Neuerscheinungen zur Brüderbewegung 2018

Auch am Ende dieses Jahres möchte ich wieder die in den letzten zwölf Monaten erschienenen Veröffentlichungen zur Brüderbewegung übersichtlich zusammenstellen und kurz kommentieren bzw. einordnen. (In die Bibliografie von 2017 habe ich übrigens inzwischen etliche Nachträge aufgenommen; siehe die Bücher von Aharonian, Azimioara, Burness, Kearney und Revie sowie die Aufsätze von Cone/Fazio, Hempelmann/Swarat, Beugen, Grass, Kirkpatrick, Kramer, Liese und Ponzer.)


BÜCHER


akenson2Donald Harman Akenson: Exporting the Rapture. John Nelson Darby and the Victorian Conquest of North-American Evangelicalism. New York (Oxford University Press) 2018. xiv, 505 Seiten.

Nach seinem fulminanten Buch Discovering the End of Time (2016), in dem der amerikanische Profanhistoriker und Irlandspezialist Donald Akenson die Anfänge des „apokalyptischen Millennialismus“ im Irland des frühen 19. Jahrhunderts nachzeichnete, legt er nun den zweiten Teil einer geplanten Trilogie vor, in dessen Mittelpunkt die Ausbreitung dieser Idee in Großbritannien steht (noch nicht so sehr in Amerika, wie der Untertitel suggeriert – dies wird vermutlich erst Thema des dritten Teils sein).

In beiden Bänden nimmt die Biografie John Nelson Darbys breiten Raum ein, wobei der Autor immer wieder auch Seitenpfade einschlägt, die mit dem übergeordneten Thema eigentlich wenig zu tun haben, aber doch äußerst spannend zu lesen sind – zumal Akenson sich nie mit dem aus der Brüdergeschichtsschreibung bereits Bekannten zufriedengibt, sondern vieles kritisch hinterfragt und manches Neue zutage fördert. So widmet er im ersten Band mehrere Seiten der Beziehung Darbys zu Lady Powerscourt, im zweiten Band ein ganzes Kapitel der Bagdad-Mission von Groves und seinen Freunden (an der Darby gar nicht beteiligt war) und wiederum mehrere Seiten und einen Anhang dem vor einigen Jahren wiederentdeckten Pamphlet A Statement of Facts (1857), in dem Darby eine unangemessene Beziehung zu einer Fünfzehnjährigen unterstellt wird. Selbstverständlich kommen aber auch alle wichtigen Ereignisse der Brüdergeschichte (bis ca. 1870) ausführlich zur Sprache, darunter Darbys Tätigkeit in der Schweiz (1837–44), die Trennungen in Plymouth und Bethesda (1845/48) und die Kontroverse über Darbys Sufferings of Christ (1866).

Akenson schreibt nicht aus christlicher, sondern aus rein säkularer Perspektive. Wer ein erbauliches Buch sucht, das die „Lehre der Brüder“ bestätigt und verteidigt, wird hier also nicht fündig werden; wer dagegen an der vorurteilsfreien Suche nach historischer Wahrheit interessiert ist, wird dieses Werk mit Gewinn lesen. Dazu trägt auch der brillante Stil des Autors bei, den der Verlag schon beim ersten Band mit Recht als „zugleich gelehrt, unterhaltsam und humorvoll“ (at once erudite, conversational, and humorous) charakterisierte.

Crawford Gribben führte im November ein 34-minütiges Interview mit dem Autor, das auf der Website New Books Network nachgehört werden kann.


Bert Cargill / James Brown: Trailblazers and Triumphs of the Gospel. “Making Disciples of all Nations”. Brief accounts of some of those who pioneered with the Gospel in several countries and of some great revivals in recent times. Christian Heritage Series 2. Kilmarnock (Ritchie) 2018. 233 Seiten.

Der Band enthält Lebensbilder und Episoden aus der Missionsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, die zuerst 2013–16 als Artikelserie im Believer’s Magazine erschienen. Von Relevanz für die Brüderbewegung sind vor allem die Kapitel über Anthony Norris Groves (S. 37–44), Friedrich Wilhelm Baedeker (S. 80–87), Leonard Strong (S. 117–120), Stuart Edmund McNair (S. 122–124), William Williams (S. 125–127) und die „Operation Auca“ (S. 128–136).


Van Costen (Hrsg.): The Last Days of James Butler Stoney (1895–1897). Chesapeake, VA (Hold Fast What Thou Hast) 2018. 294 Seiten.

Im einleitenden Teil (S. 17–61) sind Erinnerungen von Stoneys Tochter Anna Maria Elizabeth abgedruckt („‘From Glory to Glory’ (2 Corinthians 3:18). The Closing Days of James B. Stoney (1895–1897). A Record kept by His Daughter“), im Hauptteil (S. 63–288) fünfzig „Meditations and Papers“, die Stoney in den letzten fünfzehn Monaten seines Lebens schrieb oder diktierte. Den Abschluss bilden ein kurzer Bericht über Stoneys Beerdigung und zwei Briefauszüge von Coates und Raven (S. 289–294).


btbNeil Dickson / T[homas] J. Marinello (Hrsg.): Bible and Theology in the Brethren. Studies in Brethren History. Glasgow (Brethren Archivists and Historians Network) 2018. xiv, 277 Seiten.

Der fünfte Band der Reihe Studies in Brethren History versammelt die Vorträge der BAHN-Konferenzen von 2013 und 2015:

James M. Houston: „Bible Reading Through the History of the Church (S. 5–14)
Neil Dickson: „Worn Symbols: Women’s Hair and Head Coverings in Brethren History“ (S. 17–38)
Dirk Jongkind: „Samuel Prideaux Tregelles: A Nineteenth-Century Evangelical Apology for New Testament Textual Criticism (S. 39–50)
Beth Dickson: „In the World and of It Too: Bible or Culture? The Role of Women in Brethren Assemblies, 1880–1940 (S. 51–67)
Roger N. Holden: „‘You have to go by Scripture’: Taylorite Exclusive Brethren, the Bible, and the Holy Spirit (S. 69–86)
Kovina Mutenda: „The Brethren and the Bible in Central Africa (S. 87–94)
Alan Millard: „Brethren and Biblical Scholarship in Britain in the Twentieth Century (S. 95–105)
Tórður Jóansson: „Victor Danielsen (1894–1961): Teacher – Translator – Evangelist (S. 107–113)
Ian Randall: „Wilfred James Wiseman (1891–1970): The Bible Society and the Brethren (S. 115–131)
Tim Grass: „F. F. Bruce and the Bible (S. 133–144)
T. J. Marinello: „Use of the Bible among the New Brethren in Flanders (S. 145–154)
Mark R. Stevenson: „The Brethren and Systematic Theology: Outspoken Objectors; Unconscious Practitioners (S. 157–169)
Neil Summerton: „The Theology of George Müller (S. 171–202)
Anne-Louise Critchlow: „William Kelly and his Mystic Spirituality (S. 203–211)
Neil Dickson: „A Darbyite Mystic: Frances Bevan (1827–1909) (S. 213–247)
Roger N. Holden: „‘I do not know that there is such a term in Scripture as eternal sonship’: James Taylor and the Question of the Eternal Son (S. 249–277)


Peter Herriot: The Open Brethren. A Christian Sect in the Modern World. Cham (Palgrave Macmillan) 2018. xi, 194 Seiten.

Untersuchungen eines emeritierten Psychologieprofessors über den konservativen Flügel der britischen Offenen Brüder (“Tight Open Brethren”), den er für ein „archetypisches Beispiel des Fundamentalismus“ hält. Der Autor stammt ursprünglich selbst aus der Brüderbewegung, ist heute aber „liberaler Methodist“.


introvigneMassimo Introvigne: The Plymouth Brethren. New York (Oxford University Press) 2018. x, 141 Seiten.

Introvigne ist ein italienischer Religionssoziologe, der sich seit Jahren für „diskriminierte“ religiöse Minderheiten jedweder Couleur einsetzt, so auch für die Raven-Taylor-Symington-Hales-Brüder. Bereits 2007 legte er gemeinsam mit dem ehemaligen Offenen Bruder Domenico Maselli (1933–2016) das Buch I Fratelli. Una critica protestante alla modernità („Die Brüder. Eine protestantische Kritik der Moderne“) vor, auf dem der nun erschienene Band in weiten Teilen basiert. Die erste Hälfte ist der Geschichte der Brüderbewegung bis 1848 gewidmet, die zweite Hälfte den verschiedenen Gruppierungen der Geschlossenen Brüder mit Schwerpunkt auf den Raven-Taylor-Symington-Hales-Brüdern (die sich seit 2012 offiziell „Plymouth Brethren Christian Church“ [PBCC] nennen).

Introvignes Ansatz ist primär soziologisch, nicht theologisch; in letzterer Hinsicht lässt sein Buch manches zu wünschen übrig, wie Timothy Stunt und Neil Dickson in ihrer Rezension in BHR 2018 (s.u.) an mehreren Beispielen gezeigt haben. Auch historisch enthält das Werk etliche Fehler, auf die der Autor teilweise schon nach Erscheinen der italienischen Erstfassung 2007 aufmerksam gemacht wurde. Als deutscher Leser stolpert man z.B. über folgende Darstellung (S. 74):

Others went even further in their condemnation of Raven and separated from the Brethren III, accusing them of maintaining elements of the Raven system. They included Rudolf Brockhaus, the son of the most influential German leader of the Brethren, Carl Brockhaus. Some 600 members of his ‘Alte Elberfelder’ Brethren still exist in Germany, and their conferences attract several thousand sympathisers.

Hier wird also behauptet, Rudolf Brockhaus und andere hätten sich von den Brethren III getrennt (Introvigne benutzt das veraltete, willkürliche Nummerierungssystem des United States Census Bureau, das die Lowe-Continental-Brüder als Brethren III führte), und von dieser Gruppe gebe es heute noch 600 Mitglieder in Deutschland. Wie der Autor auf diese völlig aus der Luft gegriffenen Aussagen kommt, bleibt unerfindlich.

Wenn Introvigne in Fußnoten auf Quellen hinweist, sind die Angaben nicht immer zuverlässig (manche Erscheinungsorte sind falsch oder erfunden – Internetquellen werden wie Druckwerke zitiert, z.B. eine auf bruederbewegung.de wiederveröffentlichte Broschüre von Alfred Wellershaus mit dem Erscheinungsort Gütersloh!). Wiederholt wird auch pauschal auf ganze Bücher (ohne Seitenangabe) verwiesen, die die im Text aufgestellten Behauptungen gar nicht enthalten. Stunt nennt Introvignes “approach to scholarship” deshalb “astonishingly capricious” und das Buch “a sloppy and imprecise piece of work”.

Noch schwerer wiegt vielleicht die Kritik an der distanzlosen Darstellung der Raven-Taylor-Symington-Hales-Brüder, deren Binnensicht der Autor völlig übernimmt und die er gegen alle Vorwürfe verteidigt (z.B. in Sachen Absonderung von „ungläubigen“ Familienangehörigen, Gemeinnützigkeit, Prozessfreudigkeit). Von Seiten der „PBCC“ wird das Buch daher in Zukunft ohne weiteres für PR-Zwecke eingesetzt werden können (so wie früher die Arbeiten des Soziologen Bryan R. Wilson). Dass einer der renommiertesten Wissenschaftsverlage der Welt ein solches Werk in sein Programm aufgenommen hat, erscheint kaum nachvollziehbar.

Eine etwas wohlwollendere, die Mängel aber ebenfalls benennende Rezension von Crawford Gribben findet sich auf der Website Reading Religion.


ironsidebwHenry Allen [recte Allan] Ironside: Die Brüderbewegung – ein historischer Abriss. Aus dem Englischen von Günther Schwalb und Alois Wagner. Bielefeld (CLV) 2018. 352 Seiten.

Über 75 Jahre nach Erscheinen der amerikanischen Originalausgabe (1942) wurde nun eine deutsche Übersetzung von Ironsides Historical Sketch of the Brethren Movement vorgelegt. Den neuesten Forschungsstand wird man daher nicht erwarten dürfen, wohl aber eine knappe, gut lesbare, relativ unparteiische (aber auch nicht standpunktlose) Darstellung der ersten hundert Jahre der Brüderbewegung mit Schwerpunkt auf dem englischen Sprachraum.

Gegenüber der Originalausgabe wurden über 500 Fußnoten mit historischen, biografischen, bibliografischen und sonstigen Hintergrundinformationen hinzugefügt (was zusammen mit dem großzügigen Zeilenabstand dazu führte, dass die deutsche Ausgabe um 60 % umfangreicher ist als die englische). Die meisten dieser Fußnoten sind hilfreich, manche aber auch etwas redundant, da mehrmals in identischer Form wiederholt (so z.B. die Publikationsliste Belletts zweimal in den Fußnoten 31–34 und 484, die Biografie Robert T. Grants dreimal in den Fußnoten 221, 251 und 362 oder die Publikationsliste Walter Scotts viermal in den Fußnoten 285, 403, 414 und 441). Einige längere Fußnoten wurden leider ohne Quellenangabe aus anderen Werken abgeschrieben (so die Fußnote 49 über Darbys Bibliothek aus Max S. Weremchuks John Nelson Darby und die Anfänge einer Bewegung, S. 63, oder die Fußnoten 324–325 über Frederick E. Raven aus Wikipedia).

Das Buch steht beim Verlag zum kostenlosen Download zur Verfügung, aber der Kauf der gedruckten Version lohnt sich allein schon wegen des bibliophil gestalteten Umschlags (Klappenbroschur; innen Porträts, Zitate und ein Manuskriptfaksimile). Eine Rezension von Gerrit Alberts (der auch das Vorwort zum Buch schrieb) erschien in fest und treu 1/2018, S. 22f. Lesenswert ist auch die Rezension von Hanniel Strebel auf amazon.de.


Edwin O. P. Mutton: History of the “Little Flock Hymn Book” and its Authors. Editing and Layout by W. S. Chellberg. Wheaton, IL (Bibles, etc.) 2018. 88 Seiten.

Kompaktes Nachschlagewerk zum Liederbuch Hymns and Spiritual Songs for the Little Flock in der von James Taylor jun. besorgten Ausgabe von 1962. (Der Autor gehört allerdings einer der 1970 von Taylor abgefallenen Brüdergruppen an.)


Carl-Erik Sahlberg: George Müller – ett liv i bön och tro. Värnamo, Schweden (Semnos Förlag) 2018. 92 Seiten.

Übersetzung des Untertitels: Ein Leben in Gebet und Glauben.


schnurrwarnsJohannes Warns: Gemeinde nach dem Neuen Testament. Schriften zur Gemeindefrage mit acht unveröffentlichten Manuskripten. Hrsg. von Hartwig Schnurr. edition Forum Wiedenest. Muldenhammer (Jota) 2018. 348 Seiten.

Im ersten Teil dieses Sammelbandes sind acht bisher unveröffentlichte Aufsätze abgedruckt, in denen sich Johannes Warns (1874–1937), der erste Leiter der Bibelschule Wiedenest, kritisch mit der Ekklesiologie der Geschlossenen Brüder auseinandersetzt: „Darbys Lehre über das große Haus und den Verfall der Kirche“ (S. 10–47), „Versammelt im Namen Jesu“ (S. 48–66), „Gemeinde oder Versammlung?“ (S. 67–77), „Aufnahme und Gemeinschaft“ (S. 78–90), „Gaben und Dienste“ (S. 91–112), „Die Gemeindezucht“ (S. 113–137), „Der Tisch des Herrn“ (S. 138–168) und „Die sogenannte Haushaltstaufe“ (S. 169–174). Im zweiten Teil folgen die bereits zu Warns’ Lebzeiten gedruckten Schriften „Georg Müller und John Nelson Darby“ (S. 176–224; ergänzt durch einen Briefwechsel zwischen Rolf Brockhaus und Johannes Warns, S. 225–231), „Die Kindertaufe“ (S. 232–251), „Gedanken über eine schriftgemäße Abendmahlsfeier“ (S. 252–291), „Kennt das Neue Testament die Bedienung einer örtlichen Gemeinde durch einen einzelnen Prediger?“ (S. 292–312) und „Grenzen der Schriftauslegung“ (S. 313–340). Abgerundet wird der Band durch einen Nachruf auf Johannes Warns von Erich Sauer (S. 342–348).

Eine erste Rezension (von Matthias Schmidt) erschien im Wiedenester Magazin Offene Türen.


AUFSÄTZE


Heft 13 (2017) der Brethren Historical Review erschien erst Ende Januar 2018 und wird daher auch erst in dieser Bibliografie berücksichtigt. Es enthält (neben etlichen Rezensionen) die folgenden Beiträge:

Roger N. Holden: „Are We Worshipping at the Right Shrine? Fitzwilliam Square, Dublin (S. 1–5)
Timothy C. F. Stunt: „An Early Forgotten Letter by J. N. D. (S. 6–8)
David Brady: „David Walther (1794–1871) and His Family: With a Catalogue of Walther’s Known Publications (S. 9–58)
Timothy C. F. Stunt: „John William Peters (1791–1861): Some Clarifications (S. 59–74)
Christina Evangelina Lawrence: „Carter’s Kitchen: ‘Extraordinary tea drinkings for the starving poor.’ (S. 75–94)
Roger Shuff: „Romantic Affinities: A Brethren-tinted Perspective on the Spiritual Journey of John Ruskin (S. 95–107)
Alastair J. Durie: „A Morningside Brethren Meeting. The Old Schoolhouse (S. 108–132)
Michael Ward Thompson: „George Ward Ainsworth (1882–1938): Brethren Evangelist (S. 133–141)
Ian Wallace: „Peter Brandon (1925–2015) (S. 158–164)
Graham Rand: „John Samuel Andrews (1926–2016) (S. 164–167)
Ulrich Brockhaus: „Gerhard Jordy (1929–2017) (S. 167–169)
Carl E. Armerding: „Ian S. Rennie (1929–2015) (S. 170–174)
Tórður Jóansson: „Zacharias Zachariassen (1935–2017) (S. 175–180)
Neil Dickson: „Alastair J. Durie (1946–2017) (S. 180f.)

Von Interesse sind besonders die Artikel von Holden (über den Ort des ersten Brotbrechens in Dublin: nach seinen Recherchen das Haus Fitzwilliam Square 45), Brady (über den Autor und Verleger David Walther, von dem bereits 1850 in Düsseldorf die von Poseck übersetzte Schrift Die Persönlichkeit des Trösters erschien) und Brockhaus (Nachruf auf Gerhard Jordy, in kürzerer Form auch in AGB aktuell 7/2017, S. 2 veröffentlicht).


bhr2018Heft 14 (2018) der Brethren Historical Review folgte dann im „richtigen“ Jahr. Enthalten sind (wieder abgesehen von den Rezensionen) nachstehende Aufsätze:

Timothy C. F. Stunt: „Robert Nelson (1798–1895): Administrator, Judge, and Plymouth Brother (S. 1–15)
Vijaya Raju Bandela: „The Brethren Movement in Andhra (S. 16–46)
Timothy C. F. Stunt: „A Note Concerning Hannah Kilham Burlingham (1842–1901) (S. 47–54)
Sylvain Aharonian: „The Open Brethren Movement in France (S. 55–77)
Rose Dowsett: „Brethren Listed in the CIM Register, 1865–1948 (S. 78–88)
Dániel Kovács: „The Hungarian Brethren Movement: History, Nature, and Outlook (S. 89–119)
Crawford Gribben: „The Church of God in Belfast: Needed Truth, the Vernalites, and the Howard Street Christians, 1890–1924 (S. 120–148)
Timothy C. F. Stunt / Neil Dickson: „The Plymouth Brethren: A Review Article (S. 149–156)
Michael Schneider: „New Writing on Brethren History (S. 157–164)
Ruth Collins: „Stephen Somerset Short (1920–2018) (S. 193–200)

Der Beitrag von Aharonian ist eine Zusammenfassung seines in der vorigen Bibliografie verzeichneten Buches von 2017, der Beitrag von Kovács eine Zusammenfassung seiner Wiedenester Abschlussarbeit von 2014, der Beitrag von Stunt und Dickson eine Rezension des oben genannten Buches von Introvigne.


christianhistory128Ausgabe 128 der amerikanischen Zeitschrift Christian History (erschienen im November 2018) war ganz dem Thema „Living on a prayer: George Müller, the Brethren, and faith missions“ gewidmet. Die einzelnen Artikel:

Roger Steer: „Delighted in God. The prayer-full, faith-full life of George Müller (S. 6–12)
George Müller: „Nothing but the blood of Jesus (S. 13)
Philip Thomas: „A substantial work. How God led Müller to provide homes for children (S. 14–17)
Dan Graves: „Even the wind obeyed. George Müller’s testimony of 50,000 answered prayers (S. 18–20)
George Müller: „‘Ready to do the Lord’s will’. How to ascertain the will of God, according to Müller (S. 21)
The Christian History Timeline: From orphans to martyrs. The influence of Müller, his friends, his movement was long-lasting (S. 22f.)
Tim Grass: „Müller and friends. The development of the Brethren (S. 24–28)
Robert Bernard Dann: „The ‘simple standard of God’s word’: Anthony Norris Groves (S. 29)
Lisa Nichols Hickman: „‘Thus far the Lord has helped us’. How Hudson Taylor learned to live by faith (S. 30–33)
Roger Robins: „Caught up to meet Jesus in the clouds. John Nelson Darby’s view of the last things (S. 34–36)
Jennifer Boardman: „For the love of God’s Word. A legacy of Brethren influence (S. 37–40)
[Jennifer Woodruff Tait / Phil Thomas:] „A Christian organization with integrity (S. 41)
Recommended resources (S. 42f.).

Das Heft kann kostenlos online gelesen und auch heruntergeladen werden.


Howard Barnes: „Sir Robert Anderson (1841–1918)“. In: Precious Seed 73 (2018), Heft 1, S. 22f.

Lebensbild des bekannten Autors, der in leitender Stellung bei Scotland Yard tätig war und zeitweise den Offenen Brüdern nahestand. Erschienen aus Anlass des 100. Todestages am 15. November 2018 (auch online).


John Bennett: „Robert Eugene Sparks 1844–1918“. In: Precious Seed 73 (2018), Heft 3, S. 28.

Der laut Artikel selbst im englischen Sprachraum heute kaum noch bekannte Sparks war von 1894 bis 1918 Mitherausgeber der Missionszeitschrift Echoes of Service. Das Lebensbild erschien zum 100. Todestag am 18. Oktober 2018 (auch online).


John Dennison: „The Seam of Light: The Bible, the Gospel Hall, the Poet“. In: Journal of New Zealand Literature 36 (2018), Heft 2, S. 160–169.

Autobiografische Notizen eines neuseeländischen Dichters (* 1978), der unter den Offenen Brüdern aufwuchs.


Neil Dickson: „‘Sweet feast of love divine’“. In: Partnership Perspectives 63 (Summer 2018), S. 47–51.

Kurzer Artikel über Abendmahlsverständnis und -praxis der „Brüder“ (auch online). Der Titel ist der Beginn eines Liedes von Sir Edward Denny, das ins Liederbuch der britischen Offenen Brüder Eingang fand (aber offenbar nicht in das der Geschlossenen).


Neil Dickson: „Brethren and their Buildings“. In: The Chapels Society Journal 3 (2018), S. 24–40.

Über Versammlungshäuser der britischen „Brüder“ (offen wie geschlossen) in Vergangenheit und Gegenwart.


Andi Fett: „Steinsturz vom Dom“. In: ders.: Steseloffe. 9 Vorlesegeschichten für junge Leute. Limm & Nies 6. Bielefeld (CLV) 2018. S. 5–13.

Julius Anton von Posecks Bekehrung und die Entstehung seines Liedes „Auf dem Lamm ruht meine Seele“ für Kinder nacherzählt.


Liselotte Frisk / Sanja Nilsson: „Raising and Schooling Children in the Plymouth Brethren Christian Church: The Swedish Perspective“. In: Liselotte Frisk / Sanja Nilsson / Peter Åkerbäck: Children in Minority Religions. Growing up in Controversial Religious Groups. Sheffield/Bristol (Equinox) 2018. S. 333–361.

Wie in mehreren anderen Ländern haben die Raven-Taylor-Symington-Hales-Brüder auch in Schweden eine Privatschule gegründet, die zurzeit von ca. 50 Kindern besucht wird. Der Aufsatz untersucht Erziehung und Schulbildung dieser Kinder, insbesondere mit Blick auf das Prinzip der „Absonderung“.


Crawford Gribben: „Continuities and disjunctions in evangelical thinking about the last things“. In: Partnership Perspectives 62 (Spring 2018), S. 46–52.

Über die calvinistischen Hintergründe des Dispensationalismus (auch online). Die frühen „Brüder“ waren laut Gribben die „young, restless Calvinists“ des 19. Jahrhunderts.


Franklin S. Jabini: „Plymouth Brethren“. In: Encyclopedia of Christianity in the Global South. Hrsg. von Mark A. Lamport. Lanham, MD (Rowman & Littlefield) 2018. Bd. 2, S. 641f.

Lexikonartikel über die Brüderbewegung mit Schwerpunkt auf dem Globalen Süden.


Andreas Liese: „Deportiert nach Theresienstadt. Zum 75. Todestag von David Kogut“. In: Zeit & Schrift 21 (2018), Heft 6, S. 26–29.

Erstes Lebensbild des im KZ Theresienstadt umgekommenen Judenchristen David Kogut (1877–1943), der den Geschlossenen Brüdern angehörte (auch online).


Gabriele Naujoks: „‚Das Leben ist für mich Christus‘. Zum 175. Geburtstag von Alexander Hume Rule“. In: Zeit & Schrift 21 (2018), Heft 2, S. 28–35.

Lebensbild eines schottisch-amerikanischen Evangelisten und Lehrers der Lowe-Brüder (1843–1906). Bereits im Mai 2018 hier im Blog vorgestellt (auch online).


John Piper: „Georg Müller. Eine Strategie, Gott zu zeigen – Glauben in Einfalt, Gottes Wort, Genüge in Gott“. In: ders.: Vereint im Vertrauen. Die Frucht siegreichen Glaubens im Leben von Charles Spurgeon, Georg Müller und Hudson Taylor. Aus dem Englischen von Alois Wagner. Bielefeld (CLV) 2018. S. 103–138.

Lebensbild Georg Müllers mit Schwerpunkt auf seinem Calvinismus (wie bei diesem Autor zu erwarten). Die Bethesda Chapel in Bristol wird als „eine Art unabhängige, calvinistisch geprägte Gemeinde“ bezeichnet, „die ein zukünftiges Tausendjähriges Reich auf Erden erwartete, das Mahl des Herrn wöchentlich feierte und auch Menschen ohne Glaubenstaufe als Gemeindeglieder aufnahm“ (S. 103f.), ohne dass die Zugehörigkeit zur Brüderbewegung auch nur erwähnt würde. Das Buch steht zum kostenlosen Download zur Verfügung.


Dave Porsche: „Brüdergemeinden – wo geht es hin?“ In: Perspektive 17 [recte 18] (2018), Heft 3, S. 44f.

Der Autor befürchtet, dass Brüdergemeinden aussterben werden, und zeigt sechs Symptome dafür auf (wenig Nachwuchs in Leitungsverantwortung und vollzeitlichem Dienst, wenig Innovationsbereitschaft, wenig neue Lieder, kaum neue Gemeinden, Zufriedenheit mit dem Status quo).


Martin von der Mühlen: „Eine kritisch-konstruktive Ergänzung zum Artikel ‚Brüdergemeinden – wo geht es hin?‘ von Dave Porsche in der ‚Perspektive‘ 3/18“. In: Perspektive 17 [recte 18] (2018), Heft 5, S. 26f.

Der Verfasser kritisiert die Ausführungen Porsches als einseitig und verallgemeinernd und ruft dazu auf, alle Generationen (und nicht nur die junge) im Blick zu behalten.


Bogdan Emanuel Răduţ: „Reflecţii privind impactul celui de-al Doilea Război Mondial asupra Asociaţiei Religioase ‚Creştinii după Evanghelie‘“. In: Arhivele Olteniei NS 32 (2018), S. 125–134.

Über die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf die Brüdergemeinden in Rumänien (auch online).


Barbara Schieb / Jutta Hercher: „Aktion ‚Arbeitsscheu Reich‘ im Juni 1938“. In: 1938. Warum wir heute genau hinschauen müssen. Hrsg. von Barbara Schieb und Jutta Hercher. Mit einem Vorwort von Klaus von Dohnanyi. München (Elisabeth Sandmann) 2018. S. 146f.

Kurzes Porträt des Judenchristen Kurt Seelig (1887–1954), der der „Christlichen Versammlung“ angehörte und im Juni 1938 zwei Wochen im KZ Buchenwald inhaftiert war.


Ian F. Shaw: „‘This Way of Living’: George Müller and the Ashley Down Orphanage“. In: Foundations: An International Journal of Evangelical Theology 75 (November 2018), S. 73–92.

Über Georg Müllers Waisenhausarbeit in Bristol (auch online).


Mark R. Stevenson: „The Brethren and Systematic Theology: Outspoken Objectors; Unconscious Practitioners“. In: Reflections from the Emmaus Road. Essays in Honor of John H. Fish III, David A. Glock, and David J. MacLeod. Hrsg. von Franklin S. Jabini, Raju D. Kunjummen und Mark R. Stevenson. Dubuque, IA (Emmaus Bible College) 2018. S. 112–131.

Über das zwiespältige Verhältnis der „Brüder“ zur Systematischen Theologie.


Timothy C. F. Stunt: „The Formation of a Seceder. John Nelson Darby at Trinity College, 1815–1819“. In: A Flight of Parsons. The Divinity Diaspora of Trinity College Dublin. Hrsg. von Thomas P. Power. Eugene, OR (Pickwick) 2018. S. 41–59.

Überlegungen zur Frage, welchen Einfluss das Studium am Trinity College (Dublin) auf Darbys geistige und geistliche Entwicklung hatte.


Helga Völkening: „Christliche Gemeinde Potsdam-Babelsberg (Brüdergemeinde)“. In: Glaube in Potsdam. Band I: Religiöse, spirituelle und weltanschauliche Gemeinschaften. Beschreibungen und Analysen. Hrsg. von Johann Hafner, Helga Völkening und Irene Becci. Baden-Baden (Ergon) 2018. S. 436–450.

Porträt der 1993 gegründeten „blockfreien“ Brüdergemeinde in Potsdam-Babelsberg mit folgenden Schwerpunkten: 1. Entstehung und Entwicklung; 2. Gebäude und Lage; 3. Gottesdienst, Ritual, Zusammenkunft; 4. Gemeinschaftsleben und Gruppen; 5. Mitgliedschaft; 6. Außenbeziehungen. Die Darstellung beruht auf Interviews mit der Gemeindeleitung und wurde von dieser gegengelesen. Der Einleitungsteil über die Brüderbewegung insgesamt enthält allerdings etliche Fehler (z.B. Darby habe an der ersten Versammlung in Dublin teilgenommen, 1842 seien die ersten „exklusiven“ Versammlungen in Württemberg und im Rheinland gegründet worden, das Verbot 1937 sei wegen der Organisationslosigkeit erfolgt, die größten deutschen Brüdergemeinden befänden sich in Bad Endbach und Düsseldorf!).


Hartmut Wahl: „Vergesst eure Lehrer nicht! War Karl von Rohr-Levetzow am Widerstand gegen Hitler beteiligt?“ In: Perspektive 17 [recte 18] (2018), Heft 5, S. 31f.

Erste Erkenntnisse über den Offenen Bruder Karl von Rohr-Levetzow (1878–1945), der bis 1939 BfC-Reisebruder war und im April 1945 unter ungeklärten Umständen von der SS ermordet wurde – möglicherweise wegen seiner Kontakte zum Widerstand (Henning von Tresckow war sein Neffe).


François Walter: „Les débuts de la chocolaterie Favarger à Versoix: éthique darbyste, exotisme et suissitude (1875–1940)“. In: Laurent Tissot, une passion loin des sentiers battus. Hrsg. von Francesco Garufo und Jean-Daniel Morerod. Neuchâtel (Éditions Alphil – Presses universitaires suisses) 2018. S. 103–127.

Über die Anfänge der Schweizer Schokoladenfabrik Favarger (ab 1875 in Versoix bei Genf), die von einer „darbystischen Ethik“ geprägt gewesen seien. Jacques Samuel Favarger (1857–1909), der Enkel des Firmengründers Jacques Foulquier, war ab 1884 mit Carl Brockhaus’ Tochter Emma (1860–1948) verheiratet. Der Aufsatz erschien in einer Festschrift für den Schweizer Historiker Laurent Tissot (* 1953).


Joseph Webster: „The Exclusive Brethren ‘Doctrine of Separation’. An Anthropology of Theology“. In: Theologically Engaged Anthropology. Hrsg. von J. Derrick Lemons. Oxford (Oxford University Press) 2018. S. 315–335.

Über Absonderungslehre und -praxis der Raven-Taylor-Symington-Hales-Brüder. Zu Beginn berichtet der Autor ausführlich über seine Schwierigkeiten, an einem ihrer Gottesdienste teilnehmen zu dürfen.


Für Hinweise auf weitere, von mir übersehene Neuerscheinungen bin ich dankbar!

Neues über Max Springer (3): Die Familie

Dem im letzten Blogeintrag angeführten Zitat aus Unsearchable Riches war zu entnehmen, dass Max Springer mindestens eine Tochter hatte, die 1931 in Düsseldorf wohnte. Weitere Informationen über seine Familie liegen bislang nicht vor; die Datenbanken auf FamilySearch können jedoch zumindest einige Hinweise auf seine Geschwister geben.

Amerikareisen

cedric1921 und 1923 taucht Max Springers Name auf Schiffspassagierlisten auf: In diesen beiden Jahren reiste er jeweils für mehrere Monate in die Vereinigten Staaten, um – so die Eintragung in den Listen – seine Schwester Elise Warwas zu besuchen, die in Forest Park (Illinois) lebte. Dass es sich tatsächlich um „unseren“ Max Springer handelt, wird durch die Heimatadresse in Berlin-Wilmersdorf bestätigt, die mit der aus Unsearchable Riches bekannten übereinstimmt: Güntzelstraße 29 (in der Liste von 1921 fälschlich „Gunkelstrasse“ geschrieben). Springers Beruf wird 1921 als „priest“, 1923 als „Pastor“ angegeben, seine Größe beide Male als „5 Feet 8 Inches“ (= 1,73 m), seine Haarfarbe 1921 als „mixed“, 1923 als „grey“, seine Augenfarbe beide Male als „grey“. Interessanter als diese äußerlichen Details ist sein Geburtsort, der in beiden Listen dokumentiert ist: Springer wurde im oberschlesischen Neisse (heute Nysa, Polen) geboren, stammte also nicht aus dem Wuppertal, wo er in den 1890er und 1900er Jahren wirkte (ältere Nachrichten über ihn lagen ja bisher nicht vor). Sein Alter ist offensichtlich nur auf der Liste von 1923 korrekt angegeben (65; daraus ergibt sich dasselbe Geburtsjahr wie aus dem Nachruf von Adolph E. Knoch), während die Liste von 1921 ihn fünf Jahre jünger macht (58 statt 63).

Die 1921er Reise war laut Passagierliste Springers erster Besuch in den USA. Sein Schiff „Noordam“ legte am 3. August in Rotterdam ab und traf am 13. August in New York ein. Springers Aufenthalt war auf sechs Monate veranschlagt; das amerikanische Bürgerrecht – auch danach wurde in der Passagierliste gefragt – hatte er nicht vor zu beantragen. Wenn alles wie geplant verlief, müsste er also im Februar 1922 zurückgekehrt sein. Am 8. Dezember des folgenden Jahres machte er sich von Liverpool aus erneut auf die Reise, und zwar mit dem Schiff „Cedric“, das am 17. Dezember in New York ankam. Diesmal wollte er ein ganzes Jahr bleiben, und die Frage nach der Beantragung des Bürgerrechts blieb offen („Uncer[tain]“). Vermutlich ist es dazu nicht gekommen, aber das Jahr 1924 dürfte Springer größtenteils in den USA verbracht haben.

Interessanterweise hielt sich ein alter Freund und Mitstreiter Springers um diese Zeit ebenfalls in den Vereinigten Staaten auf: Heinrich Großmann war acht Monate vor ihm, am 7. April 1923, in New York eingetroffen und blieb bis 1929. Auch wenn er sich in der Nähe von New York niederließ – die Passagierliste nennt das unmittelbar benachbarte Jersey City als Zielort –, ist es doch gut möglich, dass die beiden Kontakt miteinander aufnahmen. Großmann lernte während seines sechsjährigen Aufenthalts auch Adolph Ernest Knoch kennen;1 es ist nicht auszuschließen, dass dies auch für Springer gilt.

Ein weiterer alter Bekannter lebte seit über zehn Jahren ganz in der Nähe von Springers Schwester: Prediger Julius Rohrbach, der drei Jahrzehnte in Moabit und Charlottenburg tätig gewesen war und 1908 in einem Brief an Echoes of Service Springers „gesegnetes Zeugnis“ in Berlin gelobt hatte,2 war 1910 oder spätestens 1913 in die USA emigriert und wohnte in einem nördlichen Vorort von Chicago, knapp 30 km von Forest Park entfernt. Über eventuelle Kontakte während Springers erstem oder zweitem Amerikaaufenthalt lässt sich natürlich auch hier nur spekulieren.

Geschwister

elisewarwasElise Warwas geb. Springer, Max’ Schwester, hatte bereits 1892 bis 1896 in den Vereinigten Staaten gelebt und wanderte 1898 von Charlottenburg endgültig dorthin aus. Als Bezugsperson in den USA wird ein Schwager namens „Jan Johannsen“ genannt. Zwei Jahre später, als der Census 1900 erhoben wurde, war Elise bereits Witwe und wohnte mit ihren beiden Kindern Richard (* September 1877; Beruf: „Painter“) und Freda (* Januar 1884; Beruf: „Milliner“ = Hutmacherin oder -verkäuferin) sowie ihrem unverheirateten Bruder Frederick Springer (* Mai 1861; Beruf: „Pocket Book Maker“) im Chicagoer Stadtteil West Town. Ihr Geburtsdatum wird mit September 1857 angegeben; demnach war sie ein Jahr älter als ihr Bruder Max.

1915 meldete Elise Warwas den Tod einer Agnes Springer, Tochter von Wm. Springer und Johanne Wacke, geboren am 29. November 1859 in Deutschland, verstorben am 11. Juli 1915 in Oak Park (Illinois), unverheiratet – also offensichtlich eine weitere Schwester. Agnes hatte beim Census 1900 als Hausangestellte der Familie Augustus J. Wampler im Chicagoer Stadtteil Hyde Park gelebt; eingewandert war sie bereits 1886 und somit wohl als Erste der Springer-Familie. 1910 arbeitete sie im Haushalt zweier alter Damen, Katarina Viering (82, verwitwet) und Eliza Brenneman (89, unverheiratet), beide aus Deutschland gebürtig.

Elise Warwas kann ich im Census von 1910 nicht finden. Ihr Bruder Frederick wohnte zu dieser Zeit bei der Familie seines Schwagers Jens Johansen (43 Jahre alt, geboren in Dänemark, Kupferschmied; offenbar identisch mit dem bereits genannten „Jan Johannsen“). Wenn Johansen ein Schwager der Springers war, muss seine Frau Christina (40 Jahre alt, geboren in Deutschland, eingewandert 1892, seit 17 Jahren verheiratet) eine dritte Schwester gewesen sein. Im Census 1900 findet sie sich unter dem Namen Christina Johanson (Ehefrau von „John Johanson“); ihr Geburtsdatum wird mit Oktober 1869 angegeben, ihre Kinder heißen William (* Mai 1895) und Annie (* Juni 1897). 1910 ist noch ein Sohn Walter (* 1902) dazugekommen.

Mit dem Census 1920 nähern wir uns dem Zeitraum, in dem Max Springer sich in den USA aufhielt. Wie sich zeigt, war die in den Schiffspassagierlisten angegebene Zieladresse „504 Elgin Avenue, Forest Park“ nicht das Haus von Elise Warwas, sondern das ihres (ebenfalls deutschstämmigen) Schwiegersohns Henry O. Lessner, bei dessen Familie sie nun wohnte. Der Name ihrer inzwischen 36-jährigen Tochter erscheint jetzt als „Elfrieda“; zum Haushalt gehörten ferner die Kinder Herbert (11) und Margaret (7) sowie der „Roomer“ Gustav Knausch (49).

Schwester Christina Johansen (diesmal „Christine“ geschrieben) war beim Census 1920 bereits Witwe3 und mit ihren drei Kindern William, Anna (sic) und Walter an derselben Chicagoer Adresse gemeldet wie 1910. Drei Jahre später, am 7. November 1923, starb auch sie, erst 54 alt. Die Todesmeldung enthält ihr exaktes Geburtsdatum: 6. Oktober 1869.

Bruder Frederick ist im Census von 1920 unauffindbar. Am Censustag 1930 (dem 1. April) befand er sich im Chicago State Hospital, einer psychiatrischen Klinik; zweieinhalb Monate später, am 15. Juni 1930, starb er im Alter von 69 Jahren. Seine Todesmeldung liefert wiederum das genaue Geburtsdatum (11. Mai 1861) und bestätigt die bereits im Zusammenhang mit Agnes erwähnten Namen der Eltern (wenn auch wieder in leicht abweichender Form – wahrscheinlich transkriptionsbedingt): William und Johanna Wache. In einer anderen Datenbank werden sogar die Geburtsorte der Eltern genannt: Der Vater stammte aus dem niederschlesischen Brieg (heute Brzeg, Polen), die Mutter (hier Johanna Woche geschrieben4) aus Neisse, wo auch Frederick (ursprünglich sicher Friedrich) geboren wurde.5

oldpeopleshomeSchwester Elise wohnte 1930 im „German Baptist Old People’s Home“ in Chicago – der einzige bislang vorliegende Hinweis auf die Glaubensstellung eines der „amerikanischen“ Springer-Kinder. Auch sie starb jedoch noch im selben Jahr, nämlich am 22. Oktober. Gemeldet wurde ihr Tod von einem gewissen Henry Koch, der offenbar nur ungenau über sie Bescheid wusste: So wird der Vorname ihres Vaters mit „Friedrich“ und ihr Geburtsdatum mit dem 7. September 1856 angegeben (statt 1857). Immerhin erfahren wir hier aber den Vornamen ihres verstorbenen Mannes (Henry, also wohl Heinrich) und finden wieder den Geburtsort Neisse bestätigt.

Es ist bemerkenswert, dass nicht weniger als vier Geschwister von Max Springer ihr Glück in Amerika suchten. Ob außer Max noch weitere in Deutschland blieben, lässt sich derzeit noch nicht sagen, da für den deutschsprachigen Raum keine vergleichbaren Online-Datenbanken existieren. Auch die Namen und Lebensdaten von Max’ Frau und Kindern wären wohl nur durch Archivrecherchen herauszufinden (aus der Passagierliste von 1923 geht immerhin hervor, dass der Name seiner Frau mit E begann).

Die Lebensdaten der fünf bekannten Springer-Geschwister sollen hier abschließend noch einmal übersichtlich zusammengestellt werden (zum Vergrößern klicken):

geschwisterspringer

Anhang: Der Erfinder

patentblattSucht man per Google nach „Max Springer Vohwinkel“, so stößt man auf mehrere Einträge in alten Patentzeitschriften, die leider (noch) nicht im Volltext zugänglich sind. Offensichtlich ließ Springer Ende des 19. Jahrhunderts mehrere Erfindungen patentieren, darunter ein „Pneumatisches Schutzband gegen Wundwerden und zum Schutz für Wunden, aus einem mit Befestigungsringen (Bändern) versehenen Schlauch mit Lufteinblasventilschlauch bestehend“ (Patentblatt 1897), einen „Elastischen Schutzring für Wunden, mit freistehendem Ventilschlauch und Schutzhülfe für denselben“ (ebd.), ein „Elastisches Schutzkissen gegen Wundwerden und zum Schutze vor Wunden“ (Illustrirtes Österreichisch-Ungarisches Patent-Blatt 1897) oder einen „Elastischen Schutzring für Zugthiere gegen Wundwerden und zum Schutze von Wunden mit auswechselbarem Luftkissen“ (Patentblatt 1900). Eine dieser Erfindungen wurde 1898 in der französischen Landwirtschaftszeitschrift Journal de l’agriculture wie folgt beschrieben:6

Um diese Nachteile zu überwinden, erfand Herr Max Springer aus Vohwinkel (Rheinprovinz) pneumatische Wundschutzringe. Dieses Gerät ist aus Leder gefertigt und mit einem Gummiring ausgestattet, der je nach Bedarf mit einer Luftpumpe mehr oder weniger aufgeblasen werden kann; dies ist von hohem hygienischem Wert, insbesondere bei Verspannungen, Abszessen, Schwellungen nach Operationen usw. Er ist außerdem mit einem freien Lüftungsloch A ausgestattet, das nach dem Aufblasen in einem Schutzzwickel platziert wird. Das Gerät wird verwendet, um verschiedene Wunden und Schrammen zu schützen.

Die Erfindung und Herstellung solcher Geräte war demnach wohl der Beruf, von dem sich Max Springer 1899 nach Einschätzung des Offenen Bruders Max Isaac Reich „immer mehr freimachen“ konnte, „um am Wort zu dienen“.7


Neues über Max Springer (2): Der Allversöhnungslehrer

In meinem Blogeintrag „Eine wenig bekannte Artikelserie von ‚Titus Blicker‘“ wies ich bereits darauf hin, dass Max Springer in Ekkehard Hirschfelds Dissertation über den methodistischen Theologen Ernst Ferdinand Ströter (1846–1922) erwähnt wird. Laut Hirschfeld war Springer nämlich ein „wichtiger Mitarbeiter“ des von Ströter beeinflussten Predigers Heinrich Großmann (1879–1958), der in Berlin ab 1908 eine unabhängige „Christliche Gemeinschaft“ leitete.1

Heinrich Großmann

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Heinrich Großmann (1879–1958) mit seinen Kindern Helene und Hellmuth

Zur Einordnung zitiere ich hier zunächst das vollständige „Biogramm“ Großmanns aus dem Anhang von Hirschfelds Dissertation:

Arthur Heinrich Großmann, geb. 8.7.1879 in Danzig, gest. 29.9.1958 in Berlin. Kaufmännische Ausbildung und Tätigkeit, 1897 Bekehrung, 1899 Beginn evangelistischer Tätigkeit in Pommern mit eigenem Missionszelt (Evangelisation Immanuel), 1908 Gründung der ‚Christlichen Gemeinschaft‘ in Berlin in Kooperation mit eine[r] Gemeinschaft in Posen, 1910 Aufgabe der Zeltmission, 1916 Beitritt der Gemeinde zu den Baptisten, 1923–1929 Evangelist in den USA, 1931 Umzug der Gemeinde in die Hasenheide, 1941 Austritt der Gemeinde aus dem Bund der Baptisten. Evangelist, Prediger und Gemeindeleiter, früh ein Gegner der Pfingstbewegung, Autor zahlreicher Traktate und Schriften, 1908–1939 Herausgeber der Zeitschrift Forschet in der Schrift, später Der schmale Weg.2

Wann Max Springer zum Mitarbeiter Großmanns wurde, lässt sich anhand der vorliegenden Quellen zumindest ungefähr bestimmen. Im November 1909 meldete er sich bei Echoes of Service noch aus Charlottenburg,3 also wohl aus der Gemeinde Julius Rohrbachs (1852–1935) in der Krummen Straße. Vom 30. Januar bis 6. Februar 1910 hielt er dann eine Vortragsreihe über „Gottes Erlösungsplan von Zeitalter zu Zeitalter (illustriert an einer großen Karte)“ in der „Christlichen Gemeinschaft“ in Posen, Seecktstraße 6 – dabei dürfte es sich bereits um Großmanns Partnergemeinde gehandelt haben:

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Auf der Warte 7 (1910), Heft 3, S. 4

Ein Jahr später druckte Echoes of Service den letzten Bericht von bzw. über Springer ab:

Herr Max Springer wird ermutigt in der Arbeit, die er kürzlich in Berlin begonnen hat, und er schreibt auch in tiefer Dankbarkeit von einer Konferenz, die unlängst in Posen stattfand (einst die Hauptstadt Polens) und an der er gemeinsam mit anderen, uns unbekannten Dienern Gottes teilnahm. Er sagt: „Der Geist Gottes hatte durchgehend die Leitung, und die Wahrheit, die den Gläubigen vorgestellt wurde, war lehrreich, auferbauend und nahrhaft für die Seelen. Wir waren in Frieden zusammen, auch wenn viele Fragen aufkamen und behandelt wurden.“4

Danach kommt der Name Max Springer in Echoes of Service nicht mehr vor. Es ist anzunehmen, dass er sich um die Jahreswende 1910/11 – vielleicht schon mit seinem Umzug nach Berlin5 – von den Offenen Brüdern löste und mit Großmann zusammenzuarbeiten begann; im Juni 1911 erschien jedenfalls bereits ein von beiden gemeinsam verfasster Artikel in Großmanns Zeitschrift Forschet in der Schrift.6

Großmann – ein „Darbyst“?

Großmanns Theologie war, so Hirschfeld,

stark von Ströter beeinflusst und enthielt darbystische Elemente bis hin zur denominationellen Selbstständigkeit der Berliner Gemeinschaft; dennoch wollte sich Großmann nicht als Darbyst oder Neudarbyst verstanden wissen.7

Wir stoßen hier auf eine Doppeldeutigkeit des Wortes Darbysmus, die sich durch die gesamte Literatur der damaligen Zeit zieht. Großmann und Springer bezeichneten damit die Brüderbewegung und ihre gemeindlichen Strukturen und konnten sich daher mit Recht davon distanzieren:

Wir brauchen die Bezeichnung „Darbysmus“ nicht als Schimpfwort, sondern nur, um eine bestimmte Richtung, die eben auch eine Partei ist, zu bezeichnen. […] Wir wollen keine „Darbysten“ sein oder werden, auch keine „Neudarbysten“, wie man angefangen hat uns zu nennen. […] Wir sind grundsätzlich dagegen, daß von einer „Zentrale“ aus, oder von „maßgebenden“ Brüdern eine Herrschaft über die einzelnen Gemeinden ausgeübt wird. Wir halten es für sündhaft und unbrüderlich, wenn ein Bruder in die Lokal-Gemeinde eines anderen Ortes hineinreden will. […] Leider hat es in unseren Kreisen solche darbystisch angehauchten Brüder gegeben, die dieses versuchten; sie sind aber ermahnt worden, und wenn sie ihre darbystische Unart nicht ließen, der Gemeinde so bezeichnet, daß sie keinen Schaden anrichten konnten.8

Andere Autoren verwendeten das Wort Darbysmus dagegen als Sammelbegriff für bestimmte Lehrauffassungen, die als typisch für Darby oder die Brüderbewegung galten, aber durchaus auch außerhalb davon anzutreffen sein konnten. Ernst Bunke (1866–1944), Leiter der Berliner Stadtmission, nannte 1903 z.B. folgende fünf „Bestandteile des darbystischen Sauerteigs“, die sich seiner Ansicht nach auch in der Gemeinschaftsbewegung breitmachten:

[1] Die Absonderung von der Kirche, zumal bei der Abendmahlsfeier, und der Wunsch, die Brautgemeinde in Vollkommenheit darzustellen, [2] die Unterschätzung der Sünde und die Ueberschätzung des eigenen Gnadenstandes, [3] die schwärmerische Beschäftigung mit den letzten Dingen, [4] die geschichtslose Anschauung von der heiligen Schrift und [5] die Verachtung der kirchengeschichtlichen Lehren des heiligen Geistes – […] das alles spiegelt sich in Gemeinschaftskreisen nur zu oft wieder.9

Mit dem dritten Punkt meinte er speziell den „Glaube[n] an die Entrückung der Gläubigen vor dem Kommen des Herrn zum Gericht“.10 Diese „darbystische Anschauung“ einer „prätribulatorischen Entrückung“ teilte auch Großmann, wie Hirschfeld mehrmals betont,11 und für sie machte er sich „noch Anfang der 1920er Jahre“ stark, nachdem sie in den Gemeinschaftskreisen unter Beschuss geraten war.12 Ohne jeden Zweifel nämlich war Großmann – wie Ströter – Dispensationalist, und tatsächlich hat man den Eindruck, dass das Wort Darbysmus im damaligen Kontext oft nichts anderes als „Dispensationalismus“ bedeutete.13

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Ernst Ferdinand Ströter (1846–1922)

Ströters Variante des Dispensationalismus würde man heute wohl als Ultradispensationalismus bezeichnen; so sah er wie Ethelbert William Bullinger (1837–1913) in der „Braut“ nicht die Gemeinde, sondern Israel,14 betrachtete den Taufbefehl von Mt 28,19 als für das Gemeindezeitalter nicht gültig15 und vertrat möglicherweise eine Auswahlentrückung.16 Der erstgenannten Ansicht stimmte auch Großmann zu,17 der zweiten wohl nicht.18 Zur Allversöhnungslehre, die Ströter ab 1909 verkündigte19 und für die er heute noch am bekanntesten ist, hielt Großmann lange Zeit ebenfalls Distanz; erst die Begegnung mit dem deutsch­amerikanischen Bibelübersetzer Adolph Ernst Knoch (1874–1965) während seines Amerikaaufenthalts 1923–29 scheint ihn zum Umdenken bewogen zu haben,20 und ab 1937 vertrat auch er diese Lehre öffentlich.21 Sie gehört bis heute zu den Grundüberzeugungen der von Großmann gegründeten Berliner Gemeinde.22

Großmann und Springer

Zurück zu Max Springer. Was genau ihn um die Jahreswende 1910/11 veranlasste, sich von den Offenen Brüdern zu trennen und sich Heinrich Großmann anzuschließen (ohne allerdings Mitglied in dessen Gemeinde zu werden23), geht aus den bislang vorliegenden Quellen nicht eindeutig hervor – sowohl in der Struktur als auch in der Lehre war die Gemeinde Großmanns den damaligen Offenen Brüdergemeinden ja durchaus ähnlich. Nahm Springer an den allmählich entstehenden überörtlichen Strukturen der Offenen Brüder Anstoß, weil sie ihn an die der Geschlossenen Brüder erinnerten?24 Störte ihn die ungebrochene Allianzbegeisterung der Offenen Brüder? Er selbst war von der Allianz offensichtlich desillusioniert, wie aus dem gemeinsam mit Großmann verfassten Artikel „Freie Knechte, nicht freie Herren“ hervorgeht:

Wie manche rühmen sich, daß sie auf „Allianzboden (?)“ stehen – welch einen Wert das haben soll, ist unerklärlich – ohne der Schriftwahrheit von der Einheit des Leibes Christi auch nur im geringsten näher zu kommen. Konferenzen können da zweifelsohne viel helfen, aber es müßten wirklich Konferenzen zum Konferieren, Aussprechen und Beraten heiliger, ernster Wahrheiten sein und nicht Glaubensversammlungen, wo einige wenige Brüder ihre Gedanken über an und für sich wichtige Schriftwahrheiten äußern.25

Gab es bereits lehrmäßige Differenzen zwischen Springer und den Offenen Brüdern, die eine Trennung auch von ihrer Seite aus erforderlich machten? Hatte Springer sich schon für die Sonderlehren Ströters geöffnet – oder für die Knochs? Fest steht jedenfalls, dass er 1912 eine eigene Zeitschrift gründete, also offenbar meinte, etwas Eigenes zu sagen zu haben, etwas, das er auch in Großmanns Zeitschrift nicht unterbringen konnte. Der Titel – Freiheit und Leben – erinnert auffallend an ein Schweizer Evangelisationsblatt der Offenen Brüder namens Leben und Freiheit (die deutschsprachige Ausgabe von Vie et Liberté, herausgegeben von Samuel Squire [† 1946] in Lausanne), aber das könnte auch Zufall sein. Der (zeitweilige?) Untertitel Missionsblatt der Freien Brüdergemeinde Bethanien gibt derzeit noch Rätsel auf – gründete Springer also eine eigene Gemeinde? Wenn ja, wo? Leider ist diese Zeitschrift extrem selten (die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig besitzt lediglich sechs verstreute Hefte aus den Jahren 1914–17, die Bayerische Staatsbibliothek München ein einziges Heft mit Beiblatt aus dem Jahr 1916,26 ansonsten sind in öffentlichen Bibliotheken keine Bestände nachgewiesen), sodass ich dieser Spur bisher nicht nachgehen konnte.

Springer und Knoch

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Adolph Ernst Knoch (1874–1965)

Spätestens Mitte der 1920er Jahre – also über zehn Jahre vor Großmann – verkündigte Springer öffentlich die Allversöhnungslehre im Sinne Knochs. Unsearchable Riches, Knochs seit 1909 in Los Angeles erscheinende Zeitschrift, wies im Januar 1926 auf Vorträge von „Prediger Springer“ in Berlin hin und kommentierte:

Die große Wahrheit von der Allversöhnung hat wenigstens einen Zeugen in dieser großen Millionenstadt. Auch in anderen Teilen Deutschlands gibt es Hinweise auf ein wiedererwachtes Interesse.27

Im Mai 1929 berichtete Knoch von Springers Zeitschrift:

Wir freuen uns, den Empfang von Freiheit und Leben zu bestätigen, einer deutschen Publikation, die von Prediger M. Springer aus Berlin herausgegeben wird, dessen Adresse sich unter den Ankündigungen auf dem Umschlag befindet. Sie enthält eine Anzahl guter Artikel über Äonen und Allversöhnung. Wir sind dankbar zu sehen, dass diese Wahrheiten ein wenig von der Anerkennung erhalten, die sie verdienen.28

Ein Jahr später hieß es:

Eine deutsche Übersetzung von „What is Death“ ist von unserem Freund Max Springer, Berlin-Wilmersdorf, Güntzelstraße 29 herausgegeben worden. Sie trägt den Titel „Der Tod, was ist er?“ Wir haben einen großen Vorrat und hoffen, dass unsere deutschen Freunde großzügig davon Gebrauch machen werden. Wir senden gerne jedem in den Vereinigten Staaten kostenlos eine unserer deutschen Broschüren zu, um auf unsere wachsende Liste von Literatur in dieser Sprache aufmerksam zu machen.29

In der Broschüre What is Death? lehrte Knoch, dass der Mensch nach dem Tod nicht weiterlebe, sondern bis zur Auferstehung in einem Zustand des Nichtbewusstseins „schlafe“; man wird davon ausgehen können, dass der Übersetzer Springer diese Auffassung ebenfalls vertrat.30

Knoch in Deutschland

Im Sommer 1931 hielt sich Knoch auf dem Weg nach Palästina mehrere Wochen in Deutschland auf und traf dabei auch Springer. In diesem Zusammenhang kommen einige interessante biografische Einzelheiten über Springer zur Sprache:

In Berlin wurde ich von Prediger Max Springer und meinem alten Freund, dem Chiropraktiker Lehmann, empfangen, der einst meinen Griechischkurs in Los Angeles besucht hatte. Er beherbergte mich während meines Aufenthalts in der deutschen Hauptstadt. Am Abend nach meiner Ankunft besuchten wir die regelmäßige Mittwochabendklasse in der Nassauischen Straße 56, wo ich zu meiner Überraschung sofort aufgefordert wurde zu sprechen; Prediger Springer dolmetschte. Es wurde ein Plan zum Besuch verschiedener Teile Deutschlands mit diesem furchtlosen Mann Gottes als Führer und Dolmetscher aufgestellt. […] Am Sonntag wurde morgens das Mahl des Herrn eingenommen, nachmittags eine Nachbarschaftsklasse31 besucht und abends eine Ansprache an eine große Zuhörerschaft in dem schönen neuen Gebäude von Dr. Großmanns Gemeinde32 gehalten. Da Prediger Springer erkältet war, dolmetschte Gräfin Kanitz33 in allen drei Zusammenkünften. […]

Die Arbeit von Bruder Springer hat einen erschütternden Schlag erlitten. Ein Tornado hat die Ernten seines Altenheims vernichtet, sodass er nicht in der Lage ist, eine Hypothek von $ 3000 auf ein Anwesen, das mindestens $ 25.000 wert ist, zurückzuzahlen. Es scheint, als würde er es verlieren, nur weil er nicht die Mittel hat, einen so geringen Bruchteil des Wertes zu begleichen. Da fast jeder in Not ist, besteht wenig Hoffnung auf menschliche Hilfe. Deutschland befindet sich in einer äußerst bemitleidenswerten Lage. Nach außen geben sich die Leute stolz, aber ihre Taschen sind leer.34

Springer war um diese Zeit also offenbar Besitzer eines Altenheims, dem ein landwirtschaftlicher Betrieb angeschlossen war; genauere Informationen darüber liegen mir augenblicklich noch nicht vor. Interessant wäre auch zu erfahren, ob es sich bei der Gemeinde in der Nassauischen Straße 56 um Springers „Freie Brüdergemeinde Bethanien“ handelte; die Nähe zu seiner Wohnung in der Güntzelstraße 29 (etwa 350 Meter entfernt, wenn die heutige Hausnummerierung auch damals schon gültig war) könnte dafür sprechen. Allerdings befand sich in der Nassauischen Straße 56 zeitweise auch eine „Station“ der seit 1891 existierenden Baptistengemeinde „Bethania“ (!) in Moabit, Emdener Straße 15 (etwa 5 km nördlich gelegen), die genau um diese Zeit an ihrem Hauptstandort ein Alten- und Pflegeheim namens „Bethel“ einrichtete.35 Ob hier irgendein Zusammenhang besteht, vermag ich derzeit noch nicht zu sagen; dass Springer mit seinen inzwischen doch recht unorthodoxen Lehrauffassungen und Verbindungen regulärer Baptist war, erscheint mir eher zweifelhaft.

ur_1931_402Der nächste Absatz in Knochs Bericht ist brüdergeschichtlich von großem Interesse:

Das Wochenende wurde in Niederschelden im Siegerland unter ehemaligen Exklusiven Brüdern verbracht. Wegen der drückenden Hitze fuhren wir die ganze Nacht mit dem Zug und wurden in Siegen von Bruder Wilhelm Jäger36 empfangen, der uns während unseres Aufenthalts beherbergte. Am Samstag wurden zwei Bibelvorträge gehalten, am Sonntagmorgen das Mahl des Herrn eingenommen, am Nachmittag und Abend Ansprachen gehalten. Ein anschauliches Beispiel für die Zersplitterung der „Brüder“ bot die Tatsache, dass eine einzige Familie in mehrere Teile gespalten war, von denen ein Teil zu diesem und ein anderer zu jenem Zweig gehörte; einige waren ganz ausgestoßen. Lasst uns dafür beten, dass die wahre Grundlage der Gemeinschaft – der Wandel, nicht die Lehre – von ihnen angenommen wird und diese Trennungen geheilt werden. Manche von ihnen schienen überzeugt zu sein, dass die „Brüder“ in dieser Hinsicht von der Schrift abgewichen sind und ihre herzzerreißende Uneinigkeit und Sektiererei darauf zurückzuführen ist.37

Über die Versammlung in Niederschelden finden sich in Band 2 von Gerhard Jordys Brüdergeschichte einige Hinweise. Sie hatte sich geweigert, „einen deutlichen Trennungsstrich gegenüber Wilhelm Brockhaus zu ziehen“38 (gemeint ist der Ersteller der Elberfelder Bibelkonkordanz [1857–1936], der die Allversöhnungslehre angenommen hatte), und war deshalb 1926 aus dem Kreis der Elberfelder Versammlungen ausgeschlossen worden. Dass sie mit Springer und Knoch in Kontakt stand, beweist, dass es nicht nur um „persönliche Freundschaft mit dem Ausgeschlossenen“39 (Wilhelm Brockhaus) ging, sondern auch um klare Sympathien für seine Lehre.

Knoch fährt fort:

Nach einem Besuch in Elberfeld fuhren wir nach Mülheim und besuchten Bruder Peter Fabrizius. Später überquerten wir den Rhein nach Köln, wo ein interessiertes Publikum einer Erläuterung der konkordanten Methode zuhörte. Am nächsten Morgen fuhren wir nach Düsseldorf, geleitet von Bruder Schultz, der einst zu den Führern der deutschen Internationalen Bibelforscher-Vereinigung40 gehörte, aber heute ein begeisterter Arbeiter für die Wahrheiten ist, die wir lehren. Da Bruder Springer krank war, fuhr er zum Haus seiner Tochter in Düsseldorf. […] Im Hospiz „Pilgerheim“, einem geeigneten Ort für einen Pilger auf dem Weg ins Heilige Land, waren wir höchst bequem untergebracht. Zwei Zusammenkünfte wurden hier abgehalten. Die erste warf ein schwieriges Problem auf. Da Bruder Springer krank war, hatte ich keinen Dolmetscher! Im Publikum saßen viele Lehrer und Wissenschaftler. Aber ich musste meinen Stolz überwinden und in gebrochenem Deutsch losstammeln. Ich dachte auf Englisch, übersetzte es ins Deutsche, so gut ich konnte, und es gelang mir, mich mit Hilfe eines freundlichen und mitfühlenden Publikums verständlich zu machen, das mir oft mit Wörtern aushalf, an die ich mich nicht erinnern konnte. Am nächsten Abend fühlte sich Bruder Springer gut genug, um seinen Platz einzunehmen. Ich werde nie die freundliche Rücksichtnahme vergessen, die mir im Pilgerheim und von den Gläubigen in Düsseldorf entgegengebracht wurde.41

So weit die Auszüge aus Knochs Bericht. Knoch reiste weiter nach Palästina, kehrte aber 1932 wieder nach Deutschland zurück, um Sigrid von Kanitz zu heiraten und sich gemeinsam mit mehreren Mitstreitern der Erarbeitung einer Konkordanten Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche zu widmen (die englische Ausgabe war bereits seit 1914 in Fortsetzungen erschienen).

Ausklang

Im März 1932 wird Max Springer nochmals in Unsearchable Riches erwähnt:

Da wir42 selbst von rein deutschem Blut sind und ein wenig von der Sprache kennen, sehnen wir uns seit vielen Jahren danach, die uns anvertrauten großen Wahrheiten auch im Land unserer Väter bekannt zu machen. Dies geschah teilweise durch die Veröffentlichung von Artikeln im Prophetischen Wort,43 durch die Schriften und den Dienst von Schädel,44 Czerwinski,45 Dick,46 Springer und anderen und in den letzten Jahren vor allem durch [die Zeitschrift] Der Überwinder, herausgegeben von Freiin Wally von Bissing47 und Gräfin Sigrid von Kanitz, die nun als Zweig des Concordant Publishing Concern48 mit uns verbunden sind und Form und Namen ihrer Zeitschrift geändert haben, um mit den englischen Unsearchable Riches übereinzustimmen.49

ur_1932_355Bereits ein halbes Jahr später musste Knoch jedoch Springers Tod melden:

IN MEMORIAM

Die Arbeit in Deutschland hat einen schweren Verlust erlitten durch den Tod von Prediger Max Springer im reifen Alter von 74 Jahren. Während seines frühen Dienstes war er mit den sogenannten „Plymouth-Brüdern“ verbunden, entkam aber vor langer Zeit ihren sektiererischen Fesseln und betrieb eine unabhängige Arbeit für den Herrn. Er trat standhaft für die Wahrheit ein, die ihm anvertraut war, auch wenn ihn dies teuer zu stehen kam. Bei unserem ersten Besuch in Deutschland war er unser Vertreter und Dolmetscher. Ein kraftvoller, geistlich gesinnter Redner. Viel Unglück, Krankheit und Leid begleiteten seine späteren Jahre, aber sein Glaube wankte nicht. Auf Wiedersehen! – A. E. K.50

Ein genaues Todesdatum fehlt leider; da der Nachruf aber in der Septemberausgabe 1932 erschien, dürfte Springer im Sommer 1932 verstorben sein. Sein Geburtsjahr lässt sich aufgrund des Todesalters auf 1858 datieren. Mit dem „Unglück“ und „Leid“ in seinen „späteren Jahren“ sind vermutlich u.a. die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Altenheim gemeint.

Damit war ein bewegtes, arbeits- und abwechslungsreiches Leben zu Ende gegangen. Wo Springers geistliche Wurzeln lagen, wissen wir nicht, aber von den Elberfelder Brüdern über die Raven-Brüder und die Offenen Brüder bis hin zu den freien Kreisen um Großmann und Knoch hatte er mindestens vier gemeindliche Stationen durchlaufen, für die er sich jeweils in Wort und Schrift streitbar eingesetzt hatte. Unter den „Brüdern“ dürfte er nach 1910 weitgehend vergessen worden sein – die beiden letzten Jahrzehnte seines Lebens lagen jedenfalls bisher völlig im Dunkeln und konnten hier vielleicht erstmals ein klein wenig erhellt werden. Für weitere Hinweise bin ich dankbar!


Neues über Max Springer (1): Der Offene Bruder

Als ich im April 2017 in diesem Blog Max Springers Artikelserie „Ist der Darbysmus, was er vorgibt zu sein?“ (1912) vorstellte, schrieb ich über den Autor:

Über Springers Leben ist bisher außerordentlich wenig bekannt; nicht einmal seine Geburts- und Todesdaten und sein vollständiger Name (er publizierte unter den Initialen „W. C. M.“ Springer) liegen uns vor. Sicher ist, dass er bis 1892 den „Elberfelder Brüdern“ angehörte, sich dann aber auf die Seite Ravens stellte – vielleicht weniger aus Sympathie mit Ravens Lehren als aus Opposition gegen die „zentralistische“ Art und Weise, wie die kontinentaleuropäischen „Brüder“ 1890/91 auf zwei Elberfelder Konferenzen ihre Entscheidung gegen Raven gefällt hatten. So richtete er am 5. Juni 1892 in einem Rundschreiben „eine scharfe Anklage gegen die autoritäre Haltung einiger führender Brüder“.1 […]

Max Springer gründete 1893 die erste Zeitschrift der deutschen Raven-Brüder, Worte der Gnade und Wahrheit. Bereits Ende 1894 scheint er jedoch auch mit den Raven-Brüdern in Konflikt geraten zu sein, denn Raven schrieb am 17. Dezember 1894 an Thomas Henry Reynolds (1830–1930): “I am quite pained to hear about Springer and am quite in sympathy with your appeal.”2 Etwa 1896 wandte Springer sich dann offenbar ganz von der Brüderbewegung ab; die Worte der Gnade und Wahrheit wurden 1897 von Christian Schatz (1869–1947) übernommen.

In den letzten Wochen war es mir möglich, das Dunkel um Springers Leben nach 1896 ein wenig zu erhellen. Dazu trug zunächst die Veröffentlichung der 47 Bände Echoes of Service bei, über die ich in meinem letzten Blogeintrag berichtete – denn ab 1898 begegnete den Lesern dieser Zeitschrift der Name Max Springer in großer Regelmäßigkeit!3 Springer wandte sich also nach seiner Trennung von den Raven-Brüdern durchaus noch nicht von der Brüderbewegung ab, sondern er war in den folgenden Jahren eine der wichtigsten Kontaktpersonen der Offenen Brüder in Deutschland.

Versammlungen im Rheinland

springer_eos1898Erstmals erwähnt wird Springer im zweiten Septemberheft 1898 in einem Bericht Joseph W. Jordans,4 aus dem hervorzugehen scheint, dass sich im Rheinland unter Springers Einfluss bereits mehrere Versammlungen von den Geschlossenen (oder Raven-) Brüdern gelöst hatten bzw. dabei waren, sich zu lösen:5

Wir waren erfreut, im Rheinland eine Anzahl von Gemeinden zu finden, die im Namen des Herrn versammelt waren, und konnten einige davon besuchen und Zusammenkünfte abhalten, nämlich in Elberfeld und Barmen sowie in Vohwinkel, wo wir den Sonntag verbrachten. Es gibt in diesem Teil Deutschlands viele, die zum Volk Gottes gehören, und manche von ihnen sehnen sich danach, von menschlicher Knechtschaft frei zu sein und die Freiheit zu genießen, mit der der Herr uns freimacht. Ich möchte die Kinder Gottes bitten, für die Arbeit in diesem Teil Deutschlands zu beten und dass die Hände unseres Bruders Max Springer in seiner Arbeit für den Herrn gestärkt werden mögen.6

Offenbar dieselben Versammlungen besuchte der Singapurmissionar Alexander Grant Anfang 1899:

Im Rheinland fand Mr. Grant […] kleine Versammlungen, ruhig, fast bis zur Trägheit, mit äußerster Hochachtung vor der Autorität der Schrift, und doch scheinen kaum Seelen gewonnen zu werden. Dennoch gab es offensichtliche Anzeichen wahrer Gottesfurcht. Unser Bruder suchte ihnen die Wahrheit vorzustellen, dass die Aufgabe des Dieners Gehorsam ist und nicht bloß die Ausführung von „Grundsätzen“.7

Im Frühjahr 1899 kam der deutsch-englische Judenmissionar Max Isaac Reich ins Rheinland und besuchte gemeinsam mit Max Springer („der sich immer mehr von seinem Beruf freimachen kann, um am Wort zu dienen“8) die Versammlungen in Vohwinkel (Springers Wohnort), Elberfeld, Mettmann und Wald:

In vielen Herzen ist ein wirkliches Sehnen, dem in Johannes 17 ausgedrückten Wunsch unseres Herrn Jesus „auf dass sie alle eins seien“ ein Stück weit nachzukommen. Nicht die bloße Einheitlichkeit einer kirchlichen Körperschaft, sondern die lebendige Einheit in der Kraft göttlichen Lebens, die Christus zum Mittelpunkt und Gegenstand hat.9

Auch in den folgenden Jahren statteten englische Offene Brüder dem Rheinland immer wieder Besuche ab (und wurden häufig von Springer übersetzt): Im Mai 1900 nahmen Reich und der angehende Österreichmissionar Frederick Butcher an einer Konferenz in Vohwinkel teil,10 im Juni 1900 kam Edmund Hamer Broadbent nach Vohwinkel, Düsseldorf und Krefeld,11 im August 1901 Echoes-Mitherausgeber William Henry Bennet in Begleitung von Reich und eventuell wieder Broadbent nach Köln, Vohwinkel, Barmen und Düsseldorf,12 im Februar 1904 Belgienmissionar William J. Nock nach Vohwinkel, Velbert und Neviges13 und im August 1904 wiederum Bennet nach Solingen, Vohwinkel und Velbert.14

Der Evangelist

springer_eos1900Springer selbst betätigte sich ab 1900 zunehmend als Evangelist, zunächst in Vohwinkel und Umgebung,15 bald aber auch darüber hinaus – mit sehr erfreulichen Resultaten:

  • Im Mai 1904 konnte er von jeweils vierzehntägigen Evangelisationen in Bochum (40–50 Bekehrungen) und Werden (70–80 Bekehrungen) sowie einem Evangelisationsnachmittag in Langerfeld berichten,16 im November 1904 von einer Evangelisation in Mülheim.17
  • Ende 1905 bis Anfang 1906 hielt Springer mehrere gut besuchte Evangelisationen in Mülheim, Vohwinkel und Oberhausen ab: „Es gibt einen tiefen Seelenhunger, der das Werk des Herrn selbst ist. […] Gottes Gnade besucht Deutschland. Oh, mögen sich Herzen dafür öffnen!“18
  • Im März 1906 folgte eine weitere zweiwöchige Evangelisation in Oberhausen,19 im Mai/Juni 1906 eine dritte, zu der jeden Abend 300–500 Personen kamen; über 90 bekehrten sich, „und ich hoffe, dass der Herr einige dahin führen wird, sich einfach zu seinem Namen hin zu versammeln“.20
  • Im Juli 1906 predigte Springer in Holten (heute ein Stadtteil von Oberhausen-Sterkrade): „Ich hatte jeden Tag zwei Zusammenkünfte und fühlte mich sehr glücklich unter den lieben Brüdern dort, die in der Wahrheit sehr gute Fortschritte machen.“21

Bereits 1904 hatte Springer auch Missionsreisen ins Ausland zu unternehmen begonnen; so evangelisierte er im Herbst 1904 sechs Wochen lang in Siebenbürgen, Bukarest und Budapest,22 Anfang 1905 erneut in Siebenbürgen,23 im Herbst 1905 fünf Wochen lang in Biel (Schweiz) und danach abermals in Siebenbürgen und Budapest,24 im Februar/März 1906 in Ungarn25 und im Herbst 1906 in Kroatien und Ungarn.26

Ab 1907 verlagerte er seinen Lebensmittelpunkt vom Rheinland zunehmend in Richtung Berlin, wo er in zunächst halbjährlichen Abständen mehrwöchige Vortragsreihen hielt, bevor er sich Ende 1910 dauerhaft dort niederließ:27

  • Im Frühjahr 1907 veranstaltete er sechs Wochen lang abends Evangelisationen und nachmittags Zusammenkünfte für Christen „aus allen Benennungen“, die „ein Sehnen nach der Wahrheit zeigten und ein tiefes Verlangen, den Herrn besser zu kennen“.28
  • Im Herbst 1907 fand eine fünfwöchige Vortragsreihe (vorwiegend für Christen) in Charlottenburg und Halensee mit zwei Veranstaltungen täglich statt. Abends erschienen oft 700–800 Zuhörer, an Sonntagen über 1000, und es kam zu etlichen Bekehrungen (allein am 20. Oktober z.B. 60–70).29
  • Im Frühjahr 1908 evangelisierte Springer im Osten Berlins („Ich spreche nicht gerne von Ergebnissen, aber der Meister hat mich sehr ermutigt, und ich hatte die Freude, viele zu Christus kommen zu sehen“) und hielt nachmittags Vorträge für Christen, die besonders bei Angehörigen der höheren Gesellschaftsschichten auf zunehmende Resonanz stießen:30 „An einem Ort im Zentrum Berlins hatte ein Komitee adliger Damen Zusammenkünfte um 11 Uhr morgens anberaumt, die von dieser Klasse gut besucht wurden, darunter auch einigen mit Verbindungen zu unserem Königshof. Der Herr öffnete die Herzen vieler für seine Wahrheit.“31
  • Im Herbst 1908 kam Springer erneut zu einer sechswöchigen Vortragsreihe mit zwei Vorträgen täglich nach Charlottenburg; die Zuhörerzahl wuchs zum Schluss auf 400–700 Personen.32
  • Im Herbst 1909 arbeitete Springer mehrere Monate in Berlin; zuerst hielt er täglich zwei Vorträge in Charlottenburg, ab November evangelisierte er im Osten der Stadt „im sozialistischen und anarchistischen Viertel“.33

springer_eos1906Springers Missionsreisen in die Ferne wurden während dieser Zeit fortgesetzt und verstärkt; so finden wir ihn im Sommer 1907 wieder in Siebenbürgen,34 im November 1907 auf der Insel Usedom,35 im April 1908 auf Schloss Schedlau in Schlesien (wo er auf Einladung von Graf Pückler neun Vorträge hielt),36 im Sommer 1908 in Lettland (u.a. in Riga und auf Schloss Kremon, wo er mit der Familie Lieven das Brot brach),37 im November 1908 in Herrnhut,38 im Januar 1909 in Königsberg,39 im Januar 1910 in Ungarn und eventuell Siebenbürgen40 und Ende 1910 in Polen.41

Anfang der 1910er Jahre kühlte seine Beziehung zu den Offenen Brüdern dann aber offensichtlich ab – sein letzter Bericht in Echoes of Service erschien im Januar 1911, und bereits ein Jahr später bezeichnete er die Offenen Brüder in seiner pseudonym erschienenen Artikelserie „Ist der Darbysmus, was er vorgibt zu sein?“ als „Neudarbysten“, die sich aus seiner Sicht offenbar nur wenig von den anderen „Schülern Darbys“ unterschieden.42 Welche gemeindliche Richtung er nun einschlug, möchte ich in einem zweiten Beitrag darstellen.


„Echoes of Service“ als Quelle für die Geschichte der deutschen Offenen Brüder

Ende April dieses Jahres stellte das Christian Brethren Archive die ersten 47 Jahrgänge von Echoes of Service, der wichtigsten Missionszeitschrift der englischen Offenen Brüder, ins Netz. Ich maß dieser Nachricht für mich zunächst keine große Bedeutung bei, da die Missionsgeschichte der Offenen Brüder mir bereits gut erforscht zu sein schien und auch nicht zu meinen zentralen Interessengebieten gehört. Aus Neugier schaute ich dann aber doch in einige Bände hinein – und stellte fest, dass von Anfang an fast jedes Jahr auch Berichte aus dem deutschsprachigen Raum abgedruckt wurden.

Entdeckungen

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Titelseite des ersten Jahrgangs (1872)

Erstaunlicherweise standen dabei insbesondere in den ersten Jahren (die Zeitschrift erschien ab 1872) Personen im Vordergrund, die in der bisherigen deutschsprachigen Geschichtsschreibung der Offenen Brüder praktisch unbekannt sind: Weder Karl Andreas noch Julius Rohrbach noch Carl Geier noch Gustavus Adolphus Eoll (um nur einige Beispiele zu nennen) kommen im hier einschlägigen Band 2 von Gerhard Jordys Brüderbewegung in Deutschland,1 in der Dissertation von Ulrich Bister2 oder in der älteren Darstellung von Walther Schwammkrug3 vor. Der einzige bekannte Name aus den frühen Jahren – neben den evangelistischen „Weltreisenden“ Georg Müller und Friedrich Wilhelm Baedeker – ist Jean Emil Leonhardt in Bad Homburg, aber auch hier hält Echoes of Service eine Überraschung bereit, die von der bisherigen Geschichtsschreibung abweicht und offenbar auch in Bad Homburg in Vergessenheit geraten ist: Als Gründungsjahr der dortigen Offenen Brüdergemeinde galt bislang immer 1887, weshalb auch 1947 das 60-jährige,4 1987 das 100-jährige5 und 2012 das 125-jährige Gemeindejubiläum gefeiert wurde; die Berichte Leonhardts in Echoes of Service belegen aber, dass das erste Brotbrechen in Bad Homburg bereits am 25. Juli 1886 stattfand6 – alle Jubiläen wurden also ein Jahr zu spät begangen!

Es handelt sich bei Echoes of Service demnach um eine erstklassige zeitgenössische Quelle über die Anfänge der deutschen Offenen Brüder, die trotz ihrer prinzipiellen Zugänglichkeit von der hiesigen Forschung bislang anscheinend völlig unbeachtet geblieben ist.7 Ich habe mir die Mühe gemacht, alle den deutschsprachigen Raum betreffenden Berichte aus den 47 Bänden der Jahre 1872–1918 zu extrahieren; seit heute stehen sie auf bruederbewegung.de als 187-seitige PDF-Datei zum Download zur Verfügung.

Die Zeitschrift

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Titelseite des ersten Heftes mit neuem Namen (1885)

Einige Hintergrundinformationen zur Zeitschrift mögen hier noch am Platze sein. Gegründet 1872 als The Missionary Echo, trug sie von 1885 bis 1969 den Namen Echoes of Service, unter dem sie heute noch am bekanntesten ist (ab 1970 lautete der Titel schlicht Echoes, seit 2018 Echoes International mission magazine). Herausgeber in den ersten Jahrzehnten waren Henry Groves (1872–1891), John Lindsay Maclean (1872–1906), William Henry Bennet (1891–1920), Robert Eugene Sparks (1894–1918), William Edwy Vine (1911–1949) und William Rhodes Lewis (1917–1963).8

Die Redaktion (die ab 1873 ihren Sitz in Bath hatte) fungierte von Anfang an auch als Sammel- und Weiterleitungsstelle für Spenden, sodass sich Echoes of Service im Laufe der Zeit zu einer Art Missionsgesellschaft entwickelte; 1886 stand man bereits mit ca. 100, 1909 mit ca. 600 Missionaren weltweit in Kontakt.9 Einen systematischen Überblick über die unterstützten Missionare bot das Jahresregister der Zeitschrift, das bereits ab dem 2. Jahrgang (1873) nicht mehr alphabetisch, sondern nach Kontinenten und Ländern geordnet war; ab 1883 wurden zusätzlich die Adressen der Missionare und (wenn bekannt) das Jahr des Beginns ihrer Tätigkeit angegeben.

Bis 1890 erschien die Zeitschrift monatlich, von 1891 bis 1917 zweimal monatlich und im letzten Kriegsjahr 1918 wieder monatlich. Die vom Christian Brethren Archive digitalisierten 47 Jahrgänge umfassen insgesamt genau 888 Hefte, von denen etwas über ein Drittel (306 Hefte) Berichte aus dem deutschsprachigen Raum enthalten.


100. Todestag von Jean Emil Leonhardt

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Jean Emil Leonhardt (1853–1918)

Heute vor 100 Jahren starb Jean Emil Leonhardt, der Gründer der Offenen Brüdergemeinde in Bad Homburg. Die Frankfurter Neue Presse (bzw. deren Regionalausgabe Taunus-Zeitung) gedenkt dieses Ereignisses durch eine zweiteilige Artikelserie der trotz ihrer 93 Jahre noch immer sehr rührigen Bad Homburger Stadthistorikerin Gerta Walsh, die bereits 2012 einen Artikel zum 125-jährigen Jubiläum der EFG Bad Homburg und 2014 zwei Artikel über die Aktivitäten Jean Emil Leonhardts und Friedrich Kleemanns im Ersten Weltkrieg verfasst hatte.

Die aktuelle Serie enthält einiges an bisher unbekannten Informationen:

  • Leonhardts genaues Geburtsdatum (25. Oktober 1853) wird hier meines Wissens zum ersten Mal veröffentlicht.
  • Laut Walsh erwarb Leonhardt 1883 die britische Staatsbürgerschaft und pendelte bis 1900 zwischen England und Deutschland hin und her (Letzteres erscheint mir allerdings etwas zweifelhaft, da ab 1886 kontinuierliche Gemeindeaktivitäten in Bad Homburg belegt sind, wie ich demnächst noch zu zeigen hoffe).
  • Aus der 1897 geschlossenen Ehe mit Ida Schneider gingen fünf Söhne und drei Töchter hervor.

Die von Walsh beschriebenen geschäftlichen Aktivitäten Leonhardts sind für Freunde der Bad Homburger Stadtgeschiche vielleicht interessanter als für Brüderhistoriker; Letztere werden allerdings den Schluss der Artikelserie zu würdigen wissen:

Am 11. Oktober 1917 musste er sich einer Operation unterziehen, deren Ausgang ungewiss war. Damals spürte er den „Schatten des Todes“. Zu Herzen gehend ist der Brief, den er am Vorabend dieses Tages seiner Frau und den Kindern schrieb. Darin spiegelte sich sein tiefes Gottvertrauen, und Leonhardt verband die Nachricht zugleich mit der Mahnung an seine Lieben, stets an die Mitmenschen zu denken, denen es im Leben nicht so gut ging wie ihm und seiner Familie. Hier fand er Worte, die seine Lebenshaltung ausdrückten: „Gedenke der Armen, der Waisen, der Brüder die in Noth sind und des ganzen Werkes des Herrn. Er hat uns so reichlich gesegnet, deshalb thue deine Hand weit auf und verschließe dein Herz nicht. Alles war und ist nur anvertrautes Gut. Ich wünsche keine Lobreden, keine Blumen.“

Diese Operation überlebte er, doch am 24. August 1918 starb Jean Emil Leonhardt nach langem Leiden und fand auf dem evangelischen Friedhof am Untertor seine letzte Ruhestätte.

Um „Lobreden“ geht es auch in diesem Blog nicht, aber eine sachliche Biografie dieses nur noch wenig bekannten Pioniers der deutschen Offenen Brüder würde sich sicher lohnen!

175. Geburtstag von Alexander Hume Rule

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Alexander Hume Rule (1843–1906)

Der Geburtstag von Alexander Hume Rule (1843–1906), einem schottisch-amerikanischen Evangelisten und Lehrer der „Lowe-Brüder“, jährt sich heute zum 175. Mal. Aus diesem Anlass hat Gabriele Naujoks für Zeit & Schrift ein umfangreiches Lebensbild verfasst, das viel originäre Forschungsarbeit enthält – es dürfte sich um die erste biografische Studie über Rule überhaupt handeln.

Ich zitiere die Einleitung:

Die Lebensstationen von Alexander Hume Rule waren sehr unterschiedlich: Er wurde in Schottland geboren, kam als Kind mit seinen Eltern in die USA, arbeitete als Farmer, Lehrer und Pfarrer, lernte als Missionar der presbyterianischen Kirche in Ägypten die Lehren der Brüderbewegung kennen und schloss sich den „Brüdern“ an. Er war ein bekannter Reiseprediger und Evangelist in Nordamerika, der Karibik und auf den Bermudainseln.

Weiter geht es auf der Website von Zeit & Schrift.

50. Todestag von Werner Heukelbach

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Werner Heukelbach (1898–1968)

Heute vor 50 Jahren starb in Gummersbach der wohl bekannteste Evangelist der deutschen Brüderbewegung, Werner Heukelbach. Durch das nach ihm benannte Missionswerk – in den 1960er Jahren angeblich das größte Schriftenmissionswerk Europas – ist sein Name auch heute noch weithin bekannt.

Über Heukelbachs Leben habe ich bereits vor Jahren einen Wikipedia-Artikel verfasst, sodass ich hier auf eine Kurzbiografie verzichte; auch das Biographisch-Bibliographische Kirchenlexikon (Bd. 2, 1990) enthält einen Artikel über ihn (an sich kostenpflichtig, aber per Wayback Machine noch gratis zugänglich).

Als Kuriosität sei noch ein Artikel im Nachrichtenmagazin Der Spiegel vom 23. September 1959 erwähnt, der – wenn auch im spöttisch-gehässigen Spiegel-Stil der damaligen Zeit verfasst und in Einzelheiten wohl nicht immer zuverlässig – interessante Einblicke in die zeitgenössische Rezeption Heukelbachs auch in kirchlichen und Allianzkreisen bietet.

Neuerscheinungen zur Brüderbewegung 2017

Es mag von Nutzen sein, am Ende des Jahres einmal die in den letzten zwölf Monaten erschienenen Veröffentlichungen zur Brüderbewegung übersichtlich zusammenzustellen und kurz zu kommentieren bzw. einzuordnen.


BÜCHER


Jill Aebi-Mytton: A Narrative Exploration of the Lived Experience of Being Born, Raised in, and Leaving a Cultic Group: The Case of the Exclusive Brethren. DPsych Thesis, London (Middlesex University / Metanoia Institute) 2017. 2 Bände. 221 + ? Seiten.

Psychologische Dissertation mit sechs Fallstudien über ehemalige Raven-Taylor-Brüder. Der Hauptband ist online verfügbar, der Anhangsband nicht.


Sylvain Aharonian: Les frères larges en France métropolitaine. Socio-histoire d’un mouvement évangélique de 1850 à 2010. Préface de Jean-Paul Willaime. Paris (Les éditions du cerf) 2017. 641 Seiten.

Ausführliche Sozialgeschichte der französischen Offenen Brüder. Die zugrunde liegende Dissertation ist auch online verfügbar.


Horia Azimioara: Mit beiden Flügeln fliegen. Das Leben von Teodor Popescu. Hückeswagen (CSV) 2017. 172 Seiten.

Teodor Popescu (1887–1963) gründete gemeinsam mit Dumitru Cornilescu (1891–1975) Anfang der 1920er Jahre in Rumänien eine Gemeindebewegung, die etwa zehn Jahre später mit den internationalen Kelly-Lowe-Continental-Brüdern in Gemeinschaft kam. Die hier vorliegende erbauliche Biografie erschien zuerst 2003 in englischer Sprache beim Gute-Botschaft-Verlag, Eschenburg.


Ian Burness: From Glasgow to Garenganze. Frederick Stanley Arnot and Nineteenth-Century African Mission. Studies in Brethren History. Lockerbie, UK (OPAL Trust) 2017. xvii, 339 Seiten.

Eine umfassende und gründliche Biografie des bekannten Afrikamissionars (1858–1914), die zum Standardwerk werden dürfte.


A[rthur] A. Fishburn: Resilience Tried and Tested. o.O. o.V. [Amazon CreateSpace] 2017. 474 Seiten. — Ders.: BCNW. Brethren Separating to God. o.O. o.V. [Amazon CreateSpace] 2017. 140 Seiten.

Beim erstgenannten Buch soll es sich um einen im Milieu der (Raven-Taylor?-)„Brüder“ angesiedelten Roman nach wahren Begebenheiten handeln, beim zweiten Buch um Hintergrundinformationen dazu.


Joan Kearney: Shaped to Fit. How God shaped a young woman for an unexpected calling to Brazil and back. Exeter (Onward & Upwards) 2017. 276 Seiten.

Autobiografie einer Wycliff-Missionarin (geb. 1936), die bis 1961 den Raven-Taylor-Brüdern angehört hatte.


Harvey G. Rees-Thomas: 100 Years on the Street. A Story of God’s Grace through Tory Street Hall, Elizabeth Street Chapel and The Street City Church. Wellington, NZ (HIS Services Limited) 2017. 547 Seiten.

Monumentale, aufwändig gestaltete Festschrift einer Offenen Brüdergemeinde in Neuseeland.


Robert Revie: India to Ethiopia. A 50 Year Journey. Kilmarnock, UK (Ritchie) 2017. 144 Seiten.

Autobiografie eines schottischen Missionars der Offenen Brüder.


stevensonMark R. Stevenson: The Doctrines of Grace in an Unexpected Place. Calvinistic Soteriology in Nineteenth-Century Brethren Thought. Foreword by Tim Grass. Eugene, OR (Pickwick) 2017. xvi, 304 Seiten.

Diese sorgfältig erarbeitete (und bibliophil gesetzte) Dissertation belegt, wie nahe die frühen „Brüder“ dem Calvinismus standen – näher, als sie selbst wahrscheinlich zugegeben hätten (und als vielen heutigen Lesern lieb ist, ich selbst inbegriffen). Nach zwei Kapiteln über die historische Entwicklung der calvinistischen Soteriologie seit dem 17. Jahrhundert untersucht Stevenson die ersten drei der „Fünf Punkte des Calvinismus“ und setzt sie zu den Schriften der „Brüder“ in Beziehung (jeweils nach Autoren geordnet). Es folgen ein hochinteressantes Kapitel über rettenden Glauben, Buße und Heilsgewissheit sowie eine zusammenfassende Bewertung.

Kritisch hätte ich anzumerken, dass der Autor seinem Thema nicht ganz neutral gegenübersteht: Er ist selbst calvinistischer „Bruder“ und hat daher ein offensichtliches Interesse daran, die Soteriologie der „Brüder“ als Variante des Calvinismus darzustellen; Lehren, die die „Brüder“ ablehnten (z.B. die doppelte Prädestination), erklärt er kurzerhand für weniger zentral oder für „hypercalvinistisch“. Bemerkenswert fand ich den Hinweis, dass die in der „Brüdertheologie“ übliche Unterscheidung zwischen Sühnung (propitiation) und Stellvertretung (substitution), „vorgeschattet“ in den beiden Böcken am großen Versöhnungstag (3Mo 16), eine originäre Erkenntnis Darbys war, die sich vor ihm nirgendwo in der Literatur findet (S. 180, Anm. 86).

Eine vorläufige Zusammenfassung der Arbeit erschien bereits 2010 in der Brethren Historical Review.


stottRebecca Stott: In the Days of Rain. London (4th Estate) 2017. 394 Seiten.

Das Genre der „Raven-Taylor-Aussteigerliteratur“ hat seit der Jahrtausendwende einen wahren Boom erlebt: Nach Ngaire Thomas (2004, ²2005), Em Amosa (2007), David Tchappat (2009), Lindsey Rosa (2010), James Bell (2014), Peter Wycherley Harrison (2014), Joy Nason (2015) und John L. Fear (2016) ist Rebecca Stott nun schon mindestens die neunte Vertreterin dieser Gattung in weniger als 15 Jahren. Aus zwei Gründen ragt ihr Buch allerdings aus der Reihe heraus: Es ist nach Meinung der meisten Rezensenten ungewöhnlich gut geschrieben (Rebecca Stott ist Literaturwissenschaftlerin und Romanautorin; ihre beiden historischen Thriller Ghostwalk und The Coral Thief liegen auch in deutscher Sprache vor), und es bietet Innenansichten aus einer „führenden Familie“: Rebeccas Großvater Robert Stott (1902–1976) war einer der Wortführer in der Aberdeen-Trennung von 1970 und verfasste gemeinsam mit seinem Sohn Roger – Rebeccas Vater (1938–2007) – die bekannte Schrift If We Walk in the Light. Die bisher ungedruckten Lebenserinnerungen von Roger Stott (der sich leider bald nach der Trennung ganz vom christlichen Glauben abwandte) sind im vorliegenden Buch mit verarbeitet – anders wäre es auch kaum zu schreiben gewesen, denn die Autorin selbst war zur Zeit der Trennung erst sechs Jahre alt. Kritiker wie der Religionssoziologe und „Sektenversteher“ Massimo Introvigne werfen dem Buch dennoch etliche historische und theologische Fehler vor. Laut der englischen Wikipedia ist auch eine deutsche Übersetzung in Vorbereitung.


Wilfried Weist / Reinhard Assmann: Dass das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde. Die Schrifttumsarbeit im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR. Baptismus-Dokumentation 7. Wustermark/Norderstedt (Oncken-Archiv des BEFG / BoD) 2017. 298 Seiten.

Der sehr interessante und sorgfältig recherchierte Band enthält auch einige Hinweise auf die Brüdergemeinden.


AUFSÄTZE


Christopher Cone / James I. Fazio (Hrsg.): Forged from Reformation. How Dispensational Thought Advances the Reformed Legacy. El Cajon, CA (Southern California Seminary Press) 2017. xiv, 582 Seiten.

In diesem zum 500. Reformationsjubiläum erschienenen Sammelband amerikanischer Dispensationalisten sind zwei Aufsätze über Darby enthalten:

James I. Fazio: „John Nelson Darby: The Unknown and Well Known Nineteenth Century Irish Reformer (S. 81–108)
Cory M. Marsh: „Luther Meets Darby: The Reformation Legacy of Ecclesiastical Independence (S. 109–144)


elthg2aHeinzpeter Hempelmann / Uwe Swarat (Hrsg.): ELThG². Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. Neuausgabe. Band 1. Holzgerlingen (SCM R. Brockhaus) 2017. LVIII, 1954 Spalten.

1992–94 in drei Bänden erstmals veröffentlicht, erscheint dieses verdienstvolle Lexikon nun in einer weitgehend neu geschriebenen, stark erweiterten 2. Auflage. Band 1 umfasst die Buchstaben A bis E; die geplanten drei weiteren Bände werden dem Vernehmen nach erst in zweijährlichen Abständen folgen. Aus dem Themenbereich Brüderbewegung sind in Band 1 nachstehende Artikel enthalten:

Kl(aus) vom Orde: „Baedeker, Friedrich Wilhelm (1823–1906) (Sp. 598f.)
G(erd) Goldmann: „Blücher, Toni von (1836–1906) (Sp. 954f.)
W(olfgang) Heinrichs: „Brockhaus, Carl Friedrich Wilhelm (1822–1899) (Sp. 1046–1048)
ders.: „Brüderverein, Evangelischer (Elberfelder) (Sp. 1058–1062)
B(erthold) Schwarz: „Darby, John Nelson (1800–1882) (Sp. 1326–1329)
R(oland) Deines: „Deichmann, Heinz-Horst (1926–2014) (Sp. 1340–1342)
Chr(istoph) Raedel: „Dispensationalismus (Sp. 1490–1493)

Einen Artikel „Brüderbewegung“ gibt es seltsamerweise nicht; stattdessen wird – wie in der 1. Auflage – auf das Stichwort „Versammlung, Christliche“ (und damit auf den wohl nicht vor 2023 zu erwartenden Band 4!) verwiesen. Die gesamte Brüderbewegung unter dieser nur noch von Geschlossenen und konservativen Freien Brüdern verwendeten Bezeichnung abzuhandeln erscheint kaum angemessen.


Bruce A. Baker: „The Early Life and Influence of John Nelson Darby“. In: Journal of Ministry & Theology 21 (2017), Heft 2, S. 110–126.

Einführung in Darbys erste Lebensjahrzehnte und Charakterzüge. Hauptquellen sind Turner (1926/44) und Weremchuk (1992); die neuere BAHN-Literatur wird vollständig ignoriert. Baker hält sogar an dem bereits von Weremchuk widerlegten Irrtum fest, Darbys Mutter sei früh verstorben (auch online).


Howard Barnes: „Walter Wolston“. In: Precious Seed 72 (2017), Heft 3, S. 20f.

Lebensbild des bekannten Evangelisten und Autors, erschienen zum 100. Todestag am 11. März 2017 (auch online).


John Bennett: „John R. Caldwell“. In: Precious Seed 72 (2017), Heft 1, S. 24f.

Lebensbild des langjährigen Herausgebers der Zeitschrift The Witness, erschienen zum 100. Todestag am 14. Januar 2017 (auch online).


Peter van Beugen: „John Nelson Darby“. In: Focus op de Bijbel [9] (2017), Heft 35, S. 34–41.

Lebensbild Darbys in einer niederländischen Zeitschrift der „blockfreien“ Brüdergemeinden (auch online).


Arnd Bretschneider: „Kein Preis zu hoch!? Ein junger Mann stellt sich dem Anspruch von Jesus Christus“. In: Perspektive16 [recte 17] (2017), Heft 5, S. 21–23.

Über den Missionar und Märtyrer Jim Elliot (1927–1956), dessen Zugehörigkeit zu den Offenen Brüdern im Artikel allerdings nicht erwähnt wird.


Peter Ferry: „Assemblies in Thailand. From Islands to Hill Tribes“. In: Precious Seed 72 (2017), Heft 3, S. 28f.

Über die Offenen Brüdergemeinden in Thailand (auch online).


Ken Follett: „Wie ich meinen Glauben verlor“. In: Rheinische Post 228 (30. September / 1. Oktober 2017), Magazin, S. C1–C2.

Autobiografischer Essay des unter den „Needed-Truth-Brüdern“ aufgewachsenen Bestsellerautors, zuerst auf Englisch erschienen in Granta. The Magazine of New Writing 137 (2016), S. 53–61. (Die deutsche Übersetzung ist online verfügbar, vom englischen Original gibt es auf YouTube eine Lesung des Autors mit Interview.)


Erich Geldbach: „Geschichtsschau und Gemeindeideal bei John Nelson Darby und in der Brüderbewegung“. In: Freikirchenforschung 26 (2017), S. 167–175.

Vortrag auf der Herbsttagung 2016 des Vereins für Freikirchenforschung zum Thema „Reformatio oder Restitutio? Vorstellungen von Erneuerung der Kirche in der Geschichte der Freikirchen“. Die Ausführungen sind im Wesentlichen sachlich korrekt und mit Zitaten belegt, aber der bei Geldbach obligate Seitenhieb gegen die Romanreihe Left Behind (für die Darby nicht verantwortlich ist und die er niemals gebilligt hätte) darf selbstverständlich nicht fehlen.


Tim Grass: „Restorationists and New Movements“. In: The Oxford History of Protestant Dissenting Traditions. Volume III: The Nineteenth Century. Hrsg. von Timothy Larsen und Michael Ledger-Lomas. Oxford (Oxford University Press) 2017. S. 150–174.

Die Seiten 156–160 dieses Überblicksartikels sind der Brüderbewegung gewidmet. (Der eigentlich £ 95 teure Band kann merkwürdigerweise hier vollständig als PDF heruntergeladen werden.)


Óli Jacobsen: „Jógvan F. Kjølbro (1887–1967): Ein Geschäftsmann in der Brüdergemeinde der Färöer“. In: Tjaldur. Mitteilungsblatt des Deutsch-Färöischen Freundeskreises 57/58 (Juni 2017), S. 77–85.

Biografischer Artikel, zuerst auf Englisch erschienen in Brethren Historical Review 12 (2016), S. 34–48.


David C. Kirkpatrick: „‘Freedom from Fundamentalism’: Christian Brethrenism and the Rise of Latin American Protestant Evangelical Social Christianity“. In: The Journal of World Christianity 7 (2017), S. 211–233.

Laut diesem Artikel führte die Übergabe der Leitungsverantwortung von europäischen „Brüder“-Missionaren an Einheimische in Lateinamerika zu größerem sozialem Engagement und zu einer Abkehr vom Fundamentalismus.


Gerard Kramer: „William Kelly (1821–1906)“. In: Focus op de Bijbel [9] (2017), Heft 36, S. 18–23.

Lebensbild Kellys in einer niederländischen Zeitschrift der „blockfreien“ Brüdergemeinden (auch online).


Andreas Liese: „‚Wir konnten immer das Evangelium verkünden‘. Baptisten und Brüdergemeinden im ‚Dritten Reich‘“. In: Kirchliche Zeitgeschichte 30 (2017), S. 93–133.

Der Beitrag untersucht die Entwicklung von Baptisten- und Brüdergemeinden im NS-Staat bis hin zum Zusammenschluss im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden.


Armin Lindenfelser: „Elizabeth Paget (1783–1863). Die ‚Mutter der Brüderbewegung‘“. In: Zeit & Schrift 20 (2017), Heft 4, S. 31–35.

Lebensbild der „geistlichen Mutter“ von Anthony Norris Groves, Georg Müller und Robert Cleaver Chapman (auch online verfügbar).


Peter Lineham: „Learning from History: An Exclusive Brethren Story“. In: History Making a Difference: New Approaches from Aotearoa. Hrsg. von Katie Pickles, Lyndon Fraser, Marguerite Hill, Sarah Murray und Greg Ryan. Newcastle upon Tyne (Cambridge Scholars Publishing) 2017. S. 73–91.

Der erste Teil des Aufsatzes handelt vom Geschichtsverständnis der Brüderbewegung allgemein (einschließlich der Offenen Brüder), im zweiten Teil analysiert der Autor Material aus dem Geschichtsunterricht der Raven-Taylor-Hales-Privatschulen, das ihm von einem Aussteiger zugespielt wurde.


Berlin M[artin] Nottage: „Heroes of the Faith: Brothers Beloved“. In: Cornerstone 1 (2017), Heft 1, S. 12–14.

Über die drei von den Bahamas stammenden, aber hauptsächlich unter Schwarzen in den USA wirkenden Evangelisten Whitfield Nottage (1883–1986), Talbot Burton Nottage (1885–1972) und Berlin Martin Nottage (1889–1966) (auch online). Die Zeitschrift Cornerstone wurde dieses Jahr neu gegründet.


Sarah Ponzer: „‘Disease, Wild Beasts, and Wilder Men’: The Plymouth Brethren Medical Mission to Ikelenge, Northern Rhodesia“. In: Conspectus Borealis 2 (2017), Issue 1, Article 4. 25 Seiten.

Studentische Hausarbeit über ein sehr spezielles Missionsthema, erschienen in der Zeitschrift der Northern Michigan University in Marquette (auch online).


Bogdan Emanuel Răduţ: „Origini europene ale Bisericii Creştine după Evanghelie din România“. In: Arhivele Olteniei NS 31 (2017), S. 205–213.

Über britische, schweizerische und deutsche Einflüsse auf die Entstehung der Brüdergemeinden in Rumänien (auch online).


Richard E. Strout: „Ninety Years and Counting: The History of Assemblies in Quebec“. In: Cornerstone 1 (2017), Heft 2, S. 16f.

Zusammenfassung des vom selben Autor verfassten Buches Ebb and Flow. A History of Christian Brethren Churches in French Canada 1926–2010, Port Colborne, ON (Gospel Folio Press) 2016 (der Artikel ist auch online verfügbar).


Todne Thomas: „Rebuking the Ethnic Frame: Afro Caribbean and African American Evangelicals and Spiritual Kinship“. In: New Directions in Spiritual Kinship. Sacred Ties across the Abrahamic Religions. Hrsg. von Todne Thomas, Asiya Malik und Rose E. Wellman. Contemporary Anthropology of Religion. Cham, Schweiz (Palgrave Macmillan) 2017. S. 219–244.

Kulturanthropologische Studie über zwei afroamerikanische Gemeinden der Offenen Brüder in Atlanta (Georgia).


Für Hinweise auf weitere, von mir übersehene Neuerscheinungen bin ich dankbar!

Anfänge in Herefordshire – und zwei (fast) vergessene Offene Brüder

brewer_edihAls ich 2001 über Percy Francis Hall zu recherchieren begann, schickte mir David Brady vom Christian Brethren Archive (CBA) in Manchester u.a. einen Artikel mit dem Titel „Early Days in Herefordshire“ zu, den auch das CBA nur in Kopie besaß. Er war dem Archiv zusammen mit anderen historischen Dokumenten der Brüdergemeinde Hereford übergeben worden und trug die handschriftliche Notiz:

Obtained from Rev. Morgan,1 Hereford Cathedral – source unknown – Printed 1893. Author: “C. B.”2

Da die Seitenzählung mit 84 begann, musste es sich um einen Auszug aus einem Sammelband o.Ä. handeln; im Katalog des CBA erhielt der Artikel daher den Vermerk: “Apparently extracted from a larger work.”

Der Autor ließ sich immerhin identifizieren, denn unter den Archivalien aus Hereford befand sich auch eine handschriftliche Version des Aufsatzes, betitelt „The Lord’s Work amongst Early Brethren in Herefordshire“ und einem gewissen Charles Brewer aus Leominster zugeschrieben.3 Entdeckt hatte beide Dokumente Harold H. Rowdon, als er für seine Dissertation recherchierte;4 von der Manuskriptfassung machte er in seinem Kapitel über Hereford reichen Gebrauch, nannte sie aber etwas kryptisch nur „Brewer’s MS“, ohne den genauen Titel und den Fundort anzugeben,5 was noch Jahrzehnte später immer wieder zu Anfragen an das CBA führte.6

Die Quelle

Welchem “larger work” die Druckversion entnommen war, blieb jedoch weiterhin unklar; Tim Grass bibliografierte sie 2006 in seinem magnum opus als “n. pl.: n. p., 1893”,7 und ich selbst schrieb in meinem 2013 erschienenen Aufsatz über Percy Francis Hall nur von einem “extract from an unidentified larger work”.8 Erst 2014/15 gelang es durch eine gemeinsame Anstrengung mehrerer Mitglieder des Brethren Archivists and Historians Network (BAHN), die Quelle ausfindig zu machen. Samuel McBride erinnerte sich, in einem Buch des Offenen Bruders Joseph Henry Burridge einen “well written account full of interesting and obscure information” über die Anfänge in Hereford gelesen zu haben;9 nachdem er seine Bibliothek konsultiert hatte, konnte er das Buch als The Christian Outlook: A Compendium of Papers on Various Aspects of Christian Life and Doctrine, Glasgow (Pickering & Inglis) o.J. identifizieren.10 Auf den Seiten 84–95 war tatsächlich der Artikel „Early Days in Herefordshire“ von „C. B.“ abgedruckt – ein Befund, den Timothy Stunt unabhängig davon bestätigte.11

burridge_tco_titleEin halbes Jahr später hatte ich Gelegenheit, den Band The Christian Outlook bei einem australischen Antiquariat zu erwerben. Wie sich herausstellte, handelt es sich nicht eigentlich um ein Buch, sondern um zwei Jahrgänge einer Zeitschrift, die Burridge 1896 unter dem Titel Church Principles and Christian Practice begonnen und 1899 in The Christian Outlook umbenannt, aber bereits Ende 1899 (also nach nur vier Jahren) wieder eingestellt hatte. In dem undatierten Sammelband The Christian Outlook, der nach außen hin wie ein gewöhnliches Buch erscheint, sind – getrennt paginiert – der dritte Jahrgang von Church Principles and Christian Practice (1898) und der vierte, The Christian Outlook genannte Jahrgang (1899) enthalten. Das Inhaltsverzeichnis (auf der Rückseite des Titelblatts) erfasst eigenartigerweise nur Letzteren; der Artikel „Early Days in Herefordshire“ findet sich jedoch im ersten Teil, und zwar im zweiten Heft, erschien also ursprünglich im zweiten Quartal 1898 in Church Principles and Christian Practice.

Vorangestellt ist dem Artikel eine Einleitung des Herausgebers mit dem Titel „Early Days among Brethren“, in der es u.a. heißt:

The narrative referred to was written in 1893, but the wisdom of publishing it being questioned by some, it has been kept back. But the fact that the account of God’s ways with His people, and His mighty power and grace among them, as well as that of their failure, is often given in the scripture for the benefit of, and even to bring home the sin of, a succeeding generation, and that in some instances they are expressly told to tell to their children the works of God among themselves, influences us to publish it now, especially as it is in character with the object of this Magazine.12

Damit wäre auch die Jahreszahl 1893 erklärt, mit der die Kopie im CBA versehen ist: Es handelt sich nicht um das Erscheinungsjahr der Druckversion, sondern um das Entstehungsjahr des Manuskripts. Eine Neuedition der Druckfassung habe ich vor einigen Tagen auf bruederbewegung.de zugänglich gemacht.13

Der Autor

Wer war nun Charles Brewer? Das Buch Turning the World Upside Down, eine Missionsgeschichte der Offenen Brüder, weiß ein wenig über ihn zu berichten:

Born in 1826, as a boy of eight or nine years old he had heard his father read an account of the mission in Baghdad, its trials and tragedies. The effect never left him. Until he died in 1915 he used all his energies in the Lord’s work at home and abroad. In 1884 he moved with his wife to Leominster and lived in the very suitably named Perseverance Road. To stir up missionary interest, he addressed meetings in various parts of the country, published books, pamphlets, tracts, magazine articles, maps, prayer cards, postcards and collecting boxes.14

Einige weitere biografische Einzelheiten lassen sich per Internetrecherche ermitteln. Geboren wurde Charles Brewer in Worthing (Sussex)15 als Sohn des Lehrers Samuel Kilbinton Brewer (17821849), der anscheinend bereits Freikirchler war,16 und dessen Frau Sarah geb. Shackle (ca. 1789–1871). Charles’ beruflicher Werdegang war offenbar abwechslungsreich: Im Census 1841 erscheint er als “Bookseller”, 1851 als “Head Assistant Bookseller”, 1861 als “Sewing Machine Maker”, 1871 als “Agent”, 1881 als “Grocer Manager Tea Trade”, 1891 und 1901 als “Living on (his) own Means” und 1911 als “Retired Bookseller”. Als Wohnsitz ist 1841 Lambeth St. Mary, 1851 bis 1881 Liverpool und 1891 bis 1911 Leominster registriert.

1851 heiratete Brewer in Plymouth die etwa fünf Jahre ältere Rebecca Horlford (geb. in Devonport); 1853 wurde ihre Tochter Lucy geboren (die 1885 den späteren Needed-Truth-Mitbegründer Charles Mann Luxmoore heiratete17), 1855 ihr Sohn Charles Samuel. Nachdem Rebecca 1902 im Alter von 81 Jahren verstorben war, ging der ebenfalls schon recht betagte Charles Brewer 1904 eine zweite Ehe mit der aus Leominster stammenden, ca. 27 Jahre jüngeren Laura Marion Rogers ein. Am 11. April 1915 starb Brewer, wahrscheinlich in Leominster:

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Quelle: National Probate Calendar

Seine zweite Frau überlebte ihn um gut 22 Jahre:

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Quelle: National Probate Calendar

Was die “books, pamphlets, tracts” angeht, die Brewer laut Turning the World Upside Down veröffentlicht haben soll, so besitzt das CBA nur einige wenige dünne Broschüren; am umfangreichsten ist noch das 32-seitige Heft My Book of Remembrance of Some Service & Work Done in Other Lands in the Name of the Lord, Leominster ²1909.18

Der Herausgeber

Noch weniger als über Brewer scheint bisher über Joseph Henry Burridge bekannt gewesen zu sein, den Herausgeber von Church Principles and Christian Practice bzw. The Christian Outlook. Roy Coad erwähnt ihn überhaupt nicht,19 Tim Grass nur einmal in Verbindung mit den Wiedervereinigungsgesprächen zwischen Offenen und Geschlossenen Brüdern Anfang des 20. Jahrhunderts.20 Der Katalog des CBA verzeichnet immerhin eine namhafte Anzahl seiner Veröffentlichungen (darunter einige recht anspruchsvoll klingende Titel, z.B. God’s Prophetic Plan: A Comprehensive View of God’s Dealings with Man from Creation to the New Heavens and New Earth, 300 Seiten, oder Near Eastern Politics and the Bible: Science, Creation, and Revelation in the Light of Near Eastern Politics, 152 Seiten), und das Believer’s Magazine veröffentlichte im Juni 1941 einen kurzen Nachruf.21 Hieraus und aus verschiedenen Online-Datenbanken lässt sich in etwa folgendes Lebensbild rekonstruieren:

Joseph Henry Burridge wurde am 20. Januar22 1856 im Londoner Vorort Peckham23 in einfache Verhältnisse hineingeboren: Sein Vater George Burridge (18281907) war zunächst Landarbeiter24 und später Ziegelbrenner,25 und auch die beiden ältesten Söhne George und Joseph Henry mussten früh hart arbeiten – im Census von 1871 sind sie als “Bricklayers”, d.h. Maurer registriert. Joseph Henry scheint diesem Beruf aber körperlich nicht gewachsen gewesen zu sein, denn 1881 wird der erst 25-Jährige als “Invalid” geführt. In der Zwischenzeit hatte sein Leben freilich schon eine andere Wendung genommen: 1872 war er zum Glauben gekommen und hatte sich den „Brüdern“ angeschlossen, und bereits vier Jahre später – also im Alter von 20 Jahren – war er in den vollzeitlichen Dienst getreten.26 Im Census 1891 ließ er sich denn auch als “Evangelist” eintragen, 1901 als “Mission Preacher”.27 Sein Schwerpunkt war allerdings nicht nur missionarisch: Wie aus Zeitungsanzeigen und -berichten hervorgeht, hielt er oft auch apologetische Vorträge (z.B. 1888 auf Guernsey über die Gottheit Christi, 1890 in Portsmouth über den Katholizismus, 1929 in Preston über die Inspiration der Bibel) oder gab in längeren Vortragsreihen umfassende Überblicke über Heilsgeschichte und Prophetie (z.B. 1894 in Ilfracombe, 1897 in Bath, 1903 in Tunbridge Wells)28 – alles Themen, die auf ein intensives autodidaktisches Studium schließen lassen.

1894, im Alter von 38 Jahren, heiratete Burridge im Bezirk Barton Regis (Gloucestershire) die etwa sieben Jahre jüngere, aus Wells (Somerset) gebürtige Fanny White. Sie bekamen fünf Kinder: Ernest Leslie (18961948), Doris Eva K. (18981901), Irene Winifred (19001965), Margaret Mary (19011994) und Arthur Patrick (19041992). Das Ehepaar ließ sich zunächst in Bristol nieder (bis zu seiner Heirat hatte Burridge offenbar in der Region London gelebt); von etwa 1898 bis 1901 finden wir sie in Ross-on-Wye (Herefordshire) oder Umgebung (Linton, Walford) – was wohl den Kontakt mit Charles Brewer und das Interesse an den Anfängen in Herefordshire erklärt –, von etwa 1904 bis 1911 wieder in Bristol, ab 1912 in Weston-super-Mare und spätestens ab den 1920er Jahren in Birmingham, wo Fanny am 15. Februar 1937 im Alter von 74 Jahren starb.29 Joseph Henry wirkte weitere vier Jahre in großer geistiger und körperlicher Frische;30 sein Tod am 6. Mai 1941 war auf einen tragischen Verkehrsunfall zurückzuführen.31

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Quelle: National Probate Calendar

(Dass der Wert seines Nachlasses hier mit “Nil” angegeben wird, verwundert etwas; 1901 war die Familie immerhin noch so vermögend gewesen, dass sie vier Hausangestellte beschäftigen konnte.)

burridge_cpacp_1898_2In vielen seiner Veröffentlichungen befasste sich Burridge mit Gemeindefragen. Er galt als Offener Bruder der „alten Schule“ und wandte sich seit den 1890er Jahren gegen die Verengungstendenzen, die in der Needed-Truth-Gruppe mündeten, aber auch außerhalb davon weiterwirkten.32 Tatsächlich verstand sich gerade seine Zeitschrift Church Principles and Christian Practice als „Zeugnis“ gegen diesen „Irrtum“.33 In seiner wahrscheinlich letzten Schrift Church Theories among Brethren, um die Jahreswende 1940/41 entstanden, meinte er sogar bei Henry Pickering und William Edwy Vine Züge dieser Lehre entdecken zu können.34 Darüber hinaus geißelte er den sektiererischen Geist, den er auch unter den Offenen Brüdern wahrnahm:

In our ecclesiastical and party strife, our respective sects (and all Church parties – or party Churches – are sects) look upon each other as enemies, and cultivate the greatest of bitter feelings toward each other. […] And those sects who boast that “we have left the sects” (and there are many such) are the most culpable, in this respect of unchristian feeling. For they have some idea of the true centre of gathering, and (some of them) the unity of the whole Church, on the absolute side. And yet their rules, regulations and customs are deadly set against the practical manifestation of the same. They have no respect – not to say love or interest – for believers, or even the work of God, outside our [sic!] own boundary lines.35

burridge_edabMit der Veröffentlichung von Charles Brewers „Early Days in Herefordshire“ in Church Principles and Christian Practice über 40 Jahre zuvor hatte er ebenfalls eine erzieherische Absicht verfolgt:

Let us seek to emulate the simplicity and devotedness of the early brethren to whom God revealed so much that is matter of common knowledge to us. Let us also seek to avoid the evils which so soon marred the testimony to the truth thus revealed, and judge the cause of it in ourselves. To this end we shall be glad to receive any true and unbiased accounts of the work of God in recovering to His people truth that had been long lost to the Church, yet clearly taught in His Word, and its immediate effect upon those who received it. But prejudiced accounts which have as their object the vindication of one party of brethren as against another, will not be in harmony with our object.36

Weitere historische Berichte dieser Art erschienen trotz Burridges Aufforderung leider nicht. Die Auflage der Zeitschrift Church Principles and Christian Practice dürfte ohnehin nicht besonders hoch gewesen sein – heute ist sie so selten, dass eine Google-Suche nur einen einzigen Treffer liefert, und zwar diesen Blog! Auch das CBA besitzt nur den Sammelband The Christian Outlook, also wohl nicht die ersten beiden Jahrgänge der Zeitschrift. Vielleicht kann der vorliegende Blogeintrag ein wenig zur Wiederentdeckung dieser beiden nahezu vergessenen Offenen Brüder der zweiten und dritten Generation, Charles Brewer (1826–1915) und Joseph Henry Burridge (1856–1941), beitragen.