leonard Strong jährte sich am 17. Oktober zum 150. Mal. Das kurze Lebensbild legt den Schwerpunkt eher auf die Zeit vor seinem Übertritt zu den „Brüdern“.


John Bennett: „William Yapp 1807–1874“. In: Precious Seed 79 (2024), Heft 4, S. 15 (auch online).

William Yapp, dessen 150. Todestag sich am 28. November ebenfalls zum 150. Mal jährte, gehörte zu den ersten „Brüdern“ in Hereford und wirkte später als Buchhändler und Verleger in London. Nach ihm sind die bei ledergebundenen Bibeln häufig verwendeten überstehenden Einbanddeckel benannt.


Wolfgang Bühne: „Ungewöhnliche Bekehrungen. Von einem, der Christus leben wollte … Robert Cleaver Chapman (1803–1902)“. In: fest und treu 186 (2/2024), S. 8–10.

Wolfgang Bühne: „Robert Cleaver Chapman (1803–1902)“. In: Perspektive 24 (2024), Heft 5, S. 31–33.

Zwei leicht voneinander abweichende Versionen eines Lebensbildes des bekannten „Patriarchen von Barnstaple“. Bei der ersten Version ist ein Download des gesamten Heftes möglich (unter „Dokumente zum Artikel“).


Zach Doppelt: „A Re-evaluation of Anglo-Irish Premillennialism 1789–1914: Part 1“. In: The Evangelical Review of Theology and Politics 12 (2024), S. A29–A48 (auch online).

Zach Doppelt: „A Re-evaluation of Anglo-Irish Premillennialism 1789–1914: Part 2“. In: The Evangelical Review of Theology and Politics 12 (2024), S. A49–A65 (auch online).

Der zweiteilige Artikel vergleicht u.a. den Dispensationalismus mit anderen prämillennialistischen Modellen, wobei auch ausführlich auf John Nelson Darby eingegangen wird.


Jens Dörpinghaus / Vera Weil / Martin W. Sommer: „Towards modeling and analysis of longitudinal social networks“. In: Applied Network Science 9 (2024), Artikel 52 (online).

In diesem informatischen (?) Aufsatz dienen die deutschen Brüdergemeinden als eines von drei Beispielen für „Netzwerke“. Was genau hier untersucht wird, übersteigt allerdings meinen Horizont.


Büşra Elmas: „Dispensasyonalizm: Tarihi, Öğretileri ve Etkileri“. In: Oksident 6 (2024), Heft 1, S. 1–17 (auch online).

Der türkische Titel lautet übersetzt: „Dispensationalismus: Geschichte, Lehren und Einflüsse“. Die Autorin geht u.a. ausführlich auf John Nelson Darby ein.


Christopher H. Evans: „Called to Arouse, Warn, and Save. The American Fascination with Premillennial Dispensationalism“. In: Expanding Energy. The Dynamic Story of Christianity in North America. Hrsg. von Christopher H. Evans und Mark A. Lamport. The Global Story of Christianity 7. Eugene, OR (Cascade) 2024. S. 87–102.

Im Rahmen seiner Überlegungen zur Frage, warum der Dispensationalismus in Amerika so erfolgreich war, beschreibt der Autor auch die Anfänge unter John Nelson Darby.


St(ephan) Holthaus: „Müller, Georg (1805–1898)“. In: ELThG². Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. Neuausgabe. Hrsg. von Heinzpeter Hempelmann und Uwe Swarat in Verbindung mit Roland Gebauer, Wolfgang Heinrichs, Christoph Raedel und Peter Zimmerling. Band 3. Holzgerlingen (SCM R. Brockhaus) 2024. Sp. 759–761.

Der Lexikonartikel widmet Georg Müllers gemeindlichen Aktivitäten relativ breiten Raum (26 Zeilen) – bis hin zur Erwähnung des ChristusForums Deutschland als heutiger Erscheinungsform der Offenen Brüder –, während seine Waisenhausarbeit überraschend kurz abgehandelt wird (nur gut 8 Zeilen).


Lothar Jung: „75 Jahre Freie Brüdergemeinden – Danke, Herr!“ In: Gemeinde aktuell [11] (2024), Heft 5, S. 11–14.

Überblick über Geschichte und Gegenwart der Freien Brüdergemeinden mit einem hilfreichen Diagramm, das alle relevanten Strömungen der Brüderbewegung berücksichtigt. Das Heft kann insgesamt heruntergeladen werden.


Annie Kaemper: „Dem, der uns liebt“. In: Perspektive 24 (2024), Heft 5, S. 28–30.

Reflexionen über das 1877 erstmals veröffentlichte, bis heute in allen „Brüder“-Liederbüchern enthaltene Lied „Dem, der uns liebt“ (Text, Melodie, Verwendung).


Andreas Liese: „Ein wirklicher Neuanfang? 75 Jahre Dortmunder Beschlüsse“. In: Die Gemeinde [79] (2024), Heft 20/21, S. 24–26.

Angesichts des Austritts vieler Brüdergemeinden aus dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden nach 1945 trafen sich im August 1949 Vertreter von Baptisten- und Brüdergemeinden in Dortmund zu einem „innerbündischen Gespräch“, um das Verhältnis der Brüdergemeinden zum Bund zu klären. Der Autor zeichnet Vorgeschichte und Folgen dieser Besprechung nach.


J(ohannes) Reimer: „Nee, Watchman (1903–1972)“. In: ELThG². Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. Neuausgabe. Hrsg. von Heinzpeter Hempelmann und Uwe Swarat in Verbindung mit Roland Gebauer, Wolfgang Heinrichs, Christoph Raedel und Peter Zimmerling. Band 3. Holzgerlingen (SCM R. Brockhaus) 2024. Sp. 894–896.

Im Rahmen seines knappen Überblicks über Watchman Nees Leben und Werk kommt der Autor zum Schluss auch auf den Einfluss der „Brüder“ und auf Nees kurzzeitige Verbindung mit ihnen zu sprechen.


Silvia Rodríguez de Chiappero: „Las Iglesias de los Hermanos Libres en Santa Fe (Argentina) en sus primeros 100 años (1893–1993). Miradas al rol de la mujer“. In: Protesta y Carisma 4 (2024), Heft 7. 20 Seiten (online).

Der Titel lautet übersetzt: „Die Freien [= Offenen] Brüdergemeinden in Santa Fe (Argentinien) in ihren ersten 100 Jahren (1893–1993). Ein Blick auf die Rolle der Frau“. Die Autorin kommt u.a. zu dem Schluss, „dass bezüglich der Rolle der Frau im öffentlichen Gottesdienst einige Fortschritte gemacht wurden, wenn auch nur vereinzelt“.


Michael Schneider: „‚Ich möchte warnen vor Prinzipienreiterei‘. Emil Dönges über ‚Gastzulassungen‘“. In: Zeit & Schrift 27 (2024), Heft 3, S. 25–31 (auch online).

Im Juli 1903 kam es zwischen Emil Dönges und einigen Dillenburger Geschlossenen Brüdern zu einer „erregten Diskussion über die Zulassung zum Tisch des Herrn“, die anschließend noch mehrere Monate brieflich fortgesetzt wurde. Über diesen bisher unveröffentlichten Briefwechsel berichtet der Artikel.


Michael Schneider: „‚So aktiv wie eh und je‘. Zum 200. Geburtstag von Peter Nippel“. In: Zeit & Schrift 27 (2024), Heft 4, S. 24–31 (auch online).

Peter Nippel, dessen Geburtstag sich am 4. Dezember zum 200. Mal jährte, ist aus der Geschichte der Brüderbewegung als Gründer der zweiten „Versammlung“ auf deutschem Boden (Tübingen 1849) bekannt. Der Artikel gibt erstmals einen Gesamtüberblick über sein durchaus abwechslungsreiches Leben.


Lothar Triebel: „Neue evangelikale Freikirche auf den Weg gebracht. Zusammenschluss von Baptisten und Brüdergemeinden vor dem Aus“. In: Zeitschrift für Religion und Weltanschauung 87 (2024), S. 368–376.

Im April 2024 beschlossen die Brüdergemeinden im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (ChristusForum) mit einer Mehrheit von gut 90 %, eigene Körperschaftsrechte anzustreben und damit aus dem BEFG auszutreten. Der Referent für Freikirchen am Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes in Bensheim analysiert diese Entwicklung.


HOCHSCHULSCHRIFTEN


Lovisa S. Bengtsson: Mediebevakningen av Plymouthbrödernas skola. En studie gällande representationen av Plymouthbrödernas skola i svenska tidningar mellan år 2004–2024. Seminararbeit, Jönköping University 2024. 65 Seiten (auch online).

Der schwedische Titel lautet übersetzt: „Medienberichterstattung über die Plymouth-Brethren-Schule. Eine Studie über die Darstellung der Plymouth-Brethren-Schule in schwedischen Zeitungen zwischen 2004 und 2024“. Es handelt sich um die Schule der Raven-Taylor-Symington-Hales-Brüder im südschwedischen Nyby.


James Isaac Fazio: John Nelson Darby and the Ruin of the Church: Tracing the Development of Darby’s Views Concerning the Present and Future State of the Church (1820–1840). PhD Thesis, Queen’s University Belfast 2024.

Über diese Dissertation liegen online außer dem Titel bisher keine Informationen vor. Doktorvater ist Crawford Gribben (s.o.).


Samuel Pagán: Odd Fellows: The Intersection of Arminianism and Calvinism in the Writings of Desmond Ford and F. F. Bruce. PhD Thesis. Seventh-day Adventist Theological Seminary, Andrews University, Berrien Springs, MI 2024. vi, 459 Seiten (auch online).

Desmond Ford (1929–2019) war ein australischer adventistischer Theologe, der bei dem Offenen Bruder F. F. Bruce in Manchester promovierte. Anschließend wurde ihm von adventistischer Seite vorgeworfen, er habe sich von Bruces „Calvinismus“ beeinflussen lassen.


Robert Crispin Revington: The Reception of Modern Biblical Scholarship in Britain in Popular Christian Writing. PhD Thesis, University of Toronto 2024. 298 Seiten (auch online).

Das erste Kapitel (S. 46–111) behandelt die Schriften Sir Robert Andersons, der zeitweise den Offenen Brüdern angehörte.


Enoch Wooseok Song: George Müller’s Missionary Pastoral Spirituality and Legacy Analysed from a Missiological Perspective. PhD Thesis, Presbyterian Theological Seminary in America, Santa Fe Springs, CA 2024. xxiv, 419 Seiten.

Das theologische Seminar, an dem diese Dissertation eingereicht wurde, ist mit der Korean Presbyterian Church Abroad verbunden. Dem Inhaltsverzeichnis nach zu urteilen wurde die Arbeit in koreanischer Sprache abgefasst.


Für Hinweise auf weitere, von mir übersehene Neuerscheinungen bin ich dankbar!

200. Geburtstag von Peter Nippel

nippel1855
Peter Nippel 1855

Peter Nippel gehört zu den Personen der Brüdergeschichte, die lange Zeit nicht viel mehr waren als ein Name: Man wusste, dass er um 1849 als Hauslehrer einer Schweizer Familie von Graffenried in Tübingen die zweitälteste deutsche Brüdergemeinde gegründet hatte, aber von seinem Leben davor und danach war kaum etwas bekannt.

Angesichts dieser Lücken hatte ich schon vor etlichen Jahren begonnen, weitere Recherchen über Nippel anzustellen. Im Sommer 2022 habe ich diese intensiviert und die Ergebnisse in der Herbstsitzung des Wiedenester Arbeitskreises „Geschichte der Brüderbewegung“ vorgestellt. Zum heutigen 200. Geburtstag Peter Nippels mache ich mein 50-seitiges Vortragsskript online zugänglich.

Hier einige ausgewählte neue Erkenntnisse:

  • Nippel studierte nicht nur in Halle, wie bisher angenommen, sondern auch in Tübingen und Zürich, und zwar drei verschiedene Fächer (nacheinander).
  • In den 1850er und 1860er Jahren pendelte er zwischen der Schweiz und England, bevor er sich 1866 endgültig in Neuchâtel niederließ.
  • 1855 korrigierte er auf Bitten John Nelson Darbys die Druckfahnen der Erstausgabe des Elberfelder Neuen Testaments.
  • Im selben Jahr heiratete er in Plymouth die Tochter des aus der Newton-Kontroverse bekannten Bruders James Ebenezer Batten (1803–1885). Einer der Trauzeugen war Darby persönlich.
  • Seinen Lebensunterhalt verdiente Nippel lange Zeit als Leiter eines Pensionats (kleines Privatinternat). Von 1886 bis 1907 war er Professor für englische Sprache und Literatur an der Académie de Neuchâtel (Vorläufer der heutigen Universität).
  • Im Alter scheint er sich von der Brüderbewegung abgewandt zu haben.

Ein 8-seitiges illustriertes Kondensat meines Vortrags erscheint auch in Heft 4/2024 von Zeit & Schrift; die digitale Version ist bereits verfügbar, mit dem Versand der gedruckten Ausgabe ist nächste Woche zu rechnen.

Brüderbewegung und Glaubenstaufe

taeuferbewegungVon 2020 bis 2025 feiern Baptisten und Mennoniten in einer großangelegten Veranstaltungsreihe „500 Jahre Täuferbewegung“.

Die „Brüder“ lassen sich wohl nur bedingt der „täuferischen Tradition“ zurechnen – die Geschlossenen Brüder eigentlich gar nicht (hier ist man sich ja noch nicht einmal über die Gläubigentaufe einig), und die Offenen Brüder haben das Thema Taufe ebenfalls nie so sehr in den Vordergrund gestellt bzw. zum identitätsstiftenden Merkmal erklärt wie die Gemeinden der Täuferbewegung. In der Wiege des Offenen Brüdertums, der Bethesda-Kapelle in Bristol, wurde die Gläubigentaufe zwar praktiziert, aber nicht zur Aufnahmebedingung gemacht,1 und dass sich Georg Müller 1843 von der Stuttgarter Baptistengemeinde trennte und mit einigen Gläubigen separat zusammenkam, lag gerade darin begründet, dass die Baptisten nicht nur „Ungetauften“ das Abendmahl verweigerten, sondern auch solchen, die – wie Georg Müller – weniger dogmatisch über die Tauffrage dachten als sie selbst.2

Dennoch sind auch aus „Brüder“-Kreisen wichtige Schriften zur Verteidigung der Gläubigentaufe hervorgegangen – Johannes Warns’ Buch Die Taufe von 1913 beispielsweise wurde geradezu zum Standardwerk und in seiner 2. Auflage 1922 sogar ins Programm des baptistischen Oncken-Verlags aufgenommen. Dass die Mehrheit der deutschen „Brüder“ 1941/42 keinen Grund sah, sich dem Zusammenschluss mit den Baptisten zu verweigern, zeigt ebenfalls, dass man sich in der Tauffrage durchaus als Verwandte betrachtete.

Der Arbeitskreis „Geschichte der Brüderbewegung“ nimmt diese Verwandtschaft zum Anlass für eine eigene Veranstaltung zum Thema „500 Jahre Glaubenstaufe“.3 Am Samstag, dem 1. März 2025 soll es ab 14 Uhr im Saal der Freien Brüdergemeinde Dillenburg-Manderbach u.a. um die Bedeutung der Täuferbewegung für das Brüdertum, um die Tauftheologie der „Brüder“ und um gegenwärtige Fragen zum Thema Taufe gehen. Referenten sind Dr. Andreas Liese (Bielefeld), Hartmut Wahl (Velbert), Hartwig Schnurr (Bonn) und Dr. Gerd Goldmann (Krefeld), die Leitung hat Lothar Jung (Dillenburg-Manderbach). Nähere Informationen finden sich in einem Flyer des Arbeitskreises.

Neuerscheinung: “Becoming J.N.D.”

becomingIn meinem Literaturbericht von 2021 hatte ich dieses Buch bereits für 2022 in Aussicht gestellt, nun hat es (aus vom Autor nicht zu verantwortenden Gründen) noch zwei Jahre länger gedauert: Max S. Weremchuks opus summum Becoming “J.N.D.”: The Early Ye‍ars of John Nelson Darby 1800–1829 ist endlich beim Verlag Southern California Seminary Press in El Cajon (Kalifornien) erschienen. Mir lag erfreulicherweise schon 2020 eine frühe Fassung vor, und ich kann versichern: Auf über 350 Seiten Text und ebenso vielen Seiten Anhang (die ursprünglichen Fußnoten wurden vom Verlag leider in Endnoten umgewandelt) dürfte nahezu jede Frage beantwortet werden, die man zu Darbys ersten 29 Lebensjahren stellen könnte. (Das noch nie gesehene Porträt auf dem Cover wurde übrigens vom Autor selbst gestaltet.)

Einige namhafte Forscher haben Empfehlungen zum Buch abgegeben:

becoming_stunt
Dr. Timothy C. F. Stunt, Autor von “From Awakening to Secession” (2000), “The Elusive Quest of the Spiritual Malcontent” (2015) und “The Life and Times of Samuel Prideaux Tregelles” (2020)
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Prof. Dr. Crawford Gribben, Autor von “Evangelical Millennialism in the Trans-Atlantic World, 1500–2000” (2011) und “J. N. Darby and the Roots of Dispensationalism” (2024)
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Prof. Dr. Willem J. Ouweneel, Autor von “Het verhaal van de ‘Broeders’” (1977/78), “Gij zijt allen broeders” (1980), “Eén is uw Meester” (1985) und “De ‘Vergadering van Gelovigen’” (2002)
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Dr. David J. MacLeod, Autor von “Walter Scott, A Link in Dispensationalism between Darby and Scofield?” (1996)

Informativ ist auch die knapp 10-minütige Vorstellung des Buches auf dem YouTube-Kanal Rev Reads von Shawn Willson.

Becoming “J.N.D.” ist am bequemsten über Amazon zu beziehen.

150. Geburtstag von Johannes Warns

warnsJubiläen sind immer gute Gelegenheiten, sich an die Lebensleistung bedeutender historischer Persönlichkeiten zu erinnern. Zum 150. Geburtstag des Wiedenester Bibelschullehrers und -leiters Johannes Warns hat Pastor i.R. Hartmut Wahl (Velbert) eine Würdigung verfasst, die ich exklusiv hier im Blog veröffentlichen darf.

Als biografische Hintergrundinformation zitiere ich einleitend Ernst Schrupps Artikel über Warns aus dem Evangelischen Lexikon für Theologie und Gemeinde, Bd. 3, Wuppertal (R. Brockhaus) 1994:

W[arns], geb. am 21.1.1874 in Osteel/Ostfriesland, gest. am 27.1.1937 in Wiedenest. Sohn eines Pfarrers in Ostfriesland und mütterlicherseits verbunden mit dem erwecklichen Pfarrer [Karl Gottlieb Georg] Trommershausen [1806–1888] in Wiedenest (Oberbergischer Kreis) erlebte W[arns] als Vikar zusammen mit seinem späteren Schwiegervater Pastor Chr[istoph] Köhler ([geb. 1860,] gest. 1922) in Schildesche bei Bielefeld eine Erweckung der dortigen Kirchengemeinde. 1905 folgten die beiden allianzgesinnten und missionswirksamen Männer dem Ruf an die neu gegründete Bibelschule für Innere und Äußere Mission nach Berlin, die 1919 nach Wiedenest verlegt und deren Leiter W[arns] dort wurde. In seinen Büchern und Schriften über Taufe (1913), Abendmahl (1917), Gemeindedienste und -Ordnung (1919) entfaltet W[arns] die Verbindlichkeit der Bibel für die örtliche Gemeinde.

Und nun hat Hartmut Wahl das Wort:


Zum 150. Geburtstag von Johannes Warns

Anfang des Jahres 1874, also vor 150 Jahren, kam in einem ostfriesischen Pfarrhaus ein Junge zur Welt, der bis heute in Europa einen Namen hat. Er lebte und wirkte auf vielen Gebieten als Christ und Lehrer, und er lebte nur 63 Jahre. Was er in dieser Zeit geleistet hat, das will ich uns in Erinnerung rufen (und ich bin sicher, dass ich nicht alles erfasst habe).

Johannes Warns war vor allem ein ganz lebendiger Christ. Seine Gottesbeziehung war ihm Lebenselixier. Täglich suchte er das Gespräch mit Gott. Er betete und las täglich seine Bibel. Er studierte sie. Dazu ließ er sich extra eine Bibel mit leeren Blättern binden („durchschießen“), auf die er seine Gedanken und Anmerkungen schrieb. (Das Exemplar findet man im Archiv in Wiedenest.)

Er war ein ständig Lernender, ein Leser vieler Bücher. Manche Bücher las er nicht nur einfach, sondern fertigte sich von ihnen Exzerpte an (auch davon gibt es im Wiedenester Brüder-Archiv Exemplare).

Ein ausgezeichneter Lehrer und Theologe war er, der die alten Sprachen – Latein, Griechisch und Hebräisch – gut beherrschte. Zum Lernen der griechischen Sprache, in der das Neue Testament geschrieben ist, gab er extra ein Lehrbuch heraus. Noch heute gibt es dieses Buch in erweiterter und ergänzter Auflage.

Er war ein beeindruckender Lehrer. Durch seine künstlerische Begabung übermittelte er manche biblischen Themen und Zusammenhänge seinen Schülern und Lesern anschaulich und sehr illustrativ. Er zeichnete zum Beispiel den Lebensgang Abrahams, den biblischen Festkalender, den Aufbau des Danielbuches und der Offenbarung, das Haus des Herodes, Stammbäume der biblischen Väter usw. Wer ein optischer Lerntyp war, hat bei ihm sicher sehr profitiert.

Johannes Warns war ein Künstler. Eigentlich wollte er Malerei studieren, und sicherlich wäre er kein schlechter Maler geworden. Das beweisen seine Gemälde und Zeichnungen. Allein in seinen Aufzeichnungen (die ich 2021 in zwei Bänden im jota-Verlag herausgegeben habe) findet man ganz viele Zeichnungen von ihm (und nur ein kleiner Teil davon ist in den beiden Bänden zu sehen!). Er malte auch für andere Autorinnen und Autoren. Für manche Bücher der damals sehr bekannten Schriftstellerin Kristina Roy steuerte er Bilder bei. Für das Herzbüchlein von Johannes E. Goßner und für das Buch von Franz Bartsch Unser Auszug nach Mittelasien zeichnete er. Für das Kinderbuch seiner Frau Aus dem Wunderland der Tiere gestaltete er viele Seiten, sodass es kinderfreundlich, farbig und bunt erschien (und immer wieder neu verlegt wird). Auch für sein Buch Russland und das Evangelium übernahm der Oncken-Verlag als Titel ein Gemälde von ihm. Johannes Warns hatte diese Szene von drei russischen Menschen auf einem Schlitten, die miteinander die Bibel lesen, in Öl gemalt. Überhaupt: Titel! Für etliche christliche Zeitschriften gestaltete er den Titel, zum Beispiel für die mennonitische Zeitschrift Friedensstimme, die slowakische Zeitschrift Svetlo (Licht), den Zions-Freund (einer judenchristlichen Mission), den Heilsruf (der Heilsarmee) bis zu seinen eigenen Zeitschriften, die er herausgab.

Herausgeber war er also auch. Er gab mehrere Zeitschriften heraus und ein Liederbuch. In ihm fanden sich auch Lieder aus seiner Feder. Auch eine dichterische Begabung hatte er. Doch als Liederdichter ist er nicht groß wahrgenommen worden.

Er war Autor. Das bekannteste und umfangreichste Buch ist sein Werk mit dem schlichten Titel Die Taufe, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Die baptistischen Gemeinden und vor allem ihre Prediger haben über einige Generationen hinweg dieses Buch als „ihr“ Buch angesehen. Theologisch und geschichtlich zeigt es die Taufauffassung, für die sie eintraten. Die ersten Christen, die Täufer der Reformationszeit und die Baptisten der Neuzeit tauften keine Säuglinge, sondern nur Erwachsene, die zum Glauben gekommen waren. Fundiert zeigt das Warns auf. Darum gab der baptistische Oncken-Verlag mehrere Auflagen heraus (und heute gibt es das Buch noch im jota-Verlag).

Johannes Warns war auch ein Geschichtsforscher. Er suchte und fand aus vergessener Zeit Dokumente zur Geschichte der Freikirchen (dazu wollte er ein Buch herausgeben), zur Geschichte der mittelalterlichen Täufer (die er in sein Taufbuch aufnahm), zur Geschichte der Stundisten in Russland (die man in seinem Russland-Buch lesen kann), zur Geschichte seiner Familie und zur Geschichte und Geographie der Länder, die er bereiste.

Denn er war ein begeisterter Reisender und Besucher vieler, vor allem osteuropäischer Länder, in denen seine Schüler lebten und missionierten. Zu ihnen hielt er persönliche und briefliche Kontakte. Er schrieb viele Briefe. Eine umfangreiche Korrespondenz pflegte er nicht nur mit seinen Schülern. Auch mit manchen christlichen Persönlichkeiten im In- und Ausland hatte er regen Briefkontakt. (Leider sind diese Briefe nicht mehr aufzufinden – sofern sie nicht in Zeitschriften und Büchern veröffentlicht worden sind.)

Johannes Warns gehörte zu den sehr gefragten und beliebten Predigern und Rednern auf Konferenzen im In- und Ausland. Er sprach auf fast allen Konferenzen der Offenen Brüdergemeinden in Berlin und Leipzig. Man hörte ihn auf etlichen Allianzkonferenzen in Bad Blankenburg. Er sprach in Holland, in England, in der Schweiz, in Ungarn, in Russland auf großen und kleinen christlichen Tagungen. Manche Ansprache wurde anschließend in einer Zeitschrift gedruckt. Und wieder handelte er als praktischer Lehrer. Er gab für seine Schüler ein Buch heraus: 500 Entwürfe zu biblischen Ansprachen (2008 neu aufgelegt). Zugleich zeigt das Buch, wie belesen Johannes Warns war, denn er zitiert hier aus vielen Werken anderer Autoren.

Er war ein Mann, der sich nicht scheute, in aller Öffentlichkeit zu missionieren. Mit anderen Brüdern zog er viele Jahre in Berlin in den Grunewald und hielt dort Evangelisationsversammlungen. Hier knüpfte er an eine eigene entscheidende Erfahrung an. Als Theologiestudent hatte er sich auf einer Versammlung der Heilsarmee bekehrt. Darum gehörte der Heilsarmee viele Jahre sein Wohlwollen. Doch mit den dort in aller Öffentlichkeit predigenden Frauen hatte er als Mann seiner Zeit Probleme und wurde darum nicht Mitglied. Ansonsten aber schätzte er viele christliche Frauen, die sich für die Mission engagierten. Allen voran pflegte er gute Kontakte zu Toni von Blücher, aber auch zur Gräfin von Pfeil in Berlin und zur Gräfin Irma Lázár in Rumänien.

Johannes Warns war ein sehr kontaktfreudiger Mensch. Sein Zuhause, ob in Berlin oder dann in Wiedenest, war immer ein offenes Haus. Viele Gäste lud er ein und bewirtete sie – wobei natürlich vor allem seine Frau Annemarie die Gastfreundschaft ermöglichte. Sie stand ihm bei. Johannes Warns widmete sich seinen Gästen, nahm sie in seinen Unterricht mit, auf Exkursionen mit den Bibelschülern und diskutierte mit ihnen. Einige Gäste blieben sogar auf längere Zeit, besonders Christen, die auf Grund der Verfolgungen in der Sowjetunion nach Wiedenest geflohen waren.

Was Johannes Warns leistete, hatte er auch seiner ungemein tüchtigen Ehefrau zu verdanken. Sie übersetzte für ihn (ins Französische), gab eine Zeitschrift mit ihm heraus und gebar ihm neun Kinder. Sie pflegte ihn, wenn er krank war, sie sorgte dafür, dass er ungestört lesen und schreiben, malen und zeichnen konnte. Zu seinem 150. Geburtstag darf man sie nicht vergessen. Sie war ein ganz wesentlicher Teil seines Lebens und Wirkens. Doch zum 150. Geburtstag wollte ich aus seinem reichen Leben berichten.

Selbstverständlich war Johannes Warns kein unfehlbarer Mensch. Er hatte seine Fehler und irrte – wie auch wir. So gäbe es auch manche kritische Anmerkung, die ich ihm nachrufen könnte. Doch zu seinem Jubiläum sollen meine Zeilen vor allem ein Dank an Gott sein, der diesen hochbegabten, engagierten Mann für sein Werk gewinnen konnte. Vor 150 Jahren hat Gott ihm das Leben geschenkt und ihn dann in seinen Dienst und durch ihn viele Menschen zu einem fröhlichen Glaubensleben gerufen. Dass er nur 63 Jahre alt wurde, war auch in seinem Lebensstil begründet. Er brannte für Gott und brannte schneller aus als andere. Aber er brannte lichterloh und gab für Gott seine ganze Kraft und sein ganzes Können. Von ihm beeindruckt zu sein, heißt auch heute noch nach 150 Jahren von Gott gepackt und begeistert zu werden! Was für ein großer Mann Gottes!

Hartmut Wahl